Es ist kein Antisemitismus, an die Leiden der Palästinenser zu erinnern
Die Wanderausstellung „Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948“ sorgte auch wegen Antisemitismusvorwürfen für Furore. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter von Baden-Württemberg, trat auf Seiten der Kritiker besonders hervor. Er verfasste für die Landesregierung einen Antisemitismus-Bericht, in dem die Nakba-Ausstellung ausdrücklich erwähnt wird. Die Ausstellung will nach Auffassung ihrer Initiatoren die Perspektive der Palästinenser in den Blick nehmen. In Nachkriegsdeutschland habe man „ganz überwiegend das israelische Verständnis dieses Zeitabschnitts verinnerlicht“. Der Anschlag von Halle und der allgemein eher wieder wachsende Antisemitimus in Deutschland hat dem Thema zusätzliche Brisanz verliehen. Die Frage, die jetzt zu diskutieren ist, lautet: Stellt der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Antisemitismus“, der in Anbetracht der deutschen Geschichte eine besonders diffamierende Wirkung erziehlt, eine Lösung dieses sicher virulenten Problems dar? Sollten aktuelle, destruktive Formen des Antisemitismus dazu führen, dass der israelischen Regierung ein Freibrief für weitere Menschenrechtsverletzungen an Palästinesern ausgestellt wird? Sollte die unmittelbare Schlussfolgerung aus Halle darin bestehen, dass über die Nakba, die Flucht und Vertreibung der Palästinenser anlässlich der israelischen Staatsgründung, nicht mehr geredet wird? Peter Pawelka, langjährigem Leiter des Arbeitsbereich Vorderer Orient am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen, bemüht sich in einem offenen Brief an Blume „um Trennschärfe zwischen Verunglimpfung des Judentums und der kritischen Analyse des Staates Israel“. Peter Pawelka
Sehr geehrter Herr Dr. Blume,
in den letzten Tagen habe ich Teile Ihres Entwurfs für einen Antisemitismus-Bericht der Landesregierung zu lesen bekommen. Erlauben Sie mir als langjährigem Leiter des Arbeitsbereich Vorderer Orient am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen ein paar Hinweise und Empfehlungen zu Ihrem Entwurf.
Selbstverständlich befürworte ich das Bemühen der Landesregierung von Baden-Württemberg, dem zweifellos wachsenden Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland entgegenzuwirken. Gleichwohl plädiere ich für ein vertiefteres Bemühen um Trennschärfe zwischen Verunglimpfung des Judentums und der kritischen Analyse des Staates Israel.
Zu Ihrem „Unterpunkt Israelfeindlichen Antisemitismus stoppen“ habe ich in aller Kürze drei Bemerkungen:
1. Wer soll den Unterschied zwischen „israelfeindlichem Antisemitismus“ und durch Meinungsfreiheit gedeckte Kritik an Israel feststellen? Ich glaube, dass Sie nicht einmal wissen, wie sogar universitäre Lehre und Forschung in der Bundesrepublik durch eine der Regierung Israels nahestehende Lobby und ein durch sie erzeugtes Klima in Teilen der ( jüdisch-freundlichen ) deutschen Gesellschaft eingeschränkt wird. Es ist in der Bundesrepublik selbst für etablierte Wissenschaftler nicht einfach, sich mit dem Nahost-Konflikt und dem Staat Israel analytisch zu beschäftigen, wenn der (völlig absurde) Vorwurf des Antisemitismus immer wieder zu ertragen ist. Eine ausgewogene Stellungnahme zur Abwehr des Antisemitismus sollte auf der anderen Seite nicht versäumen, die Meinungsfreiheit sowie die Freiheit wissenschaftlicher Forschung und Lehre gleichgewichtig herauszustellen.
2. Die Stellungnahme der Landesregierung sollte etwas vorsichtiger mit der Hervorhebung des demokratischen Charakters Israels oder gar einer Identifikation mit ihm umgehen. Die gesamte wissenschaftliche Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat die Zunahme autoritärer Züge in der israelischen Demokratie herausgearbeitet. Dass selbst die Justiz Israels unter diesem Druck leidet wird dem sorgfältigen Zeitungsleser nicht entgangen sein. Und wenn die kritische israelische Forschung zur Geschichte und Politik Israels das Land verlassen muss, um frei arbeiten zu können, sollte das auch zu denken geben.
