Guter Ausgang einer bösartigen Farce – zunächst jedenfalls

 In FEATURED, Holdger Platta, Politik (Inland)

Die Göttinger Universität

Nochmal zum Antisemitismus-Streit um den Göttinger Friedenspreis 2019 herum. Immer noch keine Ruhe um den Göttinger Friedenspreis, der am 9. März des Jahres an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ verliehen worden ist? Leider ja, und ich muß im folgenden Beitrag sogar über eine gerichtliche Auseinandersetzung berichten, mit der sich in den letzten Wochen der Chef-Juror Andreas Zumach der Göttinger Preisverleiher konfrontiert sah. Zum Verlauf und zum Ergebnis dieses Streits vor dem Landgericht Göttingen umfassende Informationen im folgenden Artikel.   Holdger Platta

Zur Erinnerung vorweg: am Samstag, den 9. März dieses Jahres, wurde dem Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ der Göttinger Friedenspreis verliehen. Schon vor der Preisverleihung hatte diese Tatsache bundesweit Aufsehen erregt. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte den jüdischen Verein als antisemitisch kritisiert, desgleichen auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesrepublik, Felix Klein. Und ein sogenanntes „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus Jachad“ („Jachad“ =  „Einung“)  hatte sogar eine Neubesetzung der Preisjury gefordert und zu einer Kundgebung gegen die Preisverleihung aufgerufen (an der dann aber höchstens 50 Demonstranten teilgenommen hatten, unter anderem mit einem Transparent, das in Riesenlettern die Aufschrift enthielt – ein Zitat des früheren Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Paul Spiegel – „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“).

Ich selber hatte hier auf HdS ausführlich über diese Göttinger Vorgänge berichtet. Der Oberbürgermeister der Stadt Göttingen, Rolf-Georg Köhler, Kuratoriumsmitglied der Stiftung, die den Preis zu verleihen ‚wagte‘, hatte ebenfalls gegen diese Preisvergabe Stellung bezogen und war der Veranstaltung, obwohl ursprünglich als Begrüßungsredner vorgesehen, ferngeblieben, ebenfalls Rainer Hald, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Göttingen – diese ist seit langem Mitfinanzierer der Preisverleihung -, und selbst  die eigentlich großartige Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Universität Göttingen, die den Preisverleihern stets bislang den Veranstaltungsraum für die Preisvergabe zur Verfügung gestellt hatte – den wohl schönsten Veranstaltungsraum in Göttingen überhaupt –,  hatte der Göttinger Friedenspreisstiftung den Zugang zur Alten Aula am Wilhelmsplatz verwehrt und blieb – entgegen sonstiger  Übung  – der Preisvergabe fern. Auch sie war ursprünglich als Begrüßungsrednerin für diese Veranstaltung vorgesehen. Allesamt also  schlossen sich auch diese prominenten Vertreter wichtiger Institutionen in Göttingen den Antisemitismus-Vorwürfen an. Heißt:

Trotz der Tatsache, daß die „Jüdische Stimme“ selber seit Jahren gegen Antisemitismus Stellung bezieht, trotz der Tatsache, daß diese Vereinigung aus jüdischen und/oder israelischen Mitgliedern besteht und für das Existenzrecht eines Staates Israel eintritt, ohne irgendwelche Zweideutigkeiten, kam es zu dieser Kampagne gegen Preisverleiher und Preisträger-Organisation. Wobei selbstverständlich stimmt: auch für das Existenzrecht eines palästinensischen Staates trat und tritt die „Jüdische Stimme“ ein,  auch für Beendigung und Rücknahme der israelischen Expansionspolitik gegenüber den Palästinensern – Stichwort dafür das beschönigende (!) Wort „Siedlungspolitik“ (oft gewalttätig durchgesetzt) -, und auch die Einhaltung des Völkerrechts hat sich diese Friedensorganisation auf ihre Fahnen geschrieben, niedergelegt unter anderem in den UN-Resolutionen 181 (aus dem Jahre 1947) und 242 (aus dem Jahre 1967, unmittelbar nach Beendigung des „Sechs-Tage-Kriegs“). Soll das etwa Ausdruck von Antisemitismus sein?

Nun, wie bekannt und an dieser Stelle auch von mir ausführlich berichtet, fanden die Feierlichkeiten zur Verleihung des Friedenspreises trotzdem in Göttingen statt; eine private Galeristin, Gisela Hyllus, hatte ihre Ausstellungsräume zur Verfügung gestellt, um die 400 BesucherInnen nahmen an dieser Preisverleihung teil, trotz aller Gegenpropaganda, und rund 200 Persönlichkeiten – darunter ihrerseits sehr viele Israelis und Juden – hatten den Veranstaltern in öffentlichen Erklärungen den Rücken gestärkt, darunter der deutsch-französisch-jüdische Politologe Alfred Grosser sowie der deutsch-jüdische Professor für Pädagogik, Micha Brumlik. Bewegend und beeindruckend zugleich war demzufolge auch die Zusammensetzung des Publikums bei dieser Preisverleihung: Vertreter aller Religionen waren zugegen (auch Agnostiker wie ich),  heißt: Protestanten und Katholiken und Muslime und Juden feierten diese Preisvergabe einstimmig und  einschränkungslos,  außerdem sogar  Schwarze aus dem europäischen Nachbarkontinent Afrika. Noch einmal sei deshalb die Frage gestellt: diese  Weltgemeinschaft im Kleinen, diese Zusammenkunft aller Rassen und Religionen, sollte eine verkappte Zusammenrottung potentieller Judenmörder sein? Ich gebe zu: noch heute bin ich fassungslos, wenn ich an diesen Kontrast zwischen Spiegel-Zitat und dieser universumsübergreifenden Menschenversammlung denken muß. Und auch heute noch halte ich für verantwortungslos, daß den jüdischen Mitbürgern – nicht zuletzt in Göttingen selbst – von Unverantwortlich-Verantwortlichen uns allen gegenüber auf diese grob fahrlässige Weise Antisemitismus-Ängste eingejagt worden sind.

Doch hatte es damit sein Ende gehabt mit der verbalen Menschenhatz auf Preisverleiher und Preisträger-Organisation? Keineswegs! Und darüber soll heute abschließend – hoffentlich abschließend, so füge ich hinzu! – die Rede sein. Die absurde Farce, die an diesem Tag der Preisverleihung an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“, am 9. März des Jahres, auf dem Göttinger Ritterplan zu beobachten war, auf der Straße vor dem Saal der Preisverleihung, dieses Eiferertum gegen einen angeblichen Antisemitismus, der keiner war und keiner ist, wurde als Trauerspiel der besonderen Art auch noch vor dem Göttinger Landgericht fortgesetzt. Aber konkret:

Nach dem Tag der Preisverleihung an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ begann auch noch ein juristischer Kampf gegen die Preisverleiher – präziser: gegen den Juryvorsitzenden Andreas Zumach, gegen den bei der UNO in Genf akkreditierten Korrespondenten der TAZ, gegen den vor vielen Jahren Mitverantwortlichen bei der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (1981 bis 1987) sowie Mitorganisator der großen Friedensdemonstration im Jahre 1981 auf der Hofgartenwiese in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluß ( einer der Hauptredner damals: der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll). Doch im Detail:

Achim Doerfer, Anwalt in Göttingen und stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Göttingen e. V., stellte am 13. März Antrag beim Göttinger Amtsgericht auf  Erlaß einer Einstweiligen Verfügung, daß Andreas Zumach nicht weiter den Vorwurf aufrechterhalten dürfe, er sei von den Preisverleihungsgegnern verleumdet worden. Diese Gegner der Preisverleihung  hatten Zumach unter anderem vorgeworfen, in einem Offenen Brief, er habe „sinngemäß gegen eine vermeintliche ‚Israellobby‘“ „gewettert“, welche  systematisch Redeverbote und jegliche Israelkritik unterbinden wolle, er habe bezüglich der Gesinnung der Preisverleihungsgegner von „Antisemitismus 3.0“ gesprochen – Zumach weiß bis heute nicht, was darunter zu verstehen ist! – und er habe auf einer Internetseite mit Namen „suit.de“ „ehrenrührige Äußerungen“ über die Preisverleihungsgegner unter die Leute gebracht.

Nun, zunächst lehnte das Göttinger Amtsgericht diesen Antrag des Anwalts Doerfer ab, da der betreffende Amtsrichter den Streitwert auf über 5.000,- Euro einschätzte, wegen der großen bundesweiten Aufmerksamkeit, die der Göttinger Antisemitismus-Streit auf sich gezogen hatte, und verwies Doerfer deswegen an das Göttinger Landgericht – das dann den Streitwert dieser Rechtssache heraufsetzte auf einen Betrag von 20.000,- Euro und am 24. April diesen Streitfall auch verhandelte, unter dem Vorsitz des Richters David Küttler. Und schon an diesem Verhandlungstag wurde dreierlei deutlich:

  • Alle Andreas Zumach vorgeworfenen Äußerungen existieren schlicht nicht – und einen Beitrag von ihm auf „suit.de“ hat es niemals gegeben;
  • bereits an diesem 24. April schlug der Vorsitzende Richter Küttler dem Göttinger Anwalt Doerfer vor, seinen Antrag zurückzunehmen – was dieser nach Beratung mit seinem Rechtsbeistand ablehnte – und äußerte bereits an diesem Verhandlungstag die Vermutung, daß er dem Antrag von Doerfer wahrscheinlich nicht stattgeben werde;
  • und nicht zuletzt an diesem Verhandlungstag verstieg sich Antragsteller Doerfer zu Äußerungen, die bereits bei diesem Termin für Unparteiische nicht mehr nachvollziehbar gewesen sind – zum Beispiel zu dem Satz: „Herr Zumach formuliert ja nur deshalb so differenziert, um sich nicht angreifbar zu machen“ – ein Satz, der im Kern Doerfers eigene Erkenntnis formuliert, daß es de facto und de jure keine Äußerung von Andreas Zumach gibt, die als „angreifbar“ – sprich: strafbar – bezeichnet werden könnte. Nun: Zumachs Anwalt aus Berlin, Johannes Eisenberg, brachte all diese Merkwürdigkeiten dann folgendermaßen auf den Punkt: daß Doerfer ganz offenbar seinen „Beruf nicht kann“. Man könnte auch sagen: Doerfer wollte nicht Tatsachen bestraft sehen, sondern vermeintliches – also: völlig: unbelegtes! – antisemitisches  Denken des Streitgegners Zumach.

Und wie ging dieser Streitfall, über den am letzten Dienstag, den 7. Mai des Jahres, vom Landgericht Göttingen entschieden wurde, nun aus – vorläufig jedenfalls (unbekannt ist derzeit noch, ob Doerfer Revision einlegen wird gegen den Urteilsspruch)? – Nun, ich gebe im Folgenden den  Wortlaut der Presseerklärung wieder (Auszug zur Streitsache), den das Landgericht am selben Tag noch an die Öffentlichkeit weitergeleitet hat:

„Niedersachsen

Landgericht Göttingen

Landgericht Göttingen: Urteil in dem einstweiligen Verfügungsverfahren – Az. 9 O 6/19 – verkündet.

Einstweiliges Verfügungsverfahren im Zusammenhang mit dem Streit um die Vergabe des Göttinger Friedenspreises erfolglos.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde zurückgewiesen.

Heute wurde am Landgericht Göttingen das Urteil über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (Az. 9 O 6/29) verkündet, mit der ein Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Göttingen e. V. von einem Jurymitglied der Dr. Roland Röhl-Stiftung Göttingen die Unterlassung einer Äußerung begehrt. Die 9. Zivilkammer des Landgerichts entschied, dass dem Verfügungskläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zustehe. Bei der streitgegenständlichen Äußerung handele es sich im konkreten Fall nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um eine Wertung, die grundsätzlich von dem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei und im konkreten Fall auch der gebotenen Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers standhalte. Die Verwendung rechtlicher Begrifflichkeiten und Kategorien sowie die Einstufung eines Vorgangs als strafrechtlich relevanter Tatbestand stelle in der Regel eine persönliche Rechtsauffassung, und keine Tatsachenbehauptung dar. So sei auch die streitgegenständliche Äußerung des Verfügungsbeklagten einzuordnen: Diese habe keinen eigenen Tatsachenkern, sondern fuße auf einer Wertung des Verfügungsbeklagten, die daraus resultiere, dass er sich in dem offenen Brief der Organisation Jachad unrichtig zitiert und auch diskreditiert sah.

Hintergrund des Rechtsstreits ist ein offener Brief der Organisation Jachad vom 21.02.2019, den der Verfügungskläger als Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Göttingen e. V. im Rahmen der Proteste gegen die Verleihung des Friedenspreises 2019 an die „Jüdische Stimme“ unterzeichnet hat.“

Mein Kommentar dazu: möge es bei diesem klugen Urteilsspruch bleiben! Zumach jedenfalls resümierte den Ausgang dieses Verfahrens mit den folgenden Worten: es handele sich dabei um einen „wichtigen Sieg für die Wahrheit und für das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit.“ Wahrlich, auch dieses ein wahrlich wahrhafter Satz! Und ich verbinde diese Feststellung mit dem ernsthaften Wunsch:

öge es nun endlich die andere Seite ebenso sehen. Vor allem jedoch – mein wichtigster Wunsch: möge die andere Seite endlich aufhören damit, den eigenen jüdischen Gemeinemitgliedern auch weiterhin Angst einzujagen vor angeblichen Antisemiten, die keine Antisemiten sind. Anlässe für Besorgnisse, was Antisemitismus in der Bundesrepublik betrifft, gibt es eh mehr als genug. Da muß man nicht noch antisemitische Vorfälle erfinden, die keine antisemitischen Vorfälle sind, und sich nicht in Streitereien verrennen, die lediglich geeignet sind, abzulenken vom tatsächlichen Antisemitismus in unserem Land!

Ich hoffe, daß man noch hoffen kann! Für alle Streitbeteiligten könnte das heilsam sein – was für mich bedeutet: für beide Seiten bei diesem Streit.

 

 

 

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