Feindbild Jugend

 In Allgemein, Politik (Inland), Roland Rottenfußer

jugendliche-150x150Sie werden gefürchtet und verachtet, beneidet und schamlos ausgenutzt: Jugendliche sind für Erwachsene noch immer weitgehend unverstandene, fremdartige Wesen. Angestachelt durch medial aufbereitete Gewalttaten, hat sich in den letzten Jahren eine regelrechte Jugendphobie herausgebildet, die diskriminierende Züge annimmt. Dies ist kein Widerspruch zum allgegenwärtigen „Jugendwahn“. Beide sind nur zwei Seiten ein- und derselben Medaille. (Roland Rottenfußer)

„Da lungern immer so Jugendliche rum“, beschwerte sich Kabarettistin Gisela Schneeberger bei ihrem Sketch-Partner Gerhard Polt. „Diese Jugendlichen nehmen immer mehr überhand“. Ein Vorläufer der beiden, der legendäre bayerische Komiker Karl Valentin, formulierte es noch direkter: „Sie sind mir der Allerjüngste. Schämen Sie sich, dass Sie noch so jung sind!“. Die geballte Ironie der Münchener Humor-Elite macht immerhin eines deutlich: Jugendfeindlichkeit und Jugendphobie sind kein ganz neues Phänomen. Schon immer gehörte es zum Verhaltensrepertoire des deutschen Spießbürgers, über Jugendliche herzuziehen. Zu laut, zu respektlos, zu freizügig, lauten einige der üblichen Vorwürfe. Im besten Fall wird jungen Menschen gnädig der Status des noch Unausgereiften zugestanden – immerhin auf dem Weg ist zu jenem Grad der Vollendung, den wir Ältere erreicht haben.

Ultraschall gegen Jugendliche

In den letzten Jahren weht den unter 25-jährigen ein besonders eisiger Wind ins Gesicht. Man kann in vielen Fällen schon von „Ageismus“ sprechen, der Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters. Vor Jahren etwa gingen Nachrichten über so genannte Mosquito-Boxen durch die Presse, Geräte, die Jugendliche durch einen schrillen Piepton von Orten vertreiben sollen, wo sie unerwünscht sind. „Lärm, Vandalismus, Hooliganismus und Gewalt sind konkrete spürbare Folgen von herumlungernden Jugendlichen“, heißt es auf der Webseite des Herstellers. Die Firma beruft sich dabei auf die besonders unduldsame Praxis der englischen Behörden, die die Ultraschallgeräte als das „wirkungsvollste Werkzeug im Kampf gegen antisoziales Jugendverhalten“ bezeichnet. Der Name „Mosquito“ sagt unverblümt, wie man den zu vertreibenden „Feind“ einschätzt: als Ungeziefer.

Nun soll an dieser Stelle nicht Gewalt und Vandalismus befürwortet werden. Tatsache ist aber, dass durch die Geräte völlig harmlose 20 Jährige vertrieben werden, während gewaltbereite 45-jährige ungestört auf den betreffenden Plätzen verweilen können. Die akustische Waffe gegen Jugendliche ist ageistisch und diskriminierend. Sie stellt junge Menschen unter Generalverdacht und ist eine sanfte Form der Körperverletzung. Man stelle sich nur vor, man würde eine Schallwaffe gegen Farbige oder gegen Frauen herstellen (vorausgesetzt, dies wäre technisch möglich) und dies im Internet auch offen vertreten? Welcher Aufschrei ginge durch die Presselandschaft!

Behörden im Kontrollwahn

Nicht immer sind die Waffen der Ordnungshüter so präzise, wenn es darum geht, Jugendliche auszugrenzen. Häufig werden in den letzten Jahren von Behörden pauschale Verbote oder Regelverschärfungen verhängt, bei denen das Verhalten von „Jugendbanden“ als Vorwand dient. Ein Beispiel ist die Welle der Alkoholverbote in Innenstädten, meines Erachtens ein klarer Verstoß gegen die im Grundgesetz garantierten Freiheitsrechte. Ein Artikel der „Zeit“ über das Alkoholverbot in der Freiburger Altstadt beginnt mit den Worte: „Betrunkene Jugendliche, die einander die Köpfe einschlagen, junge Randalierer, die Scheiben zertrümmern und Rückspiegel abbrechen …“ So wird erst einmal ein Feindbild gezeichnet, auf das sich die Mehrheit, der „anständigen“ Bürger einigen kann. Kaum eine Einschränkung der Freiheitsrechte, die heute nicht mit dem Verweis auf Jugendliche begründet wird. Diesbezüglich sind die unter 25-jährigen derzeit sogar im Begriff, den Terroristen den Rang abzulaufen.

