Hingabe – «Der Mensch im Akkusativ»

 In Roland Rottenfußer, Spiritualität
"Die Ekstase der Heiligen Teresa" von Bernini ist eine Darstellung religiöser Hingabe

“Die Ekstase der Heiligen Teresa” von Bernini ist eine Darstellung religiöser Hingabe

Nach seinem berüchtigten Artikel “Demut” widmet sich Roland Rottenfußer hier wieder einem psychologisch-spirituellen Begriff, der nicht zum üblichen Vokabular politisch bewusster Menschen zählt. Hingabe hat vielleicht in der Liebe noch ihre Berechtigung, auf anderen Feldern gilt sie aber als höchst suspekt, riecht nach Passivität und Fatalismus. Der Mensch – so könnten “Linke”, Neoliberale und Esoteriker aus jeweils verschiedenen Gründen einhellig behaupten – ist Ursache allen Geschehens und somit auch voll verantwortlich. Ist er das wirklich? Hingabe-Spiritualität sieht den Menschen nicht als Sucher, sondern als Gefundenen; nicht als Sprecher, sondern als Angeredeten; nicht als Macher, sondern als denjenigen, mit dem etwas geschieht. Ist Gott von allem der Initiator? Das sicher eine Glaubenssache. Sicher ist, dass einer im Kontrollieren-Wollen und Tun-Müssen verkrampften Menschheit ein wenig mehr Hingabe sehr gut täte.

„Mach ich was falsch?“, fragt Woody Allen, im Bett an Diane Keaton herum knabbernd. „Du wirkst irgendwie distanziert“. „Alles o.k.“, versichert die Frau. In diesem Moment löst sich ein geisterhaft-durchsichtiger „Doppelgänger“ Dianes von ihrem Körper ab, setzt sich neben das Bett und sieht sich selbst beim Sex zu. Ein genialer Regiekniff Allens aus seinem Klassiker „Der Stadtneurotiker“. Natürlich handelt es sich dabei um (Selbst-)Kritik am Intellektuellen-Milieu. Zu viel Reflexion schadet eben der Lust am Sex. Was es bräuchte – was überhaupt die Grundlage jeder Erfüllung wäre –, ist Hingabe.
Hingabe bedeutet vor allem Gegenwärtigkeit und den Verzicht auf Kontrolle. Dies ist mit Ängsten verbunden, die man nicht leicht allein durch die Kraft des Willens auflösen kann. Denn Willensanstrengung bedeutet ja wieder Kontrolle der Situation, also Nicht-Hingabe. Konstantin Wecker schrieb im Text eines schönen Liebeslieds: „Komm mein Lieb, wir lassen uns den Fluss hinunter treiben. Lass uns schrecklich unvernünftig sein! Und anstatt uns an den Ängsten endlich aufzureiben, dringen wir unendlich in uns ein.“

Zwischen Woody und Diane klappt's nicht so im Bett

Zwischen Woody und Diane klappt’s nicht so im Bett

Sexualität ist ein Bereich, in dem die Notwendigkeit von Hingabe wohl von den meisten akzeptiert wird (auch wenn sie nicht immer leicht „in die Tat“ umzusetzen ist). Weniger leicht wird dies in anderen Lebensbereichen eingestanden. Speziell in der spirituellen Szene, sonst auch für ihr „Ego-Bashing“ bekannt, ist es mit der Hingabe oft nicht weit her. Da bläht sich das Ego häufig sogar bis in gottähnliche Dimensionen hinein auf. So schreibt Erhard F. Freitag, Vertreter des „Positiven Denkens“, kurzerhand: “Es gibt kein Problem, keine Krankheit auf dieser Erde, deren Ursache wir nicht in uns selbst erfahren könnten”. So bedeutet plattes Positives Denken auch die Übertragung des im Kapitalismus vorherrschenden Menschenbilds des „Homo Faber“ (des alles kontrollierenden Machers) auf das Gebiet der Religion. Unnötig hinzuzufügen, wer demgemäß an den sozialen Härten in unserer Gesellschaft schuld ist: auch „wir selbst“, also jeder Einzelne.

