Gnadenstoß für Mutter Erde?

 In FEATURED, Kurzgeschichte/Satire, Umwelt/Natur

Nichts schadet der Erde langfristig mehr als ihre Schonung durch den Menschen. Die Erde siecht seit Jahrzehnten dahin. Wäre sie ein Lebewesen – ähnlich einem Tier – würde man aus Gründen der Menschlichkeit nicht zögern, ihr den Gnadenschuss zu geben. Grausam? Nein, grausam ist es, jemanden länger als unbedingt nötig, leiden zu lassen. Das Problem ist aber: Ein so großer Organismus wie die Erde ist nicht so leicht tot zu kriegen. Obwohl sich der Mensch redlich Mühe gibt. Der Autor gibt ein paar Tipps, wie wir den Prozess beschleunigen können und geht mit gutem Beispiel voran. Bobby Langer

 

Meinen nächsten Interkontinentalflug habe ich schon gebucht. Und ich schäme mich nicht dafür, ich bin stolz darauf. Allein durch mich werden zusätzliche 3,28 Tonnen CO2-Äquivalente in die Atmosphäre geblasen. Damit erhöhe ich meinen deutschen Jahresschnitt auf 13,09 Tonnen. Ein Inlandflug bringt da vergleichsweise wenig.

Unsere Umweltbelastung optimieren

Wer glaubt, ich würde eine CO2-Kompensation dazubuchen, der hat’s noch immer nicht verstanden. Es geht hier nicht um die Minderung meiner Umweltbelastung, sondern um ihre Aufstockung, um die Optimierung unserer Umweltbelastung. Je schädlicher wir uns verhalten, desto besser. Warum? Ich könnte jetzt polemisch werden und sagen: Mutter Erde hat es nicht besser verdient. Weshalb hat sie auch so undankbare Geschöpfe wie uns hervorgebracht. Aber nein, das sage ich nicht. Im Gegenteil zähle ich mich zur wachsenden Gruppe jener Mutter-Erde-Freunde, die sich zum barmherzigen Gnadenstoß durchgerungen haben.

Die Ethik hinter einem Gnadenstoß ist einfach und bei allen Lebewesen, mit denen wir zu tun haben, dieselbe: Wir wollen sie nicht länger leiden lassen als nötig. So sehr uns das Herz auch bluten mag, wir setzen ihnen das Messer an die Kehle und stoßen zu. Ein Schnitt, ein letztes Aufbäumen, und dann Friede, ewiger Friede. Denn was hilft es dem Tier, wenn wir es dahinsiechen lassen? Letztlich verlängern wir dadurch nur seine Qual.

Biotope sind Körperzellen des Lebewesens Erde

Nun mag das Gegenargument kommen, man könne die Erde nicht töten. Erstens sei sie kein Lebewesen und zweitens werde sie auch ohne den Menschen weiterexistieren. Dieses Argument kann nur vorbringen, wer den Unterschied zwischen einer leblosen, durchs All kreisenden Gesteinskugel und der Komplexität des biologischen Systems Erde nicht verstanden hat. Schon die Ökologie eines naturbelassenen Tümpels wird bei genauerer Betrachtungsweise unübersichtlich. Wie, um nur ein kleines Beispiel zu nennen, wirken sich hineinfallende Weidenblätter auf die Entwicklung des Froschlaichs aus? Und wie unterscheidet sich diesbezüglich der Eintrag von Weidenblättern von dem Eintrag von Eichenblättern? Jedes einzelne kleine Biotop lässt sich mit einer Körperzelle vergleichen. Im Verbund bilden sie etwa ein Organ, auf Erdniveau zum Beispiel vergleichbar einem Gebirge, Moor oder Flussdelta. Und alle diese Organe zusammen bilden das „Lebewesen Mutter Erde“. Mit einem anthropozentrischen Blickwinkel hat das nichts zu tun, sondern mit Fakten. Auch wenn wir die Komplexität des biologischen Lebenssystems Erde noch nicht so ganz verstanden haben, so wissen wir doch ganz gut, wie wir seine einzelnen Zellen und Organe zerstören können. Den Tümpel können wir ganz schnell platt machen. Wir brauchen ihn nur zu entwässern. Fertig.

