How many roads…

 In FEATURED, Kultur

Für den unermüdlich tourenden Bob Dylan ist sein Lebenswerk das Ergebnis eines Pakts mit dem Schöpfer. „Ein ewig Rätsel will ich bleiben mir und anderen“ soll König Ludwig II. von Bayern gesagt haben. Auch Bob Dylan, der Schutzheilige des 60er-Jahre-Folks, ist für die meisten Menschen schwer zu fassen. Über die Jahrzehnte erfand er sich immer wieder neu, tauchte ab und wieder auf, provozierte seine Altfans, gefiel sich in der Rolle des Schroffen und Schillernden. Dabei verfasste er in jeder Phase sublime Texte, die die Zeitstimmung glänzend einfingen. Mit den Jahren reifte der Rebell zum Klassiker und gar zum Literatur-Nobelpreisträger. Immer wieder aber fremdelte er mit seinem Image und stellte die Frage nach seiner Identität. „Ich bin nur Dylan, wenn ich es sein muss“. Worin liegen die tieferen Motive seiner einzigartigen Karriere, und welche Rolle spielte dabei die Religion?  Wolf Reiser

Zwischen dem 5. und 10. Juli würdigt Bob Dylan, oder jemand, der ihm ähnlich sieht, fünf deutsche Städte mit einem sehr kompakten 20-Song-Set. Ein Blick zurück nach Verona, wo am 27. April in jener poesieerfüllten Arena Dylan & Band als Zugabe „Blowin‘ in the Wind“ spielten; also jenen Song, der ihn 1962 berühmt machte und den er seither 1.259 Mal live spielte.

Der 77-jährige spindeldürre Wuschelkopf aus dem ukrainischen Milieu von Minnesota krähte und keuchte, hackte auf sein Klavier ein und stemmte sich gegen die Apokalypse, als wäre die Bühne ein Upperdeck bei Windstärke 13. „How many years can a mountain exist, before it’s washed to the sea?“ Tatsächlich erinnerte er in diesen Momenten an eine andere mythische Gestalt, jenen als glücklich verklärten Sisyphos, der seit Ewigkeiten schon den verfluchten Steinbrocken auf den Berg nahe Korinth hochhievt und gefragt, ob es nicht frustrierend sei, wenn der immer wieder ins Tal rollt, auf Altgriechisch antwortet: „Ich habe keine Wahl, weil das ist eben mein Destiny Thing.“

Wenn man mit einer Frau bei einem Dylan-Abend war, werden oft danach jene Fragen gestellt, die sich ein Mann nicht zu stellen traut: „Warum lacht der nie? Wieso sagt er nicht mal Hallo oder Tschüss? Warum kommt da nichts zu Bush oder Trump? Und wieso tritt der alte Sack überhaupt noch auf, wenn es ihm offensichtlich null Spaß macht? Geld genug hat er doch. Sag mir bitte, warum macht der das, Jahr für Jahr, Tag für Tag, quer über den Globus? Tell me why!“

„Darf ich mal wissen bitte, Bob, warum tun Sie sich das an?“, fragte ihn im Jahre 2004 Ed Bradley in der CBS-Sendung „60-Minutes.“

„Nun ja, es geht zurück zu einem, sagen wir mal Destiny Thing. Ich machte einen Deal und es ist eine Ewigkeit her. Und an den halte ich mich. Und zwar bis an mein Ende.“

„Um was ging es genau bei diesem Deal?“

„Um dahin zu gelangen, zu sein, wo ich heute bin.“

„Darf ich fragen, mit wem Sie denn damals verhandelt haben?“

„Mit dem Chiefcommander.“

„Ach nee. Und in welcher Welt ist der tätig?“

„In dieser Welt, aber auch in jener, die wir nicht sehen können.“

Dylan sagte das ziemlich nachdenklich, ohne den üblichen Hochmut und die Verachtung für das journalistische Fußvolk, und man gewann den Eindruck, dass er sich mit jenem Deal oder Pakt eine Last aufgebürdet hatte, deren Gewicht gewaltig unterschätzt wurde. Es ist an der Zeit, sich diese Sache mit etwas Andacht zu betrachten.

Ende 1961 trampte der Abiturient aus dem North Country Richtung New York, und selbst diese bescheidene Ortsveränderung kommt im späteren Schildern nicht ohne dylaneske Spiralen aus: „Ich hatte keine Ziele und keine Ambitionen. Ich machte mich auf, den Ort zu finden, den ich verlassen hatte. Ich wusste nicht, wo er war, aber ich war auf dem Weg dorthin.“ Auf diesem Weg aus Staub, Tankstellen und Spelunken kreuzen sich zwei mächtige Adern, die Highways 49 und 61 nahe Clarksdale, im Coahoma County mitten im Mississippi-Delta. Und genau hier, ein paar Minuten vor Mitternacht, setzte sich der 20-jährige Hobo mit seiner Wandergitarre auf eine Bank und erwartete das Erscheinen eines Botschafters.

Um das nachzuvollziehen, müssen wir nochmals 40 Jahre zurückreisen, also ins Jahr 1921, wo auf der derselben Bank ein Mann namens Robert Johnson im fahlen Mondlicht saß. Schlag zwölf, so betont die Legende, trat aus dem schwülen Nichts ein Fremder vor in einem langen schwarzen Mantel und den Hut tief in die Stirn gezogen. Er streichelte über Johnsons Gitarre, begann Saite für Saite zu stimmen, spielte mit flinken Fingern ein magisches Blues-Riff, übergab dem Jungspund das frisch beseelte Instrument, verbeugte sich und sagte leise: „Ich habe viele Namen, aber du weißt, wer ich bin. Geh jetzt deiner Wege!“

Johnson stieß einen langgezogenen, klagenden Heulton aus uralten afrikanischen Voodoozeiten aus. Tage später frappierte der bis dahin talentlose Barmusikant die Gäste mit noch nie gehörten Intros, wildem Speed, virtuoser Intensität, lakonischen wie brillanten Texten und all dem, was die Seele des Blues ausmacht. Als Keith Richards zum ersten Mal Johnsons Crossroads-Platte aufgelegt hatte, wollte er wissen, wer denn der zweite Gitarrist sei.

In seinen Songs kam er immer wieder auf das Crossroads-Mysterium zurück, auf jene Nacht, die ihm die Seele raubte und dafür Höllenhunde auf den Hals hetzte, die ihn bis tief in die Träume quälten. Sie jagten ihn durch Städte, Betten und die Kneipen des Südens, in den Hades aus Heroin und Schnaps, bis er — so sagt die Legende — von einem eifer-süchtigen Ehemann vergiftet wurde und im Alter von 27 Jahren den Betrieb einstellte. 27, damit war er die Nummer 1 im Club der Frühvollendeten. Zurück zu Dylan.

Gerade wir in Deutschland pflegen ein sonderbar nostalgisches Dylan-Bild — reduziert auf die Sechziger und den Jungen mit Mundharmonika und Lagerfeuergitarre.

Martin Walser charakterisierte ihn als „herumirrenden Israeliten.“ Man traut ihm zu, dass er die Nächte auf den Kuppeln rasender Güterzüge verbringt, die Tage in billigen Bars und den Rest in Kiffer-WGs mit hennaroten Landmädchen. Aus dieser Zeit rührt sein Ruf her als Gallionsfigur der Gegenkultur, einsamer Barde des Friedens und Kämpfer gegen Imperialismus, Diktatur, Heuchelei. Er dient der „We-shall-Overcome“-Bewegung, dem „Love-and-Peace“-Hippietum und einem neupaulinischen Messianismus des Lichts. Und so glaubt man ihm das natürlich gerne, wenn er eines Morgens verkatert Richtung New York trampt mit einem Dollar in der Jacke und dem Wunsch, sich ganz alleine durchzukämpfen, bis man ihm endlich den Literaturnobelpreis zugesteht.

Das ist der Stoff für die grandioseste Hero‘s Journey des Jahrhunderts. Im Zuge dieser romantischen Story schlucken wir auch sein mystisch-mysteriöses Destiny & Crossroad-Happening mit jener Entität, die ihm die Saiten stimmte, die Leviten las und den weiteren Weg ebnete. Die erste Station führte den Nobody in ein New Yorker Edelhospital, vorbei an der Rezeption, hoch im Lift, alle Fluraufsichten ignorierend und direkt ins Zimmer des Folksuperstars Woody Guthrie, der dort im Dämmerlicht liegt, unheilbar an der Huntington-Krankheit leidend. Dylan singt Guthrie mit einer künstlichen Nasalstimme kurz mal dessen Lieder vor und erhält seinen Ritterschlag. So einfach kann das Leben sein, vor allem, wenn man Märchen liebt.

Im folgenden April gibt Dylan dem großen John Lee Hooker eine Art Privatkonzert. Ansonsten tritt er in den Folkbars im Village auf, wo es freien Eintritt gibt und manchmal kaum sieben Gäste herumsitzen. Pächter dieser Bars ist Albert Grossmann, der 1962 Dylans Manager wird — ein gemütlich wirkender Barracuda, der sich als Freund der neuen Linken ausgibt und früh erkannt hat, welches kommerzielle Potential in dieser Folkszene und ihrer Vernetzung in der Bürgerrechtsbewegung liegt. Grossmann ist bei Columbia ein wichtiger Mann und er setzt seinen Edel-Streetworker John Hammond auf den seltsamen jungen Mann an, der nicht singen kann, elendiglich Gitarre spielt, aber das gewisse Etwas zu haben scheint.

Im Jahre 1962 geht es eigentlich bei Columbia darum, Musiker wie Pete Seeger, Aretha Franklin, Leonard Cohen, Paul Simon und Janis Joplin langfristig an das Label zu binden. Noch erstaunlicher ist es, dass Ende 1961 eine große Besprechung Dylans in der New York Times abgedruckt wird, also über einen complete Unknown, einen Collegejungen aus Minnesota, der noch kein einziges eigenes Lied im Kasten hat. Der Interviewer ist Robert Shelton alias Robert Shapiro, Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie, zu diesem Zeitpunkt der führende Musikjournalist der USA und enger Vertrauter der Columbia-Krake, sprich ein nebenberuflicher PR-Autor.

Die New York Times, bei der Shelton im Brot war, ist im Besitz des Sulzberger-Clans, nebenbei die Gründer der New York Stock Exchange. Es ist keine Verschwörungstheorie, dass die New York Times ab 1950 komplett vom CIA kontrolliert wird. Nebenbei: Die Musikbars im Village, die von Grossmann gepachtet wurden, waren alle im Besitz von Charlie Rothschild. Vier im roten Kreis, sozusagen.

Gegen alle Proteste und Zweifel im eigenen Haus hält Hammond Bob Dylan am 25. Oktober einen prächtig dotierten Fünfjahresvertrag unter die Nase, ein Vorgang, der vor allem Paul Simon und Lenny Cohen erschüttert. Insider sind sich sicher, dass der Refrain im Lied „The Boxer“, also das „lay, lay, lay“ ein „lie, lie, lie“ ist, ein dezenter Vorwurf der Lügerei und Heuchelei in der 7th Avenue, dem Sitz von Columbia. Hammond produzierte auf die Schnelle das Debutalbum „Bob Dylan”, das zunächst auf keinerlei Resonanz stieß, außer der Tatsache, dass sich das „Blowin‘ in the Wind“ 1963 als Plagiat des Studenten Lorre Wyatt erwies. Das erzeugte heftige Wogen, die aber dadurch geglättet wurden, dass Grossmann dem armen Poeten ein sorgenfreies Leben zusagte.

Kurz ein paar Worte zu Hammond, der sich das Image eines musikbegeisterten Freaks gab, locker, cool und voller Verachtung für Kapital und Profitgier. Sein Großvater war General im Bürgerkrieg und sein Vater US-Botschafter in Madrid. Seine Mutter hieß Emily Vanderbilt Sloane, und damit sind wir mitten in einem Netzwerk aus unermesslichem Reichtum, Politik, Militär, Hollywood, Entertainment und Geheimdiensten angekommen. Die Vanderbilts sind natürlich eng mit den Rockefellers verbunden, bei denen Dylans Vater Abraham in Hibbing angestellt ist auf mittlerer Managementebene bei Standard Oil. Von wegen Hillbilly, Hobo, Halbwaise …

Machen wir es kurz:

Wer sich ein wenig auskennt in dieser gnadenlosen Verwertungsindustrie der USA, weiß, dass Blitzkarrieren wie jene Dylans nur dank mächtiger Kräfte und eingeweihter Regisseure möglich sind.

Aus dem schüchternen und halbblinden Landei wurde in Rekordtempo ein egomanischer Genius gezaubert, der Rimbaud und Brecht zitierte, Dante und die Johannes-Apokalypse, ohne diese Stoffe bis dato gelesen zu haben, wie dies Suze Rotola, seine große Lebensliebe, erzählen sollte. Er selbst schilderte das im Rückblick auf sich selbst so: „Ich weiß nicht, wie ich zu diesen Liedern kam, ich habe nicht die geringste Ahnung. Sie entstanden auf magische Art und Weise. Als ob sie schon da gewesen wären …“

Während Dylan an seinem zweiten Album arbeitete, kümmerte sich Shelton um die Monopolisierung des Shooting-Stars. Für die kommenden 20 Jahre dirigierte er im Hintergrund die Presse- und PR-Arbeit und den systematischen Aufbau des Dylan-Images. Der Musiker wurde komplett abgeschottet von Fans, Medien und dem, was man Öffentlichkeit nennt.

Nach Belieben streute man irreführende Meldungen, kryptische Statements, richtige wie falsche Fährten — ein Spiel, das Dylan virtuos beherrscht bis in die Jetztzeit. Ab 1963 sorgte die perfekte Publicity-Maschine dafür, dass kein echt privates Stück nach außen drang. Jedes Detail des Start-Ups wurde zum Image und man generierte es cool, genial, geheimnisvoll. Jeder Satz, jedes Album, jedes Zitat diente der Imagepflege und dem Schaffen einer Kunstfigur — ein Modell, das Andy Warhol wenig später für sich und die Factory übernahm.

Bob Dylan kam als Robert Zimmermann zur Welt, und ähnlich wie im Falle Schicklgruber erschien dies dem Chiefcommander als etwas zu sperrig. Dazu äußert sich der Betroffene angeheitert: „Auch das hat mit dem Schicksal zu tun. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt meines Lebens als Robert Zimmermann gefühlt. Auch nicht vor meinem ersten Auftritt. Manche Leute werden nun mal mit dem falschen Namen geboren, mit den falschen Eltern, so was passiert eben. Deswegen nannte ich mich Bob Dylan.“ Ab da nutzte Dylan seine Masken und Abspaltungen unter den Flaggen der x-beliebigen Authentizität: „Ich bin nur Dylan, wenn ich es sein muss.“

Zum Thema seiner Neugeburt, Häutung oder Metamorphosen liegen stapelweise Essays, Analysen und Doktorarbeiten vor. Der sinnvollste Hinweis dürfte zum walisischen Poeten Dylan Thomas führen. Und von Dylan Thomas führt ein Weg zu dessen Verleger Victor Neuberg, der seinerseits ein intimer Buddy von Aleister Crowley war. Bei diesem strotzt es von Bezügen zur Musikindustrie, diversen Geheimdiensten, sonstigen Schattengewalten und okkulten Logen, deren Magie zum zentralen Energiefeld von „Hollywood & Babylon“ gehört.

Grossmann, der Wirtschaft sowie ein paar Semester Kinderpsychologie studiert hatte, nahm Dylan bald völlig unter seine Fittiche, ob als väterlicher Freund, Berater auf Augenhöhe und am Ende auch als Kuppler der erotischen Belange. Er respektierte seine Künstler als Künstler und bildete eine Ausnahme im sonst eher abgefuckten Musikbusiness. Vor allem aber erkannte er den Wert dieser Folkszene und ihre Echtheit und Wahrhaftigkeit. Und er wusste, dass diese Szene für den sensiblen und widersprüchlichen Dylan die optimale und vermutlich einzige Chance bot.

Mit den Idealen des Folk ließ sich dessen Reputation, Profil, Menschlichkeit und Seriosität definieren. In diesem Hafen ließ sich solide ankern, auch weil die Anti-Haltung Dylan und seinem charmanten Minimalismus entgegenkam. Ohne Verrenkungen ließ sich auf dem Boot der Gegenbewegung segeln. Es brauchte dazu zerrissene Jeans, ein T-Shirt mit Rotweinflecken und ein naives Hippie-Image mit Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Folkies hatten nichts am Hut mit Hitparaden und Plattenumsätzen. Man inszenierte sich als Working Class Heros, Stimmen des Untergrunds, neomarxistische Kämpfer gegen alles Unrecht und opferte sich auf für die gute wahre Sache.

Was der Mischpoke im Hintergrund noch fehlte, war die überragende Stimme dieser Generation, ein neuer Anti-Weltstar, ein Frontochse für die bevorstehende und milliardenschwere Corrida des globalen Change. Und den hatte man nun unter Vertrag. Früh schon hatte Dylan das Spiel durchschaut und dies zwischen den Zeilen seiner grandiosen Songs zwischen 1963 und 65 mitgeteilt, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Wenn man dem Chiefcommander zugesagt hat, gibt es keine Umtauschoptionen mehr und keine Reklamationen nach reiflicher Überlegung. Das erste Gesetz beim Eintritt in die Logen der Illuminierten lautet: „Liebe ab jetzt niemals etwas oder jemand, dessen Sterben du nicht mitansehen kannst.“

Die bereits erwähnte Suze Rotola, seine Muse und wichtigste Liebe, verließ Ende 1964 die gemeinsame Bude und setzte sich nach Italien ab. Sie rettete damit ihre Seele und verhalf der Welt zu einigen der ergreifendsten Liebesliedern seit der Zeit des Minnegesangs. Sie meinte rückblickend:

„Der Erfolg verwandelte meinen Freund mehr und mehr in einen Egozentriker. Und bei solchen Menschen ist es so, dass sich die Persönlichkeit verändert, sobald sie allen anderen, also den Fans, ein Begriff geworden sind. Sie entwickeln dann eine unkontrollierbare Egomanie. Und so war es auch bei meinem Freund. Es machte Klick und plötzlich konnte er nichts mehr wahrnehmen außer sich selbst und das wurde jeden Tag schlimmer.“

Immer großartiger wurde seine Kunst und Songs mit ungemeiner Schönheit und Tiefe, lyrischer Zärtlichkeit wie Machohärte, mit biblischen Referenzen, und Shakespeare hier und Verlaine dort sprudelten wie Wasser aus einer Quelle. Er mischte den Folk mit Blues und Country und öffnete ihm zum Entsetzen der Pietisten den Weg zum Elektrorock. Daneben musste er auch noch leben, Eindrücke sammeln, ins Kino und Theater gehen, Freundinnen und Geliebte glücklich machen, mit Kumpels zechen und halbwegs heil aus der Acid- und Speedball-Mühle herauskommen.

Wer anders als die New York Times deklarierte Dylan 1965 zur „markantesten Persönlichkeit unserer Zeit nach John F. Kennedy“, worauf Newsweek umgehend titelte: „Bob Dylan ist für die Popmusik das Gleiche wie Einstein für die Physik.“ Obwohl Dylan alles tat, um die Welt da draußen zu provozieren, zu konfrontieren oder einfach rund um die Uhr zu verarschen, kam er mit allem davon. Die Medien lagen ihm mit masochistischer Ergebenheit zu Füßen, verspottete Kollegen verzichteten auf Kraftproben und die weltweiten Kritiker entdeckten selbst in leicht banalen Zeilen wie „Lay Lady Lay“ metaphysische Magie. Der Megastar genoss Artenschutz.

Der Deal mit dem Chiefcommander garantierte Mister Supercool die absolute Unverwundbarkeit. Und dazu kam die Liaison mit der Zauberflöte Joan Baez, der Mona-Lisa-Ikone der Counterculture. Sie lagen im Bett und standen auf der Bühne, marschierten in der ersten Reihe bei den großen Demos und mit einem einzigen Befehl hätten die beiden eine weltweit erwachende Generation in die große Schlacht gegen das Böse schicken können.

Womit wir bei der Macht wären und ihrem treusten Diener, dem CIA. Ab 1960 liefen verschiedene Operationen an, um diese umtriebige Generation, die wütenden Schwarzen, die neuen linken Intellektuellen und den Sumpf der Kennedys ins Visier zu nehmen. Man kann all das bei Wikipedia nachlesen: Operation Mockingbird, Operation Bluebird, Operation Chaos und den grausamen Spuk der MKULTRA-Programme.

„The Times They are a-Changin‘“ wurde der Song zum Jahrzehnt und er besang mit genialer Ambivalenz sowohl den Husarenritt der Bürgerrechtsbewegung als auch das staatlich geförderte Kontrollprojekt. Leuten wir Grossmann war sehr schnell klar, dass man mit Begriffen wie Freiheit oder Change, die alles und nichts bedeuten, die Märkte der Zukunft zunächst schaffen und wenig später auspressen würde. Change, das versprach aus dem Nichts heraus neue Produkte, neuen Absatz, neues Zielpublikum. Je mehr Wechsel auf allen gesellschaftlichen und kulturellen Ebenen bewirkt werden konnte, desto mehr Milliarden würden fließen.

Ironischerweise wurde der Begriff der permanenten Kulturrevolution von Mao geprägt. Aber das war völlig egal, denn selbst kommunistische, buddhistische oder offen anarchistische Tools ließen sich lässig in die Poprock-Revolution integrieren. Es wurde eine weltumspannende Maschinerie angefeuert, die, als Subkultur gebrandet, von Beginn an reinster kommerzieller Mainstream war. Das Axiom dafür: die industrielle Erzeugung des Produktes Change auf allen Ebenen. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, „Lucy in the Sky“, „Let’s spend the Night together“, „California Dreaming“ — das war sexy, erregend, inspirierend, jung, frisch. Er entstand rund um Monterrey und Woodstock und wurde mit den Hells Angels in Altamont, der staatlichen Heroinschwemme, den schrittweise programmierten Black Panthers und dem Charles-Manson-False-Flag zu Grabe getragen.

Parallel zum kurzen Sommer der Liebe und Anarchie entstand in den USA der späten Sechziger das Fundament dessen, was heute weitgehend abgeschlossen ist: Staaten im Würgegriff der Geheimdienste, die hemmungslose Überwachung und Unterwanderung von allem und jedem, die mediale Konzentration auf eine Handvoll Propagandaverlage, die globale Kapitalisierung und die Machtkonzentration in jener Deep-State-Neuen-Weltordnung.

Dylan spricht das durchaus in seinem Change-Lied an, wenn er ein paar anonyme Figuren hinter dem großen Spinnrad erwähnt. Es ist ein überaus kluges Gedicht, welches, wie so oft bei ihm, verschiedene Lesarten erlaubt. So wie er den Wechsel begrüßt und mitträgt, so warnt er vor der schönen neuen Welt. Die alte Ordnung bricht in sich zusammen, gut, schön, und dann? Leere Kirchen, brennende Paläste, geköpfte Könige. Der neue Gott erweist sich als goldenes Kalb, Banken, das große Geld, die freien Märkte, sinistre Orden, gekaufte Politik und die Zeitgeistphrasen der Leitartikler.

Innerhalb von 14 Monaten erschienen drei neue Dylan-Platten, roh und juvenil, witzig und genial, und jede einzelne bildet einen Meilenstein der westlichen Musikgeschichte. Dylan ist spätestens 1966 mit „Blonde on Blonde“ der König des Folk, des Rock, der Poesie und der gesungenen Menschenrechte. Songs wie „Hard Rain“ oder „Masters of War“ zeigen klare Positionen zu Vietnam, zu Rassismus und der Paranoia nach den Morden an Kennedy und Luther King. Nicht zu vergessen das Zirkus- und Militärmarsch-Lied „Everybody must get stoned“, was bedeuten mag, dass man sich nur noch volllaufen lassen kann oder zum anderen, dass jeder eines Tages gesteinigt wird, ob Präsident oder Poet.

Während er durch die Welt tourte, versank die USA im Chaos: Aufstände, Demos, Schlachten, brennende Städte, Explosionen, Napalm und andere Gifte, Gewalt, Amok, Hass. Mit der Ermordung von Robert Kennedy wurde die Traumatisierung des nordamerikanischen Kontinents erfolgreich abgeschlossen. Der Teppich wurde ausgerollt für Nixon, Reagan, Rumsfeld, Kissinger, Bush, Cheney und ihre anonymen Hintermänner.

Der Chiefcommander, Abteilung Musik, hatte jetzt eine Menge zu tun. Hunderte von Künstlern schwammen in Ruhm und Geld und durften sogar noch von Streetfighting und Revolution Nr. 9 schwärmen. Doch nun war Schluss mit dem Anheizen. Die Vorstellung war beendet. Die Stones erklärten mit „Sympathy for the Devil“ ihre Kompromissbereitschaft und residierten in britischen Landschlössern, fuhren Jaguar und Rolls Royce, hielten sich sultanische Harems und bestellten ihren Stoff direkt bei den Schweizer Pharmafirmen. Viele andere Bands gaben klug nach und widmeten sich Heavy Metal, Schnulzenmusik, Satanismus oder lösten sich auf.

Wer nicht mitspielte im Zirkus, bekam Steine in den Weg gelegt. Die Etappe der seriellen Flurbereinigung begann in etwa mit Brian Epstein und endete 1980 mit John Lennon. Der 27er „J“-Loge traten nach Robert Johnson dann Brian Jones, Janis Joplin, Jimmy Hendrix und Jim Morrison bei sowie Michael Jeffrey, der Manager von Hendrix. Es mag dabei erstaunen, dass ausgerechnet Rockmusiker, die mehr von Alchemie verstehen als alle Medizinprofessoren der Welt, derart häufig an Überdosen strauchelten. Die Redakteure beim Rolling Stone kamen gar nicht nach mit all den Nachrufen, und vor allem fallen einem Tim Buckley, Jim Croce, Lenny Bruce, vier Jungs von den Grateful Dead, Mama Cass Elliot, Marc Bolan, Gram Parsons, Duane Allmann, Phil Ochs, Bob Marley oder Keith Moon ein — urplötzlich mitten aus dem Leben gerissen, das Herz, die Leber, der Stress oder Crossroads eben, wie ganz konkret im Falle von James Dean.

Dylan hatte, zur großen Enttäuschung von Joan Baez und auf Empfehlung Grossmanns, eine sehr hübsche Frau, das Ex-Model Sara Lownds, geheiratet, laut Dylan ein Familienmensch, der nicht dauernd Fragen stellte. Parallel brockte ihm Grossmann für 1965 ohne irgendeine Absprache eine Mammut-Tournee ein. Nun ging es ans Eingemachte, also darum, eine scheinselbständige Fabrik zu werden oder ein kreativer Kopf zu bleiben und seine Menschlichkeit zu bewahren. Das Entweder-Oder baute sich in großen schwarzen Lettern am Horizont auf und er begriff: Wer einmal eingecheckt hat in Maggies Farm, braucht ein schnelles Pferd.

