Friedenssehnsucht der Menschenfamilie – Begegnung mit Daniele Ganser

 In FEATURED, Friedenspolitik, Torsten Brügge

Daniele Ganser. Foto: Kristin Herbig

Der Friedensforscher Daniele Ganser überzeugt in seinen Vorträgen und Büchern durch brillante Analysen und sein charismatisches Auftreten. Immer wieder weist er die von Medienpropaganda eingelullte Öffentlichkeit darauf hin, dass die Kriege, die die NATO seit Jahrzehnten führt, nicht nur illegitim sind, sondern im Sinne des Völkerrechts auch illegal. Freilich gab’s da für den streibaren Historiker auch viel Gegenwind. Torsten Brügge würdigt Ganser, ohne einige mögliche Schwachstellen seiner Argumentation zu leugnen. (Torsten Brügge)

 

Gestern Abend waren meine Partnerin und ich bei einem Vortrag von Dr. Daniele Ganser im Rudolf-Steiner-Haus in Hamburg. Ich habe schon seit 2014 Email-Kontakt zu Ganser, gerade auch über das Thema „innere und äußere Friedensarbeit“. Dabei freute es mich, dass Ganser zum Beispiel meinen Artikel „Frieden innen und außen“ sehr Wert schätzte. Ich wiederum bin dankbar für seine politische Aufklärungs- und Friedensarbeit durch ihn und sein Institut (SIPER – Swiss Institute for Peace and Energy Research). Bei seinem Besuch in Hamburg wollte ich ihn auch mal live erleben und persönlich „Hallo“ sagen.

Illegale Kriege

Als Historiker und Friedensforscher spezialisierte sich Ganser auf Zeitgeschichte seit 1945 und internationale Politik. In seinem Buch „Illegale Kriege“ fasst er große Teile seiner Forschungsergebnisse zusammen und stellt – verkürzt formuliert – folgende These auf: Das in der Charta der vereinten Nationen nach den beiden großen Weltkriegen 1945 aufgestellte weltweite Kriegsverbot wird immer wieder ausgehöhlt und missachtet. Zahlreiche Kriege überziehen den Globus und ein Ende militärischer Auseinandersetzungen ist nicht in Sicht. Es sind nicht nur, aber vor allem NATO-Länder, die in den letzten 70 Jahren illegale Kriege – im Sinne der UN-Charta – geführt haben. Dabei wurden sie oft mit Lügen und List eingeleitet, mit rechtfertigenden Scheinargumenten begründet und von verdeckter Kriegsführung begleitet. Ganser zeigt auf, dass dabei die US-amerikanische Außenpolitik eine treibende Rolle spielt. Als momentanes Weltimperium will die USA ihre militärische und wirtschaftliche Übermacht erhalten und ausbauen. Dafür geht sie in der Außenpolitik oft rücksichtslos mit verdeckter oder offener Gewalt vor. Ganser meint, dies würde die internationale Gewaltspirale antreiben und Konflikte eher befeuern als lösen. Er plädiert für eine konsequentere Orientierung an dem Gewalt-Unterlassungs-Gebot der UN und für friedliche Lösungsversuche.

Spannend wie ein Krimi

Der zweistündige Vortrag mit dem Schwerpunkt „Kubakrise – Lüge und Gewalt“ war – wie von ihm gewohnt – sehr spannend. Normalerweise gilt, dass Zuhörer bei frontalen Präsentationen über komplizierte Sachverhalte spätestens nach 45 Minuten ermüden und einzuschlafen drohen. Nicht so bei Ganser. Er hat das Talent zwei Stunden durchgehend zu sprechen, wobei es im Saal mit ca. 150 bis 200 Menschen meist Mucksmäuschen still war und – so mein Eindruck – fast alle gebannt bis zum Schluss dabei waren. Ich würde sagen: Spannender als jeder Tatort.

