Gut (des)informiert?

 In FEATURED, Medien, Politik (Inland)

Dass Putin die Medien fest im Griff hat und seine Bevölkerung propagandistisch beeinflusst, das “wissen wir”. Mehrheitlich glauben wir Deutschen, dass wir im Wesentlichen keiner politischen Propaganda ausgesetzt sind. Propaganda, das war mal unter Goebbels, jetzt aber haben wir Pressefreiheit, die seriösen Leitmedien und die Öffentlich-Rechtlichen, sagen uns wie es ist (das Motto des Spiegel). In Russland ist das ganz anders, dort werden die Menschen durch Desinformation verwirrt und manipuliert. Der Unterschied ist zwischen hier und dort ist jedoch nur relativ. Dort ist die Beeinflussung einseitiger, und Gegenmeinungen gegen die der Mächtigen werden schneller und härter bestraft. Die Beeinflussung durch die Medien des Hauptstroms (mainstream) der Gesellschaft ist auf beiden Seiten gegeben. Sie ist bei uns allerdings subtiler als in den Diktaturen und insofern sogar effektiver. Sie lässt uns zurzeit zum Beispiel glauben, einen “guten Krieg” zu führen gegen Russland. Und wie immer bei Kriegen sind die Bösen dort drüben, jenseits der Front. Diesseits sind wir, die Guten. Wolf Schneider, connection

 

Den Screenshot des SZ-Aufmachers habe ich als Beispiel genommen für eine subtile Beeinflussung, die für uns, die Zielgruppe, mehrheitlich nicht als solche erkennbar ist. Es sei denn, wir werden extra darauf hingewiesen, was ich soeben versuche. Das Wort »Hilfspaket« im obigen Bild suggeriert, dass ‚wir‘ den zu bedauernden Ukrainern mit unseren Waffenlieferungen helfen wollen. Auch das Foto ist suggestiv: Die Frau in der steinernen Statue vor dem Kapitol scheint den Mangel an Empathie für die Ukrainer im US-Senat zu bedauern. Das passt zu der Darstellung der Pazifisten in SZ, Spiegel und den anderen Leitmedien als »Putin-Versteher«, die der Propaganda des Feindes auf dem Leim gegangen sind und nun als solchermaßen Gehirngewaschene ohne Empathie sind für die angegriffenen Ukrainer, die doch so sehr unsere Unterstützung brauchen.

Wer muss hier beschützt werden?

Einigen ebenfalls westlichen Medien wie dem britischen Guardian und der Washington Post ist immerhin tendenziell bewusst, dass auch hier auf beiden Seiten der Front Propaganda betrieben wird. Zudem weisen sie gelegentlich darauf hin, dass Russland um den Faktor mehr als zehn schwächer ist als die NATO, was die Wirtschaftskraft und das Militärbudget anbelangt, (von der Nuklearoption mal abgesehen, da haben beide Seiten Overkill-Kapazität). Warum wendet sich unser Mitgefühl in diesem Konflikt nicht der schwächeren Partei zu und bedauert diese? Es braucht eine sehr wirkungsvolle Propaganda, um die stärkere Partei als die eigentlich zu Beschützende darzustellen. Um die Ukraine als die schwächere Partei ’zu framen’, muss der Konflikt als einer zwischen Russland und der Ukraine dargestellt werden und nicht als einer zwischen Russland und der NATO.

Propaganda diesseits und jenseits der Front

Die moralische Arroganz des Westens in Bezug auf den Ukrainekrieg kommt natürlich jenseits der Front gar nicht gut an. Jedoch nicht nur im von der NATO bedrohten Russland, auch in Indien, Indonesien, Lateinamerika und Afrika kommt die moralische Überheblichkeit des ehedem kolonialisierenden Westens nicht gut an. In ähnlicher Weise, wenn auch mit leicht verschobenen Fronten, gilt das ebenso für den Palästina-Konflikt.

Die Bewohner des Gaza-Streifens sind gegenüber Israel eindeutig die schwächere Partei. Aufgrund des von Deutschland verübten Holocaust ist im deutschen Mindset allerdings Israel der kleinere, schwächere, zu beschützende Teil, dem seine Nachbarn und die Palästinenser das Existenzrecht absprechen würden. Auch hier wieder geschieht in unserem Mind eine Täter-Opfer-Umkehr, mit der Folge, dass der Täter dem Opfer gegenüber als der Schwächere dargestellt wird – und sich, wie fast alle Gewalttäter auch selbst als der eigentlich Bedrohte empfindet. Wobei ich sicherheitshalber hier nochmal wiederhole, dass ich Putins Krieg gegen die Ukraine ebenso scharf verurteile wie das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel, wie auch sonst jeden gewalttätigen Angriff, sei er national, ethnisch, religiös, tribal oder persönlich motiviert. Die Motivation eines Aggressors ist bei ausreichender Kenntnis der Umstände und Wirkmächte immer zu erklären, was aber keineswegs heißen darf, sie sei zu rechtfertigen.

