Gerhard Gundermann: Nicht alles wegschmeißen!

Gerhard Gundermann, Bildquelle: Von Claude Lebus in der Wikipedia auf Deutsch, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17624581
Berlin, 30. April 1990: Michael Kleff, Herausgeber der Zeitschrift „Folker“, interviewte Gerhard Gundermann, einen der bekanntesten Liedermacher der früheren DDR – zeitlich nicht lange nach der „Wende“. Wie Johnny Cash, Edith Piaf, Serge Gainsbourg und Freddy Mercury wurde Gundermann unlängst Gegenstand einer Filmbiografie. Gundermann wurde auch dadurch zum DDR-Ikone, dass er seine Liedermacher-Karriere zusätzlich zu einem Ganztagsjob als Baggerfahrer vorantrieb. Vermutlich starb er auch aus Erschöpfung schon mit 43 an einem Schlaganfall. Wie wenige andere vermittelte Gundermann seinen Fans, einer von ihnen zu sein. Die rauhen, oft etwas skurrilen Texte trugen zu diesem Bild bei. Hier redet Gundermann Klartext über seine „ausgelassene“ Generation, über ein Land, das sich selbst aufgibt, über Ossis, die sich an die zuvor verachtete BRD dranhängen wie ein Rucksack… Auszug aus dem Buch „Kein Land in Sicht“, das im Sturm-und-Klang-Shop erhältlich ist.
Na ja, es ist so, dass ich die ganze Zeit das Gefühl habe – nicht aus diesen Ereignissen im letzten halben Jahr heraus, sondern überhaupt –, dass meine Generation ein wenig übersprungen wird. Wir haben immer viele Ideen gehabt und konnten nie ans Ruder, weil immer die Alten drangesessen haben, egal in welchen Etagen. Und jetzt ist es so, dass die nach uns auch schon Ideen haben und bereits hinter uns schubsen, sodass wir als Generation gar nicht dazu kommen, unsere Ideen zu realisieren, die vielleicht nicht schlecht gewesen wären. Zudem kommt dazu, dass nach diesen Dingen, die bei uns passiert sind, alles, was wir uns mal ausgedacht haben, sowieso erst mal Essig ist. Und das ist so ein Punkt, der mich aufregt. Ich hätte gerne, dass wir mit dem, was wir haben, noch eine Weile umgehen, dass wir nicht alles wegschmeißen, sondern hier erst mal das machen, was uns möglich ist.
Abgesehen davon, dass es für mich unmoralisch ist, sich an ein anderes Volk wie ein Rucksack dranzuhängen, auf das man vorher mit dem Finger gezeigt hat nach dem Motto: »Ätsch, ihr habt Arbeitslosigkeit und solche Sachen.« Und dann auf einmal zu sagen: »So, nun tragt uns mal mit, gebt uns eure harte Kohle und macht, dass es uns auch so gut geht!« Das kotzt mich irgendwie an. Auch wer schon diese Lösung individuell für sich gesucht hat – das käme für mich nicht infrage, außer wenn ich absolut am Hungertuch nagen würde. Aber dass sich ein Land sozusagen geschlossen aufgibt, das ist irgendwie eine Eigenart. Ich wollte das immer abbremsen, wollte darüber reden, das zumindest immer sagen und gucken, bei wie vielen Leuten das Resonanz findet. Hätte ja sein können, dass es die Mehrheit ist. Es war nur nicht die Mehrheit.
Michael Kleff /Hans-Eckardt Wenzel (Hg.):
Kein Land in Sicht – Gespräche mit Liedermachern und Kabarettisten der DDR
Ch. Links Verlag, 336 Seiten, 20 €
halte durch wenn’s irgendwie geht
bist doch ’ne kluge Frau
bist doch ein erfahrner Planet
wir machen dich zur Sau
Adam hat nach dem Apfel geblickt
du hast ihn freundlich rausgerückt
wir ham uns auf dir breit gemacht
am Anfang hast du noch gelacht
wir ham von unsern hohen Rossen
die Wildbahn zum Highway freigeschossen
Flora ist schon fast K.O.
Fauna stirbt in irgendeinem Zoo
halte durch . . .
wir ham den Amazonaswald zersägt
zur Strafe hast du Afrika das Wasser abgedreht
ach Mama das ist doch die falsche Adresse
das Abendland braucht auf die Fresse
du mußt uns so lange schlagen
bis wir lernen bitte zu sagen
bis wir stolz und glücklich sind
mit ’nem Appel und ’nem Ei und ’nem warmen Wind
halte durch . . .
was kann ich für dich tun ich weiß es nicht
bin zwar ein grünes doch ein kleines Licht
und bin auch ein feindlicher Soldat
der schon an deiner Haut gefressen hat
ich steh gegen dich an der Front
überlaufen hab ich noch nicht gekonnt
doch ich bin dein treuer Sohn
irgendwann da komm ich schon
halte durch .