Eindeutig haben wir es beim Positiven Denken mit einer willenszentrierten Machbarkeits-, nicht mit einer Hingabereligion zu tun. Könnte es damit zusammenhängen, dass Begeisterung, emotionale Wärme – geschweige denn Ekstase – bei dieser Form der Spiritualität nicht so recht aufkommen wollen? Handelt es sich bei kontrollsüchtiger heroischer Spiritualität etwa um eine spirituelle Orgasmusstörung?

Ein Bild für Hingabe im christlichen Kulturkreis ist vor allem die Geschichte von Marias Empfängnis. Was auch immer die historische Wahrheit über die Mutter Jesu sein mag, als Archetyp des Empfangens, der Bereitschaft und des Gottvertrauens ist ihre Gestalt auch für moderne Menschen ansprechend. Maria ist nicht die Sucherin, die sich in einem spirituellen Kraftakt bei der Bewerberauslese um den Job der Gottesgebärerin durchsetzte. Sie ist die Gefundene, die Erwählte. Unvermittelt, so sagt die Legende, sei der Erzengel Gabriel bei ihr eingetreten und habe ihr verkündet, was geschehen werde. Marias einziges Verdienst bestand darin, zuzustimmen und sich zu öffnen. Auf der symbolischen Ebene repräsentiert sie somit auch die menschliche Seele, in der sich „etwas von Gott“ einnisten kann und aufgehen wie ein Same. In wunderbarer Sprache hat Rainer Maria Rilke diesen Vorgang in seinem Gedicht „Verkündigung“ dargestellt:

„Vielleicht, dass Etwas bald geschieht,
das du im Traum begreifst.
Gegrüßt sei, meine Seele sieht:
du bist bereit und reifst.
Du bist ein großes, hohes Tor,
und aufgehn wirst du bald.
Du, meines Liedes liebstes Ohr.“

"Verkündigung", Fra Angelico

“Verkündigung”, Fra Angelico

Ein Tor zu sein statt ein Rammbock, der die Burg der Erlösung entert; ein Ohr sein statt ein Mund, der Gott beständig zu „bequatschen“ versucht – dies alles sind Bilder der Passivität und der Hingabe. Es ist eine Form von Spiritualität, die nicht den Menschen, sondern Gott als den Initiator sieht. Die bedeutende Theologin Dorothee Sölle formuliert dieses Prinzip in ihrem Standardwerk „Mystik und Gnade“ so: „Wir fabrizieren uns nicht selber, die Selbstfabrikation wird durch ‚Verdanktheit’ oder Gnade abgelöst.“ Sie prägte auch die einprägsame Formel vom „Menschen im Akkusativ“. Wörtlich heißt die Stelle: „Wenn im Bittgebet immer noch der Mensch – im Nominativ – im Mittelpunkt steht, so tritt an seine Stelle im Vollzug des Betens der verwandelte Mensch, der nicht nur ruft, sondern immer schon gerufen ist – das Wesen im Akkusativ.“ Ähnlich wird im Islam auch Mohammed vom Engel Gabriel gerufen. Parzival empfing seine erste Begegnung mit dem Gral als unerwartetes Geschenk, nicht als Prämie für erbrachte Suchleistung. Maria soll dem unbedarften, völlig unvorbereiteten Mädchen Bernadette Soubirous in Lourdes erschienen sein. Tausende Theologen, Asketen und spirituelle Hochleistungserbringer mühten sich vergebens um eine solche Gnade, was Bernadette zu Lebzeiten viel Neid und Misstrauen einbrachte.

Als politisch denkender Mensch habe ich durchaus Verständnis für politische Einwände gegen eine derart passive Philosophie. Mystische Begriffe wie Hingabe, Demut und Verschmelzung können schaden, wo sie sich – statt auf Gott – auf diverse Götzen beziehen. Führer, Volk und Vaterland waren unter dem Nationalsozialismus aufgeblähte Ersatzgottheiten, in die hinein sich das separate Ich auflösen sollte wie ein Stück Seife in der Badewanne – zum Schaden unzähliger Einzelmenschen. Den Begriff „Mystischer Untergang im Allgemeinen“ prägte Thomas Mann im „Doktor Faustus“ im Zusammenhang mit dem Hitler-Faschismus. So kam es auch, dass der „Einzelne“ mit seinem abgegrenzten, vernunftgesteuerten Ich gerade in intellektuellen und linken Kreisen der Nachkriegszeit als Bollwerk gegen irrationalen Kollektivismus verstanden wurde. Freilich sollte man – bei Liebesbeziehungen ist dies nicht anders – prüfen, wem man sich hingibt. Ein „Führer“ kann es ganz offensichtlich nicht sein. Auch keine übermächtige, alle Kräfte und Zeit aufsaugende Firma. Kein Guru, der alle Energien seines Jüngers zu sich hinlenkt, anstatt ihn auf sich selbst zurück zu verweisen. Auch keinem Gott, der eher einem rigiden Himmelsdiktator gleicht als einem liebenden Vater.

