Hearing ist believing

 In FEATURED, Gesundheit/Psyche, Medien, Spiritualität

Was wir glauben, hat weniger mit den Tatsachen als mit den Narrativen zu tun, die wir uns dazu ausdenken. Die Menschheit hört weitaus länger als sie liest. Daher übt das Hören noch immer eine besondere Faszination auf uns aus. Vieles kennen wir nur vom “Hörensagen”, und allzu leicht glauben wir es, selbst wenn es “unerhört” scheint. Den gängigen Wahrheitsentwürfen stehen zunehmend auch alternative gegenüber. Beide habe gemeinsam, dass sie nicht die Welt selbst wiedergeben, sondern Erzählungen über die Welt. Dennoch ist es gut, dass es Weckrufe gibt, die die Trancen des Mainstream gelegentlich unterbrechen. Wolf Schneider, https://connection.de

Das Hören fasziniert uns Menschen mehr als das Lesen, weil wir Jahrhunderttausende lang nicht gelesen, sondern Sprache hörend aufgenommen haben. Der ich als Macher einer Zeitschrift viele Jahre lang das Lesen dem Hören gegenüber bevorzugt habe, genieße ich nun auch den Impakt des Hörens – Anlass sind dabei für mich die Hörbücher von Harari, die ich mir beim Autofahren reinziehe.

Ich bin es gewohnt, in einem Text zurückgehen zu können. Nochmal hinschauen, eine Stelle zitieren, ein Thema kontemplieren. Weniger interessante Passagen beim Lesen zu überfliegen. Ein Hörbuch hingegen gibt mir das Tempo vor und auch den emotional so bedeutsamen Duktus des Sprechers. Als ich zum ersten Mal Hararis Buchtext von einer konventionellen britischen Stimme gesprochen hörte, wollte ich erst kaum mehr weiterhören – Harari ist doch sooo anders als diese Stimme! Im Lauf des Sprechens des ganzen Buchs schien mir die Stimme jedoch einiges von der emotionalen Qualität Hararis angenommen zu haben. Jedenfalls nehme ich beim Hören beides in mich auf: den Sinngehalt des Textes und die Emotionalität des Sprechers.

Auch bei der Whatsapp-Kommunikation geht es mir so: Lesen und Simsen ist anders als das Hören und Aufsprechen eines Audios. Geschriebener Text ist abstrakter, Stimme emotionaler. Beides hat Vor- und Nachteile, je nach Umgebung, Thema und Zweck der Kommunikation.

Hören & glauben

Dabei fällt mir auch etwas aus der Zeit im Connectionhaus ein, als dort einige Verschwörungsgläubige bei mir wohnten. Sie lasen wenig und hörten viel. Noch lieber sahen und hörten sie Sprechern zu, die, von sich selbst überzeugt – full of themselves – gegen den Mainstream zu Felde zogen und dabei ihre Hörer glauben ließen, diesen zu enttarnen. Die Hauptquellen dieser Hörer waren einige Webseiten, zu denen sie einen starken emotionalen Bezug hatten, deren Wahrheit oder Wahrhaftigkeit erfühlten sie.

Wie so oft in der zwischenmenschlichen Kommunikation brauchen wir ein Publikum, um an uns selbst glauben zu können. Ohne Fans würden diese Sprecher nicht an sich selbst glauben können, die ’Hörigkeit’ ihrer Anhängerschaft trägt sie über alle Zweifel an ihrer eigenen Botschaft hinweg. Unser Hören & Glauben ist eben in den Jahrzehntausenden unserer Vorgeschichte geprägt worden. Die Schrift und das Lesenkönnen sind ziemlich neu: Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war fast die Hälfte der Menschheit noch nicht des Lesens und Schreibens fähig.

Sprache (ver)führt

Auch nach der Relotius-Affäre ist das Motto des Nachrichtenmagazins Spiegel immer noch: »Sagen, was ist«. Auch die Podcast-Reihe des Spiegel bei Amazon Audible heißt so. Obwohl doch jeder, der ein bisschen nachdenkt, weiß, dass man nicht sagen kann, was ist, wird dieses verführerische Motto vom Spiegel beibehalten. Wir lassen uns eben durch das Gehörte so gerne verführen. Und auch das Lesen verführt, v.a. dann, wenn es das Hören imitiert, wie Relotius das so gut konnte. Der Herder Verlag hat als Motto »Lesen ist leben«. Dass Sprache uns in fiktive Welten entführt, weg vom direkt erfahrenen, prallen Leben, weg von der Sinnlichkeit, weg von der Mystik, scheinen Spiegel und Herder-Verlag vergessen zu haben, ebenso wie die Mehrheit der Gebildeten und Literaten. Sprachgläubigkeit beherrscht die Welt, Wittgenstein und eine Handvoll Meditierer befinden sich in der Hinsicht auf verlorenem Posten.

Gegenöffentlichkeiten

Sprache pflegt zu täuschen, sie kann jedoch auch aufdecken. Manchmal tut sie das. Manchmal, seltener sogar ohne dass die Aufdeckung in eine noch tiefere Trance führt, die Trance eines „Ich habe erkannt!“.

