Helfen wir den Menschen in Griechenland! – 16. Zwischenbericht
Es ist gut, dass Holdges regelmäßige Zwischenberichte unseren Blick immer wieder nach Griechenland richten. Denn dort ist nach wie vor der Brennpunkt der derzeitigen Verelendungspolitik in Europa, einer Politik der totalen Unterwerfung menschlichen „Strebens nach Glück“ unter das Diktat weniger Macht- und Geldhaber. Und große Teile der Öffentlichkeit spielen das böse Spiel mit – u.a. indem unsere Medien den derzeitigen griechischen Generalstreik entweder igonorieren oder ihn als Ausdruck fehlenden „Sparwillens“ der Griechen interpretieren. Gleichzeitig bündelt sich auch die Flüchtlingskatastrophe gerade in diesem geschundenen Land – und man fragt sich, ob interessierte Kräfte bestimmte Länder nicht auch noch moralisch zerstören wollen, indem sie Anreize für auflodernden Fremdenhass schaffen. Holdger Platta berichtet diesmal nicht nur über Spendenpegelstände und Hilfe für Not Leidende, sein Artikel ist auch eine Generalabrechnung mit einer EU-Politik, die Griechland systematisch zu Tode rettet.
Liebe HdS-Leserinnen, liebe HdS-Leser,
ist schon ein merkwürdiger Tag heute, dieser 12. November 2015: zum einen verleiht der Münchener Zeitschriftengigant, das Verlagsunternehmen Hubert Burda, gemeinsam mit der ARD dem CDU-Politiker Wolfgang Schäuble den „Millennium-Preis“ für dessen angebliche „Verdienste um die deutsche Einigung und die europäische Politik“. Und zum anderen befindet sich ganz Griechenland seit heute Morgen im Generalstreik gegen eben diese „europäische Politik“ eines Wolfgang Schäuble, gegen eine Politik, die einer sozialen und ökonomischen Vernichtung dieses Landes gleichkommt. Aber der Reihe nach:
1. Schon diese Kooperation der ARD, einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, mit einem privaten Mammutkonzern in der Medienbranche darf man merkwürdig finden: wo präsentieren sich ansonsten Staat und Kapital derart unverhohlen als Kollaborateure? – Man wird ja nochmal fragen dürfen!
2. Dann die Benennung „Millenium-Preis“! – Da ich mal davon ausgehe, daß nicht jede Leserin und jeder Leser der HdS das große Latinum besitzt: ins Deutsche übersetzt, schreibt sich dieser Preis das Gewicht eines „Jahrtausend“-Ereignisses zu und folglich Herrn Schäuble das Format eines „Jahrtausend“-Mannes. Da kann ich nur mit meinen Eltern fragen, die beide recht vernehmbar berlinert haben: „Hammset nich’ ’ne Numma kleena?“ – Frage zwei mithin!
3. Und wofür, bitteschön, dieser „Jahrtausend“-Preis für diesen „Jahrtausend“-Mann? – Für „Verdienste um die deutsche Einigung“? – Da muß ich was verschlafen haben! „Für Verdienste um die europäische Politik“? – Das werden die kaputtgeretteten Menschen in Griechenland wohl anders sehen, auch die Austeritäts-Opfer in Spanien, Portugal und Irland, das sehe auch ich in aller Bescheidenheit anders als diese Preisverleiher des Größenwahns. Oder habe ich was missverstanden? „Millennium“, das leitet sich gar nicht von „Jahrtausend“ ab, sondern von „Millionären“? – Ergo Frage drei, die ihrer Beantwortung harrt!