Gerhard Gundermann, der Liedermacher aus Hoyerswerda, war auf Leise-Lieder-Tour, unplugged sozusagen („Unplugged“ – das hat jemand für uns übersetzt, das heißt eigentlich nur Singeklub, das kannten wir ja irgendwie …“). Vielen ist der singende Baggerfahrer aus dem Lausitzer Braunkohlerevier noch aus DDR-Zeiten bekannt. 1988 erschie seine erste LP „Männer, Frauen und Maschinen“, in derWendezeit entstand „Einsame Spitze“ und1993 „Der 7te Samurai“. In diesem Jahr gibt es zwei neue Projekte. Zum einen fanden gemeinsame Konzerte mit Silly statt und zum anderen wird an einer neuen Platte gearbeitet. Ja, ja, der Gundi liegt nicht auf der faulen Haut. Und das ist gut so. Und wir sind froh darüber. Sein letztes Konzert im fast vollen Freiberger Theater lieferte wieder einmal den Beweis dafür. Gundermann schaut nach vorn und zurück, hört zu und erzählt. Er und seine Leute haben klanglich und sprachlich etwas mitzuteilen. Da geht es um seine Heimatstadt, Dörfer, Kinder, den Vater , Weiber und nicht zuletzt:
“ …. Systemanalyse. Da ich in einem technischen Beruf arbeite, denke ich mir das so: Ich komme aus einem Schraubenkasten, wo drauf steht: Linksgewinde. Und vor ungefähr fünf Jahren wurden wir umgeschüttet in einen Schraubenkasten, wo drauf steht: Rechtsgewinde. Und es ging die Legende, in dem neuen Kastn würde es lustig zugehen und der Terror hätte in Ende. Weit gefehlt. In de Kasten mit Linksgewinde galt immer noch die Regel: Die Gedanken sind frei. Wir mussten uns dort einspannen lassen, das Gewinde wurde uns aufgedrängelt, aber wir konnten immer noch mit den Zähnen knirschen dabei. Dagegen der Kasten mit Rechtsgewinde – dort erwartet man ein hohes Maß an Eigenrotation von uns, wenn´s ans Gewindeschneiden geht. Und die Sache vom einen zum anderen Kasten war wie die vom Regen in die Traufe. Das Schönste war die trockene Sekunde dazwischen. Als ich auf der Kante der beiden Kästen saß und überblickte erstmals den Kasten aus dem ich kam und letztmals den, in den ich gleich fallen würde, war dies die kenntnisreichste Sekunde meines Selbst – deshalb sollte sie auch möglichst kurz gehalten werden.“
Ein kleiner Ausschnitt von Gerhard Gundermann. Was fällt mir heute dazu ein? Man könnte darüber nachdenken, wie den Leuten das Einschneiden des Rechtsgewindes „erleichtert“ wurde: finanzielle Vorteile, Aufstiegsmöglichkeiten. Heute soll das Rechtsgewinde noch ein bisschen rechter werden. Wie hilft man da nach? Im Allgemeinen liefert man den Leuten die „wahren“ Schuldigen an ihrer Misere: die Ausländer und die Merkel-Regierung, die diese ins Land gelassen hat. Man bringt ihnen bei, das ie Russen unsere Feinde sind. Und man beschneidet persönliche Freiheit, wenn es möglich ist, um „Abtrünnigen“ zu schaden. Ich mag die einfachen, normalen Leute in meiner Gegend gerne. Ich sehe viel Armut und auch, dass ihre Lebenszustände lange Zeit nicht gesehen wurden. Und es ärgert mich, dass erst eine Partei, doe leider darauf angegewiesen ist, Nazis in ihrer vordersten Front aufmarschieren zu lassen, die Sorgen dieser Leute ernstgenommen zu haben scheint. Für die Besserverdienenden in dieser neuen kapitalistischen Gesellschaft waren diese Leute oft einfach Assis oder nicht ernst zu nehmende Billiglohnarbeiter. In den letzten Jahren hat das Ausmaß der Armut sich in unserem Land verschärft. Dagegen muss etwas getan werden. Wenn man nichts dagegen tut, hat man die Leute da, wo die Rechten sie hinhaben wollen: willige Kampfhunde gegen Andersdenkende, die unterstützende Basis für eine rechte Führung, die die Völker nicht zusammenführt, sondern Vorherrschaftsdünkel der eigenen Rasse nährt und vor allen Dingen eines nicht begreift: dass der Mensch dem anderen Menschen ein Freund sein kann und ein Überleben der Völker nebeneinander und miteinander möglich ist. Die Feinde der Armen sind nicht die anderen Armen, sondern diejenigen, die den Reichtum nur in eigene Taschen, Projekte, Villen und Macht investieren und versuchen, die anderen an ihrer kurzen Leine zu halten. Ich wähle die Linken, weil das die einzige Partei ist, die das wirklich konsequent erkannt hat.