Eulenfeder: Wehrzersetzung 3/3
eines morgens, war gerade auf dem weg in die schreinerei – ausgeschlafen, denn früh antreten oder anderes unsinnige war ja für mich nicht notwendig, längst gemütlich eingerichtet, keine ordnung oder sonstig militärisch vorgeschriebenes, keine versuche mehr mir ordnung beibringen zu wollen. links liegengelassen irgendwie, was mich zugegeben etwas ärgerte. war das ein trick, um mich trotz allem hier behalten zu können? aber hier gehörte ich nicht hin. die entlassung wollte ich erzwingen, war weder aktiver, noch geduldeter inaktiver soldat.
an jenem morgen nun wurde ich von zwei seltsam erscheinenden typen in mantel und hut aufgehalten. man bat mich ihnen in einen raum zu folgen, ein kleiner raum mit einem kleinen tisch und einem stuhl, auf den ich mich zu setzen hatte. die tür war nur von außen zu öffnen, vor der tür ein wachsoldat. schon seltsam irgendwie. die beiden weisen sich als offiziere vom MAD aus (militärischer abschirmdient). einer holt seine dienstwaffe aus dem mantel und legt sie vor mich auf den tisch. schweigen, abwarten. “ihr haltet mich nicht für so blöd, dass ich nach der waffe greife oder?”, frage ich. etwas mulmig wurde mir schon, sie warten ab und schweigen zunächst, stehen vor mir und wirken bedrohlich. der waffenbesitzer nimmt die pistole, zieht das magazin heraus, zeigt mir, dass es leer ist, lädt durch und gibt einen blindschuss an die wand ab, um mir zu zeigen, dass die waffe tatsächlich nicht geladen ist. aber der andere hatte mit sicherheit auch ein waffe.
“können sie die waffe bitte zerlegen”, so der andere in einem befehlston. “denke gar nicht daran”, meine antwort. wollen die meine fingerabdrücke auf der waffe? er nimmt sie wieder und zerlegt sie blitzschnell bis auf jenen kleinen metallkasten, in welchem der schlagbolzen liegt. “was soll der zirkus?”, frage ich – “was meinen sie, kann man den schlagbolzen zerbrechen?” fragte der andere wieder. – “woher soll ich das wissen" meine antwort. nach einiger zeit geben sie diesen versuch auf und beginnen fragen zu stellen: "warum sind sie kommunist geworden?" - "haben sie noch kontakt zur RAF?" - "haben sie noch kontakt zu ..." ich erinnere mich an diesen namen, ja den kannte ich von früher, hippiezeit damals, studentenkommune in nürnberg, in der ich einige zeit unterschlupf gefunden hatte. schau mal an, was die alles wissen! "sie wissen bescheid über den bombenanschlag in stockholm, nehme ich an!?" ich antworte nicht mehr, beginne zu begreifen, dass die mir irgendwas unterschieben wollen, eine sache bei der der spass wohl aufhört. "sie waren letztes wochenende in der zelle, und der stellvertretende wachhabende hat sie nachts aus der zelle gelassen, sie haben dann im wachlokal mit anderen karten gespielt, bier getrunken!" - stimmt, aber ich weigerte mich dies zu bejahen. jener gute typ hatte mich tatsächlich rausgelassen und erst früh am morgen wieder eingesperrt, wollte ihm nicht schaden. "sie wissen doch bescheid, dass die RAF kasernen überfällt, um an waffen zu kommen. in dieser nacht waren beim wachsoldaten, beim stellvertreter und beim wachoffizier die schlagbolzen ihrer dienstwaffen zerbrochen, unbrauchbar gemacht." - "lasst mich im ruhe mit diesem blödsinn", sage ich bestimmt. sie versuchen noch was zu erfahren, mich zu aussagen zu bewegen und geben irgendwann auf. ich kann diesen speziellen verhörraum verlassen und verdrück mich in die kantine. ganz schön linke tour, denke ich mir, aber ich muss weiter an meiner entlassung basteln, einschüchtern lass ich mich nicht. weihnachten! ich als einziger in der kaserne, außer wachbereitschaft niemand da. überlege was ich anstellen könnte: was neues, geniales, und da kam mir eine geniale idee. am 1. weihnachtsfeiertag, so hatte ich mitbekommen, gab's eine weihnachtsfeier für die offiziere, samt kompaniechef, im grossen speisesaal. also gehe ich dorthin. mein erscheinen unterbricht abrupt die feierliche stimmung - stille. es riecht verführerisch nach glühwein und stollen, die tische an den wänden aneinandergereiht, festliche tischdecken, kerzen, grünzeug, stollen, plätzchen. offiziere samt ehefrauen glotzen mich erstarrt an, ein alptraum wohl. kein einziger dort, der nicht schon mal das missvergnügen hatte mich kennenzulernen. gleich links neben der eingangstür sitzt der kompaniechef mit seiner frau. ich setz mich neben ihn, sag "servus leute". keiner rührte sich. die gefahr, dass ich irgendeinen blödsinn machen würde und damit die schöne feier zerstöre, war wohl gross, sie waren irgendwie gelähmt. ich zog einen stiefel aus, langte nach der grossen metallenen kanne, aus der glühwein dampfte, stellte den stiefel auf den tisch, goss ihn voll, hob ihn feierlich, blickte ebenso feierlich in die runde und sagte: "prost meine damen und herren!" der eine oder andere war schon geneigt - um des friedens willen -, es mir gleichzutun. ich saugte mich voll mit dem köstlichen glühwein, rum auch drin. da löste sich die knisternde spannung, als einer die nerven verlor: "was fällt ihnen eigentlich ein!?" das war dann das signal für die anderen, ebenfalls loszuschimpfen. Zwei mutige kamen ihrem chef pflichtbewusst zuhilfe, und man befahl mir, den raum sofort zu verlassen. ich trinke den stiefel leer und winke gelangweilt ab. ein tapferer offizier packt mich am arm. "finger weg!", sage ich. "keiner langt mich an!" sie langen zu zweit zu, ich stehe auf und wehre mich. ein händel entsteht, und ich serviere einem der offiziere einen sauberen oberpfälzer rundschlag. er streckt sich, andere stürzen sich auf mich. ich werde überwältigt. die inzwischen heranpreschende wachbereitschaft samt wachoffizier schleppt mich in meine zelle - 7 tage diesmal. welchen grund sollte es geben, mir selbst etwas vorzuwerfen? keinen natürlich - hatte ich doch lediglich freundlich eine feier besucht und ein prosit ausgerufen. einige wochen später zivilverhandlung am amtsgericht, der saal voll mit offizieren, ich der einzige in zivil. presse. ein schauprozess. befehls- und gehorsamsverweigerung in 121 fällen, sachbeschädigung, wehrzersetzung, tätlicher angriff auf einen offizier, körperverletzung, beleidigung, unehrenhaftes verhalten, verunglimpfung staatlicher symbole, unbelehrbarer, hoffnungsloser fall. 18 monate gefängnis auf bewährung zunächst. die bewährung wurde später widerrufen. es gab für mich keinen anlass mich bewähren zu müssen. für mich ein sieg auf der ganzen linie, erhobenen hauptes, ungebrochen, stolz, frei ...