Ein Abwälzen der Krisenkosten auf die Beschäftigten und RentnerInnen gilt es zu verhindern, um der Schieflage zwischen Arm und Reich Einhalt zu gebieten. Es bedarf großer Anstrengungen gerade von Seiten der Gewerkschaften, dem erforderlichen Umbau der Wirtschaft mit einer grundsätzlichen Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise die Richtung zu weisen.
1. Mit rasanter Geschwindigkeit hat sich unser Leben und die Arbeitswelt in den letzten Jahren verändert.
Viele gewerkschaftliche und arbeitssoziologische Analysen bestätigen die Zunahme von Arbeitsintensität und steigende Leistungsanforderungen der Beschäftigten in Unternehmen.
Die Unternehmen streben nach einer möglichst hohen Beweglichkeit, um auf Veränderungen von Märkten, Kundenwünschen und vor allem dem steigenden Konkurrenzdruck zu begegnen. Dabei wird für Beweglichkeit meistens ein Zusammenhang von Schnelligkeit (der Wertschöpfung), Beschleunigung (internen Abläufe) und Effizienz (der Arbeit) hergestellt.[1] Das Stichwort dafür lautet: agiles Unternehmen.
Arbeitsformen von sog. agilen Unternehmen haben zunächst im IT-Sektor Einzug gehalten; sie verbreiten sich aber auch in anderen Kernbereichen der Wirtschaft. Die organisatorischen Vorgaben sind Ausdruck bestimmter unternehmerischer Vorstellungen, „Programme des Regierens“, die den Handlungsrahmen zur Steigerung von Arbeitsleistung und auch Motivation der Beschäftigten vorgeben.
Eine Führungskraft, zuständig für agile Transformation bei ING-DIBA bringt es auf den Punkt: „Schnelle Wertschöpfung, mehr Effizienz, höhere Mitarbeitermotivation, mehr Innovation heißt: Umbau der Arbeitsorganisation in agile Teams; sie sind interdisziplinär, kommen schneller zum Ziel, setzen auf Kollaboration und machen keine Doppelarbeit.“[2] Die dadurch ausgelösten betriebspolitischen Veränderungsprozesse und Umbrüche reichen bis hinunter auf die Ebene der Arbeitssituation einzelner Beschäftigten.
Sie greifen in die Art und Weise der Arbeitsorganisation von Teams und Projekten ein.
Die Zerlegung der Arbeit in Teilabschnitte ohne Bezug zum Ganzen, verschärfte Vorgaben für die Leistungserbringung sind Ausdruck dieser Leistungsintensivierung. Die Folgen sind zunehmende Stressauswirkungen, körperliche Belastungen bis hin zu Burnout, steigende Ausfallzeiten (AU-Tage), und Frühverrentungen.
Das sind Belege dafür, dass sich unser Leben und die Arbeitswelt in den letzten Jahren stark verändert hat.
Und dann kam die Corona-Seuche: Die Pandemie hat massive Einschnitte in der Arbeitswelt erzeugt. Lockdown, das Anhalten von Produktionsprozessen, die Veränderung von Arbeitsabläufen, Kurzarbeit, und der Arbeitsmarkt bleibt weiterhin im Krisenmodus.
Nicht wenige Unternehmen sahen sich gezwungen, ihre Tätigkeit infolge der Gesundheits-Verordnungen, mangelnder Zulieferteile kurzfristig einzustellen, ja sogar ihre Tore zu schließen. Kleine bis mittlere Unternehmen wurden von größeren Betrieben übernommen, sofern die staatlichen Unterstützungsleistungen zur Existenzsicherung nicht ausreichten.
Auch der Bereich „Home Office“ ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen.
Gerade unter dem Eindruck der Corona-Seuche sahen sich viele Beschäftigte genötigt, ihre Vor-Ort-Arbeit, sofern möglich, in die sogenannten eigenen vier Wände zu verlagern. Über die Auswirkungen, die Vor und Nachteile für die Beschäftigte gehen die Meinungen auseinander. Die Suche nach einfachen Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird oft enttäuscht. Für Beschäftigte steigt das Risiko der Vereinzelung, Verlängerung des Arbeitstages, Abkoppelung von der Entwicklung im Betrieb, und es fehlt der Austausch mit den Kollegen, von einer organisierten Interessensvertretung ganz zu schweigen.
Arbeit im Homeoffice ist nicht “immer so idyllisch, wie es manchmal skizziert wird” gibt etwa Frank Wernecke von Verdi zu Bedenken: „Die Arbeitshetze nimmt zu, die Arbeitsmenge ist in der vorgesehenen Arbeitszeit nicht zu schaffen.“ Der Überblick über das Produzierte geht verloren, die Rückmeldung zur geleisteten Arbeit bleibt aus. Unterm Strich bleibt festzuhalten, dass die Digitalisierung ” von Rentabilitäts-erwägungen und weniger von technischen Möglichkeiten oder Humanisierungsideen getrieben wird.
Neben selbstverwaltenden Projektteams und gegenseitiger Zielkontrolle unter den Beschäftigten bewirken die laufend verfeinerten Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen die Zunahme der Arbeitsintensität und Leistungssteigerungen.
Sie sind Ausdruck kapitalistischer Arbeitsorganisation. [3]
2. Angriffe auf die Mindestlohnerhöhung 12 €
Die Ampelkoalition hat sich im Koalitionsvertrag auf eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 € verständigt. Die Maßnahme findet massive Zustimmung in der Bevölkerung. Sie bedeutet zunächst,dass die Löhne und Gehälter von mehr als 7 Millionen Beschäftigten steigen. Aber, regierungsnahe Forschungsinstitute, sogenannte Think Tanks und unternehmerische Lobbyverbände sind bereits aktiv unterwegs, um die Anhebung des Mindestlohnes als falsch zu begründen, ja zu umgehen. Ein Anstieg der Gehälter würde sich mittelfristig auch auf die Gesamtwirtschaft auswirken. Hierzu Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft: „Der Überbietungswettbewerb bei den Löhnen verteuert die produzierten Güter und Dienstleistungen“. Die Folge wäre eine sinkende Nachfrage nach deutschen Produkten, gerade im Export.
Die Deutsche Bundesbank merkt an (2021), dass die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 € zu einer Beschleunigung der Inflation beitragen könne. Demgegenüber sagt das IMK, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung von der Hans Böckler Stiftung, dass eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 in Deutschland nur geringe Inflationseffekte zur Folge habe. Es käme darauf an, den Versuchen, die Mindestlohnerhöhung durch Ausdehnung befristeter Arbeitsverträge, Lohndumping mit Leiharbeit, Verrechnung von Zuschlägen mit dem Mindestlohn durch gewerkschaftliches Engagement zu begegnen.
Demnächst stehen die beiden größten Tarifrunden im laufenden Jahr an, in der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Statt der viel beschworenen Lohn-Preis-Spirale zeichnet sich eher eine durch Profite getriebene Inflation ab. Die steigenden Kostenbelastungen durch Materialengpässe werden an die Kunden weitergegeben.
Entscheidend ist jetzt die Entwicklung der Tarifgehälter und höhere Tarifbindung, um die Krisenkosten nicht auf die Lohnbeschäftigten und Rentner abzuwälzen.
3. Mehr Menschen sind dauerhaft von Armut bedroht
Die Corona-Krise hat auch die Armutsquote in Deutschland auf einen neuen Rekordwert getrieben. Laut einer Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vom Dezember 2021 gelten mittlerweile 16,1 Prozent der Bevölkerung als arm, das entspricht 13,4 Millionen Menschen.[4] Armut definiert sich als soziale Benachteiligung: die Armutsgrenze liegt unterhalb von 5,50 Dollar pro Tag (Weltgesundheitsorganisation). Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung über ungleiche Lebensbedingungen merkt dazu an, dass es infolge von Corona zunehmend seltener gelinge, der Armut zu entkommen. Ein Überschreiten der Armutsgrenze bleibe die Ausnahme. Eine Reduzierung von gesellschaftlichen, sozialen Projekten ist aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation und der angedachten Ausgabenpolitik der Ampelregierung vorhersehbar. Ein Finanzierungsdruck entwickelt sich bei der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Die Ausgaben werden in der Tendenz schneller ansteigen als die Einnahmenbasis. Im laufenden Haushaltsjahr sind bereits Erhöhungen der Beitragssätze für die Versicherten spürbar.
Das Beispiel Rentenerhöhung
Trotz der gepriesenen „Rentenrekorderhöhung“ von 5,35% in den alten Bundesländern, 6,12 % in den neuen BL ergibt sich infolge der Verteuerung der Lebenskosten nominell ein Einkommensverlust von ca. 12 %. Konflikte und politische Auseinandersetzungen um den Abbau der Schuldenberge sind bereits in vollem Umfang angesagt.
4. Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte
Für das laufende Jahr weist das stat. Bundesamt ein Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte von 133,2 Mrd. Euro aus. Im Jahr 2021 waren es -153, 9 Mrd. €. Die Einnahmen und Ausgaben des Staates sind im Jahr 2021, vor allem durch die Corona-Maßnahmen kräftig angewachsen.
Grundsätzlich begegnet die Ampelkoalition dem Finanzierungsdruck eher mit verhaltenen Ausgabenzuwächsen. Die geplanten öffentlichen Investitionen weisen nach den Aussagen des IMK auf ein Fortbestehen des strukturellen Defizits hin. Das IMK errechnete im Jahr 2019 einen zusätzlichen Investitionsbedarf über zehn Jahre von 460 Mrd. Euro.
Die beteiligten Parteien der Ampel-Koalition haben demgegenüber keine Mühe, zusätzlich ein Sondervermögen von 100 Mrd. € für die Aufrüstung der Bundeswehr im defizitären Staatshaushalt vorzusehen. Eine Sondererhebung durch eine Reichenbesteuerung bleibt aber außen vor. Unschwer sind die Erwerbstätigen und Rentner als die zu erkennen, die die Zeche bezahlen sollen.
5. Die Anhäufung von Reichtum
Das führt zu der Frage des strukturellen Zusammenhangs zwischen Armut und Reichtum, nach den gesellschaftlichen Ursachen auch der in Deutschland stark ausgeprägten Verteilungsschieflage. Nach Angaben zur Vermögensentwicklung in Deutschland beträgt das Sachvermögen (größtenteils Boden und Gebäude, in geringem Ausmaß Ausrüstungen und Patente) rund 56% des Bruttovermögens, das Geldvermögen (Geldanlagen, Wertpapiere, Versicherungsansprüche) etwa 40 %. Dem Bruttovermögen stehen Kreditschulden von 12 % gegenüber, so dass sich ein Nettovermögen von 14,65 Billionen Euro ergibt pro Kopf der Bevölkerung 176.000 Euro, davon 113.000 Euro Sachvermögen und 63.000 Euro Netto-Geldvermögen.
Nach jüngsten Ergebnissen der Ungleichheitsforschung, Bamberg beläuft sich das geschätzte Gesamtvermögen der reichsten fünf Prozent der Deutschen in 2021 auf 12,9 Billionen Euro. Das Vermögen der 10 reichsten Personen ist seit Beginn der Pandemie von rund 144 Milliarden auf etwa 256 Milliarden US-Dollar gewachsen. (Oxfam Deutschland). Allein der Zugewinn entspricht annähernd dem Gesamtvermögen der untersten 40 Prozent auf der Einkommensskala, also von 33 Millionen Deutschen.
Entwicklung der Vermögenspositionen
In den letzten 2o Jahren ist das private Nettovermögen schneller gestiegen als die Wirtschaftstätigkeit, das Brutto-Inlandsprodukt, BIP. Und diese Kluft hat sich vor allem seit den letzten 10 Jahren stark ausgeweitet.
Dieser Vermögenszuwachs an der Spitze der Reichtums-Pyramide ist wohl in der Geschichte beispiellos. Die Profiteinkommen hierzulande werden mittlerweile in schon fast vernachlässigbaren Anteilen in zusätzliche Produktionsanlagen investiert. Ein immer größerer Teil der Profite bleibt stattdessen übrig für Finanzinvestitionen, Spekulationen. Das immer schnellere Wachstum des Vermögens privater Haushalte im Vergleich zum BIP-Wachstum beruht in erster Linie auf schneller steigende Wertpapierkurse (v.a. Aktien) und auf Preissteigerungen von Grund und Boden. Der 3-Jahresverlauf der Aktienentwicklung zeigt, dass der Vorkrisenwert längst übertroffen wird.
Eine groteske Situationsbeschreibung
Die Welt sieht sich derzeit der schlimmsten Job-krise seit über 90 Jahren gegenüber, 800 Millionen Menschen hungern, über zwei Milliarden leiden an Mangelernährung. Die Zahl der Menschen, die am Rande einer Hungersnot stehen, hat sich im Jahr 2020 versechsfacht, Im vergangenen Herbst starben jede Minute 11 Menschen an Hunger und Unterernährung.
Millionen Menschen haben Einkommen oder Arbeit verloren.
Vor knapp einem Jahr breiten sich Flächenbrände vom Mittemeer über Sibirien, den Amazonas und die Westküste der USA und Kanada aus; andere Teile der Welt erleben Hochwasserkatastrophen – just in dieser Zeit unternimmt Jeff Bezos, Gründer von Amazon und reichster Kapitalist der Welt mit einem Privatvermögen von 200 Milliarden Dollar, mit seinem eigenen Raumfahrtunternehmen einen Ausflug ins All. 7.000 Menschen hatten mitgeboten, als Bezos eine Mitfluggelegenheit in seiner Raumkapsel versteigerte.
Reichtums-Schieflage
Eindrucksvoll zeigt sich aktuell auch für Deutschland eine massive Reichtums-Schieflage:
Im Pandemie-Jahr 2021 sind die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 15,4 % auf 780,2 Mrd. Euro angewachsen, die Netto-Profite (Gewinne nach Steuern) sind um 120 Mrd. Euro angewachsen, mit einer Steigerung um 25% gegenüber Vorjahr werden Rekord-Dividende von 45,5 Mrd. € ausgewiesen. Der Anstieg des Arbeitnehmerentgelts im berechneten Volkseinkommen) verweilt bei 3,4 %.[5]
Reichtumsabgabe?
Eine Abgabe auf die in Deutschland angehäuften Reichtümer und Vermögen wäre aus politisch-ökonomischer Sicht dringend geboten. Es wäre die Aufgabe der Staaten, ihre Finanzierung auf eine solide Basis durch eine erweiterte Besteuerung von Konzernen, Besserverdienern und Ultrareichen zu stellen. Der ver.di-Vorsitzende Frank Wernecke hat am 1. Mai eine Vermögensabgabe für Reiche gefordert, damit diese einen Beitrag für die Bewältigung der Krisenkosten leisten. Auch der zum 1. Mai noch DGB-Chef Reiner Hofmann hat Mineralölkonzernen angesichts hoher Benzinpreise eine Bereicherung in der Krise vorgeworfen und eine stärkere Gewinnbesteuerung gefordert: “Die Staaten müssen solche Gewinne abschöpfen, so dass sich insbesondere Ölmultis an der Krise nicht weiter bereichern können.” Hier müsse Deutschland an die Gewinnsteuern ran: “Die Extra-Krisenprofite der Unternehmen müssen extra besteuert werden, um einer solchen Abzocke zu begegnen.“
Nach Meinung von kritischen Ökonomen ist in Krisensituationen und bei außerordentlichem Kapitalbedarf, wie etwa auch beim ökologischen Umbau der Wirtschaft, der ökologischen Transformation, immer geboten, die Finanzierung nicht über die Kapitalmärkte, sondern über Steuern, und wenn nötig, durch die Zentralbanken sicherzustellen.
Allerdings: eine Vermögensabgabe, die das reichste 1 Prozent der Bevölkerung zum Abbau der corona- und krisenbedingten staatlichen Schuldenberge heranziehen würde, sieht keine der Koalitionsparteien in ihrem politischen Programm vor.
6. Ursachen wachsender sozialer Ungleichheit
Stellen wir die Frage nach der Ursache für die wachsende soziale Ungleichheit: Es ist die Profitlogik einer kapitalregierten Wirtschaft. In einem Wirtschaftssystem, das die zwanghafte Akkumulation von Kapital unter Konkurrenzbedingungen uneingeschränkt als ökonomische Grundlage für die Organisation gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse betreibt, führen selbst bedrohliche Seuchen wie die aktuelle Pandemie zu einer weiteren Anhäufung von Vermögen und Reichtum einer gesellschaftlichen Minderheit.
Krisenpolitik im Kapitalismus ist primär Klassenpolitik. Der Privatbetrieb ist die dominante Grundeinheit der kapitalistischen Wirtschaft. Wenn eine solche Wirtschaft in eine Existenzkrise gerät und staatliche Politik ökonomische Strukturen nicht transformiert, sondern stabilisieren will, dann fließen die Krisenmittel in die Betriebe und damit den Privat-Eigentümern zu.
Es ist also eine Frage von Prioritäten.
Der aktuellen Bundesregierung, die als Fortschrittskoalition gestartet ist, sind mehr Kampfflugzeuge und bewaffnungsfähige Drohnen für zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr – denn darum geht es – offenbar wichtiger als die Überwindung von prekären Beschäftigungsverhältnissen , Altersarmut, Kinderarmut und, wichtiger als die Überwindung von Personalnotstand in Krankenhäusern, Gesundheitsämtern, Schulen und Universitäten, wichtiger als Investitionen in die seit Jahrzehnten vernachlässigte Infrastruktur, wichtiger als öffentlicher Wohnungsbau, um dem Mietenwahnsinn Herr zu werden. Der größte Teil der EU-Krisenmilliarden floß, von den Corona-Maßnahmen der öffentlichen Hand einmal abgesehen, bisher überwiegend Unternehmen zu, ohne diese auf Beschäftigungszusagen zu verpflichten.
Dafür einige Beispiele: Elon Musk, mit einem Vermögen von 162 Mrd. Dollar einer der reichsten Menschen der Welt, bekommt von der Bundesregierung 1,14 Milliarden Euro Subventionen, um in Brandenburg seine Tesla-Fabrik zu bauen. Dieselbe Bundesregierung beschließt, dass Hartz- IV-Betroffene in diesem Jahr 3 Euro mehr im Monat erhalten.
Daimler und BMW schicken ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit. Daimler erhält 700 Millionen Euro Kurzarbeitergeld von der öffentlichen Hand und schüttet anschließend in Summe 1,4 Milliarden Euro Dividende aus. Für BMW hat die Bundesagentur für Arbeit die Lohnkosten durch Zahlung von Kurzarbeitergeld übernommen. Gleichzeitig erhalten die Aktionäre eine Dividende von 1,64 Milliarden Euro. Davon hat das reichste Geschwisterpaar Deutschlands, Susanne Klatten und Stefan Quandt, mehr als 750 Millionen Euro eingestrichen. Melden die Unternehmen Kurzarbeit an, so wird ihnen ihr Beitrag zur Sozialversicherung als Staatshilfe ersetzt – eine bestimmte Form der Staatssubventionierung von Unternehmen zur Stabilisierung bzw. Erhöhung der Unternehmergewinne.
Staatshilfe in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig Dividende an die Kapitaleigner und Investoren auszuschütten ist eine systemimmanente, zutiefst unsoziale Erscheinung kapitalistischer Wirtschaftsweise.
7. Verteilungsgerechtigkeit
Ein „Bündnis für Gerechtigkeit“, wie im Koalitionsvertrag geschrieben, sieht definitiv anders aus. Es stellt sich also die Frage nach Verteilungsgerechtigkeit und – die Eigentumsfrage. Zu den grundsätzlichen sozialpolitischen und gewerkschaftspolitischen Zielsetzungen gehört es, Produktion und Arbeit und die gesamte Gesellschaft menschlichen Bedürfnissen zuzuordnen.
Dabei ist aber realistisch anzuerkennen, dass dieser soziale Kampf, das Eintreten für die Interessen der Lohnbeschäftigten unter den Bedingungen der Herrschaft des Kapitals über die Wirtschaft und die Politik geführt werden muss. Verteilungsverhältnisse werden von den Produktionsverhältnissen bestimmt. Und diese bestimmen sich über das Eigentum und die Verfügung über die Produktionsmittel. Es reicht deshalb nicht zu sagen: Wer private und öffentliche Armut wirksam bekämpfen will, muss den privaten Reichtum antasten. Es muss das Eigentum angetastet werden!
Die Superreichen sind nahezu ausnahmslos Eigentümer transnationaler Konzerne, die den Produktionsprozess zerlegt und in globalen Wertketten so verteilt haben, dass billige Arbeitskraft mit Standortvorteilen – niedrige Sozial- und Umweltstandards, wenig Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsrechte, niedrige Besteuerung – optimal kombiniert werden können.
Der kapitalistische Unternehmer muss seinen Technologieeinsatz ständig optimieren, Kapital- und Arbeitsproduktivität laufend erhöhen, um seine Wettbewerbsstellung in Produktvorteilen, Qualität, Kosten/Preisen auszubauen oder mindestens zu halten. Sein Erfolg erweist sich in Wachstum von Umsatz und Profit, in der Verdrängung der Bewerber infolge der eigenen Produktivitätssteigerung.
Zwischenschritte
Welche Zwischenschritte sind realistischerweise unter den herrschenden privatwirtschaftlich strukturierten Produktionsverhältnissen anzustreben, und wie können sie mit dem von Friedrich Engels beschriebenen “Ziel” verbunden werden, die gesellschaftliche Kontrolle über Wirtschaft und Politik und die Emanzipation aller Bürgerinnen und Bürger zu erlangen?
Das “Ziel” gibt die Richtung an, doch lässt sich die neue Wirklichkeit ausschließlich in den sozialen Kämpfen der gegen den Kapitalismus streitenden gesellschaftlichen Gruppen erreichen.
Allein die bloße “Kostenoptimierung” für den kapitalistischen Wettbewerber läuft auf einen ständigen Druck auf Löhne und Gehälter hinaus als den größten Kostenfaktor der meisten Unternehmen.
Die Löhne und Gehälter sind die Masseneinkommen, von denen eine kaufkräftige Nachfrage und damit Wirtschaftswachstum in erster Linie abhängt (Zitat isw, Conrad Schuhler).
Das bedeutet aus analytischer Sicht,
- dass gerade bei den gegebenen Kostensteigerungen, der aktuellen Inflationsrate von
- 7,4 %, ein Abschluss der gewerkschaftlichen Lohnforderungen, mindestens auf dem Niveau eines Inflationsausgleichs, zur Verhinderung von Einkommensverlusten, Verhinderung eines weiteren Anstiegs der Armut entgegenzuwirken ist.
- Und dass eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse aktuell in den politischen Diskurs eingebracht werden sollte. Dringend erforderlich wäre demnach, neben den tariflichen Forderungen die Eigentumsfrage in die gesellschaftspolitische Debatte einzubringen. Mitglieder der Gewerkschaften sollten ihre Position im Bündnis mit den Lohnbeschäftigten zu einer handlungsmächtigen Kraft mit einem politischen Mandat ausbauen und die Eigentumsfrage stellen.
8. Eine Gesamtgesellschaftliche Steuerung anstreben
Ohne eine grundsätzliche Veränderung der kapitalistischen Produktionsweise, sind die fatalen Strukturprobleme, wie Überkapazitäten, höherer Verbrauch und Vergeudung produktiver Ressourcen, Druck auf Löhne und Gehälter nicht aufzuheben. Die Ausrichtung einer solidarischen Ökonomie ist im Kapitalismus, gerade unter den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen, eigentlich ausgeschlossen. Und dennoch: Die fundamentale Aussage der IG Metall hat nach wie vor seine Gültigkeit: Die Wirtschaft soll dem Menschen dienen und nicht der Mensch der Wirtschaft. So einfach diese Schlussfolgerung zu sein scheint, so fundamental ist sie aber.
Die traditionellen Lohnforderungen sollten um ein „politisches Mandat“ der Gewerkschaften erweitert werden bzw. wieder aufgenommen werden. Basisorganisationen auch der IG Metall fordern das schon seit langem. Das sollte das Recht und die Praxis des politischen Streiks einschließen.
Für den Umbau der Wirtschaft in eine solidarische Ökonomie als Grundlage für eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums ist es eine elementare Voraussetzung. Das “politische Mandat” der Gewerkschaften zu beanspruchen und realisieren, einschließlich des Rechts und der Praxis des politischen Streiks wäre dann auf die Frage der Fragen anzuwenden: Enteignung.
Das Grundgesetz sieht Enteignungen und Vergesellschaftungen zum Wohle der Allgemeinheit ausdrücklich vor. In der Geschichte der Bundesrepublik wurde das mehrfach angewandt, z.B. für neue Autobahnen, Stromtrassen oder die Erschließung von einem Braunkohlerevier. Die Eigentumsfrage drängt sich unabweislich auf, wenn wir die Frage der Verteilungs-gerechtigkeit stellen.
Ergänzend dazu sind Mitbestimmungsrechte in den Unternehmen auszuweiten und auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zu etablieren. Reichtum unter allen verteilen, nicht rauben lassen von den „Eigentümern“. Ein Umbau der Wirtschaft mit einer sozial-ökologischen Zielrichtung bleibt Aufgabe der gesellschaftlichen und gewerkschaftlichen AkteurInnen.
Hierzu bedarf es großer Anstrengungen seitens der örtlichen Gewerkschaftsgruppen, durch die (Wieder)-Belebung von politischer Bildungsarbeit die politisch-ökonomischen Zusammenhänge der Ungleichverteilung, der Alternativen zur kapitalistischen Wirtschaftsweise und der Besinnung auf die Einflussmöglichkeiten der organisierten Beschäftigten. Ergänzend dazu ist die Debatte in den örtlichen Gewerkschaftsorganisationen auch über die Einführung von Mitbestimmungsräten zu initiieren, wie in Bereichen der IG Metall im Automobilsektor gefordert, um über das was und das wie der Produktion die Stimme erheben. Eine Mitbestimmung, die ihren Namen verdient, könnte garantieren, dass auch in unternehmenspolitischen Fragen keine Entscheidung gegen den Willen der Beschäftigten getroffen werden kann.
Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens. Antonio Gramci
[1] Hermann Bueren: Zur Kritik moderner Managementmethoden, 2022, Bremen, S. 27f
[2] Ebd.
[3] Ebd., S. 168
[4] Paritätischer Wohlfahrtsverband, Berlin, 2021
[5] Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, VGR, 2021