Eulenfeder: Wehrzersetzung 1/3

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Musterung aus dem Film "Felix Krull"

Musterung aus dem Film „Felix Krull“

Wie der Staat gestrickt ist, der da über uns wacht und regiert, erfährt man, wenn man einmal ernsthaft versucht, sich ihm zu widersetzen. Demütigung, Schikanen, völlig unsinnige Unterwerfungsrituale sind das, was man lange Zeit als zum „normalen“ Lebenslauf eines jungen Mannes gehörig betrachtet hat. Wer sich der Demütigung widersetzt, erntet – schlimmere Demütigungen. Es ist schwer, unter diesen Umständen wenigstens eine innere Freiheit, einen Rest von Würde und Stolz zu bewahren. Unser Autor Eulenfeder dokumentiert in diesem in Grundzügen wahren Beitrag die Geschichte einer ungewöhlich radikalen Verweigerung. Ungewöhnlich nur im Umfeld des bösartigen Irrsinns, den als normal zu betrachten wir gewöhnt sind. Bei der Lektüre gewinnt man immer mehr den Eindruck, dass die Verweigerung des Ausnahmemenschen eigentlich das Normale, die Beugsamkeit der Mehrheit dagegen das Erstaunliche an dieser Geschichte ist. Viele „Eulenfedern“ wären der Alptraum der Staatsmacht. Es wäre ein nicht abrichtbares, ein nicht zu brechendes, ein nie mehr für absurde und destruktive Zwecke verfügbares Volk.

wehrzersetzung auf oberpfälzisch – oder wie man eine ganze kompanie besiegt

eine der vielen guten wesenseigenschaften der oberpfälzer ist – nebst knurriger verschrobenheit (hinter welcher aber ein herz steckt) – die tatsache, dass in jedem ein kleiner anarchist zu hause ist. etwas aufgezwungen zu bekommen, das mögen sie überhaupt nicht…

„hast du gewusst dass die feldjäger den Hubi geholt haben?“ – „ehrlich Franzl?“, frage ich überrascht, „wann denn, heute?“ – „nein, schon vorgestern, seine mutter hat’s mir gesagt, gestern.“ „scheisse“, sage ich. „der Hubi, warum gerade ihn“. wir sitzen in unserer stammkneipe, ich bestell mir noch ein weissbier auf den schreck, und wir reden über diese ungerechtigkeit, bedauern es sehr. Der Hubi war einer, den man nur mögen konnte. mit ihm zusammen aufgewachsen in jener siedlung, auch einer mit diesem wunderbaren „leckt’s-mich-doch-alle-am-arsch-gefühl“. nicht negativ zu deuten, vielmehr eben der anarchische widerstand gegen zwänge jeglicher art. schon durchaus seelenverwandt waren wir, und wie es seine art war, hatte er diese unwichtigkeit der einberufung nie erwähnt, und logisch war er dieser auch nicht gefolgt. so sitzen wir also etwas bedrückt und reden über ihn. kurz vor mitternacht geht die tür auf, und wer kommt rein, mit einem grinsen im gesicht? der Hubi! wie von ihm gewohnt, in seiner sympathischen art – wohl kaum etwas konnte ihn wirklich aufregen -, beantwortete er unsere wissbegier nur mit seinem gewohnten lässigen schulterzucken: „ausgerissen bin ich halt und wieder heimgefahren“, als wär’s das selbstverständlichste. wunderbar, nun in fröhlicher runde noch einige weissbier zu vernichten – bis, kurz bevor unsere kneipe dicht machte, wieder die tür aufging und feldjäger hereinkamen! unseren Hubi haben wir dann 18 monate nicht mehr gesehen. vor einem zivilgericht wegen wiederholter fahnenflucht zu 18 monaten gefängnis verurteilt.