4. Womit ich auch beim Generalstreik der Millionen Menschen in Griechenland bin. Wogegen richtet sich dieser Aufstand? – „Gegen das Sparprogramm“, schreibt die „Frankfurter Rundschau“ in ihrer Online-Ausgabe vom heutigen Tag. Und weiter: der Ausstand richte sich „gegen weitere Sparmaßnahmen in dem hochverschuldeten Land, darunter etwa zusätzliche Einschnitte bei den Renten“. Und bereits gestern, am Mittwoch, konnte ich in unserem Lokalblatt lesen, daß sich der griechische Premierminister Alexis Tsipras geweigert habe, 20.000 Landsleute aus ihren Häusern und Wohnungen rauszuschmeißen, lediglich deshalb, weil das unter anderem der Millionärs-Politiker Schäuble so will. „Nach allem, was wir gehört haben“, so „unser“ Finanzminister, „hat die Regierung die Auflagen nicht so erfüllt, wie sie versprochen hat“. Demzufolge solle Griechenland auch nicht die nächste Umschuldungs-Tranche von zwei Millionen Euro bekommen, die gestern eigentlich nach Athen überwiesen werden sollte. „EU-Finanzminister halten wegen mangelnder Reformen <…> Geld zurück“, schrieb das Regionalblatt bei uns und machte seinen Bericht mit der Überschrift auf: „Athen bricht wieder Zusagen“. Was zu meiner vierten Frage führt: sieht so sachliche, sieht so neutrale, sieht so unideologische Berichterstattung aus? – Der Schutz von 20.000 Menschen vor der Obdachlosigkeit stellt „Bruch“ von „Zusagen“ dar? Der Rauswurf total verarmter Menschen aus ihren Häusern oder Wohnungen ist „Reform“?
5. Ich bin damit bei einem weiteren Punkt: wie hat die Syriza, die griechische Regierung, wie hat Alexis Tsipras auf dieses Ansinnen der EU-Finanzminister reagiert? – Nun, konfrontiert mit der Tatsache, daß die Haushaltslage Athens verschärft wird durch die große Zahl der Flüchtlinge, die derzeit nach Griechenland strömen, konfrontiert mit der Tatsache auch, daß die Euro-Staaten dem griechischen Ministerpräsidenten, vor einigen Wochen schon, die Zusage abgepresst hatten, für die Unterbringung von 20.000 Flüchtlingen zu sorgen, äußerte Tsipras dazu: es könne nicht sein, daß er seinen eigenen Bürgern die Wohnungen wegnehmen müsse, aber derselben Anzahl von Flüchtlingen eine Bleibe bereitstellen solle. Was zu meiner fünften Frage führt: Stellt eine derartige Doppelforderung von Seiten der Euro-Staaten nicht geradezu ein teuflisch perfektes Vorgehen dar, das gepeinigte Griechenland nach dessen Massenverelendung nun auch noch hineinzutreiben in den Fremdenhaß? Das alles, an führender Stelle mitbetrieben und mitvertreten von Schäuble, dem „Jahrtausend“-Mann, soll eine Politik sein, mit der man sich um Europa „verdient gemacht“ hätte?
Ich bin am Ende meiner Fragen und stelle nur noch fest: da vermengen sich Realsatire und Zynismus zu einem Konglomerat, das man nur noch im Zustand der Bewußtlosigkeit ertragen kann. Mit wachem Geist, mit dem Geist der „Wertegemeinschaft Europa“, mit dem Geist der Menschenrechte hat das alles nichts mehr zu tun. Und es stellt eine Schande dar, daß man dafür, unter Beihilfe der ARD, auch noch einen „Millenium-Preis“ bekommt! Apropos: unter Beihilfe einer ARD, die am heutigen Abend, in der „Tagesschau“, nicht mal mit einem einzigen Wort über den Generalstreik in Griechenland berichtete!
Womit ich auch beim letzten Punkt meiner Kommentierungen und meiner Fragen an diesem heutigen Tag bin: gegen wen – ganz genau betrachtet – richtet sich nun der Streik der Griechinnen und Griechen?
Wie bereits zitiert: „gegen das Sparprogramm“, so die FR im heutigen Online-Bericht. Aber auch, wie sie schreibt, „gegen den Sparkurs der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras“?
Mein Eindruck von außen ist, gestützt auf einige Berichte nicht zuletzt aus Griechenland selbst: wenn sich am heutigen Tag bei manchen Griechinnen und Griechen auch Empörung Luft machen sollte gegen die Tsipras-Regierung und gegen Syriza – im Kern und durch diesen Protest gegen die Regierungspolitik hindurch ist es doch ein verzweifelter Aufstand gegen die Politik der Euro-Staaten, ein Generalstreik der Notwehr gegen eine Politik, die von außen her Not und Leid in unsagbarem Ausmaß über dieses Land gebracht hat!
