Friedenstüchtig werden

 In FEATURED, Friedenspolitik

Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf, heißt es im Grundgesetz unmissverständlich. Aber bekanntlich wird unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt – wenn’s sein muss, zwanzig Jahre lang. Die Bundesregierung kann ungemein erfinderisch sein bei der fantasievollen Auslegung des Grundgesetzes. Und wenn es opportun erscheint, erweitert man eben mal die Verteidigungs- um die Bündnisfähigkeit im Art 87a, obwohl die Nato weltweit Militärinterventionen durchführt und kein Verteidigungsbündnis ist. Georg Rammer

 

Bei der weltweiten »Verteidigung« kann es schon mal passieren, dass man mit Schimpf und Schande verjagt wird, wie in Afghanistan geschehen. Dann kommt man nicht umhin, nach den Ursachen des Scheiterns zu schauen. Nach zwanzig Jahren Kriegseinsatz wurde eine Enquete-Kommission eingesetzt, die kürzlich einen 356 Seiten starken Bericht vorgelegt hat: »Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands«. Man höre die Botschaft: Die Kommission wird auf der Grundlage der Ergebnisse Vorschläge erarbeiten für weitere weltweite Kriegseinsätze – aber erfolgreiche.

Fazit des Berichts: Der »größte, teuerste, opferreichste Kriseneinsatz der – vor allem westlichen – Staatengemeinschaft« endete »mit einem strategischen Scheitern«. Das beschönigende Wort »Kriseneinsatz«, statt »Krieg«, lässt an der Bemühung um ehrliche Aufarbeitung Zweifel aufkommen. Immerhin hat die Kommission die Finger in eine Menge Wunden gelegt. Sie moniert etwa, dass Ziel und Sinn des Einsatzes im Dunkel blieben, nicht nur für die deutsche und afghanische Bevölkerung, sondern auch für die Soldaten. Basis sei schlicht die Solidarität und sicherheitspolitische Verbundenheit mit den USA gewesen. Deutschland habe sich als verlässlicher Verbündeter zeigen und demonstrieren wollen, dass man »Führungsverantwortung« übernehmen könne.

Eine Bestandsaufnahme über Realisierbarkeit und Ressourceneinsatz habe ebenso gefehlt wie Kenntnisse über und die Auseinandersetzung mit der Kultur, der Geschichte und den Traditionen des Landes. Einfluss und Rückhalt der Taliban bei der Bevölkerung habe man unterschützt. Eine politische Konfliktlösung sei nicht versucht worden; wie auch, wenn sie gar nicht intendiert war. Wir können sagen: Man hatte keine Ahnung von Land und Leuten, die Ziele verschwanden in den Wolken des Hindukusch – Hauptsache, man zeigte sich kriegstüchtig.

Das Militärische habe dominiert; die propagandistische Verbrämung des Einsatzes als Hilfe (etwa Brunnen bohren, Schulen bauen) diente nur der Rechtfertigung des Krieges und der Besatzung des Landes: Man habe »Interessen, Ziele und Bedarfe der afghanischen Bevölkerung bei der Gestaltung von Projektvorhaben nicht ausreichend einbezogen«. Geschönte Berichte vermochten nicht die Kluft zwischen dem Bedarf des bitterarmen, kriegsverwüsteten Landes und den Interessen der Invasoren zu verdecken.

Aufschlussreich ist der Blick von außen auf die Kommission, die hälftig aus Abgeordneten des Parlaments und »Sachverständigen« besteht. Der frühere afghanische Parlamentarier Baktash Siawash bemerkte schon 2022, es handle sich um unbeteiligte Beobachter des Krieges; er vermisste den unabhängigen, afghanischen Blickwinkel. Laut Siawash haben koloniale Denkmuster aus dem 19. Jahrhundert die Kriegsstrategie beherrscht. Die Kluft zwischen den Afghanen und der internationalen Gemeinschaft habe sich vertieft und: »Die Afghanen wollten sich nicht von deren Marionettenherrschern beherrschen lassen.« Sein Fazit 2022: »Nicht Militärs, sondern die Vereinten Nationen sollten die Politik bestimmen.«

Genau das will die deutsche Regierungspolitik vermeiden. Die Konsequenz aus dem Bericht zielt ja nicht auf Infragestellung der weltweiten Militäreinsätze, sondern auf die Verbesserung ihrer Effizienz durch »vernetztes Engagement in der Außen- und Sicherheitspolitik«. Dafür brauche man zukünftig eine bessere Koordinierung zwischen Ressorts sowie zivilen und militärischen Strukturen. Der Bericht will also der Politik eine neue Taktik liefern, die den Militarismus fördert und den Sinn und die Berechtigung der imperialen Strategie nicht in Frage stellt: UN-Charta, Völkerrecht, vom Krieg betroffene Menschen mit all ihrem Elend spielen in diesem Denken keine Rolle.

Deutschland ermächtigt sich selbst zu Kriegen und militärischen Interventionen – auch für wirtschaftliche Interessen. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck gibt die Marschrichtung bei der Grundsteinlegung einer neuen Munitionsfabrik klar vor: »Wir müssen um die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt kämpfen. Das schließt ausdrücklich auch den militärischen Komplex mit ein.« Unter Führung der USA begann schon im letzten Dezember der Einsatz »Prosperity Guardian« (Wächter des Wohlstands). Und der Bundestag gab gerade grünes Licht für den Einsatz der Fregatte Hessen im Roten Meer.

Die Welt ist der Kriege müde. Besonders die Menschen im globalen Süden wissen, was imperiale Politik und Militarismus des Westens in den überfallenen Ländern angerichtet haben: Millionen von Toten, Zerstörung und Hass. Glaubt die Bundesregierung allen Ernstes, dass die Staaten und Völker, die europäischen Kolonialismus und US-Imperialismus, samt der damit verbundenen völkerrechtswidrigen Kriege, kennen, auf neokoloniale Abenteuer unter deutscher Führung warten?

Der Westen ist in Afghanistan gescheitert, weil er das Land unter Missachtung der Menschen und aller internationaler Vereinbarungen überfallen und Völkerrecht und UN-Charta eingestampft hat. Nun soll die Enquete-Kommission mit ihren Vorschlägen Deutschland kriegstüchtig machen. Wollen Regierung und Parlament an der Seite der selbsternannten einzigen Weltmacht und der Nato noch mehr Länder verwüsten, noch mehr Menschen töten? Genügen die Erfahrungen aus Irak, Libyen, Syrien und Afghanistan nicht? Die Enquete-Kommission muss einen neuen Auftrag bekommen: Wie kann Deutschland friedensfähig werden? Was kann es dazu beitragen, die UN-Charta zu verwirklichen, also unter Beachtung der Gleichberechtigung aller Staaten Konflikte friedlich zu lösen? Krieg ist nie alternativlos und nie die Lösung von Konflikten.

Erstveröffentlichung dieses Artikels in “Ossietzky”

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