spät, aber leider doch noch, bekam ich ca. ein halbes jahr später selbst die einberufung. wut im bauch. wie schon gesagt, für den natural born anarchist eine ungeheure missachtung seiner selbstbestimmung und der festen antimilitärischen grundhaltung. niemand zwingt mich zu einem dienst, weder militär noch ersatzdienst. eine frechheit, über mein leben bestimmen zu wollen. aber was kann ich machen, um dem gefängnis zu entgehen? muss einen anderen weg gehen, und da hatte ich die idee: ich werde einrücken, aber dort dann alles verweigern. euch werd ich’s zeigen, zu was ein freigeistiger oberpfälzer dickschädel fähig sein kann. ihr werdet es erfahren müssen, denn ihr wollt es ja so.

also komme ich an dort bei der luftwaffe, ganz bewusst drei stunden zu spät als schon mal erstes zeichen des widerstandes, eine flasche jim beam im rucksack, half-gallon, übliche schmuggelware von den amis. war wohl der letzte neue „rekrut“, die reaktion des feldwebels, der als erstausrüstung decke, schlafanzug, bettzeug und anderes ausgab, liess keinen anderen schluss zu. laut mich anbrüllend: „wo kommen sie denn her, sind sie wahnsinnig? wissen sie, wie spät es ist!?“ – „pass mal auf, freund“ sage ich mit erhobenem zeigefinger, „wenn du mit mir in irgendeiner art und weise reden willst, dann musst du dir einen anderen ton einfallen lassen…“ – noch lauter brüllend drohgebärdlich er: „was erlauben sie sich, ihnen werden wir schon noch manieren beibringen!“ – ich gehe wieder raus aus dem gebäude, aus der kaserne richtung bahnhof. kurz vor dem bahnhof rast ein jeep heran, vier feldjäger springen raus und nehmen mich fest, bringen mich zurück, und ich stehe wieder vor diesem affen. diese meine erste erziehungsmassnahme hatte wirkung, derart, dass er mir ohne ein wort die sachen aushändigte und nur noch in normalem ton sagte: „gehen sie auf stube 16, um 20 uhr kommt der ausbilder.“

also komme ich in stube 16 und sehe 3 stockbetten, alle belegt – mhhh, naja – „befehl ist befehl“ dachte ich mir mit einem grinsen, denn ich hatte schon die nächste gute idee, ging rüber auf stube 15, ein oberes bett war frei, schleppte dieses rüber in stube 16 und rückte es neben den tisch. eine riesige freude breitete sich im bauch aus, denn meine rache für diese zwangs-einberufung hatte begonnen, und welch eine genugtuung für mich, nun in verweigerung die kompanie zu bekämpfen. die anderen auf der eigentlich schon vollbesetzten stube fanden es lustig, erst recht als ich den whiskey hervorzauberte. es wurde eine fröhliche runde, bis 20 uhr jedenfalls. exakt zu jener stunde flog die tür auf und ein „ausbilder“ kam herein in begleitung eines weiteren irgendwas darstellenden. er riss das maul auf, und wieder dieses unverschämte brüllen, das ich überhaupt nicht mochte. der whiskey hatte schon hervorragende wirkung auch. „was fällt ihnen denn ein! sind sie wahnsinnig!?“ – „mir fällt vor allem ein, dass sie hier unverschämter weise hereinplatzen und unsere fröhlich runde stören“, sag ich noch in guter laune. „also bitte ich darum, die tür wieder zuzumachen und zwar von aussen‘. der gute mann erstarrte, sowas hatte er noch nicht gehört von einem untergebenen. verdutzt stand er da, verwirrt auch irgendwie – um aber dann doch wieder loszubrüllen: „sie sind ja betrunken! und was wollen sie hier überhaupt in dieser stube, diese ist mit 6 mann schon voll belegt.“ – „das interessiert mich einen scheissdreck“ entgegne ich nun schon etwas gereizt. „ich habe einen befehl ausgeführt, sonst nichts – und nun schleich dich, wir wollen noch bischen feiern.“ er zieht eine trillerpfeife aus der uniform und bläst hinein, schrill und laut hallt es durch die gänge, und kurze zeit später kommen zwei soldaten angerannt, wachbereitschaft wie ich später erfuhr. ich wurde aufgefordert, diese zu begleiten und landete in der zelle im wachbau, gleich hinter der einfahrt-schranke. befriedigt – schon wieder ein sieg – und mit der gewissheit, alles genau richtig zu machen, bin ich dann selig dort eingeschlafen.

