Fantasie für den Frieden

 In Friedenspolitik, Ludwig Schumann

Autor Ludwig Schumann vor einer Skulptur von Tony Cragg

Das Christentum wird ja immer dann gern beschworen, wenn es gilt, angeblich nicht Zugehöriges zu diskriminieren; es wird ausgeblendet wenn Kriege ökonomisch geboten erscheinen – nicht zuletzt auch von den „christlichen Parteien“. Krieg ist gefährlicher Wahnsinn, und die größten Verbrecher haben die besten Aussichten, in den Geschichtsbüchern zu landen. Oder in den Bestsellerlisten. Margot Kässmann, Co-Autorin eines Buchs von Konstantin Wecker, hatte das schon früh erkannt. Ludwig Schumann hat sich einige ihrer früheren Aussagen zum Afghanistan-Krieg noch mal genauer angeschaut. Ihr Buch ist alt, nicht der Inhalt. (Bitte beachten Sie auch die Biografie unseres neuen Autors Ludwig Schumann, unterhalb des Artikels).

Frau Kässmann. Sie hat vor etlicher Zeit mal ein wirklich wichtiges Buch geschrieben. Merkwürdigerweise fuhr sie ausgerechnet da über eine rote Ampel mit den bekannten Folgen. Ob das Zufall war, werden wir in dreißig Jahren wissen, wenn man in die Akten schauen kann. Das Buch war für die damalige Diskussion und Situation der Bundesrepublik nämlich tatsächlich brandheiß, ging aber über die Ereignisse buchstäblich unter. „Fantasie für den Frieden oder Selig sind, die Frieden stiften“ heißt es, erschienen in der edition chrismon – mit dem Aufkleber: „Das aktuelle Buch zur Afghanistan-Debatte“. 2010 war das.

Das „Karfreitagsgefecht“ am 2. April 2010 kostete drei deutschen Soldaten das Leben, acht wurden verwundet. Kurze Zeit darauf fielen wiederum deutsche Soldaten. 2010 war das Jahr der größten Verluste für die internationalen ISAF-Truppen sowie das Jahr mit den meisten gefallenen Bundeswehrsoldaten. Margot Kässmann predigte, als ahnte sie, am Neujahrstag 2010 in der Dresdner Frauenkirche: „Wir brauchen Menschen, die nicht erschrecken vor der Logik des Krieges, sondern ein klares Friedenszeugnis in der Welt abgeben, gegen Gewalt und Krieg aufbegehren und sagen: Die Hoffnung auf Gottes Zukunft gibt mir schon hier und jetzt den Mut. von Alternativen zu reden und mich dafür einzusetzen. Manche finden das naiv. Ein Bundeswehroffizier schrieb mir etwas zynisch, ich meine wohl, ich könnte mit weiblichen Charme Taliban vom Frieden überzeugen. Ich bin nicht naiv. Aber Waffen schaffen offensichtlich auch keinen Frieden in Afghanistan. Wir brauchen mehr Fantasie für den Frieden.“

Diese Predigt schlug 2010 hohe Wellen. Sie blieb auch innerhalb der Kirchen nicht unwidersprochen. Sie verweist zurecht auf den Umstand, dass 1948 die Kirchen der Welt unter dem Eindruck des 2. Weltkrieges in Amsterdam formulierten: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Und später schreibt sie: „Gewaltfreie Konfliktbewältigung ist kein Kinderspiel, Prävention und Mediation müssen gelernt werden.“ Wenn man sich vorstelle, dass der Irak-Krieg die USA monatlich 7,3 Milliarden Dollar koste, dann sollte man sich auch vorstellen, was für dieses gleiche Geld für die irakische Bevölkerung getan werden könnte, für die Ankurbelung der Wirtschaft und die Abwendung von Not. Kaum jemand würde sich für den gegenwärtigen Monatslohn mehr als Soldat bei IS oder welcher Terrorgruppe auch immer, melden, weil er mehr Geld auf friedliche und zukunftssichere Weise verdienen könne.

Kürzlich erzählte mir jemand, der auf dem einzigen NATO-Flottenstützpunkt außerhalb Europas in den USA weilte, dass er dort einen Flugzeugträger besucht habe. 13 Milliarden Dollar kostet ein Flugzeugträger pro Jahr. 13 Flugzeugträger hat die Navy. Wozu? Flugzeugträger sind keine Verteidigungswaffensysteme. Mit 13 mal 13 Milliarden Dollar Wirtschaftshilfe hätten wir vermutlich weltweit kaum noch Terrorismus.

Ulrike Demmer vom Focus sah das 2014 anders: Sie meinte, angesichts des Ukraine-Konflikts sowie des Engagements der USA im Irak-Krieg, vor allem auch gegen den IS, sei „erschreckend deutlich geworden, dass diese Sicherheit verteidigt werden muss.“ Sie schlägt vor, dass sich drei Dinge ändern müssen:
„Deutschland darf sich nicht länger hinter den Bündnispartnern verstecken und vor militärischen Einsätzen drücken, die es grundsätzlich für richtig hält.
Deutschland braucht eine sicherheitspolitische Strategie.
Die Bundeswehr muss in die Mitte der Gesellschaft rücken.“

Ursula von der Leyhen, die anfangs ihrer Karriere als Verteidigungsministerin sich mit Vorliebe wie Rommel mit Feldherrnblick als Panzer-Uschi ablichten ließ, lässt den Worten Taten (oder müsste es „Toten“?) folgen. Aufrüstung an Mann/Frau-Stärke und Kriegstechnik soll in Größenordnung folgen. Wir sind zu groß, um neutral zu sein. Weshalb? Altbundespräsident Köhler musste gehen, weil er es zu früh auf den Punkt gebracht hatte: Für die Wirtschaft natürlich. Die Wirtschaft kann sich keinen Pazifismus leisten. Rheinmetall gründet Tochterfirmen in der Türkei, um die türkische Armee gegen die Kurden beliefern zu können, während sie mit der Bundesregierung die Kurden beliefert. Oder, da Saudi-Arabien sich im (Bürger)Krieg mit dem Jemen befand, wurde halt mit den Saudis eine Kooperation zur Übergabe einer gemeinsamen Munitionsfabrik verhandelt und beschlossen. Der Hintertüren gibt es viele.

