Hoffnung – trotzdem!

 In FEATURED, Politik, Umwelt/Natur

Warum wir fünf vor 12 beschwören müssen, obwohl es längst fünf nach zwölf ist. Das Leben ist ein Prozess der Desillusionierung – privat wie politisch. Woran wir gestern noch geglaubt haben, nötigt uns heute mitunter nur noch ein bitteres Lächeln ab. Wir sind von den Heilsversprechungen der Moderne enttäuscht. Und von praktisch allen Parteien, die versprochen haben, die globalen Probleme zu lösen. Selbst wirklich positive Impulse wie jeder von Greta Thunberg prallen an einer Mauer der Ignoranz ab. Es scheint, als ob die Menschheit einen wirklichen Wandel gar nicht wollte, obwohl das Ausbleiben dieses Wandels ihren eigenen Tod bedeuten könnte. Dennoch ist es sinnvoll, sich eine gewisse Hoffnung zu bewahren – schon weil es sich mit ihr leichter darum kämpfen lässt, den Verhältnissen wenigstens noch kleine Verbesserungen abzuringen. Nennen wir es Zweckhoffnung!  Bobby Langer

Erstmals seit 66 Jahren gehe ich hoffnungslos in ein Jahr. Und das wird auch so bleiben, allenfalls wird es Steigerungsstufen der Hoffnungslosigkeit geben. Da Hoffnungslosigkeit nun mal politisch inkorrekt ist, sie mir aber als die einzige sachlich angemessene Einschätzung der Wirklichkeit erscheint, möchte ich ihre Hintergründe erläutern.

Enttäuschte Liebe

Die erste große Enttäuschung in der Liebe hat aus uns einen anderen gemacht. Oh ja, wir können auch danach noch lieben, vielleicht sogar noch stärker, und gewiss sogar mit größerer Weit- und Nachsicht, doch die weiche, warme, rundum glühende Zuversicht, mit der geliebten Person werde alles und für immer gut sein, ist nach der ersten großen Liebe vorüber.

Wir haben die Moderne und ihre Versprechen geliebt, ihre Freiheit, ihren Luxus, ihre globale Aussicht auf Erfüllung und Sicherheit. Die Klimakrise und die Dominoreihe der damit verbundenen Einsichten haben uns den Glauben an das Projekt der Moderne endgültig geraubt.

Zuverlässige Vergeblichkeit

Noch 2018 hielt wir uns für Realisten, aufgeklärt, nüchtern und weltzugewandt. Wir waren gesellschaftskritisch, regierungskritisch, kapitalismuskritisch, industrialisierungskritisch, religionskritisch. Bis sich ein Mädchen vor das schwedische Parlament setzte und ohne Wenn und Aber die Einlösung der Pariser Klimavereinbarungen forderte. Nichts weiter. Vielleicht haben wir damals ein wenig gespöttelt. Doch was wir vielleicht als gutgemeinte „Verirrung eines Teenagers“ abtaten, entpuppte sich als gesamtgesellschaftlicher Weckruf.

Was ist seither geschehen? Zig Tausende von Wissenschaftlern haben sich hinter Gretas Thesen gestellt – darunter auch ProfessorInnen von Weltruf. Wir wissen das. Und ahnen doch die zuverlässige Vergeblichkeit ihrer wissenschaftlichen Forderungen.

Ans hohe Ross gebunden

Wie könnte es auch anders sein? Letztlich handelt es sich um den Ruf, das Ruder der westlichen Industriegesellschaft herumzureißen und den rasenden Elefanten zu zähmen, bevor er endgültig alles Geschirr zerschlägt. Es geht nicht mehr nur um einen Paradigmenwechsel*, sondern um einen Ontologie-Wechsel**. Doch schon ersterer ist zu viel verlangt. Zuoberst müssten wir nämlich vom hohen Ross des weißen Mannes herabsteigen, um

  • auf indigenen Schulen zu studieren, wie sich eine ausbeuterische Ökonomie in eine Kreislaufwirtschaft verwandeln ließe;
  • zu lernen, wie wir die vielbeschworene Menschwürde in Alltagshandeln übersetzen: gegenüber Arbeitern, gegenüber Chefs, gegenüber den Alten, den körperlich, geistig und psychisch Kranken, gegenüber all denen, die durch die Raster unseres Sozial- und Rechtssystems fallen, gegenüber allen Minderheiten, Hilflosen und Verlassenen, ja gegenüber ganzen Entwicklungsländern. Mit einem Wort, wie wir die hehre Theorie der Menschenwürde so sehr in eine täglich geübte Praxis der Solidarität verwandeln, dass ein SPDler einem CDU-Abgeordneten applaudieren könnte, ohne das Gesicht zu verlieren, und umgekehrt;
  • die Priorität des Gewinns und der Monetarisierbarkeit gesellschaftlich relevanten Handelns durch die Priorität der Nachhaltigkeit auf allen Gebieten zu ersetzen: ökologisch, ökonomisch, sozial;
  • unsere selbstverständlich gewordenen Zivilisationsstandards in Frage zu stellen: unsere Mobilität, unsere allzeitige Verfügbarkeit von Lebensmitteln und Konsumgütern, den medizinischen Luxus, unsere Raumbedarf, den unbegrenzten Vorrat an Energie;
  • den Naturgütern Erde und Wasser als Subjekten gegenüberzutreten, ihnen also ihre Würde zurückzugeben, indem wir sie weder besitzen noch missbrauchen dürfen;
  • Eigentum als die psychische und mentale Grundlage unseres Strebens und Trachtens in Frage zu stellen; denn Eigentum impliziert die mehr oder weniger beliebige Verfügbarkeit über das Besessene, auch wenn es sich dabei um meine Frau, meine Kinder oder jedwede Natur handelt.

Auch nur einen einzigen dieser sechs ineinandergreifenden Aspekte in absehbarer Zeit, also z.B. innerhalb von 30 Jahren, umzusetzen, erscheint mir als ein Ding der Unmöglichkeit und würde einen gesellschaftlichen Diskurs erfordern, wie es ihn noch nicht gegeben hat. Und voraussichtlich nicht geben wird. Technische Maßnahmen und ein paar Verordnungen und Gesetzesänderungen – gar nur auf nationaler Ebene – werden ein Schrei gegen den Sturm bleiben, der über uns hereinbricht.

Sogar die Geliebten sind weg

Nun gleichen wir enttäuschten Liebende, denen nicht nur die Liebe, sondern obendrein die Geliebten abhandenkamen. Wir glaubten, eine Geliebte namens Parteiendemokratie könne die gute Zukunft richten, eine Geliebte namens soziale Marktwirtschaft, namens Bildungssystem, namens Sozialsystem, namens Innovationskraft oder namens Technologie. In seinem Buch “Die unbewohnbare Erde” fasst der New Yorker Journalist David Wallace-Wells die Situation so zusammen: “Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie glauben.” Letztlich spielt es nämlich keine Rolle, ob bis zum Zusammenbruch der zivilisatorischen Systeme noch zehn oder 50 Jahre vergehen. The Great Turning wird keiner dieser Geliebten zustande bringen.

Warum? Weil wir diesen Großen Wandel letztlich nicht wollen. Weil wir zu der erforderlichen Großen Solidarität, einer vollumfänglichen Natursolidarität, nicht bereit sind. Sie ginge weit darüber hinaus, einem Bettler ein paar Euro in den Hut zu werfen – was uns meist schon überfordert – oder sorgsam zu Hause unsere Blumen zu gießen. Mit einem Heer von Uneinsichtigen und Unwilligen lässt sich kein Großer Wandel bewerkstelligen. Erst wenn wir nicht mehr – offen oder insgeheim – herablassend schmunzeln, wenn Indigene die Tiere als ihre Geschwister bezeichnen oder ganz selbstverständlich von „Mutter Erde“ sprechen; erst wenn wir menschliche Wärme, Nähe und Zuverlässigkeit höher schätzen als alle Güter dieser Erde; erst wenn wir uns als Teil eines großen Ganzen verstehen, werden wir eine Chance haben. Sie wird unsere einzige sein. Sie IST unsere einzige.

Mit Zweckhoffnung in die Graustufen

Es ist längst fünf nach zwölf. Darf ich also Hoffnung haben? Oder ist Hoffnungslosigkeit die angemessene Haltung? Vielleicht ist es aber die Zweckhoffnung? Wenn es Zweckoptimismus gibt, warum dann nicht auch Zweckhoffnung? Nach dem einen oder anderen Liebeskummer erhielt ich den Hinweis: „Der liebe Gott hat noch mehr schöne Mädchen gemacht.“ Auch wenn es schon halb eins sein sollte, so wird doch der Wandel zum Schlechten und Schlimmen nicht plötzlich kommen, sondern sich so einschleichen wie die Wetterextreme der letzten Jahre. Die fielen uns anfangs ja auch nicht auf. Es wird also auf das Weiß des Status Quo nicht gleich eine schwarze Zukunft folgen, sondern manche Stufen von Grau. Wenn die vielen Geliebten uns verlassen haben, können wir uns immer noch eine/n neue/n suchen – und handeln, als sei es noch fünf vor zwölf. Das ist das einzige, was uns übrigbleibt: Wir haben zwar keine Chance, aber wir nutzen sie.

*Paradigma: Denkmuster, das die Weltsicht einer Zeit prägt
** Ontologie: die Lehre vom Sein

Anzeigen von 6 Kommentaren
  • Es grünt so grün...
    Antworten

    Vergiss wer du bist
    vergiss woher Du gekommen
    und du bist der
    der vergessen ist

    .
    Wie das schreiten über die Oberfläche einer Kugel…

    .

    Man läuft und läuft und läuft…, immer geradeaus und erreicht nie das Ende.

    Eine verhängnisvolle Welt der vergessenen Wiederholung, diese eine Dimension!

    .

    SEHR VERHÄNGNISVOLL
    .
    Ich persönlich ziehe…
    die Höhen wie die Weiten
    die Tiefen wie die Zeiten
    vor
    wenn auch alle nicht immer die schönsten sind.

  • Andreas
    Antworten
    (…) letztlich nicht wollen. (…)  nicht bereit sind. (….) Heer von Uneinsichtigen und Unwilligen (…) Erst wenn (…) erst wenn (…) erst wenn

     

    Nur als Spiegel …

  • Sugata W. Schneider
    Antworten
    Hallo Bobby,

    verständlich, deine Haltung. Diese Enttäuschung, dieses Trotzdem.

    Ich bleibe beim Apfelbäumchenpflanzen, auch wenn morgen die Welt unterginge, und beim Optimismus aus gesundheitlichen Gründen: Pessimismus täte mir nicht gut und der Welt auch nicht.

    Grüße

    Sugata

  • Cornelia
    Antworten
    Nicht aufgeben und weiter daran arbeiten die Vision Wirklichkeit werden zu lassen.
  • Bobby Langer
    Antworten
    Ja, drum gibt es ja das Trotzdem. Das eine ist die nüchterne Analyse der Wahrscheinlichkeiten. Das andere ist das Unvorhersehbare, das immer wieder und noch hoffen lässt.

     

  • Isabelle
    Antworten
    Lieber Bobby,

    ich glaube ja, wenn wir die Hoffnung hochhalten und uns nicht unterkriegen lassen, wenn wir Licht und Liebe in die Welt tragen, so gut und so viel wir können, wenn jede gute Tat eine weitere nach sich zieht und immer mehr Menschen spühren, dass ihr Leben sie so nicht glücklich macht, ihnen die Verbindung zur Natur fehlt, dann wird eine Kraft erwachsen, die innerhalb sehr kurzer Zeit Dinge erreicht, die uns heute unmöglich scheinen.

    Das ist doch unsre Aufgabe hier, oder? Das Licht anmachen ; )

    In diesem Sinne, sonnige Grüße

    Isabelle

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