Wir können gegen das Narrativ eines Mainstreams andere Narrative setzen. Wenn die Zeit reif ist für eine Wende, haben wir damit u.U. auch Erfolg, so wie Emile Zola einst mit »J’accuse«. Gegen die Lethargie einer auf den Ökozid zusteuernden, vom Glauben von Milliarden getragenen Weltkultur kann jedoch kaum ein Mensch an. Nun ist es einer eigensinnigen jungen Autistin gelungen, ein bescheidenes Maß an Gegenöffentlichkeit zu erzeugen: Mit ihrer Rede vor der UNO kann Greta Thunberg vielleicht sogar ein paar Politik-Zyniker bewegen. (Leider gibt’s diesen Redeausschnitt von Greta nur mit Vorabwerbung – eine Welt ohne Produkt-Werbung wäre eine bessere Welt.) Warum gelingt es erst einer autistischen 16-jährigen, die Business-as-usual Trance des Mainstreams zu durchbrechen und einige Lakaien des Kaisers davon zu überzeugen, dass er nackt ist? Weil wir Mitläufer einer großen Herde sind. Die Fähigkeit selbst zu denken und zu fühlen ist nicht weit verbreitet.

Auch Daniele Ganser ist ein guter Erzähler und als solcher Schöpfer von alternativen Narrativen. Auch wenn er nicht so genial vielfältig ist wie Harari, sein Kernthema ist reduzierter: die Wachsamkeit gegenüber den imperialen Akten der USA (auch hier Werbung ?) ist ein wichtiger Teil der Gegenöffentlichkeit ‚des Imperiums‘. Seine Kritik lässt sich zudem auch auf andere Mächte anwenden, der Teufel (aka das Unbewusste, Verdrängte) ist ja kreativ und setzt sich immer wieder andere Gesichter auf. Übrigens ist auch Ganser ein Meditierer, so wie Harari, der seit vielen Jahren täglich zwei Stunden Vipassana praktiziert. Vielleicht braucht es Meditation oder zumindest eine gute Verankerung in sich selbst, im Bewusstsein, dass ich meine Gedanken, Gefühle und Taten ’nicht bin‘, um den Trancen des jeweiligen Mainstreams entkommen zu können.

Lachen ist nicht immer gut

In letzter Zeit lache ich weniger, ich schmunzle mehr. Schlimm? Nein, es ist eher so, dass bei mir der Druck, aufgrund der Komik eines beobachteten Geschehens laut hinauszuprusten geringer geworden ist. Manchmal ist er gar nicht mehr da, weil alles irgendwie komisch ist, zum Lachen oder zum Weinen, je nachdem wie man’s betrachtet. Vielleicht bin ich einfach stiller geworden.

Jedenfalls sehe ich im Lachen der Menschen mehr als früher auch die Aggression, das Othering, das Ausgrenzen des Abgelehnten, nicht Integrierten. Lachen gestaltet die Identität von Individuen, Paaren, sozialen Gruppen aller Art. Es trennt zwischen Ingroup und Outgroup und ist als solches unter Menschen sicherlich eine der stärksten sozial gestalterischen Kräfte. Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist.

Auch über eigene Fehler zu lachen ist ein Ausgrenzen, sich Distanzieren, sich von etwas Befreien, es Ablegen. Lachen kann befreien, ja, das kann es. Die »Befreiten« (Menschen, Gedanken, Haltungen), über die wir da lachen, vielleicht wollen einige davon gar nicht ins Exil verbannt werden – und kehren dann womöglich über den Hintereingang zurück in unser Leben.

Alles Theater?

Ja, alles Theater, so beschreibt es Guy Corneau in diesem Text über das irdische Spiel. Wir stehen auf eine Bühne. Immer, unvermeidlich stehen wir auf einer Bühne, denn wir werden gesehen, wenigstens von uns selbst. Und wir selbst sind die Hauptfigur in diesem Stück, das unser Leben ist. Ob wir daraus eine Tragödie machen oder eine Komödie, liegt weitgehend in unserer Hand – in unserer Fokussierung auf die Schwerpunkte, unserer selektiven Wahrnehmung und Erinnerung und in dem, was wir uns davon erzählen, dem Narrativ.

Anzeigen von 3 Kommentaren
  • Ruth
    Antworten
    Ich sah gerade ein Theaterstück: Parteitagrede des Protagonisten B.Johnson.

    Torys, entzückt und mit einem Gesichtsausdruck – ein Panoptikum –  bunt und verklärt, einem Lügner glaubend!

    Ein Brexit- Drama: to be, or not to be: that is the questions?

    Nein, sicherlich nicht!

     

     

     

     

  • Volker
    Antworten

    Anlass sind dabei für mich die Hörbücher von Harari, die ich mir beim Autofahren reinziehe.

    Sollten Sie aber nicht tun, also a) Auto fahren und b) dabei Hörbücher lesen, dazu noch ohrgestöpselt ahnungslose Radfahrer womöglich umnieten – voll verantwortungslos.

    Jedenfalls nehme ich beim Hören beides in mich auf: den Sinngehalt des Textes und die Emotionalität des Sprechers.

    Wenn’s kracht und scheppert, wird’s eh emotional, sehe keinen Sinn darin.

    Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war fast die Hälfte der Menschheit noch nicht des Lesens und Schreibens fähig.

    Wofür auch. Um H4-Anträge auszufüllen? Sorry, ist mir so herausgerutscht.

    Sage mir, worüber du lachst, und ich sage dir, wer du bist.

    Lieber nicht, versteht eh kein Mensch, muß auch nicht interessieren, meine Lacher gehören mir alleine.

    Wer ist Harari? Bitte nicht lachen, kann lesen, schreiben, hören, aber alle wichtigen Promis kenn ich nun mal auch nicht, da fehlt es mir an Datenvolumen. Gut, ein Philosoph jedenfalls, ein Flotter, ein Kapitalismusversteher (?), einer, der weiß wos langgeht.

    Dem Alltagsphilosophen allerdings, Denker von unten, vergeht Hören und Sehen, weil schlichtweg nicht wahrgenommen.

    • Heide
      Antworten
      Yuval Noah Harari

      “Eine kurze Geschichte der Menschheit“

      “Homo Deus“

      “21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“

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