Auch Mutter Erde lässt sich töten

Was auf Organe zutrifft, trifft auch auf die Erde zu: Eine geringfügige Schädigung wird vom Selbsterhaltungssystem leicht repariert. So verträgt unsere Haut Schädigungen erstaunlich gut und heilt sie meist narbenfrei ab. Erst ab einer Schädigung unserer Hautoberfläche von 50 Prozent droht akute Lebensgefahr. Doch schon ab 15 Prozent ist mit einer Verbrennungskrankheit zu rechnen. Dabei kommt es zu Flüssigkeitsverlusten; das Zusammenspiel innerhalb des Hautgewebes wird massiv gestört, die verminderte Hautintegrität führt zu einem massiven Wärmeverlust. Dies alles kann zu einer chaotischen Immunreaktion führen und – ohne intensivmedizinische Behandlung – zum Organversagen, spricht: zum Tod. Nun, schon die Komplexität innerhalb des Körpers eines Säugetiers ist so hoch, dass sie sich der präzisen Erkundung entzieht. Ökotope bestehen aber aus vielen lebenden Elementen, erst recht ganze Ökosysteme und umso mehr die Erde als Ganzes. Ab welchem Grad der Schädigung es zu einzelnem Organversagen kommt und ab wann zum Zusammenbruch des „Gesamtsystems Erde“, weiß niemand. Dennoch ist vorstellbar, dass es auch nach einem solchen Zusammenbruch noch funktionstüchtige Restsysteme gibt, wo etwa Algen, Flechten oder Mikroben überleben. Der Mensch wird aber nicht darunter sein. Mit anderen Worten: Ab einem gewissen Schädigungsgrad wird Mutter Erde mit allem komplexen Leben auf ihr ziemlich sicher sterben.

Aber selbst, wenn dies ein Irrtum sein sollte, so können wir doch wenigstens der industriellen Zivilisation den Gnadentod verpassen und hätten damit Tausende von Tier- und Pflanzenarten gerettet. Warum? Jagd, Wilderei, Raubbau sowie Luft- und Wasserverschmutzung und immer knapperer Lebensraum führen zu einem Verlust von geschätzten 100 bis 150 Tier- und Pflanzenarten zu Wasser und zu Land – täglich, das heißt 36.500 bis 54.750 Arten jährlich. Lasst uns also alles tun, damit unsere Zivilisation möglichst schnell zusammenbricht. Im Endeffekt könnte dies, wenn es nur bald genug geschieht, sogar Mutter Erde das Leben retten. Umweltschutz schützt den Menschen, aber nicht Mutter Erde.

Letzte Chance für die Indigenen

Bei einem so besonderen und großartig verflochtenen Lebenssystem wie dem ihren verhält es sich natürlich anders als bei einem verhältnismäßig kleinen und übersichtlichen Lebewesen wie einer Katze oder einem Hund. Ihnen kann man relativ einfach einen Gnadenstoß geben. Aber gerade, weil die Ermordung des „Metaorganismus Erde“ so schwer zu verstehen und so wenig vorhersagbar ist und vermutlich – aber nicht einmal das wissen wir genau – einige Jahrzehnte dauern wird, ist es umso dringlicher, wenigstens der industriellen Zivilisation den Gnadenschuss zu verpassen. Dann werden mit etwas Glück noch all jene Kulturen überleben, die auch heute noch ohne Computer, elektrische Zahnbürste und Waschmaschine auskommen. Doch wir, die wir diesen indigenen Kulturen jahrhundertelang böse mitgespielt haben, wird es dann in der heutigen Form nicht mehr geben – ein Segen.

