Kam ein Virus in die Welt

 In FEATURED, Politik, Wirtschaft

Oder: Der große Showdown zwischen Virus und Virus. Betrachtet man den Begriff “Virus” einmal in einem erweiterten Sinn – als etwas, das sich ausbreitet und immer mehr Bereiche infiziert -, so ist Geld vielleicht das schlimmste Virus aller Zeiten. Im Gegensatz zu Corona hat es schon jetzt fast alle und alles befallen. Der Autor lädt uns hier zu einem überaus interessanten Gedankenspiel ein. Und er erwägt eine Szenario, das sogar Hoffnung schenken könnte: das Ende des herrschenden Geldsystems. Markus Pühringer

  1. Die Genese:

Vor gut 5.000 Jahren kam ein Virus in die Welt.

  • Wie das Coronavirus hat es an einem Ausgangspunkt begonnen.
  • Wie das Coronavirus bemächtigt es sich eines Wirtes.
  • Wie das Coronavirus wächst es mit exponentieller Geschwindigkeit.
  • Wie das Coronavirus verbreitet es sich über die Welt.
  • Wie das Coronavirus brachte es Angst und Schrecken in die Welt.
  • Wie das Coronavirus ist es weitgehend unsichtbar.
  • Wie das Coronavirus verändert es das Verhalten der Menschen.
  • Wie das Coronavirus provoziert es die Bildung von Abwehrkräften. (Doch die konnte dieses Virus scheinbar immer wieder aushebeln.)

Nun ich rede vom Geldvirus.

Vor gut 5.000 Jahren ist dieses Geldvirus entstanden. Es waren besondere Umstände, die es entstehen lassen haben. Es ist entstanden, als die Nachfrage nach Metall groß war und Metall gleichzeitig Geld war. Wie genau auch immer die Rahmenbedingung für das eigene Entstehen waren: Das ist – wie beim Coronavirus – eigentlich nebensächlich.

Ausgangspunkt für das Geldvirus waren die damaligen Handelszentren: Zweistromland, Ägypten und Südtürkei. Das Virus setzte sich auf das Elementarteilchen des Handels: das Geld. Seither wird aus Geld – ohne eigene Leistung – mehr Geld. Landläufig nennt man das Zins. (Wobei die Begrifflichkeit „Zins“ heutzutage verwirrend ist. Unser „Zins“ liegt zum Beispiel beim Sparbuch schon seit Jahren bei Null Prozent. Relevant ist jedoch die durchschnittliche Kapitalrendite („Reichtumsprämie“). Die liegt seit Jahrhunderten ziemlich konstant bei 5 Prozent (real!). Im Altertum (Griechen, Römer) lag er bei 10 Prozent. (vgl. die sprachliche Nähe von Zehent/Zehntel).)

Wie das Cornavirus bemächtigt sich das Geldvirus eines Wirtes:
Das Geldvirus an sich wäre vielleicht noch harmlos gewesen. Doch weil Geld ja dazu da ist, die Warenwerte zu messen, hat sich der Virus sofort vom Geld auf die Waren übertragen. Das Geldvirus infizierte also ganz rasch alles, was mit Geld gemessen wird; also die gesamte Warenwelt: sprich Produktion von Waren und (Real-)Vermögen. Weil sich das Geldvirus auf die Warenwelt übertragen hat, „muss“ nun auch in der Warenwelt dieses Wachstum erwirtschaftet werden. Oder anders ausgedrückt: In der Warenwelt „muss“ seither in den Buchhaltungen auch das Geldvirus (= die Kapitalrenditen aufs eingesetzte Kapital) mitkalkuliert werden. Ansonsten wäre eine Warenbesitzerin ja blöd.

Wie das Coronavirus wächst das Geldvirus (und die davon infizierten Waren) exponentiell:
Natürlich wächst das Coronavirus viel schneller: Am Beginn wuchs das Coronavirus mit mehr als 10 Prozent pro Tag. Dagegen sind 5 bzw. 10 Prozent pro Jahr beim Geldvirus lächerlich wenig. Doch die innere Logik von exponentiellem Wachstum, Verdoppelungsraten, Ausbreitungsdynamik gilt für Corona- und Geldvirus in gleichem Ausmaß. Der Unterschied ist: Das Coronavirus hat sich binnen Monaten über die ganze Welt ausgebreitet. Der Geldvirus brauchte dafür schon Jahrhunderte bzw. Jahrtausende. (Vielleicht ist diese vergleichsweise langsame Entwicklung jedoch noch heimtückischer, weil sie dann gar nicht mehr so augenscheinlich auffällt.)

