Eulenfeder: Totengräber 1/3

 In Kurzgeschichte/Satire, Politik (Inland)

GefängniszelleGefängnisse sind eine abgeschlossene Welt, hinter deren Mauern selbst politisch sonst kritische Menschen nicht gern schauen. Sind es doch “keine Unschuldigen”, die dort sitzen, und irgendwie wird schon alles seine Richtigkeit haben. Gefängnisse sind künstliche Höllen, errichtet von den “Guten” – Stätten psychischer Folter. Und die Hölle sind bekanntlich immer die anderen. Hierarchiekämpfe, Gewalt und Demütigungen unter den Gefangenen werden vom Wachpersonal und von der Gefängnisleitung geduldet, als wäre eine – menschenrechtswidrige – Zusatzstrafe, die sich Gefangene gegenseitig zufügen, durchaus erwünscht. Die Gedemütigten und Traumatisierten schweigen meist “hinterher”, denn wer erzählt schon gern, dass er eingesessen ist. Es ist Eulenfeder hoch anzurechnen, dass er den Schleier des Schweigens ein wenig lüftet und bekennt: Ich war dort. Für Leser ergeben sich so Einblicke, die man anderswo nur selten bekommt.

“möchten sie dem seinen sack nach läusen untersuchen ?” meint die gefängnisärztin (mitte 30, blondes langes haar, durchaus attraktiv ) mit einem verächtlichen grinsen, dabei ihren kollegen anschauend. die grosse lupe in der hand, sass sie auf einem hocker, und diese erste “ärztliche” untersuchung war sichtlich ein reines vergnügen für sie, jeden tag neue nackte männer mitsamt mehr oder weniger interessanten schwänzen – in reih und glied quasi . mit dem “sack” war ich gemeint, war der nächste  der “frischknackis”, die nackt in einer reihe anzutreten hatten. auf kopf-, sack- und sonstige läuse wurde untersucht. “nicht wirklich”, meinte der assistent mit gespielt angewidertem grinsen. nebenbei gesagt: die erste demütigung, die man als “neuer” zu durchlaufen hat. aber es gab auch welche, die selbst grinsend ihr “gerät” bewusst dieser anstaltsärztin vor die nase hielten – die abgebrühtere “sorte”.

also dann: nach desinfizierender dusche und aushändigung frischer anstaltsklamotten folgt man weisungen zuständiger wachtl (gefängniswärter ) und wird in einen “saal” geführt, in welchem man dann wohl zu bleiben hat, wie lange auch immer. zum ersten mal – wenn die tür hinter dir zufällt, der schlüssel von aussen umgedreht wird – überkommt dich dieses nicht wirklich zu beschreibende gefühl der verlorenen endgültigkeit. da gibt es kein zurück – hier musst du bleiben! und du stehst da mit deiner decke und bettwäsche und blickst auf sieben stockbetten in einem “saal” mit ca. 35 quadratmetern. knackis starren den Neuen an, dein “servus” bleibt unbeantwortet. dich ab- und einschätzende augen. du suchst nach dem leeren bett und lässt dir nicht anmerken, dass du sehr verunsichert bist. ”wie sieht’s aus mit deinem selbstvertrauen ?  bist nicht gerade ein “schwarzenegger-typ”, der unantastbarkeit gebieten würde – aber ein feigling auch nicht.” – diese gedanken schiessen dir durch den kopf, als einer, ca. einsachzig, bodybilder-typ, in einem befehlston meint. “kannst später nach dem abendessen gleich anfangen, den boden zu wischen, wenn du schlau bist. so läuft das hier!”

nun – auf befehle reagiere ich “von haus aus” allergisch, und so war kein weiteres grübeln nötig: ‘”du sagst mir überhaupt nix !”, war meine spontane antwort. der saalkapo grinst überlegen, kommt auf mich zu und lässt seine muckis spielen. “jetzt pass auf du wixer”, droht er überheblich, fährt seine pratze aus … ich fange die hand ab, zieh sie zu mir her, lege den ellbogen an seinen hals, zieh ihm die beine weg – er kracht auf den boden. ich habe seinen arm immer noch fest im griff, knie mich auf seinen hals und biege den arm, bis er vor schmerzen “o.k. ich geb auf!” schreit – lass ihn los, trete paar schritte zurück und warte auf seine reaktion. “so was versuchst du bei mir nicht nochmal, wenn du schlau bist”, sage ich. er macht einen rückzieher und schleicht sich auf sein bett.

pfffffffff…  ich stehe da und merke, dass mir die knie zittern, geh zu ihm und sage: “lass uns diesen scheiss vergessen – du respektierst mich und ich dich, o.k. ?” er schien nichts dagegen zu haben.

so läuft das eben im knast: kleine hirarchische stellungsstrukturen, die auch mit gewalt ausgefochten werden. das recht des stärkeren. wer sich “unterbuttern” lässt, bleibt unten auf einer “dienerstufe”. wer “aufrecht” bleibt, bekommt anerkennung, respekt – auch jene, die sich nicht wehren können und trotzdem vermeintlich überlegenen ihre grenzen aufzeigen. “der hat charakter” – “der ist o.k.” nicht in jedem falle funktioniert das, es gibt unglaubliche arschlöcher und vollidioten mit völlig leerer birne, grossmäulige feiglinge, die mit dem rückhalt einer “gang” frech werden – hauschefs und hausl mit sonderstellungen, berüchtigte und landbekannte gross- und kleinkriminelle … jeder versucht einen platz zu finden darin, wo er möglichst unbehelligt seine tage rückwärts zählen kann, mit möglichst geringem schaden vor allem an der seele. aber es gibt auch die “kleinen, unscheinbaren”, denen selbst die grossmäuligsten muskelriesen aus dem wege gehn. ein blick in deren augen sagt dir alles: ein killerinstinkt der etwas äusserst bedrohliches verströmt. ein kalter schauer läuft dir da über den rücken. die möchten aber nur in ruhe gelassen werden, einzelgänger meist. immer wieder versucht’s ein neuer mit seiner überheblichkeit – und bezahlt dies mit einer demütigung, die bis zum seelischen zerbrechen geht.

nun also sitz ich da, an den zwei aneinandergereihten tischen in der mitte des saals, spüre sowas wie anerkennung. einige kriechen aus ihren betten, und es beginnt ein erstes abtasten. nach einschluss steht einer schmiere am fenster neben der zellentür. ein anderer zaubert einen kleinen tauchsieder aus seinem versteck im klo, schliesst ihn mit den blanken drähten an denen der glühbirnenfassung an. ein grosser behälter wasser wird zum kochen gebracht. andere bringen ihre bomben an den tisch (eine bombe ist ein glas instantkaffee). wieder ein anderer legt mir einen koffer hin (eine packung zigarettentabak). ich danke es ihm, dreh mir eine, und wir plaudern vorsichtig, schlürfen starken kaffee. die grosse unsicherheit als ich hereinkam verschwindet langsam. ein erstes kennenlernen. ein besonders freundlicher, auch sympathischer kerl sucht geradezu meine freundschaft – ich habe nichts dagegen. ein guter, lockerer typ irgendwie. später erfahre ich, dass er seine oma mit einer schere erstochen hat! ich kann ihn deswegen nicht verurteilen, er ist mir gegenüber korrekt.

die erste nacht im stockbett oben neben der tür, kann nicht einschlafen. 13 andere machen irgendeinen lärm. kleine radios. einige wixen unter der bettdecke. alles 5 minuten muss einer aufs klo. die einzige kleine “privatsphäre” ist dein bett und ein kleines kästchen. stickige luft, gestank … du kannst dem nicht entfliehen, also zähle ich nun auch – rückwärts. nur noch 547 tage. “sitzt du auf einer arschbacke ab”, mach ich mir selbst mut.

 

 

 

 

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