Mit der Zerstörung unter dem Radar der Wahrnehmung bleiben

Tretet deshalb möglichst schnell einer Unterorganisation der IRM bei (International Reset Makers) bei. Sie befasst sich mit der Zerstörung folgender unserer Subsysteme: Produktion, Motivation, Wissenschaft, Eigentum, Gesundheit und Ethik. Für den Untergang unserer Zivilisation sind sie zusammen und weltweit anzugreifen. Bräche nämlich in nur einem Land wie Deutschland die Zivilisation zusammen, so hätte das zwar massive Kollateralschäden auf die Weltwirtschaft, doch könnte sich diese wieder erholen und ihr langfristiges Zerstörungswerk fortführen. Wichtig bei der kreativen, internationalen Arbeit der IRM ist ihre Unauffälligkeit und – scheinbare – Langsamkeit. Denn gegen Kurzfristigkeit, Aggression und Massivität sind die Industriestaaten gewappnet, nicht aber gegen eine Langsamkeit unter dem Radar ihrer Wahrnehmung. Lasst uns also von den Nacktschnecken lernen, die bei Nacht unter den Steinen hervorkriechen, das beste Gemüse ernten und am Morgen wieder verschwunden sind. Krieg und Gewalt gehören folglich zu unseren ineffektivsten, ja kontraproduktiven Methoden, denn sie erlauben der Industriewelt eine effektive Abwehr. Weitaus wirksamere Methoden sind diese:

  1. Unterstützung von Elitenbildung
  2. Unterstützung reaktionären Denkens und Handelns
  3. Unterstützung kategorischen Denkens bei optimaler Dekadenz der Lebensführung
  4. Größtmögliche Vernachlässigung bis Verachtung ökologischer Systemzusammenhänge

Großartiger Schaden durch Containerschiffe

Dass der Gnadenakt meines Interkontinentalflugs zur letzten Kategorie gehört, versteht sich von selbst. Ähnlich Nützliches lässt sich über die industrielle Lebensmittelproduktion sagen. Nichts nützt Mutter Erde – langfristig gesehen – mehr als auf Regenwaldböden grasende Rinder, die dann sauber portioniert und vakuumiert nach Europa geflogen werden. Oder anders herum ausgedrückt: Nichts schadet auf die Dauer dem Lebenssystem Erde mehr als regional erzeugte, pflanzliche Lebensmittel. Sie gehören zu den beliebtesten Leidverlängerungen für das mehr als menschliche Leben. Die Kette solcher Beispiele ließe sich beliebig verlängern. Ausgesprochen nützlich in unserem dystopischen Sinne sind selbstverständlich auch globale Lieferketten, bei denen einzelne Bestandteile eines Produkts rund um die Welt transportiert werden. Hocheffektiv schädigend sind übrigens auch interkontinentale Containerschiffe. Allein die Schiffe, die europäische Häfen erreichen, jagen jährlich an die 140 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Luft, eine großartige Leistung im Vergleich zum Zwergschaden meines Flugs. Doch damit genug der Beispiele. Leider sind sie so offensichtlich, dass die Gefahr politischer Eindämmungsmaßnahmen besteht und so das Leiden der lebendigen Welt qualvoll verlängert wird.

Aus Weltuntergängen lernen

Umso wichtiger sind die sich ergänzenden Punkte 1 bis 3. In ihrer anthropozentrischen Selbstbezogenheit schaukeln sich nämlich Eliten, Konservatismus, weltanschaulicher Fundamentalismus und Dekadenz gegenseitig auf idealtypische Weise hoch und haben deshalb in noch allen Hochkulturen zu deren Untergang geführt. Das dürfte auch bei uns zuverlässig funktionieren – sofern es uns gelingt, die Modernisierung der Demokratie zu verhindern. Seien wir also mutig und listig zugleich, sofern uns Mutter Erde lieb ist – geben wir uns selbst den Gnadenstoß! Dann können wir den ihren vielleicht noch abwenden.

Eine Polemik von Bobby Langer

Recherche u. a.: https://www.youtube.com/watch?v=wf2PxI1tx5k

 

 

Kommentare
  • Volker
    Antworten
    Na ja. Bitte hübsch verpacken.

    Man besorge sich eine Kettensäge, schneidet die Scheibe an allen Seiten passend, rundet und poliert sie auf Hochglanz, und versteigert diese einmalige Krüppelkonstruktion an einen finanzpotenten Allesschlucker aus der außerirdischen Finanzindustrie.

    ++ glucks ++

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