Hingabe kann gefährlich sein, wenn sie dem falschen Objekt gilt

Hingabe kann gefährlich sein, wenn sie dem falschen Objekt gilt

Der Fallstricke und falschen Hingabeobjekte gibt es viele. Hingabeverweigerung kann aber unter Umständen ebenfalls von Schaden sein – in der Sexualität wie in der Spiritualität. Denn so wichtig das Ich war, um sich aus archaischen Glaubenszwängen und kollektivistischen Gemeinschaftsstrukturen herauszulösen, um in die Freiheit zu gelangen – es wäre doch vermessen anzunehmen, dass dieses Ich das Höchste wäre und das Letzte. Vielleicht sind wir, auch wenn dies nicht auf der bewussten Ebene geschieht, weitaus mehr Angesprochene als Sprecher. Etwas ist in uns eingetreten, für das wir dann – angesteckt von der ich-zentrierten Machbarkeitsideologie unserer Zeit – selbst zur Ursache erklären.

„Offenbarung“ heißt das große theologische Wort für das, was ungeplant, ungerufen aus einem Raum des Wunderbaren in unser „kleines“ Leben einbrechen kann. „Jenseitig“ ist dieser Raum nicht unbedingt, „es“ kann sich hier und jetzt zeigen. Eine plötzlich uns überwältigende Liebesbegegnung kann eine solche „Offenbarung“ sein. Auf viel weniger spektakulärer Ebene kann es auch eine Naturbegegnung sein, wie ich sie unlängst mit einem wie erstarrt lauschenden Reh auf von Knabenkraut übersäter Feuchtwiese hatte – oder mit einem wunderhübschen rosébäuchigen Dompfaff im Wald. Die Offenbarung besteht mitunter weniger darin, was geschieht, sondern eher darin, wie ich es wahrzunehmen vermag. Beglückung, Auszeichnung, Segen kann der Dompfaff für den Wanderer sein – oder nur ein weiterer, gleichgültiger, lärmender Piepmatz. „Die Welt hebt an zu singen“ (Eichendorff) für den, der bereit ist.

Das Wunderbare - das kann vieles sein auch eine Tierbegegnung.

Das Wunderbare – das kann vieles sein auch eine Tierbegegnung.

Das „Wunderbare“ nennt Konstantin Wecker in einem neuen Lied in schöner Unklarheit jenen nah-fernen Raum, der auch als das Göttliche, Spirituelle oder Unendliche bezeichnet worden ist. Er kommt nicht von ferne zu uns, eher handelt es sich um eine benachbarte, eigentlich immer vorhandene Radiofrequenz, auf die wir unseren Empfänger einstellen müssen und in die wir manchmal auch ganz eigenes Zutun, quasi aus Versehen hinüber gleiten. Noch genauer gesagt, überlagern der Raum des Wunderbaren und der des Unendlichen einander schon jetzt und sind immer gleichzeitig präsent. Wir können lernen, uns auf ersteren einzustellen und sogar – auch wenn dies schwierig ist und selten gelingt – ganz in ihm beheimatet zu sein. „Es ist kein Traum und auch kein Ort, und erst recht kein Taschenspielertrick“, singt Wecker. „Es ist Klang und Ton, gelebtes Wort, es ist einzig deine Sicht, dein Blick.“