Am frühen Morgen des 29. Juli 1966 holte er seine reparaturbedürftige 500 CC Triumph Tiger 100 aus der Garage seines Nachbarn Albert Grossmann ab. Hinter dem verkaterten Biker fuhr die schöne Sara. Dann kam noch die Sonne als Zeuge dazu und blendete den Lenker. Es kam zu einem prächtigen Sturz. Sara half ihrem Ehemann in das Auto und fuhr ihn fast zwei Stunden lang zu dem 50 Meilen entfernten Hausarzt, Dr. Thaler. Danach war er wochenlang verschwunden. Während die Musikwelt trauerte, betete und rätselte, Fragen stellte und Mutmaßungen formulierte, fütterte sie Dylan mit einer symbolistischen Erklärung: „Ich kam zu nahe ans Licht. Ich war geblendet. Und ich kann mich an nichts erinnern.“ Ein paar Monate später erlitt Vater Abe mit 58 Jahren einen Herzinfarkt. God said to Abraham, give me your Son …

Es war eine gefährliche und mörderische Zeit, für Amerika, für die einst so fröhliche Bewegung, für mutige Menschen, für Bob Dylan. Was immer vorfiel an jenem Morgen: Er war dem Tod von der Schippe gesprungen.

Spätere Bonmots, wie jenes aus dem Jahre 2006, lassen unklar, wer wen auf die Schippe nimmt: „Wissen Sie, man kann eine Menge lernen aus den großen alten Büchern des Mystizismus. Wenn Sie mich also gerade etwas fragen, dann reden Sie mit einer Person, die schon lange tot ist. Sie befragen einen Menschen, der überhaupt nicht existiert.“

De facto machte er nach 1966 acht Jahre lang keine Tournee mehr. Er zog sich zurück, mimte den biblischen Stammesvater, zeugte vier Kinder, lebte kerngesund, führte extrem hässliche Hunde aus, jodelte glockenhell-fröhliche Countrysongs und provozierte seine „linke“ Gefolgschaft mit der Männerfreundschaft zum „rechten“ Countryboy Johnny Cash.

Nie wieder vernahm man von Dylan seither ein politisches Statement, einen Kommentar zu Bush oder Clinton, ein paar Worte zu 9/11 und den amerikanischen Folgekriegen. Er kehrte den Freunden aus der Folk-Szene den Rücken zu und erschien Joan Baez mehr ein Geist denn ein Mensch zu sein. Mit grimmiger Miene ließ er sich von Bill Clinton und Barack Obama Ehren-Medaillen ans Revers heften und ließ sich in Stockholm beim Nobelpreis von Patti Smith vertreten. Ansonsten reist er mit seiner kleinen Band um die Welt, Jahr für Jahr, Tag für Tag, wortlos, stoisch und pünktlich wie ein Schweizer Uhrzeiger. Muss man sich Dylan als glücklichen Menschen vorstellen?

Im Rückblick auf jenen Vorfall, als ihn im Verlauf des „Destiny Thing“ die Sonne zu sehr blendete, heißt es in seiner Autobiographie:

„Ich musste es erleben, dass ich zum Oberpopanz der Rebellion ernannt worden war, zum Hohepriester des Protests, zum Zaren der Andersdenkenden, zum Herzog der Befehlsverweigerung, zum Chef der Schnorrer, zum Kaiser der Ketzer, zum Erzbischof der Anarchie, zum großen Zampano. Ich hatte sehr wenig mit der Generation gemein, deren Stimme ich sein sollte, und ich wusste auch nichts über diese Generation. Ich hatte nie die Absicht gehabt, anderer Leute Meinung ins Mikro zu schreien.”

 

Quellen und Anmerkungen:

Konzerttermine: 9. Juli Erfurt, 10. Juli Stuttgart

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