Aber ist es denn nicht wahr, dass es in letzter Zeit eine Häufung von Gewalttaten durch Jugendliche gab? (Man denke nur an schwere Gewalttat in der Münchner U-Bahn.) Auch hier ist es wichtig, die Grundregeln der Fairness einzuhalten: keine Gruppe pauschal zu verurteilen und nach den Ursachen zu suchen, anstatt gebetsmühlenartig „harte Strafen“ zu fordern. Zur Ursachensuche gehört auch das Eingeständnis der Mitverantwortung der älteren Generationen. Sie hat ja jene Regeln geschaffen, mit denen jüngere Menschen heute leben müssen oder an denen sie manchmal scheitern. Bertold Brecht sagte: „Der reißende Fluss wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig“.

Das wirklich gefährliche Alter

Der Spiegel titelte – typisch für den momentanen Zeitgeist: „Junge Männer – die gefährlichste Spezies der Welt“. Als Begründungen für diese These wurde u.a. der in diesem Alter besonders heftige Andrang der Hormone angeführt. Es ist sicher richtig, dass der jugendliche Sexualtrieb und Gewalt etwas miteinander zu tun haben. Wenn es aber einen solchen Zusammenhang gibt, warum versucht man nicht gerade deshalb, überschießende Verhaltensweisen zu entschuldigen und auf Strafen möglichst zu verzichten? Die Süddeutsche Zeitung brachte in ihrer Online-Ausgabe eine brillante Erwiderung auf den Spiegel-Artikel. Sie wies nach, dass das gefährlichste Alter eigentlich jenes zwischen 40 und 50 Jahren ist. Begründung: Fast alle großen Menschheitsverbrecher wie Hitler, Mussolini, Stalin, Franco, Pol Pot, Saddam Hussein und Idi Amin hätten mit Mitte 40 nach der Macht gegriffen und ihr Zerstörungswerk begonnen.

Das Schwellenalter 25 spielt auch in unserer Rechtsprechung eine Rolle. Zunehmend setzt sich nämlich eine Einteilung der Staatsbürger in drei Gruppen durch: die „unmündigen“ (unter 18), diejenigen, die im vollen Besitz aller Bürgerrechte sind (über 25) und eine Gruppe, die irgendwo dazwischen angesiedelt ist: „Halbvolljährige“, mit reduzierten Rechten. Bis zu seinem 25. Lebensjahr bekommen junge Erwachsene, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, in Deutschland kein Wohngeld, sofern sie die Möglichkeit haben, bei ihren Eltern zu wohnen. Dies kann für reife junge Menschen im Einzelfall mit einer Zwangsumsiedlung ins Elternhaus verbunden sein – eine staatlich verordnete Regression ins Kindliche, die Eltern mitunter überfordert, junge Menschen demütigt. Man kann über die Forderung nach mehr Eigenverantwortung denken, was man will: Tatsache ist, dass hier die eine Gruppe der Arbeitslosen anders behandelt wird als die andere – ein klarer Fall von Ageismus.

Pränatal versklavt

Eine weitere krasse Form von Benachteiligung stellt die wachsende Staatsverschuldung dar. Je jünger jemand ist, in desto größerem Ausmaß wird er die Zeche für eine „Mahlzeit“ bezahlen müssen, die er selbst gar nicht verzehrt hat. Schon der Gründervater der USA, Thomas Jefferson, sagte prophetisch: „Keine Generation darf Schulden anhäufen, die höher sind als das, was sie im Laufe ihres eigenen Daseins zurückzahlen kann.“ Davon sind wir weiter entfernt denn je. Profiteure einer eskalierenden Verschuldung sind stets die Groß-Gläubiger, die sich damit das Erstzugriffsrecht auf einen wachsenden Anteil der Arbeitserträge künftiger Generationen erkaufen. Die Kinder der „Geber“ (also der meisten Steuerzahler) sind den Kindern der „Nehmer“ (den Erben der Gläubiger) quasi pränatal tributpflichtig. Wie lange werden es sich junge Tributpflichtige noch gefallen lassen, wenn graumelierte Politiker lapidar anmerken, dass die heute notwendigen Milliardenausgaben von künftigen Generationen leider Gottes mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt werden müssen?

Eine mindestens ebenso große Katastrophe stellt aber die allgegenwärtige Entmutigung und Ausbeutung junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt dar. Berufsanfängern wird heute recht unverhohlen gesagt, dass sie benutzt werden sollen. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ heißt ein wohlfeiler Altherrenspruch. Dass es allerdings Sklavenjahre sein müssen, davon war nicht die Rede. Firmen verheizen Jugendliche und junge Menschen mit Vorliebe für unbezahlte Praktika. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di rechnete vor, dass 68 Prozent de Praktikanten, die während oder nach dem Studium in einem Betrieb arbeiten, keinen müden Euro dafür bekommen. Die Bezeichnung „Sklaverei“ ist dafür noch untertrieben. Denn Onkel Tom in Harriet Beecher-Stowes berühmtem Roman bekam für seine Arbeit wenigstens noch seine „Hütte“, also Unterkunft und Verpflegung.