3. Die ausdrückliche Erwähnung der aus Baden-Württemberg stammenden und inzwischen bundesweit bekannten Nakba-Ausstellung in einem Antisemitismus-Bericht ist unangebracht, weil diese Ausstellung auf der Grundlage kritischer, weitgehend von israelischen Forschern durchgeführten, Analyse erstellt worden ist. Sie hat keinerlei „antisemitische“ Züge. An diesem Beispiel ist die Problematik einer Verwechslung von Kritik an einzelnen politischen Vorgängen in der israelischen Geschichte und einem generellen Feindbild des Judentums (oder sogar der Existenz Israels) gut zu erkennen. Die Erwähnung der Ausstellung in einem Antisemitismus-Bericht der Landesregierung hätte zur Folge, dass sie nirgends mehr gezeigt werden würde.
Auch die Empfehlung, die Ausstellung um die Flucht und Vertreibung jüdischer Bevölkerungsteile aus den arabischen Ländern zu erweitern, finde ich wenig zielführend. Sie würde nur neue Probleme auslösen: so wurden 1. in einigen Ländern Judenverfolgungen und Pogrome erst durch gezielte Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes initiiert, 2. reiche Juden gingen nach Europa, kaum einer nach Israel und 3. wurden die orientalischen Juden jahrzehntelang in Israel sozio-ökonomisch und kulturell diskriminiert.
Eine der demokratischen Meinungsfindung angemessene Empfehlung wäre, den Gegnern der Ausstellung die Möglichkeit zu geben, ihrerseits durch Ausstelungen oder andere events ihre Positionen darzustellen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Peter Pawelka
Die Hoffnung für Frieden und Sicherheit beider Völker ist völlig in den Hintergrund geraten! Der Rechtsruck in der israelischen Gesellschaft unter Führung der jetzigen Regierung verstärkt noch meinen Eindruck, dass es nicht um Friedensbemühungen geht, sondern um Machterhaltung von beiden Seiten, Israelis und Palästinenser!
Die Kritik an der Nakba Ausstellung hätte man von vornherein vermeiden können und müssen! Eine Gegenüberstellung beider Sichtweisen in einer gemeinsamen Ausstellung -denn die Menschlichkeit hört nicht vor der eigenen Haustür auf – hätte eine Diskussion ermöglicht, die den Antisemitismusvorwurf nicht gerechtfertigt hätte.
Die Ausstellungs-Verantwortlichen haben nicht weitsichtig gehandelt. Die „rechten“ Bestrebungen in Deutschland sollten eine Warnung sein: „Nie wieder Leid, Auslöschung und Vertreibung eines jeglichen Volkes!“
1) Machterhaltung von beiden Seiten?
Diese Machtmittel sind doch sehr asymmetrisch verteilt zwischen der atomar bewaffneten Besatzungsmacht und den seit 1948 bzw. 1967 von ihr besetzten Palästinensern in ihren zerstückelten und eingemauert/eingezäunten Gebieten. Machtmittel sind übrigens auch die Propagandainstrumente Israels im In- und Ausland. Sie haben die israelischen Positionen auch in Deutschland massiv und völlig einseitig zur Geltung gebracht, zuletzt erst im Jahre 2018 mit der Ausstellung „1948. Die Ausstellung.“
2) Eine gemeinsame Ausstellung mit Gegenüberstellung beider Sichtweisen?
Schön wär´s! Eine offene, wissenschaftlich-faire Diskussion wird von Israels Regierung seit Jahrzehnten verhindert. Die Nakba-Ausstellung wird von Anfang an z.B. durch die Dt.-Israel. Gesellschaft als „antisemitisch“ verleumdet. Seitdem versucht man, die Ausstellung durch Verbot der Überlassung von Räumen zu verhindern. Kritik an Israels Regierungspolitik soll mundtot gemacht werden.
3) Kurzsichtiges Handeln der Ausstellungsmacher?
Die Ausstellungsmacher wenden sich gleichermaßen gegen die antijüdischen Verbrechen der Nazis wie gegen die Vertreibung der Palästinenser durch die Zionisten und Israel. Das hat überhaupt nichts mit „rechten Bestrebungen“ zu tun, im Gegenteil: Die Aussagen der Ausstellung sind exakt wissenschaftlich belegt nach Forschungen v.a. israelischer Historiker. Die zurückhaltenden politisch-historischen Wertungen sind konsequent an Menschenrechten im Sinne des Grundgesetzes, internationaler Normen und der Tradition der Aufklärung orientiert. Das können Sie. liebe Ruth, und alle anderen Interessierten nachlesen in der Katalogbroschüre „Die Nakba“ von Ingrid Rumpf (E-Mail:info(at)lib-hilfe.de).