am nächsten morgen aus der zelle entlassen und zum kompaniechef geführt, immer noch in meinen zivilen klamotten, meint dieser mir eine strenge belehrung vortragen zu müssen. „was haben wir denn da für einen! ich hoffe so etwas kommt nicht mehr vor und ich hoffe wir haben uns verstanden!“ – „das glaub ich kaum, dass wir uns verstehen“ entgegne ich mit einem grinsen. „raus mit dem kerl“, schreit er. ich werde nach stube 15 begleitet, das entliehene bett war wieder da, ein ausbilder kommt und erklärt den ablauf der abmeldung zum zapfenstreich. danach verdrück ich mich, schaue mich um, es muss eine kantine geben. finde sie und lass mich vollaufen.

kurz vor 22 uhr gehen alle, ich folge torkelnd, finde die stube und irgendwie war die stimmung angespannt dort. ich erkannte die gewisse angst der anderen vor diesem ersten abmelden. „könnt euch ruhig ins bett legen, ich mach das schon“, sage ich. inzwischen waren schon stahlhelme und anderer blödsinn ausgeteilt worden. ich ziehe mich nackt aus – splitternackt – und setze mir den stahlhelm auf, warte der dinge die da kommen, vorfreudig, erinnere mich an jenen spruch, der nun wohl aufzusagen war, wenn die abmeldung dann stattfand. die tür wird wild aufgerissen, ein herrischer typ in feldwebel-uniform bricht hereinm, einem feldherren gleich. ich stehe in nur einem meter abstand nackt vor ihm, mit dem stahlhelm auf dem besoffenen schädel, lege die grusshand an diesen und sage vorschriftsmässig: „flieger fröhlich, stube gereinigt und gelüftet, fünf mann in den betten, einer beim abmelden“, lasse die hand zackig wieder nach unten fahren. der typ reisst das maul auf, aber irgendwie wollen keine worte folgen, kein geschrei zunächst mal. er glotzt ungläubig, schaut mich von oben nach unten an, dann reisst er die trillerpfeife raus und bläst wild hinein. wieder kommen zwei von der bereitschaft angerannt, nach einer decke wird befohlen, diese mir übergeworfen, festgenommen und wieder in die zelle, die ich schon kannte. und wieder mit genugtuung dort friedlich eingeschlafen. mein feldzug der verweigerung hatte begonnen.

erst gegen mittag am nächsten tag wurde aufgesperrt, etwas zum anziehen gebracht, und es folgte erneut die begleitung zum kompanie-chef. „sie sind wohl völlig wahnsinnig geworden!“, brüllt der oberaffe im beisein einiger ausbilder. „ist ihnen klar wo sie hier sind?“ – „ja“, entgegne ich ruhig. „dort wohin man mich gezwungen hat. aber wenn sie meinen, sie könnten mir meine wertvolle lebenszeit mit diesem schwachsinn stehlen, dann haben sie sich getäuscht. jedenfalls müssen sie nun schauen, wie sie mit mir zurecht kommen, und nicht umgekehrt.“ – „abführen!“, brüllt er rot vor zorn, und ich lande wieder in der zelle. denke nach über die mir längst bewusst gewordene hilflosigkeit dieser trottel, hilflos in ihren strafmassnahmen, die ja keine waren für mich – eher befriedigung. und ich wollte nun tatsächlich gänzlich herausfinden und auch erfahren, was sie wohl machen, wenn ihnen dann wirklich bewusst wird, dass man mich nicht bestrafen kann, dieses unterdrückungs-system nicht funktioniert, wenn man sich nicht unterdrücken lässt, ganz einfach. totschlagen konnten sie mich nicht, strafen berührten mich nicht, egal was ihnen da alles einfiel. und wie lächerlich hilflos sie dann zunehmend wurden, nicht mehr wussten, was sie machen sollten mit diesem stur verweigernden oberpfälzer.

die unehrenhafte entlassung war mein ziel zunächst.

Die Fortsetzung der Abenteuer des unbraven Soldaten Eulenfeder lesen Sie am Montag in diesem Magazin.

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