Auch »Desinformation« ist ein propagandistischer Begriff, ebenso wie Bildung und Gehirnwäsche es sind. Wir, die Gebildeten, sind die korrekt Informierten, wir stehen auf der Seite der Guten und dürfen deshalb auch gute Kriege führen. Die Desinformierten müssen wir korrekt Informierten aufklären, damit sie endlich wissen, was Sache ist. Diese Arroganz kann nur so lange aufrecht erhalten werden, wie wir alle Kriege gewinnen und als Sieger dann die Geschichte schreiben dürfen und sagen, wie es war.

Tucker Carlson interviewte Putin

Aufgrund der Aktualität springe ich kurz zu dem Interview, das der unter Republikanern in den USA sehr angesehene TV-Moderator Tucker Carlson am 6. Februar in Moskau mit Putin führte. Die WP bringt hier Ausschnitte aus diesem Interview. Wie auch schon an anderen Stellen scheint mir Putin hier nicht als unzugänglicher als etwa Trump, Erdogan oder Bolsonaro. Dass Autokraten Dickköpfe, Rechthaber und Besserwisser sind, ist ja bekannt. Die Behauptung, dass Putin nicht verhandlungsbereit sei, ist längst mehrfach widerlegt worden. Wenn Putin hier erneut die Verhandlungsbereitschaft der USA verlangt, scheint mir das eine glaubwürdige Geste zu sein. Es muss in diesem Krieg ja der Westen (die NATO, angeführt von den USA) verhandlungsbereit sein, nicht die Ukraine, die in Sachen Waffen- und Munitionslieferungen sowie Wirtschaftshilfe so sehr vom Westen abhängt, dass sie ohne diese Unterstützung sofort kapitulieren müsste.

Was für ein sinnloser, unnötiger und teuer Krieg für alle Beteiligten! Mit ein bisschen politischer Klugheit hätte er so leicht vermieden werden können. In diesem Stellvertreterkrieg opfert der Westen die Ukraine gegen Russland, das er sich als Feind geothert hat (sorry für den vielleicht nicht auf Anhieb verständlich Begriff des Othering). Mit einem Regenten wie Putin ist das Othern dieses Landes natürlich viel leichter als mit einem Gorbatschow.

Auch Daniele Ganser hat das Putin-Interview von Tucker Carlson kommentiert (66 min). Ganser fokussiert hier v.a. auf das Framing unserer Leit-Medien, die überwiegend NATO-konform über das Tucker-Carlson-Interview berichten. Ganser präsentiert hier die wesentlichen politischen Fakten in einer guten Übersicht und bietet natürlich auch damit ein Framing, das Meinung erzeugt. In einem erweiterten Sinn kann selbstverständlich auch dieses Framing als manipulativ bezeichnet werden, so wie die Informationen unserer Leitmedien. Was dagegen hilft, ist eine grundsätzliche Skepsis gegen jedwedes Framing – d.h. gegen jedwede Präsentation von Daten – und die Fähigkeit, die eigene Perspektive mobil zu halten. Also Bewusstseinsyoga: Ich dehne und weite nicht nur die Flexibilität meines Körpers wie im Hathayoga, sondern vor allem die meines Bewusstseins.

Die FAZ zählt hier (hinter der Paywall) in einem sehr facettenreichen Artikel auf, wie führende Intellektuelle Frankreichs den Ukraine-Krieg einschätzen – jedenfalls nicht einseitig. Und die freie Journalistin Ankre Berendt listet auf apolut.net auf, wie die Kulturweltmacht USA sich selbst einschätzt als Vorhut der Freiheit und Demokratie, obwohl sie sich als Staat auf dem Genozid an den nordamerikanischen Indigenen und der Sklaverei der Schwarzen (bis 1865) gründet.

Kein Relativismus

Ich zähle diese Perspektiven hier nicht auf, um mich für eines dieser Framings stark zu machen und zu sagen: Das ist der richtige Blick auf die Fakten! Sondern um darauf zu verweisen, dass alle Blicke auf ein Geschehen dieses framen und somit bewerten (s.a. vom Framen zum Blamen). Es gibt jedoch durchaus ethisch betrachtet bessere und schlechtere Framings, relevantere und irreführendere, auch dann, wann konsequent nur belegbare Fakten angeführt werden. Tucker Carlson ist mir fast so unsympathisch wie Putin und Trump. Dennoch sollten ‚wir‘, der Westen, auf Putins Verhandlungsbereitschaft positiv reagieren, um so weiteres Leid zu vermeiden. Auch Russland hat Schutzbedürfnisse, nicht nur die Ukraine, die ernst genommen werden sollten. Wenn wir das aus politischer Dummheit nicht tun, schädigen wir damit auch uns selbst.