Vermutlich liegt es daran, dass Ganser einen hohen Grad seelischer Schwingungsfähigkeit und gleichzeitiger Gelassenheit ausstrahlt. Man spürt bei ihm eine große Übereinstimmung von Gesagtem und Empfundenem. Zudem liefert er neben Problembetrachtungen auch zuversichtliche Lösungsperspektiven, die vor allem immer wieder auf die „Friedensehnsucht der Menschenfamilien“ hinweisen.

Persönlich herzlich

Nach dem Vortrag signierte Daniele Ganser noch Bücher. Meine Partnerin und ich nutzten die Gelegenheit zu einer persönlichem Begegnung. Es ergab sich ein kurzes, herzliches Gespräch über unsere eigenen Erfahrungen der Konfrontation mit der Angst, sich wirklich für die Dinge einzusetzen, die einem am Herzen liegen; und wie es sich lohnen kann, mit Mut zur eigenen Stimmigkeit zu stehen – in unserem Fall für das Eintreten für „inneren und äußeren Frieden“. Das stärkt innerlich das Gefühl der eigenen Lebensauthentizität und – zuversichtlich betrachtet – auch die Friedensförderung im Außen.

Ich ließ mir zwei seiner neusten Bücher „Illegale Kriege“ zum Verschenken signieren. Und als ich ihm – als kleines Geschenk von meiner Seite aus – mein Buch „Besser als Glück“ überreichte, bat er mich, dieses auch für ihn zu signieren. Er fragte mich dabei, ob er in seinem abendlichen Vortrag die innere Dimension genügend angesprochen hätte. Ich machte deutlich, dass – nach meinem Eindruck – vor allem sein Mut, sich selbst treu zu bleiben und seine Liebe zum Frieden in der Ausstrahlung seiner Person überzeugend herüber kommt.

Dieser Eindruck hat sich während dieses Abends bei mir noch mal verstärkt. Ich freue mich bei Ganser über die offensichtlichen synergetischen Wirkungen von innerer Echtheit und äußerem Friedensengagement.

Für alle Friedensinteressierten, die sich mit geopolitischen Wirkkräften in der internationalen Politik auseinandersetzen wollen, empfinde ich Gansers Arbeit als sehr wertvoll.

Kritik darf sein

Noch eines: Ich bin kein Ganser-Jünger. Und sicherlich wird man Gansers Ansichten an der einen oder anderen Stelle kritisieren können und müssen. So empfinden manche seine Darstellungen als einseitig, weil er auf die „NATO-Verfehlungen“ fokussiert. Dabei geraten Verstöße gegen die Menschenrechte und Völkerrechtsbrüche anderer Großmächte, wie der ehemaligen Sowjetunion/Russland und China eher in den Hintergrund. Dazu kann man sich dann ja auch bei entsprechenden Experten auf diesem Gebiet informieren. Ich erinnere mich aber an eine Aussage Gansers, die mir glaubwürdig erschien. Er sagte, dass er genauso intensiv über den Missbrauch von Hegemonialmacht aufklären würde, wenn diese durch Russland, China oder irgendeinen anderen Staat ausgeübt werden würden. Aber es sind nun einmal die USA, welche diese Dominanzstellung in der Welt seit Ende des zweiten Weltkrieges einnehmen. Das klar anzusprechen und darüber aufzuklären ist wichtig. Dabei betont Ganser in seinen Vorträgen immer wieder, dass jedes Sehen perspektivische Sehen ist – auch sein eigenes. Und er mahnt, alle Dogmen mit festgelegten Feindbildern zu meiden.

Und zuletzt: Auch Geopolitik ist nur eine Teilperspektive von einem Gesamtperspektivenspektrum innerer und äußerer Sichtweisen auf die Welt und uns selbst, das zu erfassen für einen einzelnen menschlichen Geist wohl immer unmöglich bleiben wird.

Mein Gesamteindruck aber bleibt:
GANSERS FRIEDENSARBEIT: Prädikat „WERTVOLL“

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