Wie das Coronavirus brachte das Geldvirus Angst und Schrecken über die Welt.
Dazu muss man nur das Virus etwas genauer studieren. Denn was passiert, wenn sich das Geldvirus verbreitet:

  • Geld bzw. alles, was zu Geld gemacht werden kann, ist infiziert.
  • Profitieren tun (in materieller Hinsicht) diejenigen, die Geld (bzw. in Geld eintauschbare Werte) ihr Eigentum nehmen.
  • Folge 1: Eigentum und (Privat-)Besitz werden belohnt. Sie werden fürstlich belohnt. (Bei 10 Prozent Zins verdoppelt sich jeder Geld/Wert-Betrag in sieben Jahren.) –> Besitzdenken breitet sich also aus (HABEN wollen!) -> Die unmittelbare Folge sind Konkurrenzdenken, Konflikte und Krieg
  • Folge 2: Es besteht ein großer Anreiz, alles zu Geld machen, was zu Geld gemacht werden kann: Natur, Gemeineigentum, eigene/fremde Arbeitsleistung. -> Die unmittelbaren Folgen sind Raub, Diebstahl und Instrumentalisierung/Verdinglichung der Natur.
  • Folge 3: Not und Elend: Die, die nichts haben (oder denen ihre Lebensgrundlagen geraubt wurden), haben nur noch die eigene Arbeitskraft, die immer mehr ausgebeutet wird. Gleichzeitig steigen die Preise für Waren, weil das Geldvirus (Kapitalrendite) miteinkalkuliert werden müssen. -> Einige werden sehr reich (und werden leistungslos immer noch reicher). Der Großteil verarmt bzw. verelendet. (Denn das Virus kennt keine Grenze -weder nach oben noch nach unten)

Wenn man das weiß, überrascht es wohl kaum, dass die Zeit, in der sich das Geldvirus ausgebreitet hatte, von folgenden Phänomenen begleitet war (vgl. Gräber 2012):

  • Unheimliche Konzentration von Reichtum auf der einen Seite: Prunkbauten, Paläste, Tempel, riesige Grabanlagen und Pyramiden (also das, was „wir“ oft als Beginn der „Zivilisation“ bezeichnen)
  • Explosion von Gewalt und Krieg: Wehranlagen entstehen, Waffen werden produziert, Konkurrenz (um Besitztümer) wird zur zentralen Denklogik der Moderne. (statt der bis dahin selbstverständlich gepflegten Kooperation, die vermutlich viel mehr unserer menschlichen Natur entspricht)
  • Explosion von Elend: Der Großteil der Menschheit erlebt diese Phase als Ausbeutung und Unterdrückung. Sklavenhaltung und Arbeitspflicht breitet sich aus. (Oft versucht man sich dem durch Flucht (ins Nomadentum zum Beispiel) zu entziehen. Prominentes Beispiel: Flucht der Israelitinnnen aus Ägypten)
  • Herrschaft/Patriarchat: Archetypisch ist es in der Natur so, dass das Männliche sich verschenkt, um Leben hervorzubringen (Samen). Das Weibliche empfängt, um Leben hervorzubringen (Eizelle).
    In einer Welt, in der das Geldvirus sein Unwesen treibt, muss das Archetypisch-Männliche lernen, dass der Modus „Verschenken“ ins Verderben führt. Stattdessen wird die/der reichlich belohnt, die/der „besitzt“/“behält“. Wer nichts „besitzt“, droht in einer solchen Welt unterzugehen. Also fangen v.a. die Männer an zu besitzen und zu rauben: zuerst Geld, dann Waren, dann Land, schließlich auch Frauen, Sklaven und Kinder. Herrschaftssysteme entstehen. (Freilich steckt Archetypisch-Männliches in Männern und Frauen. Historisch gesehen ist es jedoch so, dass viel mehr die Männer diese Logik übernommen haben.) Das Virus infizierte also das Handeln und Denken der Menschen.
  • Entfremdung: In einer Welt, in der das Geldvirus sein Unwesen treibt, werden wir angehalten, immer mehr das zu tun, was die Geldlogik will: Wir verbringen die meiste Zeit des Tages mit Tätigkeiten, bei denen wir Geld verdienen (was meist nicht das ist, was wir wirklich gern tun). Wir verzichten auf vieles, was das Leben lebenswert macht (qualitätsvolle Verbundenheit zu anderen Menschen und zur Natur, Zeitwohlstand). Wir haben mittlerweile die allermeisten gesellschaftlichen Institutionen (Arbeit, Wohnen, Bildung, Gesundheit, etc.) an die Logik des Geldvirus angepasst. Viele von uns glauben mittlerweile schon, dass das Geldvirus Teil unserer menschlichen Natur ist.Wie das Coronavirus ist das Geldvirus wie unsichtbar.

Für die meisten Zeitgenoss*innen ist es mittlerweile wohl so, dass sie glauben, dass das Geldvirus zum Menschsein bzw. zum Wirtschaften dazu gehört.

  • Es ist völlig normal, dass wir Zinsen aufs Sparbuch bekommen bzw. ärgern wir uns, wenn das nicht der Fall ist. (Die Folgen dieser Logik sind für die meisten nicht erkennbar.)
  • Wir meinen die Wachstumsdynamik der Wirtschaft bzw. die Verdinglichung der Natur sei auf die Gier der Menschen zurückzuführen. (Die meisten Menschen verstehen nicht, dass dahinter eigentlich die Wachstumslogik des Geldvirus steht.)
  • Wir begreifen nicht, dass das Geldvirus Tag für Tag von der Masse der Bevölkerung zu den Reichen umverteilt (über die Kalkulation in den Preisen bzw. die Ausbeutung der Arbeit). Die Folge ist zwangsläufig eine immer größere Konzentration von Vermögen und Einkommen. (Dass das mit dem Geldvirus zu tun hat, ist den meisten wohl nicht bewusst.)

Offenbar ist es mittlerweile so, dass wir uns so an das Leben mit dem Geldvirus gewöhnt haben und unsere Konsum- und Arbeitswelt so darauf eingerichtet haben, dass es Angst in uns auslöst, wenn es verschwinden würde. (Nun, vielleicht beruhigt es dich: Ich will nicht das Geld wegnehmen, ich will nur das Virus, das sich auf das Geld gesetzt hat, lieber früher als später loswerden.)

Wie das Coronavirus hat das Geldvirus das Verhalten der Menschen verändert.
Und zwar sehr nachhaltig: Wir haben mittlerweile unsere Arbeits-, Wohn- und Konsumformen ganz auf das Leben mit dem Geldvirus umgestellt. Das hat zwar auf der einen Seite ungeahnten Reichtum an Geld und Waren geschaffen. Es verursacht aber gleichzeitig viel Leid: Armut und Elend, Entfremdung und Naturzerstörung. Obwohl vielen dieses Leid bewusst ist, hat man Angst vor Veränderung. Offenbar gilt auch hier der Satz: „Leiden ist einfacher als Veränderung.“ (© Bert Hellinger)

Wie das Coronavirus hat das Geldvirus Abwehrkräfte provoziert.
Da scheint es jedoch schon einen kleinen Unterschied zu geben. Denn beim Coronavirus scheint es so zu sein, dass die gebildeten Antikörper gegen das Virus immun machen: Wenn der Körper das einmal gemacht hat, dann ist die Krankheit besiegt. Das war und ist beim Geldvirus etwas anders: Von Beginn an haben menschliche Gesellschaften Strategien gegen die Ausbreitung des Virus entwickelt. Das prominenteste ist das Zinsverbot, aber auch Schuldenstreichungen und Vermögensausgleich. Damit haben schon die alten Sumerer begonnen. In sämtlichen Weltreligionen finden sich die Zinsverbote wieder: Judentum, Christentum, Islam; ja auch im Buddhismus. Neue Ansätze finden sich in der Idee von einer Geldreform (Silvio Gesell, Michael Unterguggenberger), die das Geldsystem beibehalten, jedoch die verheerende Wachstumsdynamik des Virus unterbinden wollen. Das Wachstum des Geldvirus soll durch einen gleichgroßen Abfluss vom Geld in Balance gehalten werden. (Eine bestechende Idee, wie ich finde.)

Nur: Diese Abwehrkräfte wurden bisher immer wieder umgangen bzw. von den Mächtigen außer Kraft gesetzt. Und heutzutage ist es – jedenfalls in unserem ach so christlich-jüdischem Abendland – sehr ruhig um diese Abwehrkräfte geworden.

  1. The final Showdown
    Könnte es vielleicht sein, dass das Coronavirus das Geldvirus besiegt?
    An sich glaube ich, dass das Coronavirus gegen das Geldvirus keine Chance hätte, denn das Geldvirus halte ich für sehr mächtig. Es hat sich seit Jahrtausenden in der Welt ausgebreitet und die Welt (und damit das Handeln und Denken der Menschen) nach seiner Logik umgestaltet. Es hat Herrschaftssysteme geschaffen und etabliert. Es hat die gesamte Wirtschaftsordnung nach seinen Prinzipien organsiert. So einfach lässt sich das Geldvirus nicht aus der Bahn werfen.

Das Geldvirus war da in der Vergangenheit recht kreativ und hat immer neue Formen der Ausbreitung gesucht und gefunden. Die wichtigsten sind wohl:

  • (Internationale) Ausbeutung der Arbeit
  • Raub, Diebstahl bzw. Zerstörung von anderem (fremden) Kapital (Stichwort: Konkurrenz und Kriege)
  • Globalisierung (also die Geldlogik in die ganze Welt hinaustragen),
  • Verdinglichung der Welt (Stichwort: Umweltzerstörung),
  • Totalisierung (Geld dringt immer mehr zum zentralen Kommunikationsmittel der Gesellschaft)
  • Verschuldung (Zukünftiges Einkommen wird jetzt schon kapitalisiert)
  • Bildung von fiktivem Kapital (sprich: Blasenbildung – „quanitative easing“ der Notenbanken)

Was aber, wenn das Geldvirus nun faktisch den gesamten Wirt (sprich unsere gesamte globale kapitalistische Gesellschaft) befallen hat. Was aber, wenn es nichts Nennenswertes mehr gibt, wo sich der Geldvirus noch weiter ausbreiten könnte?

Wenn das so wäre und nun das Coronavirus nicht bloß einen Stillstand, sondern sogar eine globale Rezession bewirkte? (Der IWF spricht am 14.4. von einer Rezession von 3 Prozent (global) und mehr als 6 Prozent (Industrieländer).) Dann könnte es für das Geldvirus wirklich eng werden. Denn das, was das Geldvirus ganz schwer aushält, ist Stillstand. Und genau das (bzw. noch schlimmer: eine Schrumpfung) droht nun durch die Quarantänemaßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Damit steht die Logik des Coronavirus (Schrumpfen, Stillstand) gegen die Logik des Geldvirus (Wachstum). (Interessanterweise hat das Geldvirus perfekte Ausbreitungsbedingungen für das Coronavirus geschaffen. Die globale Arbeitsteilung (besser: global organisierte Ausbeutung der Arbeit) hat eine Infrastruktur geschaffen, die die Ausbreitung des Virus in Wochen ermöglicht. Das hätte zu früheren Zeiten viel länger gedauert.)

Nun: Für das Geldvirus wäre das weiter nicht schlimm, wenn es genug anderwärtige Betätigungsfelder (andere Wirte) hätte. Wenn das Geldvirus jetzt irgendwo anders weiterwachsen könnte, wäre so eine Auszeit leicht zu verkraften. Doch das scheint nicht mehr der Fall zu sein.

Das Geldvirus war offenbar so erfolgreich und hat die ganze Welt erobert. Doch der Moment des größten Siegs bedeutet vielleicht nun gleichzeitig das Ende. Denn es sieht so aus, als ginge es nun nicht mehr weiter. Es bleibt nur noch die Implosion.

Es erinnert ein wenig an den Turmbau zu Babel. Das Gebäude (der Turm) sieht zwar nach außen hin noch immer riesig und imposant aus, doch hinter den Kulissen ist es sehr brüchig und fragil (in ökonomischen Ausdrücken: hohe Verschuldung, Bildung einer riesigen globalen Finanzblase, usw.). Sehr vieles, das früher noch Stabilität (weil es außerhalb der Geldsphäre war) ist weitgehend in die Geldlogik integriert:

  • Die Ausbeutung der Arbeit ist schon sehr weit fortgeschritten und mittlerweile global organisiert. (Recht viel mehr Ausbeutung geht sich wohl nicht mehr aus.)
  • Die Natur ist weitgehend verdinglicht. (Sehr viele neue Ländereien und Rohstoffe, die noch nicht in Wert gesetzt sind, gibt es wohl nicht mehr.)
  • Die Geldsphäre ist in viele gesellschaftliche Bereiche vorgedrungen, die früher der Geldlogik noch entzogen waren (z.B. Medizin, Pflege, Kinderbetreuung, Landwirtschaft) (Kurzfristig sind da kaum noch Ausweitungsbereiche in Sicht.)
  • Die Verschuldung hat schon riesige Ausmaße angenommen (global über 300% des BIP).
  • Die Blasenbildung auf den Aktien- und Immobilienmärkten hat in den 2010er Jahren bunte Blüten getrieben. (Sowohl bei Aktien als auch Immobilien haben sich die Preise in den 2010er Jahren mehr als verdoppelt. Das globale BIP ist in der Zeit allerdings „nur“ um gut 40 Prozent gewachsen.)

Was nun? Könnte es sein, dass das eine Virus (Corona) dem anderen (Geld) den Garaus macht?

Hier noch ein Zwischengedanke: Eine regionale Kreislaufwirtschaft, die im Einklang mit der Natur stehen würde, hätte vermutlich wenig Problem mit solchen Quarantänemaßnahmen. Die Pflege von Garten und Landwirtschaft kann relativ einfach organisiert werden, auch wenn wir Abstand zueinander halten. Die Natur wächst auch, wenn wir Abstand halten. Und, wenn eine Ernte mal um sieben Prozent geringer ausfällt, so fällt das wohl gar nicht wirklich auf. Jedoch: Eine so hochkomplexe, arbeitsteilige und auf ständigem Wachstum basierende Wirtschaftsform wie wir sie heute haben erschüttern diese Quarantänemaßnahmen bis aufs Mark.

Doch zurück zum aktuellen Match: Virus gegen Virus.

Erleben wir gerade den finalen Showdown?
Es schaut ein wenig so aus. Nun, natürlich kann niemand den genauen Zeitpunkt vorhersagen. Das System ist viel zu komplex als dass genaue Prognosen möglich sind. Vielleicht ist es auch so, dass es in diesem Jahr noch nicht so weit ist. Vielleicht schafft das Geldvirus – und mit ihm das kapitalistische Geldsystem – noch einmal die Kurve. Derzeit (Mitte April) schaut es ja ein wenig danach aus: Die Implosion auf den internationalen Aktienmärkten konnte abgewendet werden. Die Aktienmärkte gehen – wohl auch aufgrund der massiven Interventionen von Staaten und Nationalbanken – wieder nach oben. Ich zweifle jedoch, wie nachhaltig das ist.

Vielleicht ist es auch so, dass das Geldvirus nochmals einen Wirt findet, den es aussaugen kann und den ich in meinen Überlegungen übersehen habe. Doch ehrlich gesagt: Es schaut nicht so aus.

Und selbst, wenn es der Fall wäre und das System kriegte nochmals die Kurve: Ist es nicht hoch an der Zeit, diesen Geldvirus ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit zu bringen? Ist es nicht hoch an der Zeit über die Stärkung der Abwehrkräfte zumindest einmal nachzudenken?

Ich frage mich schon seit Jahren stelle:

  • Warum ist es auch für kritische Geister so schwierig, die Tatsache der leistungslosen Vermehrung von Kapital zu kritisieren? (Obwohl sie eine zentrale Ursache für Einkommens- und Vermögenskonzentration ist, obwohl sie eine zentrale Ursache für die Klimakatastrophe ist, obwohl sie eine zentrale Ursache für Entfremdung ist, usw.)
  • Glaubt man (mir) nicht, dass das eine wesentliche Ursache für all diese Entwicklungen ist? (Ich glaube ja, es ist DIE zentrale Ursache dafür.)
  • Ist es ein wenig wie mit der kopernikanischen Wende? Wenn man sich ein Leben lang die Welt als Scheibe vorgestellt hat, dann fällt es schwer, sie sich als Kugel vorzustellen; selbst wenn alle Argumente dafür sprechen. Also: Wenn man ein Leben lang mit diesem Geldsystem und all seinen Institutionen (Staat, Bildungs-, Gesundheits-, Erziehungssystem, Infrastruktur, etc.) gelebt hat, fällt es dann so schwer, sich das Geldvirus als den Kern des Übels vorzustellen?
  • Fürchtet man Blasphemie zu betreiben? Mit der Kritik am Geldvirus greift man freilich das Herz der kapitalistischen Geldordnung an. Offenbar ist es einfacher, die Götter der herrschenden(!) Religionen zu kritisieren, als den Gott des Kapitalismus.
  • Fürchtet man sich, weil man damit die herrschenden(!) Mächte und Gewalten fundamental in Frage stellt?
  • Fürchtet man sich, dann nicht mehr ernst genommen zu werden?
  • Schafft man es nicht, weil man vielleicht selbst ein paar Wertpapiere hat und auf deren Rendite spekuliert? (Wenn das der Fall ist, denkt man jedenfalls nicht sehr weit, weil wir alle mit jedem Produkt, das wir für Geld kaufen, diese Reichtumsabgabe (Kapitalkosten) mitzahlen.)
  • Oder auch: Warum kommt aus den Religionen so wenig? Warum sagen die nicht: „Ja, genau, dass steht schon in unseren heiligen Schriften, dass es keinen Zins (Kapitalrendite, Reichtumsprämie, oder welcher Name auch immer) geben soll!“? Im Mittelalter haben die Theologen[1] noch argumentiert, mit Zinsen (also der leistungslosen Vermehrung von Kapital) stehle man Gott die Zeit. – Wo sind die Theologinnen, die das heute tun?

Also: Völlig egal, ob der Geld-Kollaps im Jahr 2020 kommt oder nicht: Die Frage nach den Abwehrkräften gegen das Geldvirus stellt sich sowieso. Ich finde, es ist hoch an der Zeit, sich über das Geldvirus, seine Folgen und seine Bekämpfung ernsthaft Gedanken zu machen.

Kollaps 2020?

Nun: Zurück zum April 2020. Wie gesagt: Ich gebe dem Geldsystem ja nicht mehr so große Chancen, dass es nochmals die Kurve kratzt. Bleibt noch die Frage: Was passiert genau, wenn das Geldsystem kollabiert?

Ich habe keine Ahnung, wie die Implosion genau verlaufen wird: Vermutlich in der Folge: Insolvenzkrise der Unternehmen -> Bankenkrise -> Staatenkrise -> Geldkrise (und alles miteinander verschränkt.)

Interessant ist vielleicht auch hier nochmals der Blick auf den Turmbau zu Babel. Diese Geschichte endet in der Bibel nicht mit der großen Apokalypse, sondern mit der Aussage, dass die Menschen über die Erde verstreut wurden und aufhörten an der Stadt weiterzubauen. Also vielleicht finden wir uns bald in einer Situation wieder, wo wir mehr über die Erde verstreut leben (und nicht so konzentriert in den Städten) und das Städte-Bauen (als Ausdruck für das Handeln in der Logik des Geldvirus) aufgeben.

Vorerst bleibt nichts anderes als Abwarten und Teetrinken. Und dabei in guten Kontakt mit sich selbst kommen: Also Vertrauen in die eigenen inneren Kräfte gewinnen bzw. neu tanken. Ich bin überzeugt: Wir werden gut durch die Krise kommen, wenn wir drei Dinge lernen

  • das zu tun, was sich jeweils stimmig anfühlt
  • sich gut verbunden fühlen (mit anderen Menschen und der Natur)
  • auf die unheimliche Fülle der Natur vertrauen

Was die Transformationsphase angeht, so könnte man sich an den Seligpreisungen des Jesus orientieren. Diese drei Seligpreisungen wurden in der Originalquelle genannt:

  1. Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
    (Ich übersetze mit: Glücklich werden die sein, die wissen, dass sie nichts besitzen. Letztlich gehört alles nur Mutter Erde (nenn es meinetwegen auch Universum, Natur oder Gott).
    Wenn das Geldsystem wirklich einbricht, dann werden wir alle die konkrete Erfahrung machen, dass wir nichts mehr besitzen: Die Finanzvermögen sind dann sowieso weg. Die Realvermögen (Wohnung, Auto, Produktionsanlagen, etc.) werden an Wert unheimlich verlieren, weil auch der Handel (und damit die Voraussetzungen, damit diese Dinge funktionieren) im Zuge des Kollapses des Geldsystems weitgehend einbrechen wird.
    Also: Auch wenn es schwerfällt: Versuche dich vom Gedanken zu lösen, dass dir irgendetwas Materielles noch gehört. Das war und ist Ausdruck einer Illusion, denn letztlich ist uns alles von Mutter Erde geschenkt. Wenn es so etwas Ähnliches wie Besitz dann noch gibt, dann gehört es dir nur noch gemeinsam mit der Gruppe, mit der du zusammenlebst (in Gruppen von 100-200 Personen). Privatbesitz war Ausdruck des Lebens mit dem Geldvirus. Davon werden wir dann Gottseidank befreit sein. Es wartet das große Wunder der FÜLLE DES LEBENS UND DER NATUR.
  2. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
    Ich übersetze: Glücklich werden die sein, die ihre Emotionen wie Trauer und Wut, aber auch Freude und Glückseligkeit in sich spüren und sie ausdrücken. Denn die werden Menschen finden, die sie trösten.
    Wenn das Geldsystem wirklich einbricht, so werden wir freilich traurig sein. Denn es wird dann vieles nicht mehr geben, das wir geschätzt und geliebt haben. Vielleicht werden auch nicht alle Menschen diesen Übergang in dieses neue Zeitalter schaffen, weil sie zu sehr am alten Besitzdenken festhalten.
    Die eigenen Emotionen wahrzunehmen, zu zeigen und auszuleben, wird wichtig sein. Und wir werden sehen: Die, die dazu fähig sind, werden auf Menschen treffen, die sie trösten. Wir werden unheimlich solidarisch sein. – Es wartet das große Wunder der VERBUNDENHEIT.
  3. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
    Ich übersetze: Glücklich werden die sein, die schon lange eine andere Welt ersehnt haben: mit mehr Gerechtigkeit, mit mehr Möglichkeit, das eigene Selbst auszudrücken. Jetzt endlich werden die großen, echten Bedürfnisse der Menschheit erfüllt.
    Wenn dieses Geldsystem zusammenbricht, dann wird Gerechtigkeit ausbrechen: die große Gleichheit; so wie es unter Menschen offenbar (fast immer) gewesen ist, wenn sie nicht vom Geldvirus infiziert waren. Und auch der Hunger nach Entfaltung unserer Potenziale wird gestillt. – Es wartet das große Wunder der POTENZIALENTFALTUNG.

Nun, gut: Wir werden sehen.

[1] Da sind mir wirklich nur männliche Theologen bekannt.

Anzeigen von 5 Kommentaren
  • Gesa
    Antworten
    Danke schön für diese freien, guten und schlüssigen Gedanken!

    Ja, ich denke genauso!

    Als ausgebrannte Sozialpäd. bin ich schon einige Jahre (realtiv) arm. Und geniesse es meistens sehr! Ich bin wegen dem nahen Klimatod im zivilen Ungehorsam gegen Ausbeutung und Ausrottung- Konsumverweigerin.  Ich komme aus priviligiertem Haus und kenne nun beide Seiten -wohlhabend und arm. Die Menschen, die ich treffe, wenn ich Lebensmittel rette, sind seit Generationen auf der armen Seite, keine Chance, was zu ändern, manche kennen niemensch, die ihnen 5 Euro leihen können! Alleinerziehende Frauen mit großer Stärke und viele kranke Menschen treffe ich. Ich denke ja auch, alle sind krank, wenn sie dieses entfremdende System am laufen halten. Mit meinem Leben bin ich für die meisten “Normalos” – die heruntergebrochen auf Arbeit und Konsum leben-  scheinbar eine Gefahr, werde angeraunzt und ausgegrenzt,  bin “Nervbratze” und schlechtes Gewissen, niemensch will hlren, womit ich mich beschäftige. Aber die Arbeitsplätze!!!

    Der Staat, übrigens, hat an klimaschonendem Leben mit Verzicht und (kaum) ohne Geld kein Interesse, im Gegenteil! Ich werde eingeschüchtert. “Wohnhaft” hat eine große Bedeutung, damit ich im Fall der Haft im Wohn- haus gefunden werde.

    Es macht sehr einsam (eine gute*r Freund*In ist viel und wichtig) und trotzdem kann ich nicht anders! Alles andere machte mich sehr sehr krank!

    Widerstand gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Ausrottung von Natur, Tier und Mensch! Konsumverweigerung! Das ist mein Weg und er ist weit und schwer.

     

    Herzliche Grüße,

    Gesa

     

  • Gerold Flock
    Antworten
    Erwachet? – Schreiben hier demnächst die Zeugen Jehovas?

    Das Geld Scheisse ist weiß ich schon lange.

    https://anarchypeaceangel.jimdofree.com/

  • heike
    Antworten

    Oder auch: Warum kommt aus den Religionen so wenig? Warum sagen die nicht: „Ja, genau, dass steht schon in unseren heiligen Schriften, dass es keinen Zins (Kapitalrendite, Reichtumsprämie, oder welcher Name auch immer) geben soll!“? Im Mittelalter haben die Theologen[1] noch argumentiert, mit Zinsen (also der leistungslosen Vermehrung von Kapital) stehle man Gott die Zeit. – Wo sind die Theologinnen, die das heute tun?

    Geld als Zahlungsmittel und die Entwicklung der menschlichen Zivilisation einschließlich des menschlichen Geistes hängen unmittelbar miteinander zusammen. Ich nehme an, dass die Religionen relativ wenig dazu sagen, weil es keine Erlösung der Menschheit als Gesamtheit geben kann oder wird, da sich die Menschen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Jede/r selbst kann entscheiden, wie er/sie sich in Beziehung zu Geld verhält, ob und inwieweit er käuflich ist und welche moralischen Grundsätze er für Geld über Bord wirft oder eben nicht. Man muss nicht in einer Waffenfabrik arbeiten. Man muss Menschen auch nicht belügen oder verblenden, um gute Profite einzufahren.

     

     

    Wie das Coronavirus provoziert es (das Geld, eigene Ergänzung) die Bildung von Abwehrkräften. (Doch die konnte dieses Virus scheinbar immer wieder aushebeln.)

     

    Gegen mit gutem Gewissen verdientes Geld hat sicher niemand eine Abwehr, solange man vom Geld abhängig ist, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Wenn man Geld als Zahlungsmittel abschafft, dann können sich Künstler*innen z.B. mit Naturmaterialien bezahlen lassen. Der eine bringt einen Sack Biogetreide, der andere die Mandelmilch.. Das gleiche gilt auch für alle anderen Berufe: Was kann ich meinem Klempner geben? Etwas Salat gefällig? Und wie bezahle ich meinen Urlaubsaufenthalt?

    Auch wenn dieses Denkspiel (der Geldabschaffung) sehr anziehend wirken kann – auch ich war ihm mal sehr zugetan – man wird das Geld auf absehbare Zeit als Zahlungsmittel nicht abschaffen. Es ist einfach praktikabel.

    Leute, die durch Betrügereien oder mit ungesunden Nahrungsmitteln ihr Geld verdienen, sehen als Argumente auf ihrer Seite: niemand zwingt dich, das zu kaufen und Blödheit muss bestraft werden.

    Der Sinn des Lebens ist wohl das Leben – und was jeder damit anfängt, welche Wege er beschreitet, hängt auch immer von ihm/ihr selbst ab. Man lernt mit der Zeit: zum Beispiel, dass einem/einer nur sehr selten etwas geschenkt wird und dass man nicht zuviel Vertrauen in andere Menschen setzen sollte. Erfahrungswerte.

    Und noch ein Nachsatz zum Geldverdienen: Nicht selten sind es diejenigen, die selbst sehr genau auf eine ausgeglichene Haushaltskasse und ihre Einnahmen achten, die anderen einreden wollen, dass Geld nichts “wert” ist (ging nicht an Rolands Adresse).

    • heike
      Antworten
      Entschuldige, Markus Pühringer, der Artikel klang so nach Roland …. also, auch Sie waren nicht explizit persönlich angesprochen mit der letzten Bemerkung.

      Ich muss wohl noch etwas an meiner Achtsamkeit üben … mache ich auch.

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