Hochschulforschung am Tropf der Industrie

 In FEATURED, Politik (Inland), Vermischtes, Wirtschaft

Wenn Romanautoren oder Esoteriker fabulieren, gehen die meisten von uns von vornherein aus Abstand und glauben nicht alles, was ihnen da geboten wird. Die Wissenschaft dagegen schmückt sich gern mit dem Nimbus absoluter Objektivität und Seriosität. Sie besitzt in weiten Teilen der Bevölkerung großes Vertrauen, gerade auch in Bereichen, die nicht für „jedermann“ nachvollziehbar sind, weil die verwendete Fachsprache ein langes Studium voraussetzt. Wenn Wissenschaft und Forschung lügen, verschweigen und manipulieren, ist dies somit besonders verwerflich, denn diese Personengruppe hat – wie es Goethe formulierte – „den Schein der Ehrlichkeit voraus“. Leider ist tendenziöse Forschung gerade an den Hochschulen keine Seltenheit. Der Grund hierfür ist – wie so oft – das Geld. Und leider betreffen die Folgen von gekaufter Wissenschaft nicht nur Akademiker, sondern uns alle. Wenn etwa zahlungskräften Großsponsoren zuliebe die Gefahren von Substanzen wie Glyphosat verharmlost werden, ist das Motto „Wes‘ Brot ich ess, des‘ Lied ich sing“ ein brandgefährliches gesellschaftspolitisches Problem. Auszug aus dem neu erschienenen Buch „Gekaufte Wissenschaft“. Christian Kreiß

In Deutschland ist momentan etwa ein Sechstel der gesamten Forschung frei, fünf Sechstel sind weisungsgebundene Forschung, der größte Teil davon im Dienste der Industrie, ein kleinerer Teil durch detaillierte staatsbürokratische Vorgaben. Anders ausgedrückt: Von den gut 700.000 Menschen, die in Deutschland forschen (Vollzeitäquivalente) können weit über 500.000 NICHT ihren eigenen Forschungsfragen nachgehen, sondern bekommen Vorgaben von der Konzernleitung oder anderen Stabsstellen, worüber sie zu forschen haben: In den allermeisten Fällen geht es dabei um die Frage, wie die Gewinne maximiert werden können und nicht darum, was gut für Land und Leute ist. Selbst an den staatlichen Hochschulen steht nur mehr etwa jeder zweite Forschungseuro für freie Forschung zur Verfügung, die andere Hälfte wird über Drittmittelgeber vorgeschrieben. Also selbst an den Universitäten und Fachhochschulen kann nur mehr etwa jeder zweite Professor frei forschen und jeder zweite forscht über das, was mit dem Drittmittelgeber vereinbart wurde. Die freie Forschung hat in den letzten etwa 30 Jahren in Deutschland stark abgenommen.

Nur mehr ein Sechstel freie Forschung in unserem Land. Das ist nicht gerade viel. Wo ist das Problem? Das Problem ist, dass der allergrößte (und in den letzten Jahren immer weiter steigende) Teil der Forschung im Dienste der Gewinnmaximierung steht. Gewinnmaximierung und Wahrheit haben aber nichts miteinander zu tun, im Gegenteil. Je stärker die Gewinnorientierung der Forschung, umso schlimmer die Ergebnisse für Land und Leute, wie das Beispiel Dieselskandal beeindruckend zeigt (aber auch viele Dutzend weitere Beispiele). Wenn es in der Großindustrie zu einem Zielkonflikt zwischen Gewinn und Wahrheit kommt, siegt praktisch immer der Gewinn. Konkret: Wenn die Wahrheit gesagt wird, dass Dieselemissionen ungesund sind und nicht unter ein gewisses Mindestmaß reduziert werden können, dann führt man eine Lügensoftware ein, die scheinbar das Gegenteil zeigt. Der Dieselskandal hat Zigtausende Menschenleben gekostet – aber die Gewinne der Autokonzerne dramatisch erhöht. Wenn dieses Industrieprinzip – Gewinn vor Wahrheit – in unsere Universitäts- und Fachhochschulforschung einzieht, was es seit mehreren Jahrzehnten ganz massiv tut, dann ist das in größtmöglichem Maße schädlich für Mensch, Tier und Umwelt.

Ein anderer Klassiker ist die Zigarettenindustrie, die jahrzehntelang über (stillschweigend) gekaufte und gefälschte, scheinbar unabhängige Universitätsforschung „wissenschaftlich bewiesen“ hat, dass Rauchen oder Passivrauchen gar nicht wirklich gesundheitsschädigend ist. Das hat die Gewinne um Grundmaxime ist und wo man buchstäblich über Leichen geht, um die Gewinne zu erhöhen. Aber auch aus der Chemieindustrie (Stichwort Glyphosat, Holzschutzmittel, Dioxin) und der Lebensmittelindustrie (Big Food, Big Sugar), gibt es viele Beispiele für korrumpierte Forschung, ebenso aus der Medienindustrie und vielen vielen anderen Branchen.