Tatsächlich ist es eine verbreitete mystische Denkfigur, anzunehmen, dass Gott im spirituellen Dialog mit der Seele immer der Initiator ist. „Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn von meinem Vater gegeben“ ist ein Wort aus dem Johannes-Evangelium. Der Franziskaner-Pater und Sachbuchautor Richard Rohr schreibt: „Die große Entdeckung dabei besteht immer darin, dass das, was wir suchen, längst da ist! Ich habe es nicht gefunden; es hat mich gefunden.“ Ähnlich der Sufi-Mystiker und Dichter Rumi: „Er ist wahrhaftig hier: näher als dein eigener Atem.“ Und von der christlichen Mystikerin Juliane von Norwich: „Gott ist uns näher denn unsere eigene Seele. Er ist der Grund, darin die Seele gründet.“ Interessanterweise sagt auch ein Zeugnis jüdischer Kultur, das 5. Buch Mose, etwas Ähnliches: „Wer will für uns übers Meer fahren und es uns holen, damit wir es hören und tun? Denn das Wort ist ganz nahe bei dir, in deinem Mund und in deinem Herzen.“

Diese revolutionäre, auf den ersten Blick nur schwer begreifliche Aussage, befreit nicht nur von „Gottsuche“ im Sinne eines anstrengenden Pilgerwegs „von A nach B“; sie befreit auch von der Notwendigkeit gedanklicher Selbstgeißelung und Bußbemühung. „Das alte Paradigma lautete: Wir sind Wesen, die Geist entwickelt haben, durch Verfehlungen aber von Gott abgekommen sind. Das neue Paradigma lautet: Wir sind nie aus Gott heraus gefallen“, schreibt der Benediktinerpater und Zen-Meister Willigis Jäger. Und aus der taoistischen Schrift Shodoka: „Weil du es schon hast, kannst du es nicht erlangen.“

Kann bzw. muss der Mensch also überhaupt etwas tun, um mit Gott „in Verbindung zu treten“? Allein diese Formulierung wirkt ja, als müsse eine Telefonverbindung hergestellt werden, die zuvor nicht freigeschaltet war. Die Antwort darauf, was wir „tun“ können, lautet bei Mystikern oft: uns öffnen, uns bereit machen. Wir strecken uns nicht nach der Sonne aus, wir öffnen einfach die Fensterläden, damit das „draußen“ ja immer schon vorhandene Licht hereinkommen kann. „Denn der Heilige Geist kann sich nicht enthalten, in all das zu fließen, wo er Raum findet, und soweit, wie er Raum findet“, schrieb der große deutsche Mystiker Meister Eckhart. Dieses Öffnen des Fensters ist scheinbar eine Eigenleistung des Menschen, in Wahrheit kann es sein, dass selbst der Impuls zum Öffnen von Gott kommt. „Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen; er ist nicht ferner als vor der Tür des Herzens“, schreibt Eckhart. „Da steht er und harrt und wartet, wen er bereit finde, der ihm auftue und ihn einlasse. (…) Du kannst nimmer so schnell an das Bereiten denken oder nach ihm begehren, dass Gott nicht schon vorher da wäre, auf dass er dich bereite. (…) Das Bereiten sei dein und das Einwirken oder Eingießen sei sein.“

Meister Eckhart: "Das Bereiten sei dein und das Einwirken oder Eingießen sei sein."

Meister Eckhart: “Das Bereiten sei dein und das Einwirken oder Eingießen sei sein.”

Eine Mystik des Zulassens unterscheidet sich von heroischer Selbstoptimierung durch die Seelenqualitäten der Entspannung und des Vertrauens. So sagt Meister Eckhart: „Soll dieses Werk vollkommen sein, so muss Gott allein es wirken, und du musst es lediglich erleiden.“ Die Bezeichnung „Fatalismus“ für eine derartige Weltanschauung, trifft nicht ganz zu. „Der Widerspruch zwischen Vorbestimmung und freiem Willen ist aufgehoben. Der Mensch erkennt, dass sein eigentliches Ich Allah und Allahs Willen auch sein eigener Wille ist.“ (André Ahmed al Habib, Sufi-Meister) Je mehr man sich seiner Verbindung zu Gott bewusst wird, desto mehr ist man offenbar fähig zur „Hingabe“. Diese wird vom mystischen Menschen jedoch nicht als Freiheitsberaubung, sondern als beglückend erlebt. Da Gott unsere innerste Natur ist, besteht im „Gottesbewusstsein“ kein Widerstreit mehr zwischen dem eigenen Willen und einem scheinbar von außen kommenden göttlichen Willen.