Offline-Opas gegen Spielkinder

Zum zeitlosen Phänomen des Generationenkonflikts kommt in unserer Epoche aber noch eine Besonderheit hinzu: Mit der modernen Computer- und Medientechnik tut sich ein fast unüberbrückbarer Graben zwischen den Generationen auf. Heute 50-jährige sind noch ohne Computer in der Schule aufgewachsen. Heute 25-jährige saugen die Computertechnik dagegen mit der Muttermilch auf, programmieren, loaden, chatten und surfen wie die Weltmeister und reden (aus Sicht der Älteren) in einem unverständlichen Kauderwelsch aus Abkürzungen und Anglizismen. So kommt es, dass die Generationen einander heute nicht weniger fremd sich, als dies in den späten 60ern der Fall war (als die Kriegsgeneration auf rebellische „68er“ prallte). Die beiderseitigen Vorurteile haben sich längst verfestigt: Technisch inkompetente „Offline-Opas“ treffen auf technikbegeisterte, aber humanistisch unterbelichtete Spielkinder.

Dieses beiderseitige Unverständnis wird dann gefährlich, wenn die Älteren ihre Machtüberlegenheit ausnützen, um Jüngere in ihren Ausdrucksformen repressiv zu beschneiden. Das Establishment führt heute mit ziemlicher Arroganz das Szepter. „Warum einen Kompromiss zwischen den Generationen aushandeln? Wir sind mehr und wir sind mächtiger. Die sollen parieren!“ So kommt es zu einer Kriminalisierung wesentlicher Teile der Jugendkultur. Jemand sitzt mit Bierdose und Döner auf dem Marktplatz und hat ein bisschen Spaß mit Freunden – in manchen Städten illegal. Jemand kifft und schaut sich dazu am Computer einen „downgeloadeten“ Spielfilm an – illegal. Oder er brennt sich eine CD, ohne mit seinem spärlichen Taschengeld auch noch das Millionenvermögen einer Lady Gaga zu alimentieren – illegal. Ein Volk von jungen „Verbrechern“. Durch die frühe Erfahrung mit der Kriminalisierung der eigenen Hobbys werden Verhaltensweisen eines „Doppellebens“ eingeübt. Jugendliche flüchten ins innere Exil, umzingelt von einer Welt der Spaßbremsen, der verständnislosen, inkompetenten Mahner und Strafer.

Wir beschimpfen, was wir beneiden

Dabei braucht man kein Psychologiestudium, um auf die Idee zu kommen, dass das ganze Gespenst der Jugendfeindlichkeit etwas mit Neid zu tun haben könnte. Jugendliche haben noch ihr ganzes Leben vor sich. Sie haben Spaß und genießen einen Rest von „Narrenfreiheit“. Ihr Körper ist trotz mancher Exzesse vergleichsweise wohlgeformt, schlank und gesund. Jungen Menschen stehen Sexpartnerinnen und Sexpartner in noch „knackigem“ Alter zur Verfügung, die für Ältere zunehmend außer Reichweite geraten. Das kann Neid schüren, den sich nicht jeder „Grufti“ eingestehen mag. Unter „Neid“ verstehe ich hier einen fantasierten Rollentausch. Die unzähligen Liftings, Faltencremes und Gesichtsoperationen, die Älteren eine schier unendlich verlängerte Adoleszenz versprechen, sind ja nichts anderes als ein hilfloser Versuch, mit der verachteten Jugend auf ihrem ureigensten Gebiet zu konkurrieren.

Während Erwachsene Strategien entwickeln, um ihren Alterungsprozess zu verzögern, versuchen sie auf der anderen Seite, diesen Prozess bei Jugendlichen zu beschleunigen. Diesen wird ihre Jugend buchstäblich geraubt: durch verfrühte und überhöhte Leistungsanforderungen, die schon in den unteren Schulklassen beginnen. Im Grunde sind sowohl alte als auch junge Menschen in unserer Gesellschaft unerwünschte Personen, die mit Misstrauen beäugt werden. Alles läuft auf eine Verleugnung des natürlichen Entwicklungszyklus des Menschen hinaus. Gemäß der kapitalistischen Menschenverwertungslogik wird eher ein Einheitstyp angestrebt: der beruflich voll funktionstüchtige, in seinem emotionalen Ausdruck auf ein vernünftiges Maß beschnittene Mensch mittleren Alters.

Der Schatten des Verdrängten aber wächst und bricht sich Bahn in scheinbar unmotivierten Gewaltakten, in Pöbeleien und Respektlosigkeit, in Rückzug und Medienverwahrlosung – alles Symptome eines mehr gefühlten als artikulierten Unbehagens an einer selbstgerechten Erwachsenenwelt. Wie, um Himmels Willen, kann jemand wirkliche Reife erreichen, wenn man ihm zuvor nicht erlaubt hat, wirklich jung zu sein?

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen