John & Yoko – Träumer im Spiegel von Kunst und Kloster

 In FEATURED, Kultur, Spiritualität, Thomas Quartier

Bruder Thomas Quartier osb ist seit seiner Jugend auf der Suche: nach einer Lebenssicht, einer Vision und nach Liedern, die zum Soundtrack seiner Suche werden. Als Benediktinermönch träumt er bei gregorianischen Weisen von einer besseren Welt. Aber auch das Liedgut der letzten Jahrzehnte gehört zu einem Leben. Als Straßenmusiker verdiente er sich als Student etwas hinzu, als Kenner des Oeuvres von Bob Dylan und Konstantin Wecker schreibt er über Spiritualität und Engagement. Im Herbst erscheint sein Buch „Lebenslieder. Ein Soundtrack für Klosterspiritualität“ (Kösel Verlag 2019). In diesem Beitrag nimmt er uns mit auf die Reise mit einem seiner frühen Idole: John Lennon und seiner Frau Yoko Ono.

Sowohl in der Kunst als auch im Kloster braucht man Träume, um leben zu können. Wer nicht offen ist für das Unwirkliche, kann sich der Wirklichkeit nicht nähern und die Welt nicht verändern. Künstler und Mönche sind auf der Suche nach einem großen Traum. Und jeder Träumer trägt die Kreativität eines Künstlers und die Kontemplation eines Mönchs in sich. Einige von ihnen werden uns zum Vorbild. Mit meinem jüngsten Mitbruder erging mir das bei einem Kinobesuch so. Es war eine Etappe unseres gemeinsamen Wegs auf der Suche nach einer besseren Welt.

Weg

Wir sahen zu Beginn eine Szene auf der Leinwand, die in unseren Augen einem alten Klosterfilm glich: zwei dunkel gekleidete Gestalten folgen im Nebel einem Weg durch einen Park. Sie laufen verloren herum, und doch deutet alles darauf hin, dass sie ein klares Ziel vor Augen haben. Sie sind zwei Pilger, die Wärme und Zuflucht suchen. Als Zuschauer erwarten wir, dass jeden Moment die Silhouette einer imposanten Abtei aus dem Nebel auftaucht. Im Kino ist es merkwürdig still. Jeder im vollen Saal schaut gespannt auf das eigentlich wenig spektakuläre Geschehen. Dann endlich wird die Geduld belohnt. Aber anstelle einer monumentalen Abtei kommt langsam ein weißes Anwesen in Sicht. Es ist das Haus von John Lennon und seiner Frau Yoko Ono: Tittenhurst im Englischen Ascot.

Die beiden Gestalten nähern sich Arm in Arm dem Eingang des riesigen Hauses. Über der Haustür hängt ein Schild mit der Aufschrift: “This is not here”. Damit wird gleich klar: Realisten haben hier nichts zu suchen. Wer die nackte Realität sucht, muss anderswo hingehen. Hier ist ein „Un-Ort“ (non-place). Man hört Klaviermusik und Johns Stimme erklingt. Die Gestalten sind auf einmal verschwunden. Nicht nur die Realität ist weg, sondern auch unsere Wahrnehmung derjenigen, die sie durchwandern. Sie wurden quasi ins Hausinnere „gebeamt“. Wie ein Blitz sind sie an jenen Ort gewechselt, der „nicht hier“ ist. Sie haben buchstäblich eine Utopie betreten. Welcher Song wurde gesungen, bevor die Träume die Realität erhellten?

Imagine there’s no heaven
It’s easy if you try
No hell below us
Above us, only sky
Imagine all the people living for today[i]

Auf den ersten Blick ist es schwer, diese Zeilen mit dem Mönchtum zu verbinden, denn der Träumer John Lennon scheint kaum einen Glaubensinhalt zu unterschreiben. Wenn wir jedoch weniger auf den artikulierten Inhalt, sondern mehr auf die Motive schauen, die artikuliert werden, dann kommen wir dem mönchischen Suchen ein Stück näher. Sogar die scheinbar unüberschreitbaren Grenzen des Lebens fallen weg, wenn man ganz im Moment zu leben wagt. Das ist die absolute Macht der Liebe.

Dazu braucht es keinen Himmel und erst recht keine Hölle. Natürlich bleibt ein Unterschied zwischen dem Träumer Lennon und dem traditionellen Leben als Mönch. In letzterem gibt es klare Jenseitsvorstellungen. Was glaubt der Sänger nun eigentlich? Scheinbar glaubt er nur an den Moment. Aber auch darin finden wir einen Zugang zur Liebe, der Quelle des geistlichen Lebenswegs: gute oder schlechte Absichten, Belohnung oder Strafe, all das tut nichts mehr zur Sache, wenn man wirklich frei ist. Der Weg dahin ist neblig, man muss das “normale Leben” verlassen und zu träumen wagen. Vielleicht ist das doch eine Art Jenseits, unbedacht, unausgesprochen.

Sollte es diese jenseitige Freiheit wirklich geben? Ist der Traum von einer besseren Welt so etwas wie eine klösterliche Freiheit? Man kann das Leben an einem utopischen Un-Ort durchaus auch als Ziel des Mönchslebens sehen. Denn das Loslassen von vorgefertigten Vorstellungen, von Heilsversprechen oder Drohungen, die uns Sicherheit geben wollen, führt zu einer Art spirituellem Nichtwissen, das einen Ort braucht, wenn es lebensfähig sein will, allen harten Realitäten zum Trotz. Die Kraft des Träumens und der Vorstellungskraft hilft uns dabei zu leben, als wären wir schon frei. Wenn John Lennon ein Nihilist war, wie viele meinen, dann hat er aus dem Nichts eine imaginäre Kraft geschöpft, die sogar die spirituelle Erfüllung nicht mehr in Worte zu fassen braucht. Wer diese Kraft schöpft, erlangt Freiheit.

Foto: Stijn Krooshof

Grenzen

Der Film “Imagine” von John Lennon und Yoko Ono wurde 2018 weltweit in ausgewählten Programmkinos gezeigt. Alles, was wir an jenem Abend erlebten, entstammt einer verrückten Idee des berühmten Ehepaars Lennon und Ono, als sie den Frieden zu träumen wagten. Die Liebe, die keine Grenzen, keine Vergangenheit und keine Zukunft braucht. Direkt nach dem wundersamen Verschwinden an der Haustür schwenkt die Kamera auf eine andere Szene. John sitzt an einem weißen Flügel, in einem weiß angestrichenen Raum mit weißen Gardinen vor den riesigen Fenstern. Yoko, in weiß gekleidet, läuft von Fenster zu Fenster und zieht die Gardinen auf. Der Raum ist geradezu prädestiniert, um das Licht hereinzulassen. Als alle Fenster offen sind, nimmt auch sie auf der Klavierbank Platz, neben ihrem Mann. Sie schaut mit stoischer Ruhe in die Ferne, während John weiter singt:

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion, too
Imagine all the people living life in peace

Angesichts eines solchen Phantasiegespinstes verschwinden alle irdischen Grenzen, Trennungen und Ambitionen. Auf der Klavierbank bieten die beiden Künstler einen beinahe mystischen Anblick. Ihre Blicke wirken konzentriert, aber irgendwie doch nicht auf das Hier und Jetzt gerichtet. Die Erfüllung ihrer Vision scheint noch weit weg zu sein. Aber die Tatsache, dass dieses Paar gemeinsam darüber singen kann, lässt sie schon ein bisschen Wirklichkeit werden.

Auch das erinnert uns an ein Kloster, an die Vision, die Mönche und Nonnen im Chorgestühl hegen. Die Ausstrahlung dessen kommt im Kino positiv rüber, ein einziges großes „Ja“ zum Leben. Aber kann man das tatsächlich immer so leben – in einer Beziehung oder einer Gemeinschaft wie im Kloster? Immer wieder kommt es auch im idealistischsten menschlichen Miteinander zu gravierenden Spannungen, auch bei John und Yoko übrigens. Das ist nichts, wovon man träumen würde, und auch nichts, um stolz darauf zu sein. Weist Lennon deswegen sogar die Religion in seiner Vision von der Hand? Legt sie der eigentlichen Inspiration denn automatisch Fesseln an?

Religion

Die Frage, ob Lennon nun Atheist oder religionsfeindlich eingestellt war, wurde schon oft gestellt. Eigentlich geht sie aber daran vorbei, wovon er träumte. Denn was bedeutet “Religion”? Das Wort kommt vom lateinischen “religare”, das so viel wie „zurückverbinden“ heißt. Nach allen Trennungen und Barrieren geht es darum, zu seiner ursprünglichen Heimat zurückzukehren. Dieser Ausgangspunkt bringt Lennon dazu, alle beengenden Formen von Religion wegzuträumen, wie er in einem Interview zu seiner Vision sagt: “Wenn man sich eine Welt des Friedens vorstellen könnte, ohne Konfessionen innerhalb der Religion – nicht ohne Religion, was immer das sein mag – sondern ohne die Devise ‚Mein Gott ist größer als deiner‘… Dann, wenn man sich die Möglichkeit vorstellen kann, kann sie auch Wirklichkeit werden”.[ii]

Das klingt beinahe nach einem “religionslosen Christentum”. Dennoch bleibt die Frage, ob es für ihn einen Gott gibt. Warum weist Lennon Religion in ihrer institutionellen Form ab, nicht aber als solche? In früheren Jahren war er einen Schritt weiter gegangen, als er z.B. bei der Tournee der Beatles durch Amerika 1966 sagte, das Christentum befinde sich im Niedergang und die Beatles seien „populärer als Jesus“. Maß er sich selber als Idol jener Zeit einen gottgleichen Status an?

Man kann nicht umhin, dass hier nicht nur die Institution, sondern auch das Gottesbild angetastet wird. Wer sich selber mit Gott vergleicht, der weist nicht nur Missstände in den Kirchen ab, sondern auch den Glaubensinhalt. Dennoch kann man auch wieder nicht sagen, dass Lennon damit eine generelle Religionskritik betreibt, schon gar nicht für sich selber, wie Yoko sagt: “John war ein sehr religiöser Mensch, der keiner Kirche angehört. Er war in seinem Denken eine Art tiefblickender Priester. Ein Priester, der an das Gute, Gerechtigkeit und Frieden für alle glaubte, und dabei jede Menge Humor hatte“. Sollte es tatsächlich so sein, dass hier einer so weit träumt, dass er sogar alle Bilder von Gott hinter sich lässt?

Es kam in seinem Leben immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den christlichen Kirchen. Doch in seinem Lied geht es ihm nicht darum, die Unterschiede zwischen den Religionen aufzuheben oder wegzuwischen, sondern so weit zu gehen, dass sie gar nicht mehr nötig sind. Das wurde nicht nur negativ, sondern auch positiv missverstanden, wie er berichtet: “Der Weltrat der Kirchen rief eines Tages mit folgender Bitte an: ‘Können wir den Text verwenden und eine kleine Änderung vornehmen: Imagine one religion, anstelle von no religion‘. Da war für mich klar, dass sie es überhaupt nicht verstanden hatten”.

Sein „Glaube“, lässt Differenzen einfach hinter sich zurück. Offensichtlich gilt das sogar für den Unterschied zwischen Gott und Mensch. Ein typisches Statement Lennons weist in diese Richtung: “Es ist eine Welt, ein Volk. Das ist ein Statement und auch ein Wunsch“. Die Wirklichkeit ist immer nach vorne hin offen, bleibt ein Wunsch. Und was man sich wirklich wünscht, ist damit auch schon ein bisschen wahr.

Gegenüber

Natürlich ist das ein gravierender Unterschied zu einer klösterlichen Spiritualität. Was bei Lennon fehlt, ist das Gegenüber, das ganz Andere, zumindest ist es nicht artikuliert. Wer das Heilige völlig ins Profane zieht, hat es dadurch nämlich bereits verloren. Setzt die Rückbindung an das Gute, das Wahre und das Schöne nicht doch das Göttliche voraus? Lennon hat es durchaus gesucht, wie Gary Tillery in seiner spirituellen Biographie über ihn zu berichten weiß: „John beschloss eines Abends im Winter 1966, der von Jesus gegebenen Weisung zu folgen. Zu Hause in Weybridge vor den Toren Londons schloss er sich ins Bad ein, fiel auf die Knie nieder und bat inständig um eine Antwort, ein Zeichen, eine Offenbarung – von Gott, Jesus oder welche andere Gestalt die Gottheit auch annehmen würde –, um einen Wink, dem er entnehmen könne, dass sein Flehen erhört werde, und einen Fingerzeig, in welche Richtung er gehen solle. Doch auf eine Antwort wartete er vergebens“.[iii]

Was hatte er erwartet? Sollte Gott direkt ins Geschehen eingreifen, seinem post-pubertären Gebet Gehör schenken und ihm den Weg weisen? Seine Enttäuschung brachte ihn dazu, sich zu widersetzen und freizuschwimmen. Er probierte die verschiedensten spirituellen Richtungen und Praktiken aus. Der Preis, den er dafür bezahlte, war eine Richtungslosigkeit: „Die Rebellion gegen das System hatte seinem Leben Sinn gegeben. Hingegen hatte er, nachdem es ihm gelungen war, sich aus der Abhängigkeit von diesem System weitestgehend zu befreien, das Gefühl, richtungslos dahinzutreiben“, so Tillery. Lennons Antwort war, sich konsequent auf sich selber zu richten.

„Gott“ war für ihn fortan ein Konzept, das helfen konnte, die eigene Tragik zu ertragen. In einem Song von seinem ersten Soloalbum nach der Trennung der Beatles findet sich eine Zeile, die für viele seinen Atheismus bewies: „God is a concept by which we measure our pain“. Das klingt nach einer Religionskritik im klassischen Sinne. Doch bleibt dann tatsächlich kein Glaube mehr über? Durchaus, denn zwischendurch bekennt er seinen Glauben: „I only believe in me, Yoko and me“. Das Gottesbild erfährt hier eine radikale anthropologische Wende, es wird menschlich. Aber verschwindet es damit? Wird der Mensch damit zu einem Abgott? Die letzte Zeile scheint einen Widerspruch darzustellen: „The dream is over“. Hier geht es ihm nicht um seinen Lebenstraum, sondern um den Traum des Idols, das einen gottgleichen Status bekam: der Beatle John. Wenn all das vorbei ist, welcher Traum bleibt dann noch?

Für Tillery ist der Grundsatz des freien Menschen hier entscheidend: „Lennon geht es hier schlicht und einfach um intellektuelle Eigenständigkeit: Sämtliche Glaubenssysteme und jedwedes Idol zu verwerfen, darauf kommt es ihm an. Das gilt auch und gerade für das Idol, an dessen Entstehung er maßgeblichen Anteil hatte und dem er seine Macht und seinen Einfluss verdankte. Er ist ein freidenkerisches, sich eigenständig orientierendes, autonomes Individuum“. Wird der Mensch dadurch zum einzigen Maßstab? Das wohl eher nicht, denn „Gott“ ist zugleich auch ein Begriff, mit dem der Mensch seinen Schmerz, sein Verlangen ausdrückt. Was wäre nun, wenn beides zutrifft? Wenn der Weg zum eigenen Ich den Weg zu einem Gottesbild öffnet, das eben auch unseren Schmerz und unsere Sehnsucht messen kann? Genau dieses „Messen“ ist es nämlich, was Lennon vielleicht am schmerzlichsten vermisste. So empathisch man seinem Weg in den radikal befreiten Traum auch folgen mag, so bleibt zugleich doch die Frage offen, wie man diesen Traum lernen und leben kann. Genau da beginnt die Religion, die „Rückverbindung“. John wusste das, fand selber aber nicht den Weg.

Lennons „Schule“ ist kein Kloster, er „dient“ keinem Herrn. Oder sollte es wirklich so sein, dass sein Verlangen ihn in die Orientierungslosigkeit trieb und er am Ende genau jenes Gegenüber vermisste, das Menschen wirklich eine Antwort geben kann? Er suchte sie in seiner Frau, im Anderen, und fand sie dort auch.

War sein Traum mit seinem Tod vorbei? Wohl kaum. Denn viele träumten ihn mit ihm, bis heute. Yoko sagte dazu immer wieder: “Ein Traum, den man alleine träumt, ist nur ein Traum. Aber ein Traum, den man gemeinsam träumt, ist Wirklichkeit”.[iv] So auch das Leben von John nach dem Tod. Yoko ließ in Island einen Lichtturm errichten, der jedes Jahr zu Johns Geburtstag erstrahlt. In einer Rede sagte Yoko: „Ich weiß, dass auch John bei uns ist, in diesem Land von Nutopia. Und er ist glücklich, dass nach 40 Jahren der Lichtturm endlich Wirklichkeit geworden ist. So wünschen wir uns etwas, wenn das Licht angeht. Und wir senden uns gegenseitig Licht und sagen uns ›ich liebe dich!‹. John, wir lieben dich!“[v]

Das klingt wie eine Predigt. Yokos Biograph Nicola Bardola interpretiert es wie folgt: „Bemerkenswert sind der predigthafte Duktus ihrer Rede kombiniert mit weltlichen Motiven. Nicht einem Gott gilt der unbedingte Glaube, sondern dem Frieden und der Liebe. Mit durchaus religiöser Rhetorik werden konfessionsfreie ethische Werte vermittelt“. So richtig diese Deutung auch ist, so wird meinem Empfinden nach zu schnell der Eindruck erweckt, dass der Traum von ultimativen Werten einer religiösen Suche entgegenstehen würde. Denn auch ein Mönch träumt von der Ewigkeit, nur tut er dies in einer vorgegebenen, empfangenen Form und inklusive eines Gottesbildes, das mehr ist als ein Konzept. Gott ist für mich das offene Ende unseres Verlangens.

Foto: Stijn Krooshof

Utopie

Wenn Yoko in ihrer Rede von “Nutopia” spricht, dann ist damit ein fiktives Land gemeint, das sie gemeinsam mit John im April 1973 ausgerufen hat. In einer Pressekonferenz bezeichneten beide sich als „Botschafter dieses Landes“. Der Name ist eine Verschmelzung der Wörter „neu“ und „Utopie“. Es geht um „ein neues utopisches Land, das keine Regierung hat, dessen Flagge weiß und dessen Gründungstag der 1. April 1973 ist“. Machen sich die selbsternannten Botschafter eines nicht existierenden Landes nicht lächerlich? Vielleicht. Wie immer bei Lennon ist auch hier eine Prise Humor mit im Spiel. Ist es ein Aprilscherz? Wohl eher eine Art zynische Gesellschaftskritik, die nicht zum Ziel hat, praktische Lösungen für Weltprobleme anzubieten. Er hält die Menschen zum Narren und ist zugleich bierernst.

Es geht darum, die Wirklichkeit aus einem positiven Traum heraus nicht einfach zu akzeptieren, sondern zu verändern. Lennon wurde als Bürger des Landes Nutopia tatsächlich zum “Nowhere Man”, den die Beatles schon Jahre zuvor besungen hatten. Er war in einem Land zuhause, dessen Existenz absurd erschien, das aber durch die Verbindung mit Yoko und allen anderen, die sich dem Land anschließen wollten, Wirklichkeit wurde.

Das ist das Wesen der Utopie, von der Oscar Wilde sagte: “Eine Weltkarte, in der Utopia nicht verzeichnet ist, ist keines Blickes wert, denn sie unterschlägt die Küste, an der die Menschheit ewig landen wird“. Die Ewigkeit kommt automatisch ins Spiel, wenn man die Grenzen der Wirklichkeit utopisch erkundet. Lennon und Ono fügen dem mit ihrer „Staatsgründung“ hinzu, dass die beste Art, Utopie erfahrbar zu machen, die Imagination ist, der Traum.

Anweisungen

Schon 1964 hatte Yoko Ono ein Buch mit “Anweisungen” veröffentlicht, die man beinahe als Regel auffassen kann, wie man jenes Land betritt und bewohnt, ganz wie im Kloster. Eine dieser Anweisungen war die Inspiration für das Lied, das dem Film im Kino seinen Titel gab:

Imagine letting a goldfish swim across the sky.
Let it swim from West to East.
Drink a liter of water

Das klingt verrückt: wie sollte ein Goldfisch fliegen können, und dann auch noch durch den „eisernen Vorhang“ zwischen Ost und West, den es damals noch gab? Alles ist möglich, wenn es Menschen gibt, die sich gemeinsam komplett dafür einsetzen. Sie trinken das Wasser der Realität und heben mit fliegenden Fischen in die Utopie ab. Vielleicht wird diese Utopie niemals Wirklichkeit. Wir werden immer mit der sozialen Ordnung, unserer eigenen Begrenztheit und der der Menschen in unserer Umgebung zu kämpfen haben. Goldfische können nun mal nicht fliegen. Aber das bedeutet nicht, dass wir kein idealistisches Lied singen können, wodurch es irgendwie doch passiert.

Auch das ist die Wirklichkeit: überall, wo Menschen gemeinsam ein soziales Experiment wagen, verändert sich die Welt. Nichts anderes tun John und Yoko. Ihr Lied klingt wie ein Glaubensakt, ein Glaube, der Mauern einreißt. Das hat direkte Implikationen für die Welt, in der wir leben. Tillery vergleicht John darum mit kritischen Philosophen in der Antike: „Ebenso wie Sokrates gibt uns auch Lennon den Anstoß, all das zu überprüfen, was wir gewöhnlich als ganz selbstverständlich ansehen: unsere religiösen Überzeugungen, unseren Nationalismus, unsere besitzergreifende und habgierige Wesensart“.

Aber es geht noch um viel mehr: man muss nicht nur die Verhältnisse ändern, sondern die ganze Lebenswirklichkeit übersteigen. Allzu oft geschieht das nicht, ist weder plausibel noch gewollt: „Wir würden uns stattdessen einfach mehr auf unser Dasein hier und jetzt konzentrieren, da wir uns nun der eigenen Vergänglichkeit bewusst sind, wie auch der Tatsache, dass es weise ist, unser Leben richtig zu leben und es voll auszukosten“, so Lennon. Eine Utopie geht darüber hinaus. Wir tun so, als sei schon Realität, wovon wir träumen. Dann ist es eigentlich schon wahr.

Anders leben

Welcher Mönch würde sich in diesen Gedanken nicht wiedererkennen? Ein Kloster ist auch eine Utopie. Die Regel Benedikts enthält ebenfalls „Anweisungen“, das Gute zu tun. Im vierten Kapitel listet der Mönchsvater vierundsiebzig „Werkzeuge der geistlichen Kunst“ auf. Manche klingen genauso paradox wie die Anweisungen Onos in ihrem Buch. Es gibt aber zwei wichtige Unterschiede: erstens lebt im Kloster eine feste Gruppe von Menschen zusammen, die praktisch umzusetzen versuchen, was wie ein utopisches Ideal erscheint. Zweitens wird die Erfüllung nicht so sehr im eigenen Traum gesucht, sondern vielmehr Gott zugeschrieben. Das letzte der Werkzeuge im Kloster lautet: „An Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln“ (RB 4,74).

Gemeinsam ist Nutopia und dem Kloster der Wille zum anderen Leben, das im Kleinen beginnt und das dann in die Welt ausstrahlt. Im Buch zum Film erklärt Ono diesen Grundsatz: „Denke immer daran, dass jeder von uns die Macht hat, die Welt zu verändern. Macht wirkt auf mysteriöse Weise. Wir müssen gar nicht viel tun. Schau dir den Dominoeffekt an und beginne einfach, Frieden zu denken. Was John und ich damals getan haben, war, die Zukunft positiv zu projizieren. Die Leute sagten: ‘Ihr sei naiv, ihr seid dumm‘. Persönlich hat uns das vielleicht getroffen, so runtergemacht zu werden. Aber was wir taten, wurde dadurch nicht tangiert”. Auch das kennen Mönche nur zu gut. Die „Schule für den Dienst des Herrn“ trifft einen auch persönlich, manchmal bis ins Mark. Aber auch da gilt: Was wir als Mönche tun, wird davon nicht tangiert. Auch nicht, wenn wir uns gegenseitig stumpf finden und die Leute uns für dumm halten. Von selbst geht das auch hinter Abteimauern nicht, denn auch die robuste Form des Klosters ist keine Garantie, tatsächlich sein Leben zu verändern.

Weder bei Lennon und Ono noch im Kloster hat jemals jemand die Erfüllung des Traums selber gesehen. Yoko erklärt, dass sie anfangs durchaus davon ausgegangen waren: “Ich denke, Imagine war auf positive Art und Weise prophetisch. Es ist völlig in Ordnung, dass es schlicht ist und nicht mit der Mode geht. Wir glaubten an den Frieden. Wir hatten große Ambitionen: wir wollten mit eigenen Augen sehen, dass es einen Weltfrieden gibt“.

Ist er gekommen? Global sicher nicht, aber im Kleinen auf jeden Fall. Das Verlangen wird hier und jetzt Wirklichkeit, das ist jedem utopischen Lebensentwurf eigen. Es kann sich jedoch niemals ganz erfüllen. Wir können nichts anderes tun, als immer wieder kleine Schritte zu setzen. Im Kloster und auch unter Friedensaktivisten gibt es viele Enttäuschungen, die zuweilen zu Resignation führen können. Was dann bleibt, ist der Traum von einer besseren Welt – von Gott, so füge ich voll Verlangen und guten Gewissens hinzu.

Gemeinschaft

Das Gutmenschentum Lennons stimmt freilich kaum mit der Wirklichkeit seines eigenen Lebens und seiner Person überein. Wie wäre es, wenn er einmal mit den Gegensätzen im eigenen Leben begonnen hätte? Es ist vielleicht sogar gefährlich, wenn man in einer blauäugigen Lebenshaltung so ungefähr alles von der Hand weist, was einem Halt und Orientierung geben kann. Was ist, wenn es die eine Welt tatsächlich nur in den Träumen einiger Spinner gibt, die dann auch noch andere jeder Orientierung berauben, weil sie alles schwammig vernebeln und Traditionen, die auf Jahrtausenden von Weisheit bewahren, einfach vom Tisch fegen? Das ist mehr als nur naiv, es ist ein Realitätsverlust, ohne eine Alternative anzureichen. Während wir noch über den naiven Traum Lennons nachdenken, klingt weiter seine Stimme aus den Boxen im Kinosaal:

You, you may say I’m a dreamer
But I’m not the only one
I hope someday you will join us
And the world will be as one

Wir spüren, dass für das Träumer-Dasein nur die Gemeinschaft zählt. Ein Mönch befindet sich in einer Gemeinschaft von Träumern, denn er ist selber einer. Der heilige Benedikt sagt in seiner Regel, dass Mönche stets in Gemeinschaft leben müssen, da nur wenige in er Lage sind, als Einzelgänger – Eremiten im monastischen Jargon – zum vollen Leben vorzudringen. Die besten Mönche träumen, so Benedikt, gemeinschaftlich: „Sie leben in einer klösterlichen Gemeinschaft und dienen unter Regel und Abt“ (RB 1,2). Das klingt ganz anders als die Träumerei Lennons, der nun gerade jede Form von Dienen ausschließen möchte.

Kennt er in seiner Weltsicht keine Richtlinien, gerade wenn es um so etwas wie die Gottessuche geht? „Alles, was wir alle versuchen müssen, ist, das Licht anzuknipsen. Jesus, Buddha, Mohammed, Moses, Milarepa und andere Größen verbrachten ihr ganzes Leben mit Fasten, Gebet und Meditation. Sie haben ‘Landkarten’ des Territoriums ‘Gott’ hinterlassen, die wir alle auf unsere eigene Art betrachten und denen wir folgen können“. Die Träume von religiösen Virtuosen sind also zu Leuchtfeuern geworden. Man kann in seinem Leben für jede reale Situation etwas damit anfangen, wenn man sich traut, einen Blick auf die Karte zu werfen, falls man den Weg nicht kennt.

Nur die Beliebigkeit, die Lennon für sich in Anspruch nimmt, scheint der benediktinischen Vision eines Gemeinschaftslebens zu widersprechen. Fehlen dem Sänger vielleicht eine wirkliche Regel und ein echter Abt oder eine Äbtissin? Umgekehrt stellen wir uns als Mönche die Frage, ob nicht gerade der naive Glaube an die kreative Kraft jedes einzelnen im Klosterleben oft fehlt. Verlassen wir uns nicht zu blind auf Regel und Abt?

Beides ist genaugenommen gleichsam naiv. Denn wie kann man sich einer Regel und einem Abt unterwerfen, wenn man nicht daran glaubt, dass das Gute am Horizont leuchtet? Und wie kann man allen Ernstes darauf vertrauen, aus eigener Kraft und aus unterschiedlichsten Quellen eine Route finden zu können, wenn man nicht bereit ist, sich von den großen Meistern etwas sagen zu lassen? Das alles geht nur durch einen gemeinsam geträumten Traum. Dann knipst man das Licht an – wie Yoko das durch das Öffnen der weißen Gardinen in der zweiten Filmszene tat. Wir werden im dunklen Kino beinahe ein wenig neidisch, wenn wir an manchen finsteren Klostergang denken. Doch die Liebe erträgt eben alles, auch die Dunkelheit.

Loslassen

John Lennon zeichnete sich sicher nicht durch ein friedliches und maßvolles Leben aus. Immer wieder stieß er auf die Grenzen seines eigenen Charakters und die Narben aus der Vergangenheit. Zugleich ist sein Traum von einer anderen, besseren Welt durchaus mit der Wirklichkeit verbunden. Wer wirklich im Licht der Ewigkeit leben will, muss das Leben hier und jetzt zu schätzen wissen und verändern. Das ist unsere Verantwortung, aber es steht auch in unserer Macht: “Power to people”, wie einer seiner Titel lautet. Einfach ist das jedoch nicht. Die Realität holt einen doch immer wieder ein.

Im Kinosaal erklingt just in dem Moment, als uns diese Gedanken durch den Kopf gehen, die nächste Strophe, mitten in seiner Riesenvilla mit einem eigenen Park und sogar einem See. Wir schauen gebannt auf die Leinwand und summen leise mit:

Imagine no possessions
I wonder if you can
No need for greed or hunger
A brotherhood of man
Imagine all the people sharing all the world

Die menschliche Schwäche zeigt sich darin, dass Lennon gleich zu seinem Aufruf zur Besitzlosigkeit hinzufügt: „Ich frage mich, ob du das kannst“. Können wir wirklich loslassen? Eine berechtigte Frage, bei der er sich selbst nicht ausschließen sollte, so oft er sich auch zynisch mit religiösen Virtuosen verglich. Für ihn wuchs das Geld auf Bäumen. Er kommt selber darauf zu sprechen, auf die gewohnt spöttische Art: “Man kann von seinem Besitz unabhängig sein, ohne in einer Kutte herumzulaufen. Besitz kann sich im Kopf befinden. Ein Mönch, der sich in eine Höhle zurückgezogen hat, und nur von Sex, Alkohol und Essen träumt, ist vielleicht in einer viel schlechteren Position als ich, der das Geld in der Hosentasche trägt“. Im Film fasziniert dieses Paradox. Aber ist es nicht eigentlich der blanke Hohn? Als Mönch könnte man sich neidisch all jene Besitztümer anschauen. Aber auch Mönche sind nicht besitzlos, müssen immer wieder aufs Neue loslassen.

Ob man nun viel oder wenig besitzt, entscheidend ist, wie man damit umgeht. Darf man dabei zynisch werden, wie Lennon anscheinend ist? Zynismus ist in unserem Sprachgebrauch keine positive Eigenschaft. Aber wenn man sich die philosophische Bedeutung des Begriffs vor Augen führt, dann geht es nicht um einen ätzenden Pessimismus. Vielmehr ist der Zyniker im ursprünglichen Sinne jemand, der egoistische Motive seiner Mitmenschen entblößt, indem er politische Macht und soziale Konventionen abweist. Wenn man dann zu verzweifeln oder verbittern droht, braucht man Idealismus. Daher ist es auch kein Zufall, dass Lennon zuweilen als „zynischer Idealist“ bezeichnet wird.

Die innere Haltung, unsere Ideale zu leben, ermöglicht es uns zuweilen, dass die Welt es als zynisch und scheinheilig ansieht, wie wir uns gebärden. Kann das ein Grund sein, die Ideale loszulassen? In der Abtei stellen wir uns diese Frage auch. Im beschützten Raum ist es einfach, von der Liebe und vom Weltfrieden zu träumen. Unter der Oberfläche ist es für den Idealisten aber vielleicht auch schwieriger als für den Realisten, mit der eigenen Unvollkommenheit zu leben. Im Kloster muss man dann immer wieder Kraft aus dem eigenen Innern und den Mitbrüdern schöpfen, um weiter das letztliche Ideal anstreben zu können.

Wiederum merke ich, dass die humanistische Weltsicht Lennons vieles mit meinem eigenen Gottesbild gemeinsam hat, den letzten Horizont des Verlangens jedoch unartikuliert lässt. Ich bin froh, das Wort „Gott“ in meinem Wortschatz zu haben, weil es den zynischen Idealismus davor bewahrt, allzu zynisch im landläufigen Sinne zu werden.

Liebe

Wirklich freie Menschen leben aus ihrem Innern. Sie öffnen sich so radikal für die Liebe, dass sie die Welt, den anderen Menschen und sich selbst mit anderen Augen sehen. Wer wirklich liebt, braucht seine Fehler nicht zu verbergen und wird sich auch nicht darum bemühen. Die Liebe ist letztlich der einzige Realitätsgewinn, den es gibt. Die Gefahr des Selbstbetrugs ist jedoch überall auf der Welt riesengroß. Menschen sind mehr mit ihrer Fassade beschäftigt als mit ihrem Innern. Was ihre Verwundungen und Narben von innen betrifft, ist das jedoch unmöglich, so singt John Lennon im zweiten Lied seines Imagine-Albums:

You can wear a mask and paint your face
You can call yourself the human race
You can wear a collar and a tie
One thing you can’t hide
Is when you’re crippled inside

Die größte Herausforderung des menschlichen Miteinanders besteht darin, seine Schwächen und Verkrüppelungen mit anderen teilen zu können. Benedikt nennt das die „Bruder- bzw. Schwesternliebe“ (RB 72,8). Es erfordert ein hohes Maß an menschlicher Reife und Vertrauen, sich gegenseitig mit seinen Schwächen akzeptieren und sogar umarmen zu können. Das Lied fügt dem eine andere Facette hinzu: auch wenn man dieser höchsten Liebe aus dem Weg gehen wollte, würde es trotzdem nicht klappen. Die „Schule“, die man durchlaufen muss, bedeutet, sich vor allem nicht verkriechen zu wollen.

John sagt dazu: „Menschen verstecken sich die ganze Zeit voreinander. Jeder hat Angst, etwas Nettes zu jemandem zu sagen, denn diese Person könnte ja nichts Nettes erwidern oder einen gar verletzen. Jeder putzt sich heraus und baut ständig Mauern um sich herum. Alles, was man versuchen kann, ist, diese Mauern abzubrechen und zu zeigen, dass man überall nur Menschen begegnet. Es ist, als würde man in den Spiegel schauen“. Der Zynismus weist uns auf unsere eigene Verblendung hin. Hier wird also besungen, dass man sich in Liebe begegnen muss. Dann ist es nicht mehr schlimm, dass die eigenen Schwächen sichtbar werden. Schon wieder eine Utopie? Vielleicht, aber eine, die es sich lohnt anzustreben.

Auch ein geistlicher Weg im Kloster schützt einen übrigens nicht vor Realitätsverlust durch Selbstbetrug. Gerade wenn man sich hinter religiösen Formen verbirgt, kann das sehr schnell dazu führen, dass man sich einigelt und sich schon gar nicht vor anderen bloßstellen will. Dann betrügt man, so sage ich als Mönch, nicht nur sich selber, sondern auch den lieben Gott, der die Schwächen sowieso schon kennt. Lennon hält auch religiösen Menschen einen zynischen Spiegel vor:

You can go to church and sing a hymn
You can judge me by the color of my skin
You can live a lie until you die
One thing you can’t hide
Is when you’re crippled inside

Yoko Ono sieht in diesem Lied vor allem einen Appell: “Das nächste Mal, wenn du einen Fremden triffst, denke daran: Es ist bei ihm wie bei einem Fenster, das eine andere Form hat, als du es bei dir selber erwartest. Die Person, die drinnen sitzt, bist aber doch du selbst”. Die Einsicht, dass man sich im anderen Menschen immer selber begegnet, wenn man ihn liebt, ist der echte Weg zur Liebe. Man kann seine eigenen Augen für andere nur öffnen, wenn man sich selber nicht verbirgt. Gegen Ende das Albums singt John über diese sehend machende Liebe, die er mit Yoko teilt:

Oh my love for the first time in my life
My eyes are wide open
Oh my love for the first time in my life
My eyes can see
I see the wind, oh I see the trees
Everything is clear in my heart
I see the clouds, oh I see the sky
Everything is clear in our world

Nur durch die Liebe wird die Welt klar und kann man ihre Größe erleben. Man nimmt sie mit ins eigene Innere. Gott kann man dann auch in der Realität erkennen, auch wenn Lennon dieses Wort freilich nicht verwendet. Er erklärt: “Wir haben herausgefunden, dass die Liebe ein großes Geschenk ist, wie eine kostbare Blume. Man muss sie gießen und sich um sie kümmern. Sie geht durch Stürme und Schnee, aber man muss sie beschützen. Wenn zwei von euch zusammen sind, gibt es nichts, was euch passieren kann. Ihr habt die Macht von zwei Menschen, ihr habt den Schutz. Ihr braucht keine Gesellschaft, keine Uniform und auch kein Gewehr. Ihr habt die Kraft von zwei Seelen. Wenn du auf dem Abstellgleis bist, glaubst du daran, und wenn du im Dunkeln bist, glaubst du es auch. Die Liebe hat mich daran erinnert, dass es Licht gibt. Wenn man das einmal erkannt hat, will man nicht zurück in die Dunkelheit”. Diese Erleuchtung ist der wahre Identitätsgewinn.

Die Liebe öffnet auch für uns Mönche den Weg der Gottessuche, und um nichts anderes geht es. Nach dem Kinobesuch gehen wir nach Hause, zurück ins Kloster. Es fühlt sich komisch an, als wir auf einmal wieder diese andere Welt betreten. Suchen wir nach „fliegenden Fischen“? Erwarten wir doch stiekum Menschen, die in Frieden leben und keine Grenzen, keinen Besitz und nicht einmal mehr religiöse Vorschriften benötigen? Ein schöner Traum. Betreten wir den „Un-Ort“?

Wir träumen von einer Landkarte des Klosterlebens, die uns alle in unserer Gemeinschaft wieder zu Träumern werden lässt, und mit uns die vielen, die zu uns kommen. Träumer, die Gott suchen, und die sich wie John und Yoko trauen, Nutopia zu betreten. Allen Unterschieden zum Trotz, inklusive positiv zynischer Untertöne und der Naivität, die dafür nötig ist. Morgen schon wird die Welt ganz anders aussehen. Dann bin ich froh, dass die „Schule“ des Klosterlebens mich wieder in die Realität zurückholen wird. Möge es eine verträumte Realität sein. Komisch, wie man von einem scheinbaren Atheisten auf klösterliche Gedanken gebracht werden kann. Wir knipsen das Licht an, sobald die Klosterpforte hinter uns ins Schloss gefallen ist. Draußen ist es schon dunkel.

 

Nähere Informationen zum Buch: https://www.randomhouse.de/Paperback/Lebenslieder/Thomas-Quartier/Koesel/e560928.rhd

 

[i] Die Lieder sind dem gleichnamigen Album entnommen: John Lennon, Imagine. Remaster. London: Universal Music 2018.

[ii] Jon Lennon & Yoko Ono: Imagine John Yoko. London: Thames & Hudson 2018, 30.

[iii] Gary Tillery: John Lennon – Across the Universe. Die spirituelle Biografie. Stuttgart: Nymphenburger 2010, 18.

[iv] Yoko Ono: Grapefruit. A Book of Instructions and Drawings. New York: Simon & Schuster 2000.

[v] Nicola Bardola: Yoko Ono – Die Biographie. München: Langen Müller 2012, Kindle Pos. 3139.

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