Liebe Ruth, bitte setzen Sie sich für eine rückhaltlose öffentliche wissenschaftliche Debatte über die Entstehungsgeschichte Israels, über Terror und Massaker, Massenflucht und Vertreibung ein. Die Rechtsverletzungen und auch die Kriegsverbrechen beider Seiten sollten untersucht und analysiert werden. Nur durch die Bemühung, genau zu klären, was wie und wo geschehen ist, kann ein produktiver Dialog zwischen diesen intelligenten und gebildeten, aber seit Generationen verfeindeten Völkern entstehen. Da bin ich gern an Ihrer Seite.
Zum Schluss noch ein Hinweis: Das Friedensdorf Neve Shalom/Wahal al Salam versucht seit vierzig Jahren, eine Gemeinschaft aufzubauen, in der Juden und Palästinenser, auch als Juden, Muslime, Christen und Nichtgläubige, völlig gleichberechtigt und demokratisch zusammen leben. Die Kinder werden zweisprachig gebildet, alle Ämter sind paritätisch vergeben: Ein Dorf übt den Frieden. Und das funktioniert! Für mich sind die Menschen von Neve Shalom/Wahat al Salam glaubwürdige Vorbilder. Schauen Sie mal in die Webseite!
Shalom und Salam! Hans
ich bin ganz an Ihrer Seite, vertrete meine Meinung – nachzulesen in meinen Kommentaren – respektvoll und mit der Hoffnung, dass ein friedlicher Dialog, eine gegenseitige Wertschätzung und Interesse erreicht werden kann.
Wenn ich mich mit Andersdenkenden austausche, dann bekommt mein Gegenüber ein Gesicht. Das heißt: Er lacht, er weint, er trauert, er macht Fehler und ist ein Mensch!
Wenn ich etwas in meinem Leben – das währt nun über 6 Jahrzehnte- gelernt habe: Gewalt und Krieg, in Wort Sprache und Tat, ist ein Grundübel der Menschheit.
Friedliche Grüße, eine wohltuende Verabschiedung!
Ruth
Wie sähe dann zum Beispiel eine Ausstellung aus, die an die Verfolgung und Ermordung der Juden, etwa in der eigenen Heimatstadt, erinnerte. Sollte eine solche Ausstellung auch die Sichtweise der Nazis präsentieren?
Kein Mißverständnis: ich setze hier nicht – was schlimmer als schlimm wäre – israelische Politiker mit Nazis gleich. Ich weise auf ein strukturelles Problem hin, das gegeben ist, wenn der eigene Gerechtigkeitswunsch den konkreten Fall und den konkreten Zusammenhang völlig außeracht läßt.
Auch Gerechtigkeit ist immer konkret, niemals nur abstrakt.
Zum vorliegenden Problem gebe ich in allen Punkten Hans Heintze Recht. Um so mehr, als diese „Nakba-Ausstellung“ – fast könnte man sagen: ungewollt – mit zahlreichen Dokumenten usw. die Positionen und Taten der israelischen Politik wiedergibt und wiedergeben muß, und zwar deshalb, weil diese Ausstellung ansonsten völlig inhaltsleer bleiben müßte. Konkret:
Ohne Darstellung der Positionen und Rolle der Verfolger kann Verfolgung der Verfolgten schlicht nicht dokumentiert werden.
Die „Nakba-Ausstellung“ tut also genau das, was Ruth in ihr zu vermissen glaubt: sie zeigt die Täter und deren Positionen, und sie zeigt die Opfer und deren Positionen.
Derlei verhindern oder verbieten zu wollen, heißt, die Wahrheit verhindern oder verbieten zu wollen.
Gewusst? Der jüdisch-christliche Dekalog und der islamische Pflichtenkodex weisen große Übereinstimmungen auf.
Im Koran wird Jesus als großer Prophet geehrt; seine Mutter Maria zu verunglimpfen ist verboten.
Was tun „gute Christen“ – sie regen sich jahrelang über das Tragen einer Burka auf ohne sich die Mühe eines Verstehens zu machen, weshalb sie zur Tradition wurde.
An das Leid von Palästinensern zu erinnern hat nichts, rein garnichts mit Antisemitismus zu tun. Es sind pure Machtgelüste geostrategischer Natur, die manche Menschen die ewig gleiche Keule des Antisemitismus schwingen lässt.
Aber wie schon Albrecht Müller zur 5. Manipulationsstrategie schreibt: ‚Steter Tropfen höhlt den Stein‘, und meint damit die ewig gleichen Wiederholungen, die sich im Hirn festsetzen – na, und wenn das viele oft sagen, dann muss es ja stimmen.