Gestattet mir, an dieser Stelle in Auszügen aus einer Mail zu zitieren, die ich vorgestern, am Dienstag dieser Woche, von Tassos Chatzatoglou erhalten habe, unserem Außenhelfer, der sich ja bis vor wenigen Tagen in Griechenland aufgehalten hat. Ich denke, seine Mail verdeutlicht irgendwie beides: die derzeitige Spaltung wie auch Geschlossenheit Griechenlands:
„SYRIZA wurde gewählt, weil das Volk die Nase voll von der Politik der Vorgänger-Regierungen hatte. Das Votum, Ja/Nein hat es noch einmal gezeigt, dass das Volk hinter der SYRIZA Regierung steht. Tsipras ist für mich ein Vollblut-Politiker. Er hat das griechische Problem der Welt bekannt gemacht. Er hat sich den Hegemonie-Bestrebungen Deutschlands innerhalb der EU in den Weg gestellt. Er hat alle seine Widersacher innerhalb der Partei ausgeschlossen und vereinte das griechische Parlament hinter der Politik von SYRIZA bei der Abstimmung für das neue Referendum. Seitdem versucht er, und das ist meine Überzeugung, sich der Troika zu widersetzen. Er kündigt an, die kleinen Leute gegen die Banken zu schützen, die Grenzen Griechenlands für die Flüchtlinge nicht zu sperren, er regiert ein Land ohne Geldeinnahmen und gibt den Leuten ein wenig Hoffnung, dass es morgen anders, besser sein kann. Man sieht aber, daß die Geldgeber von ihrer Linie nicht abweichen. Tsipras wird von allen Seiten bekämpft, und das Volk sieht das. Fänden in Griechenland morgen neue Wahlen statt, würde Tsipras wiedergewählt. Die Leute vertrauen ihm, auch wenn er nicht das einlösen kann, was er verspricht.“
Liebe HdS-Leserinnen, liebe HdS-Leser! Ich hoffe, Ihr versteht, daß ich diesen heutigen Tag mit dieser merkwürdigen Koinzidenz zweier Ereignisse, die sich widersprüchlicher kaum ausmalen lassen – anmaßendste Preisverleihung hier, Notschrei eines ganzen Landes da -, genutzt habe, noch einmal in aller Deutlichkeit auf die Grausamkeit der europäischen Politik gegenüber Griechenland hinzuweisen. Mir scheint, die zweifache Erforderlichkeit unserer Aktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ ist selten deutlicher geworden als an diesem widersprüchlichen Tag: nämlich gleichzeitig Hilfe darstellen zu müssen, reale Hilfe für reale Menschen in Griechenland, und Protest gegen die Politik der Euro-Staaten, mit Deutschland an der Spitze, die Griechenland allmählich zugrunde zu richten droht!
„Leider nicht mehr, habe auch sehr wenig“, schrieb letzte Woche einer der Spender (von 4,- Euro) auf seinen Überweisungsschein. „Leider zu wenig“, das könnte auch ich sagen, der nunmehr seit über drei Monaten über unsere Hilfsaktion zu schreiben pflegt (und Roland Rottenfußer steht bereit, wenn ich einmal daran gehindert bin). Doch dieses Wenige ist mehr als nichts. Und wenn ich’s heute auch nicht angesprochen habe: es gibt einige Menschen, über fünfzig dürften es inzwischen sein, denen wir in diesen schlimmen Zeiten zumindest über das Schlimmste hinweggeholfen haben, Menschen, die unsere Überlebenshilfe auch weiterhin bekommen werden.
In der vergangenen Woche kamen 11 NeuspenderInnen hinzu – die Anzahl der SpenderInnen beträgt nun insgesamt 571 –, das Spendenvolumen wuchs um weitere 644,- Euro und beläuft sich nunmehr auf 72.549,60 Euro insgesamt. Wir alle, die „Aktivisten“ dieser Hilfskampagne, bitten um weitere Unterstützung: Evelin und Tassos Chatzatoglou, Ursula und Karl-Heinz Apel, Konstantin Wecker und Roland Rottenfußer, Peter Latuska und ich.
Und hier, wie immer zum Schluß, die Bankdaten zu unserer Spendenaktion (bitte bei Überweisung das Stichwort „GriechInnenhilfe“ nicht vergessen!) sowie die Anschrift für alle, die eine Spendenbescheinigung benötigen:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Spendenbeleg bitte anfordern (mit Angabe Eurer Adresse natürlich!):
Peter Latuska (IHW), Theodor-Heuss-Straße 14, 37075 Göttingen
Mit herzlichen Grüßen
Euer Holdger Platta