Es gilt letztlich für alle nach dem Gewinnmaximierungsprinzip arbeitenden Konzerne. Gewinnmaximierung ist der Tod aller unabhängigen Wahrheitsfindung. In dem Maße, in dem gewinnmaximierende Konzerne über Geld- oder Lobbykanäle Einfluss auf unsere Hochschulforschung gewinnen, in dem Maße wird die Forschung korrumpiert und meistens für uns schädlich. Und genau das geschieht in den letzten Jahrzehnten in immer größerem Umfang.

Daher wird in diesem Buch an Hand von fünf Fallbeispielen, an denen ich teilweise konkret beteiligt war, herausgearbeitet, wie dieses wahrheits-schädigende System konkret funktioniert: Facebook TUMünchen, Cyber Valley, Dieselskandal, TU München – Lidl, Uni Mainz – Boehringer Ingelheim Stiftung zeigen, wie Gewinninteressen aus der Industrie Einzug in unsere Universitäten halten und dadurch die Forschung auf eine schiefe Bahn bringen.

Ein besonders wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Methode ist dabei das „Sechs-Punkte-Schema“ oder die „Sechs Schritte ins Verderben“, das von der Tabakindustrie in jahrzehntelanger mühsamer Kleinarbeit entwickelt wurde und heute fast flächendeckend von den meisten gewinnmaximierenden Konzernen oder ganzen Industriebranchen eingesetzt wird. Es sind folgende Schritte:
1. Auswahl besonders vielversprechender, industrienaher (Nachwuchs-) Wissenschaftler.
2. Fördern der besonders industrienahen Forscher.
3. Maximale Intransparenz herstellen und Geheimhalten der Verbindungen zur Industrie.
4. Für gewinnfreundliche Ergebnisse sorgen.
5. Confounder (Verwirrfaktoren) einführen und Fehlfährten legen.
6. Verzögern politischer Gegenmaßnahmen durch den Ruf nach noch mehr Forschung, Paralyse durch Analyse.

Es können im Einzelfall auch mehr oder weniger Schritte sein, das spielt keine Rolle. Diese Methode ist äußerst effizient, wenn es darum geht, Wissenschaft auf Schleichwegen zu missbrauchen oder zu korrumpieren und dadurch die Konzerngewinne zu erhöhen. Wenn man das Schema einmal durchschaut hat, so entdeckt man es im realen Leben ständig wieder.

Nachdem im ersten Teil des Buches eine Analyse der Hintergründe unserer Forschungslandschaft stattfand, im zweiten Teil an Hand aktueller Fallbeispiele aufgezeigt wurde, wie das ganz konkret abläuft, wird im letzten Teil herausgearbeitet, was wir tun können, um diese Fehlentwicklungen zu stoppen oder umzukehren. Und das wäre ganz einfach.

Wenn nur der gesellschaftliche oder politische Wille da wäre. Zum einen brächten wir größtmögliche Transparenz statt der heutigen VOLLKOMMENEN Opaziät. „Alle Kooperationsverträge mit staatlichen Hochschulen ins Netz“ wäre die allererste Forderung. Und das wäre mit wenigen Federstrichen umsetzbar – und ein Segen für unsere Forschung.

Das Zweite wäre eine richtige Grundfinanzierung der staatlichen Hochschulforschung statt der heutigen fast hälftigen Drittmittelfinanzierung.

Das Geld ist ja da. Es wird nur zunehmend über falsche Kanäle in die Hochschulen gelenkt: über staatsbürokratische Vorgaben, die in der Regel eng mit Industrielobbyisten abgestimmt sind. Drittens wäre eine grundsätzlich andere Finanzierungsform unserer Hochschulen erstrebenswert: Ein Gutscheinsystem (Voucher-System). Unsere zugelassenen Studierenden erhalten einen Voucher, mit dem sie frei ihre Hochschule wählen können. Dadurch könnte im Laufe mehrerer Jahrzehnte ein wirklich freies Hochschulsystem entstehen. Viertens müssten wir unsere Gremien, insbesondere die Hochschulgremien, aber auch andere über Wissenschaft beratende Entscheidungsgremien sehr viel ausgewogener besetzen, als das heute der Fall ist.

Durch diese teilweise sehr einfachen und sehr schnell umsetzbaren Maßnahmen könnten wir eine Forschungslandschaft entwickeln mit wirklich freier, unabhängiger Forschung zum Wohle der Allgemeinheit. Möge es dazu kommen und möge unsere Forschung zum Wohle aller
florieren.

 

Christian Kreiß:

Gekaufte Wissenschaft.

Wie uns manipulierte Hochschulforschung schadet und was wir dagegen tun können.

Verlag tredition

252 Seiten € 10,50

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