Hans-Eckardt Wenzel: “Unser Lied die Ländergrenzen überfliegt …”

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Wenzel-CD: “Wo liegt das Ende dieser Welt?”

“Denn das Lied ist die Sprache der scheinbar Machtlosen”, schreibt Hans-Eckardt Wenzel. Einer der es wissen muss: 1955 in der Nähe von Wittenberg geboren, Liedermacher, Komponist, Autor und Clown. In seinem Vorwort zu “Kein Land in Sicht”, einer Sammlung von Interviews mit DDR-Liedermacher*innen, das er zusammen mit Michael Kleff herausgab, geht Wenzel u.a. der Frage nach, ob “kritische Lieder” grundsätzlich die besseren sind. Das Buch „Kein Land in Sicht“ ist im Sturm-und-Klang-Shop erhältlich.  

In den Gesprächen wird vieles aus dem sogenannten Unrecht definiert. Auch in den Antworten spürt man einen Anflug von schlechtem Gewissen, dass man in der DDR gelebt hat. Und es bleibt ja dieser Vorwurf in allerlei Disputen bis heute bestehen. Es passiert mir gelegentlich in Diskussionen über die Kunst der DDR, dass mir von ausgereisten DDR-Bürgern meine Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, weil ich nicht “weggegangen” bin. Ich antworte dann gern mit der Frage: Wer hätte denn die Wende machen sollen, wenn wir alle weggegangen wären? Diese Dispute verweisen auf ein Dilemma unserer jüngsten Geschichte. Man weiß vorher, was man wissen will. In der Danziger Straße in Ost-Berlin, die früher Dimitroffstraße hieß, gab es an der Ecke zur Winsstraße einen Polsterer, der kurz nach der Vereinigung von BRD und DDR ein Schild in sein Fenster stellte, um den absehbaren Ruin aufzuhalten und Kunden anzulocken: “Aufarbeiten hilft immer!”

Das damalige Unterfangen von Michael Kleff versuchte diesem instrumentalisierten Blick zu entkommen. Er gehört zu den Wenigen, die wissen wollten, wie es war. Das gelegentliche Insistieren des Redakteurs auf Zensur und Unfreiheit in der DDR und dass es dort ja um einiges schwieriger gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen, verweist auf das gesellschaftliche Klima, das Narrativ, wie man heute zu sagen pflegt, in dem der Prozess der Zusammenlegung der beiden deutschen Staaten stattfand. Nehmen wir nur den in Medien äußerst strapazierten Begriff der “kritischen Lieder”. Er wurde quasi als moralische Instanz eingeführt und beinhaltete eigentlich die Frage: Wie sehr war man gegen die DDR und wie sehr war man dafür. Diese Frage geistert durch die Antworten und Fragen der Gespräche. Eine Art Rechtfertigungszwang.

Aber was bezweckt eigentlich der Begriff “kritische Lieder”? Was sind “unkritische Lieder”, wie definiert man diese? Nehmen wir mal an, wir würden diese Einteilung für Walther von der Vogelweide oder Paul Gerhard anwenden? Wir würden sehen, dass sie keinen Sinn hat, denn es gibt nur gute oder schlechte Lieder, Lieder, in denen Poesie eine Kraft entfalten kann, und solche, in denen ein übertriebener Anspruch die Kunst vernutzt. Oft sind ja die “kritischen Lieder” eben die poetisch schlechten. “Überpolitisierung in der Kunst führt zur Barbarei in der Ästhetik!”, meinte Hanns Eisler. Er war unumstritten ein höchst politischer Mensch, aber in seinem Kunstanspruch, geschult durch moderne Kompositionstechniken, sehr konsequent. Verweisen solche Begriffe wie “kritisch” vielleicht auch auf den Provinzialismus, der den Vereinigungsprozess dominiert hat?

Das Misstrauen in die Politik, das heute die Gesellschaft zu erodieren beginnt, hatte seinen Anfang in dieser Zeit. Heilige Ignoranz des Westens gegenüber den Erfahrungen des Ostens, Neuaufteilung der Welt, Globalisierung und die Auflösung kultureller Konventionen durch soziale Netzwerke und Politik sind nur einige der Ingredienzien für jenes, das sich nun als Protest formuliert und mit dem Begriff “Populismus” mehr als unscharf beschrieben wird.

Dass es diese Interviews gibt, ist ein Geschenk. Denn wir dürfen in den sich unablässig beschleunigenden Prozessen die Erinnerung nicht aufgeben, die Erinnerung an Details, denn die großen ideologischen Erzählungen, die man gemeinhin “Geschichte” nennt, haben stets den Zweck, der Macht einen Heiligenschein zu verpassen. Dafür werden sie gebraucht in den Momenten vor Wahlen, Umfragen oder Krisen. Es ist schön, dass Liedersängerinnen und -Sänger in diesem Diskurs eine Stimme bekommen und dass der Christoph Links Verlag dieses Material veröffentlicht. Denn das Lied ist die Sprache der scheinbar Machtlosen, manchmal leichtfüßig und verspielt, manchmal voller Schwermut und Trauer. Lieder brauchen und stiften Gemeinschaft und besitzen die Zauberkraft, Ländergrenzen zu überfliegen.

 

Michael Kleff /Hans-Eckardt Wenzel (Hg.):
Kein Land in Sicht – Gespräche mit Liedermachern und Kabarettisten der DDR
Ch. Links Verlag, 336 Seiten, 20 €

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