Zu den bekanntesten Stichworten in diesem Zusammenhang gehört Wu wei, ein Begriff aus dem chinesischen Taoismus. „Wu wei, das heißt handeln durch Nichteingreifen, durch Geschehenlassen“, definiert der Taoismus-Expete Theo Fischer. „Es ist die Fähigkeit, das Steuer des Lebens jener Macht zu überlassen, die eine Dimension von uns selbst ist und die Laotse einst das Tao genannt hat.“ Unzählige Missverständnisse sind über Wu wei im Umlauf. Vor allem jenes, Lao Tse fordere die Menschen zu Müßiggang und zur Trägheit auf. Im Originalton heißt das Zitat:

Wer den Weg (das Tao) sucht,
tut mit jedem Tag weniger.
Ist man beim Nicht-Tun angekommen,
bleibt nichts ungetan.

Tatsächlich fordert die Philosophie des Wu wei also nicht zum Unterlassen sinnvoller und notwendiger Tätigkeiten auf. Sinnlose und schädliche Eingriffe in den natürlichen Ablauf der Dinge unterbleiben aber. Gerade in der Politik kennen wir ja viele Beispiele von überflüssigem Aktionismus, von Kontrollsucht und Bevormundung. „Weil der Weise beim Nicht-Tun bleibt, verdirbt er nie etwas.“ (Tao Te King) Was im Einklang mit dem „Weg“ steht, geschieht ohnehin. Nur bin es nicht „ich“, der dabei handelt. Denn je mehr ich mich vom Tao durchdringen und steuern lasse, desto mehr entsteht der Eindruck, dass „es“ mit mir geschieht. Wenn es wirklich das Tao ist, das mich lenkt, wenn ich die Macht der falschen Autoritäten und Vorurteile abgeschüttelt habe, dann gibt es auch keinen Irrtum mehr. Selbst schmerzliche Erlebnisse erkenne ich dann als auf meinem Weg liegend. Verluste fokussieren meinen Geist auf das Wesentliche. Und was aus Sicht des Tao zu mir gehört, wird mir ohnehin begegnen.

Hier werden auch alle Versuche ad absurdum geführt, das was ich für mein Leben erreichen will, zu „bestellen“ oder zu „kreieren“. Platte Bittgebete nach dem Motto „Oh Lord, won’t you bye me a Mercedes Benz“ (Janis Joplin) kommen ohnehin aus dem Ego. In der Philosophie des Taoismus steckt viel Vertrauen und Hingabe an die Prozesse der Natur, die von einem namenlosen geistigen Prinzip gelenkt werden. Das-was-geschehen-will sträubt sich dagegen, dass wir unsere Zukunft in die engen Bahnen unseres gegenwärtigen Vorstellungsvermögens pressen. Wenn unser Leben eine mechanische Aufeinanderfolge von Wünschen und deren Erfüllung wäre, dann bliebe kein Raum mehr für das Ungeahnte, für das, was wir gar nicht zu wünschen vermögen, weil wir noch nicht wissen, dass es uns zugedacht ist. Oft bekommen wir zum Glück nicht das, was wir uns wünschen, sondern das, was wir brauchen.

Quasi als Anhang zitiere ich hier die Vision der Heiligen Theresa von Avila, die Bernini zu seiner berühmten Skulptur inspirierte:

“Unmittelbar TeresaEkstaseGanzneben mir sah ich einen Engel von vollkommener körperlicher Gestalt. Der Engel war eher klein als groß, sehr schön, und sein Antlitz leuchtete in solchem Glanz, dass er zu jenen Engeln gehören musste, die ganz vom Feuer göttlicher Liebe durchleuchtet sind; es müssen jene sein, die man Seraphe nennt. In der Hand des Engels sah ich einen lagnen goldenen Pfeil mit Feuer an der Spitze. Es schien mir, als stieße er ihn mehrmals in mein Herz, ich fühlte, wie das Eisen mein Innerstes durchdrang, und als er ihn herauszog, war mir, als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott. Der Schmerz war so stark, dass ich klagend aufschrie. Doch zugleich empfand ich eine so unendliche Süße, dass ich dem Schmerz ewige Dauer wünschte. Es war nicht körperlicher, sondern seelischer Schmerz, trotzdem er bis zu einem gewissen Grade auch auf den Körper gewirkt hat; süßeste Liebkosung, die der Seele von Gott werden kann.”

 

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