Im Kleinen besichtigen, was im Großen Klassenkampf ist

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Schuldenturm

106. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“
Ein aktuelles Fallbeispiel zeigt wieder einmal: Nicht einmal bei lebensgefährlichen Erkrankungen, nicht einmal bei notwendigsten medizinischen Hilfen können verarmte Griechinnen und Griechen darauf vertrauen, dass das Gesundheitssystem einspringt. Holdger Platta macht in seinem Überblick über die desaströse Lage in Griechenland wieder einmal deutlich: SYRIZA, angetreten als die “Partei der kleinen Leute”, ist zu einer Partei geworden, die ihre Leute klein macht – sie degardiert zu rechtlosen Almosenempfängern, ihrer Würde und selbst des Existenzminimums beraubt. Gerade drastische Einzelfälle wie der der 8-jährigen Laura zeigen aber auch: Eure Hilfe kommt an und kann schicksalsentscheidend sein. (Holdger Platta)

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

es versteht sich von selbst: nachdem wir in den beiden Vorwochen einmal über 1.500,- Euro, einmal über 1.200,- Euro an  Neuspenden für unsere Hilfsaktion verzeichnen durften, war mit einem Rückgang der Unterstützungsgelder innerhalb der dritten Februarwoche zu rechnen gewesen. Demzufolge gingen während der letzten sieben Tage auch “nur” 355,- Euro auf unserem Spendenkonto ein, überwiesen von 5 Helferinnen und Helfern (darunter erneut Herr S. mit 50,- Euro). Dennoch handelt sich auch dabei um einen stattlichen Betrag, der – gemessen an einer Reihe von Monaten davor – erneut als Zeichen für die Kontinuität unserer Spendenaktion zu werten ist, als Zeichen für Eure Beharrlichkeit, uns bei unserer GriechInnenhilfe unterstützen zu wollen, als Zeichen sogar für wachsende Zustimmung zu unserer Hilfsaktion.

Deshalb versteht sich auch dieses von selbst: dass wir OrganisatorInnen sehr, sehr dankbar sind für Eure nicht nachlassende Solidarität! – Und der folgende, ganz aktuelle, Hilferuf unserer “Außenteamerin” Evi Chatzatoglou zeigt auch, wie bitter notwendig unsere Spendenaktion ist, einschränkungslos und nach wie vor! Zu Recht hat nämlich Evi Chatzatoglou an einen Notfall erinnert, bei dem wir bereits 2015 einmal helfend eingreifen konnten und der nunmehr erneut akut geworden ist (Ihr werdet sehen: aus den “natürlichsten” Gründen der Welt, was die medizinische Erforderlichkeit dieser Hilfe betrifft – und um so bestürzender, wenn man durch diesen Hilfsappell hindurchblickt auf die politische Dimension des geschilderten Notfalls. Wiederum nämlich zeigt sich, wie sehr es nach wie vor hapert bei der ärztlichen Versorgung der verarmten Menschen in Griechenland!). Doch hier zunächst die wichtigsten Auszüge aus Evi Chatzatoglous Mail:

„Vielleicht erinnern sich noch einige unter Euch an Laura. Laura war einer unserer ersten schweren Fälle.

Laura ist eines von 4 Kindern der Familie S.. Sie wird bald 8 Jahre alt und lebt mit ihrem Eltern in Gavrion auf der Insel Andros. Beide Eltern sind seit längerer Zeit arbeitslos. Hin und wieder findet der Vater zwar Aushilfsjobs in der Gastronomie, das Geld für die 6-köpfige Familie reicht jedoch vorn und hinten nicht.

Laura wurde im Alter von 3 Jahren mit schwerer Meningoencephalitis [einer lebensgefährlichen Infektionserkrankung]  als Notfall per Helikopter in ein Athener Kinderkrankenhaus gebracht. Dort mussten ihr aufgrund einer Sepsis mit Nekrotisierung [Vergiftung mit der Folge des Absterbens von Gewebeteilen] der Füße beide Füße ab dem Knöchel amputiert werden. Im Jahr 2015 gab es auf Andros einen Spendenaufruf für Lauras Prothesen. Es wurden damals rund € 5.000 gesammelt, € 2.060 waren noch offen. Diese Kosten beglichen wir dank der Hilfe unserer IHW-Spenderinnen und -Spender am 31.08.2015 persönlich bei der orthopädischen Facheinrichtung in Athen.

Laura bekam zuvor schon einmal Prothesen, deren Kosten teilweise von der Krankenkasse (IKA) übernommen wurden. Diese passten jedoch nie. Eine Reklamation durch die IKA beim zuständigen Fachinstitut wurde verabsäumt, stattdessen erteilte die IKA jedesmal einen neuen Auftrag, der zusätzlich Kosten verursachte. Diese blieben dann an der Familie hängen, die sie nur mit Hilfe der Bevölkerung von Andros teilweise begleichen konnte.

Laura musste zu dieser Zeit zusätzlich alle 2 Wochen zur psychologischen Betreuung nach Athen. Psychotherapie wurde und wird auf Andros nicht angeboten. Auf Intervention der Hafenbehörde in Gavrion reiste Laura in Begleitung ihrer Mutter gratis aufs Festland. Der Vater zahlt 1/3 des Preises (Vollpreis pro Fahrt 2015 war € 19). Diese Freikarten wurden seinerzeit auf Androhung eines Hafenbediensteten, die Schiffe vorschriftsmäßig auf deren Sicherheit zu überprüfen, erwirkt. In diesem Fall hätte kein Schiff mehr den Hafen verlassen.

Laura müssen nun wachstumsbedingt ca. alle 2 Jahre neue Prothesen angepasst werden, bis sie ausgewachsen ist.

Letzten Freitag erhielten wir per E-Mail einen Hilferuf des ‘guten Engels’ auf der Insel Andros, Maria Alexaki. Maria ist die dort ansässige Sozialarbeiterin, die sich aufopferungsvoll um ihre Schützlinge kümmert. Sie schreibt:

‘Letztes Jahr im September war es soweit: Laura erhielt neue Prothesen. Gesamtkosten rund 10.000,- €! Davon übernahm die IKA, die griechische Krankenkasse, 7.000,- €, 500,- € konnte die Familie auftreiben. Offen sind derzeit rund 2.500,- €, ein Betrag, den die verzweifelten Eltern beim besten Willen nicht mehr auftreiben können.‘ Und so bittet ‚Engel‘ Maria abermals um Hilfe – um Hilfe, die wir nur mit Eurer Unterstützung, liebe Freunde, aufbringen können.“

Hier schon: wer von Euch ganz speziell für Laura spenden will, möge das tun unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe – Prothesen für Laura“! Von Herzen gern unterstützen wir anderen aus dem OrganisatorInnenteam diese Aktion von Evi Chatzatoglou!

Im übrigen gilt (nur kurz zur Erinnerung): auch Uschi und Karl-Heinz Apel sind bereits unterwegs in Griechenland. Sie werden unter anderem Katherina K. in Piräus mit weiteren Geldern unterstützen für ihre Dialysefahrten nach Athen, außerdem den Geistlichen in Kyparissi (Südpeloponnes) mit Finanzmitteln für zahlreiche verarmte GriechInnen dort sowie die Arztpraxis in Kyparissi und das Kreiskrankenhaus von Neapolis mit Nachschub an medizinischem  Hilfsmaterial (wobei auch Karl-Heinz Apel selber, “aus eigener Tasche”, beisteuern wird zu diesen Hilfsaktionen). Und was die sonstigen Hilfsfälle betrifft, die sozusagen in die Zuständigkeit von Evi und Tassos Chatzatoglou fallen: auch da werden wir, dank Eurer Spendengelder, wirksam helfen können. Ich erwähne hier nur die Hilfspakete für rund 200 verarmte Familien in und um Korydallos, an den Jungen Dionysis, der erneut 900,- Euro für seine Spezialernährung bekommen soll, sowie an die Autistenschule in Keratsini, die ein weitere Mal 500,- Euro erhalten wird.

Und vom „guten Engel“ auf der Insel Andros, von Maria Alexaki, werden wir in nächster Zeit noch von weitere Hilfsfällen erfahren, so dass Evi und Tassos Chatzatoglou bei ihrer für den April dieses Jahres geplanten Hilfsreise nach Griechenland sehr, sehr vielen Menschen werden helfen können. Ansonsten, Ihr wisst es, kämpft dieses gepeinigte Land weiter um sein Überleben – heißt “selbstverständlich”: die verarmten und verelendeten Menschen dort tun dies vor allem. Und kritisch zu beurteilen ist nach wie vor die Willfährigkeit der Tsipras-Regierung, die mehr und mehr diese Menschen im Stich zu lassen beginnt.

Vom sogenannten „Mammut-Paket“, das SYRIZA und ANEL am 15. Januar dieses Jahres verabschiedet hat, war ja bereits mehrfach in meinen letzten Berichten die Rede. 400 Gesetzesänderungen waren da beschlossen worden, mit der knappen Parlamentsmehrheit von 154 Stimmen, über den Inhalt von 1.531 Textseiten hatten die Abgeordneten binnen kürzester Frist zu entscheiden, unter erheblichem Zeitdruck mithin, und herausgekommen ist ein Gesetzespaket, das gleich in mehrerlei Hinsicht die Rechte und die reale materielle Situation der eh schon entrechteten und verarmten Griechinnen und Griechen verschlechtern half. Auch darüber berichtete ich während der letzten Wochen schon mit einiger Ausführlichkeit (Stichwort „Zwangsenteignungen“, Stichwort „Privatisierungen“, Stichwort „Streikrecht“). Deswegen an dieser Stelle nur einige „Globalzahlen“ noch, die das ganze Drama Griechenlands beziffern helfen, „Übersichtszahlen“, die uns die Katastrophe Griechenlands erahnen lassen – und den katastrophalen Kurs der offiziellen griechischen Regierungspolitik:

  • Ende 2017 beliefen sich Griechenlands Staatsschulden auf 318,3 Milliarden Euro. Diese Staatsschulden werden 2018, Berechnungen des Athener Finanzministeriums zufolge, anwachsen auf 332 Milliarden Euro.
  • Die Schuldenquote Griechenlands wird sich in diesem Jahr von mindestens 178 Prozent auf 180 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erhöhen.
  • Keinesfalls sieht Griechenland, wie Tsipras zigfach beteuert, einem Ende der Troika-Politik entgegen. Im Gegenteil, so der EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici vor einer Woche, es wird auch weiterhin eine Art „Aufsicht“ geben, eine Kontrolle der griechischen Regierung, wie es auch in anderen Ländern der Fall gewesen ist, die mit den europäischen „Geldgebern“ ein sogenanntes „Memorandum“ unterzeichnet hatten. Kommentar der linken griechischen Zeitung EfSyn dazu: „Der Ausgang aus der Memorandums-Ära bedeutet nicht das Ende der Austerität…“

Und was bekamen „die Griechen“ für dieses Gesetzesmonstrum vom 15. Januar? Wo gingen bzw. gehen jene 6,7 Milliarden Euro an Neukrediten hin, die Griechenland von der EU kürzlich bekam? Jene 6,7 Milliarden Euro, welche die vorletzte Rate darstellen aus dem sogenannten „Rettungs-“ oder „Hilfs-Paket“, das Griechenland im August 2015 von den Troika-Ländern zugesagt bekam, jenen Gesamtbetrag von 86 Milliarden Euro, deren letzte Rate – in der Höhe von knapp 12 Milliarden Euro – im Juni 2018 an Griechenland „ausgezahlt“ werden soll? – Nun, 3,3 Milliarden Euro davon gehen postwendend an EU und Internationalen Währungsfonds (IWF) zurück – die Neukredite dienen also, bei gehörigem Zinsaufschlag (nicht unter 1,5 Prozent im derzeitigen Nullzins-Europa!), lediglich der Tilgung von Altkrediten. Das ist weniger als ein Nullsummenspiel für Griechenland! Weitere 1,5 Milliarden Euro sollen der Begleichung staatlicher Altschulden gegenüber Privatunternehmen dienen (vor allem im Ausland!). Und der Rest – rund 1,9 Milliarden Euro – soll als Notreserve dienen für die Absicherung von Haushaltsrisiken im Jahr 2018. Heißt: die Verarmten in Griechenland haben gar nichts davon. Und demzufolge auch: Wiederbelebung der Wirtschaft oder Konjunkturaufschwung – total Fehlanzeige! Was konkret bedeutet:

  • Die Kaufkraft für die ärmsten Griechen – bereits 2017 deutlich gesunken – stagniert oder geht sogar weiter zurück.
  • Dienstleistungen und Produkte des täglichen Bedarfs, von denen heute bereits 63,4 Prozent mit dem höchsten Mehrwertsteuersatz von 24 Prozent belastet sind – vorher waren es nur 33,6 Prozent gewesen! – bleiben so teuer, wie sie sind, oder werden noch teurer als bisher.
  • Und schließlich soll auch dieses noch verschwinden: die sogenannte „Solidaritäts-Beihilfe für Rentner“ (EKAS), jene Unterstützung also, mit der bislang die Bezüge der ärmsten RentnerInnen aufgestockt werden konnten. Folge: rund 380.000 Armutsrentner werden nochmals Einbußen hinnehmen müssen, bis zu einem Drittel ihrer bisherigen Einkünfte – und dieses, ohne durch eine sogenannte „gesetzliche Grundsicherung“ entlastet zu werden. Die Zeche für Tilgung von Altkrediten durch Rückerstattung von Neukrediten zahlen also die Ärmsten der Armen in Griechenland. Und das ist soziale Politik, gar sozialistische Politik oder gar humane Politik?
  • Und zuallerletzt: nichtmal mit dem Rückgang der Arbeitslosenzahlen hat es – trotz aller Gegenpropaganda eines Alexis Tsipras – bei genauerer Betrachtung seine Richtigkeit: zum einen – bei den 16-25jährigen GriechInnen – geht dieser Rückgang schlicht auf Auswanderung zurück. Und zum anderen wurde dieser „Rückgang“ der Arbeitslosigkeit durch eine dramatische Ausweitung des Niedriglohnsektors erkauft, insbesondere im Dienstleistungs- und Tourismusbereich (auch darüber berichtete ich bereits) – eine Entwicklung, die im übrigen an Deutschland erinnert und vom Wirtschaftsjournalisten Niels Kadritzke in der „Le Monde diplomatique“ vom 18. Januar 2018 an einem Beispiel aus seinem persönlichem Bekanntenkreis illustriert worden ist, an einem Beispiel, das zugleich, so Kadritzke, die „erpresserischen Praktiken der Arbeitgeberseite“ zeigt. Hier Kadritzkes „Fallbeispiel“:

Sein Bekannter Kyriakos, 31 Jahre alt, hatte vor 18 Monaten endlich bei einem Kleinunternehmer aus dem Tourismusbereich eine Anstellung gefunden. Kadritzke dann wörtlich:

„In der touristischen Hochsaison schuftete er sieben Tage lang je 11 Stunden in der Eiskammer, gegen die -17 Grad-Umgebung geschützt durch schwere Lederbekleidung. Für diese Arbeit bekam er 600 Euro Monatslohn netto, im Winter bei reduzierten Arbeitszeiten 450 Euro. Immerhin war er sozialversichert und hatte Anspruch auf ein 13. Gehalt zu Weihnachten. 800 Euro, die ihm der Arbeitgeber auf sein Konto überwies, gefolgt von der Mitteilung: ‚Davon gehören dir 150 Euro, weil du so gut gearbeitet hast. Die restlichen 650 Euro gibst du mir in bar zurück.‘ Ein steuerfreies Zusatzeinkommen – für den Boss.

Dass Arbeitgeber tarifvertraglich ‚abgesicherte‘ Leistungen wieder einkassieren, ist im Griechenland der Krise nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“

„Klassenkampf“, ich weiß, ist ein großes Wort. Aber hier kann man im Kleinen besichtigen, was „Klassenkampf“ ist. Und: man kann im Kleinen besichtigen, was die „große“, die „sozialistische“ Politik der SYRIZA längst aus den Augen verloren hat: das Leben der Menschen ganz unten, die man „kleine Leute“ nennt und auf diese Weise klein- und fertiggemacht werden, ohne dass ihnen irgendjemand ganz da oben hilft. Doch was sagte kürzlich Kanzleramtsminister Peter Altmeier dazu, derzeit auch als Nachfolger von Wolfgang Schäuble als kommissarischer Finanzminister im Amt: Griechenland muss alle Reformauflagen erfüllen, um weiter an Geld zu kommen. Genauso gut hätte er sagen können, an die Tsipras-Regierung gerichtet: wir machen Euch Griechen gerne weiter kaputt, wenn auch Ihr Eure Griechen weiter kaputt macht! – Dem Vernehmen nach ist Peter Altmeier Christdemokrat…

Womit ich wieder einmal bei meinen Schlusshinweisen bin:

Wer uns bei unserer Hilfe für Menschen in Griechenland unterstützen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“, wer – ganz speziell – Laura helfen will, unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe – Prothesen für Laura“,  oder wer auch uns Akteure wieder mal mit Organisationsgeldern helfen will (dann bitte unter dem Stichwort „IHW“), der überweise uns bitte Spendengelder auf das folgende Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Und hier nochmal die Kontaktdaten von Peter Latuska, an den Ihr Euch wenden könnt, wenn Ihr Patenschaften übernehmen wollt oder eine Spendenbescheinigung benötigt (für Spendenbeträge bis 200,- Euro genügt fürs Einreichen beim Finanzamt Kopie oder Original Eurer entsprechenden Kontoauszuges):

Peter Latuska

Theodor Heuss Str. 14

37075 Göttingen

Email: latuskalatuska@web.de

 

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

 

 

 

 

 

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