Ich habe grundsätzlich nichts dagegen, dass die Söhne all dieser Journalisten-Runden-Strategen sowie der Bundestagsabgeordneten, die solches beschließen, in welche Feldzüge auch immer geschickt werden, solange sie geschickt werden möchten. Ich glaube nicht, das zeigen die Kriege der letzten Jahrzehnte, dass heute noch irgendwelche Erfolgsaussichten damit verknüpft sind. Das gab es auch früher nicht. Man erinnere sich nur der Schlesien-Feldzüge des großen Friedrich, die Hunderttausenden junger Menschen das Leben kosteten und rund 200 Jahre später, ebenfalls in Folge eines Krieges, wieder verloren gingen. Für was starben diese jungen Menschen? Dafür, dass ein Größenwahnsinniger ein paar Zeilen im Geschichtsbuch erhält. Und mein Verdacht ist, dass auch heute noch nur der einen Platz im Geschichtsbuch findet, der eine genügend große Zahl von Toten als Schuldenlast hinter sich herschleppt.

Vielleicht sollten wir hier beginnen, wenn es schon trotz der in Schwange gekommenen christlichen Abendländerei kaum noch Christen gibt, uns rationalen Überlegungen zu stellen, ob nicht die ganze Aufrüsterei ein entschiedener Quatsch ist, der in die politische Mottenkiste gehört, da mag die Panzer-Uschi noch so entschieden in der Welt herumschauen. Ich gebe es ja zu, dass ich ein langsamer Leser bin – siehe Margot Kässmanns Buch, das mir kürzlich wieder in die Hände fiel. Nur das Buch war alt, nicht der Inhalt! Aber sie, unsere Verteidigungsministerin, vertritt ein Konzept von vorgestern. Von einer ernst zu nehmenden Politikerin verlange ich mehr. Eben Zukunft! Mindestens, was die Ideen betrifft. Da, wo Menschen in ihren Lebensentwürfen nicht mehr scheitern müssen, werden wir auch kaum noch unter Gefahr zu leben haben. Dafür sollten wir das Geld ausgeben. Nein, nicht zusätzlich, sondern das, was wir vermittels der weltweiten Aufrüstung ohnehin zum Fenster hinausschmeißen. Es würde eine immense, heilende Wirkung entfalten. Dessen bin ich mir sicher.

 

Ludwig Schumann

Der heute bei Magdeburg lebende Erfurter Schumann ist gelernter Koch, Diplomtheologe, arbeitete auch 13 Jahre als Landpfarrer, absolvierte 1989/90 den Sonderkurs des Instituts für Literatur, „Johannes R. Becher“ in Leipzig, gründete 1991 mit dem Fotografen Hans-Wulf Kunze (Meisterschüler bei Prof. Helfried Schreiter) und dem Illustrator Thomas Binder die Werbeagentur TOgDÀ Communications, die 13 Jahre u.a. die Landeswerbung für Sachsen-Anhalt, beispielsweise auf der EXPO in Sevilla machte (A2 Plakat mit Unfallärzten und dem Slogan: Rasen Sie ruhig. Wir kümmern uns um den Rest!), seit 2004 freischaffender Autor und Herausgeber. Schumann zeichnet für die Kolumne „Ich bin ein langsamer Leser“ in der Magdeburger Zeitung „Magdeburg kompakt“ verantwortlich. Seit 2012 leitet er mit der Gefängnisseelsorgerin Jana Büttner die TalentLos!Schreibwerkstatt der JVA Burg. Schumann gehörte zu den Mitbegründern des Magdeburger forum gestaltung und gründete des Amadeuskomplott.

Bibliographisches

1994 Der Auftrag Kinderbuch zur Entstehung des Markus-Evangeliums
1994 Die Urgeschichten Erzählungen
1995 Geheimniskrämerei Erzählung für Kinder, mit Illustrationen von Thomas Binder, pixi
1999 Den ganzen Tag Frosch erotischer Geschichtenkranz mit Illustrationen von Michael Schwill
1999 Straßenkreuze (Hrsg.)
2008 Gartenträume. Zwischen Harz, Elbe und Saale. (3. Preis Deutscher Gartenbuchpreis 2009)
2009 Verletzte Landschaft Interviews beidseits der ehemaligen Zonengrenze mit Fotografien von Hans-Wulf Kunze und 1 CD

eines LeseKonzertes mit Conny Bauer (Posaune) und Peter Kowald (Bass)
2010 Der bei den Ziegen saß Erzählung mit Bildern von Amouzou Amouzou Glikpa
2011 Freche Romanzen – Amadeuskomplott
2012 Der Dreizeitenpsalm – politische Gedichte
2013 Große Zeit starker Frauen – eine Reise auf der Straße der Romanik
2014 WASSERHAUTSEELE – Liebesgedichte
2915 Blätter aus dem Garten der Schubartin – CD mit Uwe Kropinski
2015 Himmelsleiter – Oratorium Text: Schumann, Kompositionen: Jens Naumilkat, Günter Baby Sommer, Michael Scholl
Mitarbeit an etlichen Haiku-Publikationen sowie zahlreichen Anthologien, darunter „Mein heimliches Auge“.

 

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