Der Angriffskrieg der Bundeswehr in Afghanistan

War der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ein »guter Krieg«? Eine Enquête-Kommission des Bundestags kam zu einem ganz anderen Ergebnis. Sie bewertet diesen Krieg, der sich über fast 20 Jahre hinzog, als einen völkerrechtlich nicht zu rechtfertigenden Angriffskrieg der NATO-Länder gegen ein souveränes Land. Er endete 2021 mit der Übernahme des Landes durch die Taliban, das für die USA (nebenbei auch für Deutschland) kaum weniger schmachvoll war als die Kapitulation Südvietnams im April 1975, nach dem für die USA ebenfalls ungefähr 20 Jahre dauernden Vietnamkrieg, der ebenso wie der Irakkrieg durch eine Lüge des Aggressors begann. Anlass zum Afghanistankrieg war für die USA, dass sie dort Osama bin Laden vermuteten, den sie für den Drahtzieher von 9/11 hielten, was sie aber nicht belegen konnten. Letztlich fanden sie ihn – nach vielen Jahren der Kriegführung gegen ein Land, das für bin Ladens Taten nicht verantwortlich war und ihn anscheinend auch nicht beherbergte – in Pakistan und richteten ihn dort ohne Gerichtsverfahren hin. Der Afghanistan-Krieg setzte die Zerstörung dieses Landes durch externe Mächte fort, die schon mit der Besetzung durch die Sowjetunion im Dezember 79 (damals unter der Führung von Breschnew) begonnen hatte. Gorbatschow beendete die sowjetische Okkupation erst 1989.

Die Militärausgaben steigen weiter an

Das Institute for Economics and Peace, eine globale Denkfabrik (think tank) mit Hauptsitz in Sydney, schrieb am 20.1.24: »Die Militärausgaben haben in 2023 mit 2.2 Billionen (2.200 Milliarden) ein neues Rekordhoch erreicht. Ein britischer Think Tank erwartet für 2025 wegen Israels Krieg in Gaza, dem Russland/Ukraine-Konflikt und den Spannungen im Indo-Pazifik-Raum ein weiteres Ansteigen, das auch durch die wachsende Nachfrage nach Drohnen und GPS-Systemen angeregt wird.«

P.S. Es ist noch schlimmer als ich befürchtet hatte: Die FDP-Polikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann trug auf der Münchner Sicherheitskonferenz (die als Versammlung der Bellizisten eher eine Verunsicherungskonferenz ist) ein T-Shirt, das die weit reichenden (long range) Taurus-Marshflugkörper und den Sieg über Russland bewirbt:

Make Love, not War

Können wir dem etwas entgegensetzen? Der griechische Dichter Aristophanes versuchte es im Jahr 411 vuZ mit der Komödie Lysistrata, in der die Frauen den Kriegern den Sex verweigerten, um den Kampf zwischen Athen und Sparta zu beenden. Von der indischen Göttin Mohini wird erzählt, sie habe die Feldherren beider Seiten zum Sex verführt, um einen Krieg zu beenden, und das Augsburger Duo Suchtpotenzial lässt auch Deutschland mit Ficken für den Frieden zum Weltfrieden beitragen – in diesem Falle satirisch, wie wohl auch schon Mohini und Lysistrata. Kann das gelingen? Wilhelm Reich hatte es schon mit seiner Theorie des Charakterpanzers, der Analyse des faschistischen Charakters und seinem Ruf nach einer sexuellen Revolution versucht – bei ihm war das völlig ernst gemeint – der kriegerischen ebenso wie der persönlichen Gewalt ein Ende zu setzen.

Wie alle wissen, hat das bisher noch nicht geklappt. Deshalb möchte ich jetzt mal die pazifistischen Ansätze von Aristophanes, Mohini, Wilhelm Reich und dem Augsburger Suchtpotenzial durch Folgendes ergänzen: Sexuell frustrierte und charakterlich verpanzerte Menschen sind zwar zu großer Grausamkeit, Gewalt und Repression fähig und eher kriegsaffin, »kriegstüchtig« (Pistorius) oder gar kampfeslüstern (Strack-Zimmermann). Und doch dürfte klar sein, dass erst eine Liebe, die nicht nur auf Sex aus ist, Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung beenden wird. So viel zum Thema make love, not war, das ja vom Liebemachen spricht und nicht von der Liebe.

P.S. das passt ja jetzt ganz gut: Während ich diesen Rundbrief veröffentliche, ist in der ARD-Mediathek dieses Porträt von Regina Heckert erschienen, bei der ich seit 2016 im Team bin. Uns verbindet ihr tiefer Humor und dass wir das Sakrale insbesondere auch im Sexuellen und in der Liebe finden.

Trans/zendenz

Liebe, verstanden als Selbstausdehnung, ist auch imstande die Genderfrage vom kleinlichen Hickhack zu befreien und sie in einen viel weiteren empathischen Raum einzubetten. Dann bin ich nicht nur das andere Gender, sondern auch noch alles drumrum. Damit wäre nicht nur jede Transphobie aufgehoben und würde zur Transphilie, im Sinne eines echten Trans-Bewusstseins, der Transzendenz.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen