Keiner schiebt uns weg!
Die Fraueninitiativen von Erwitte bis Duisburg-Rheinhausen im Kampf um Arbeitsplätze. „Wenn’s an der Ruhr brennt, reicht das Wasser im Rhein nicht zum Löschen!“ Der wahrscheinlich bedeutendste Arbeitskampf in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist ein Lehrbeispiel dafür, was Solidarität bewirken kann. Ein Jahrzehnte andauernder sozialer Frieden und relativer Wohlstand in der Region wurde im Zuge von Globalisierung und „Umstrukturierung“ von den Arbeitgebern kaputt gemacht. Aber der Widerstand, der sich formierte, reichte weit über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus. In diesem zweiten Teil von Ellen Diederichs Artikel „AufRuhr“ geht es vor allem um den Widerstand der Frauen, die zwar überwiegend nicht selbst Arbeiterinnen waren, als „Zuständige“ für das Familienleben den Existenzdruck durch drohende Arbeitslosigkeit aber besonders heftig abbekamen. Es formte sich eine beispielhafte Frauenbewegung, die auch Kultur und das Engagement von Kindern mit einbezog. (Ellen Diederich)
In den 1980er Jahren entstanden Dutzende von Frauengruppen, die zusammen mit den Männern in verschiedenen Betrieben, die geschlossen werden sollten, um Arbeitsplätze kämpften.
Die ersten waren die Frauen aus Erwitte, wo 1976 das Zementwerk Seibel und Söhne dicht gemacht werden sollte, weiter ging es bei VFW Focker in Speyer, in vielen Stahlbetrieben im Ruhrgebiet, von denen einer nach dem anderen dicht gemacht werden sollte. Es waren vorwiegend Arbeitsplätze von Männern. In der Stahlindustrie, bei den Werften, im Zementwerk gab es kaum Arbeit für Frauen. Das war so bei Hoesch in Dortmund, dem Schalker Verein in Gelsenkirchen, der Henrichs Hütte in Hattingen, Thyssen in Duisburg, Messerschmidt Bölko Blohm aus Lemwerder, das Stahlwerk Peine/Salzgitter. Es ging auch um Arbeitsplätze in den Werften in Norddeutschland, bei der Bremer Vulkan-, der Hamburger Howaldwerft, aber auch bei der Textilfabrik Overmann und Bosch aus Osna-brück, dem Flaschenbetrieb Möninghoff aus Hattingen.
Es ging um zigtausende Arbeitsplätze. Überall ging die Angst um, dass die Städte sterben könnten, wenn die Arbeitsplätze gestrichen würden. Alle Frauen hatten die grundlegende gleiche Erfahrung: Sie hatten als erste die Bedrohung erfahren, die durch Arbeitslosigkeit entsteht, hatten Angst, dass die Männer und die nächste Generation keine Arbeit mehr finden konnten. Sie hatten unterschiedliche Wege gefunden, in kleinen und großen Aktionen ihr unmissverständliches NEIN auszudrücken.
1983 luden die Ruhrfestspiele in Recklinghausen zu dem traditionellen 1. Mai-Festival ein. Die Ruhrfestspiele entstanden kurz nach dem Krieg. Schauspieler aus Hamburg wollten Theater spielen, hatten kein Heizmaterial. Sie boten Bergarbeitern im Ruhrgebiet einen Tausch an: Kunst gegen Kohle. Der Deal wurde beschlossen. Die Bergleute schickten Kohle nach Hamburg, die Schauspieler kamen ins Ruhrgebiet und spielten hier Theater. Am 1. Mai wird jährlich die Spielsaison eröffnet, es kommen viele tausend Menschen. 1983 sollte zum ersten Mal auch ein Frauenprogramm gemacht werden. Fasia Jansen und Ellen Diederich wurden gefragt, ob sie es organisieren könnten.
Fasia hatte seit Jahren die Fraueninitiativen im Ruhrgebiet begleitet. Ellen hatte in Frankfurt, Berlin und international eine Reihe Frauenaktionen organisiert.
Kulturelle Initiativen waren ein zentrales Moment in den Auseinandersetzungen. Frauen haben sich hingesetzt, kleine Theaterstücke geschrieben, gemalt, Transparente entworfen, selber Lieder gemacht. Kultur und Singen in solchen Auseinandersetzungen sind nicht bloßer Zeitver-treib, sie sind Ausdruck von Gemeinsamkeit, von Gefühlen, sie helfen gegen Kälte, Müdigkeit und Mutlosigkeit.
Eine Frau war hier wichtig, Fasia. Neue Texte entstanden nach bekannten Melodien, wie in Dortmund nach dem Lied des BVB, „Die Stahlstadt Dortmund darf nicht untergeh’n!“. „Macht die Tore zu, ihr Männer, macht die Männer stark, ihr Frau’n“ ist auch so ein Lied.
Für Fasia:
Meine Lieder sangen
Was die Menschen bewegte
An Ostern, im Arbeitskampf und später
Jahr um Jahr.
Holte tief Luft
Und gab anderen Atem
Mit auf den Weg.
War manchmal selbst leer vom Atmen,
denn Luft ist knapp hier.
Dann blasen sie mir den Marsch,
sagen: Mach uns Luft.
Du, sing noch eins.
Der Arbeitskampf in Dortmund war ins Stocken geraten. Die Frauen, die die ganze Sache von Beginn an unterstützten, ergriffen die Initiative, wollten Mut zusprechen, den Arbeitskampf weiter zu machen, organisierten einen Hunger-streik vor dem Werkstor.
„Wir haben also vor dem Hungersstreik uns gegenseitig in die Hand geschworen, dass keiner unserer Ehemänner bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir unseren Wagen vor dem Tor haben und bis wir Frauen da sitzen, kein Sterbenswörtchen wissen darf. Obwohl sie sehr fortschrittlich sind und auch im Betrieb gute Arbeit machen, gute Kollegen und alles Mögliche. Wir waren irgendwie an die Grenze angekommen, was die Männer meinten, von uns ertragen zu können. Wir hatten schon zuviel gemacht.“ Hoesch Frauen
Die Frauen holten einen Campingwagen und stellten ihn vor das Tor. Auf dem Transparent stand: Erster Hungerstreik der Hoesch Fraueninitiative. Die Männer mussten an den Frauen vorbei zur Kantine. In den ersten zwei Tagen gab es spöttische Sprüche. Dann aber berichtete die Bild Zeitung auf Seite 1 über den Hungerstreik der Hoesch Frauen. Stolz keimte auf, das Verhalten der Männer änderte sich eher in die Richtung: „Unsere Frauen! Was braucht ihr denn?“
Macht die Tore zu
Seht den Garten, seht den Frühling
Hinterm Hau das Werk seht auch
Wo der Weißdorn jetzt erblüht
Seht die Tauben seht die Wolken
Von den Öfen gelber Rauch
Wenn die Morgensonne sich durchmüht
Refrain:
Macht die Tore zu ihr Männer
Macht die Männer stark ihr Frau’n
Dass sie nicht das Werk abbau’n
Jeden Abend glüht der Himmel
Glüht der Stahl durch unsre Stadt
Die letzte Schicht haben wir noch nicht gemacht.
Ja das alles das gehört uns
Ohne Aktie und Gewinn
Denn wer hat es sonst gemacht
Diese Hütte dieser Stahl
Da steckt unser Leben drin
Und das ist doch lang noch nicht vollbracht.
Heute steh’n wir hier die Wache
Wie zuvor schon manche Schicht
Frauen und Kinder sind dabei
Hungern streiken singen Lieder
Bring den Diebstahl an das Licht
Diesen Weg machen wir nicht mehr frei.
„Keiner schiebt uns weg“ wurde auch dort gesungen:
Wir haben ein Recht auf Arbeit – keiner schiebt uns weg
Wir haben ein Recht auf Arbeit – keiner schiebt uns weg
So wie ein Baum beständig steht am Wasser – keiner schiebt uns weg …
Der Krupp, der soll nicht schließen – keiner schiebt uns weg
Wir halten fest zusammen – Keiner schiebt uns weg ….
Jeden Tag entstanden neue Strophen.
Wir animierten die Fraueninitiativen, ihre eigene Geschichte in kleinen Theaterstücken zu zeigen, entwickelten zum 1. Mai Festival die Revue: „Mit Herz und Verstand, Frauen aus dem Revier!“ Sie wurde ein großer Erfolg.
Es war auch die Zeit, in der die Frauen- und die Friedensbewegung zu Massenbewegungen wurden. Themen wie Gleichberechtigung, Gewalt gegen Frauen, Kampf um Abtreibung, gleiche Löhne und viele andere wurden breit in der Öf-fentlichkeit diskutiert. In der Friedensbewegung ging es gegen die Nachrüstung mit Atomwaffen, gegen die Rüstungsproduktion insgesamt. Viele der Betriebe, denen die Schließung drohte, stellten auch Rüstung her. Das Thema wurde auch in den Frauengruppen heiß diskutiert. Der größte Teil der Frauen wurde aktiv auch in der Friedensbewegung und gehörte im Ruhrgebiet zu denen, die Kämpfe gegen Arbeitslosigkeit und gegen Rüstung deutlich machten. „Wir haben angefangen, Verbindungen zu ziehen, denn wir wissen verdammt noch mal, das Geld wäre da für Arbeitsplätze, für soziale Sicherungen, für Gesundheitsfürsorge, für bessere Renten und vieles mehr. Wir wissen das Geld geht in die Rüstung, die so vieles kaputt macht. Zum Beispiel könnten wir mit einem Prozent aller Rüstungsausgaben alle Flüsse, Seen und Meere der Erde wieder sauber kriegen und damit gleich Millionen Arbeitsplätze schaffen.“
(Ellen Diederich in: Träumen verboten, gewerkschaftliche Frauenpolitik für die 90er Jahre, Hrsg von Karin Roth, Hamburg 1984, S. 66)
„Wisst ihr, in dem Kampf, der 76 in Speyer stattgefunden hat, bin ich für Rüstungsarbeitsplätze auf die Straße gegangen. Im Nachhinein hat sich bei mir et-was bewegt im Kopf. Dann kam ja die große Friedensdiskussion über Auf- und Abrüstung, da bin ich für Abrüstung auf die Straße gegangen. Der Zusammenhang zwischen Frieden und Arbeitsplätzen ist ja ganz eng. Der Staat, den ja eigentlich wir bilden, zahlt Unmengen für Rüstung, macht uns auch dadurch arbeitslos. Ich frage euch jetzt mal ganz provokativ, wer bestimmt denn, welche Gelder in die Rüstung investiert werden? Wir werden, solange wir leben, dafür kämpfen müssen, dass wir existieren dürfen, dass wir atmen dürfen, dass wir ein paar Brocken hingeworfen kriegen. Das muss in die Köpfe rein, das ist die einzige Alternative. Das ist keine Resignation, ich kämpfe.“ A.a.O. Inge aus Speyer
1983 war das Jahr der großen Demonstrationen und Kundgebungen der Friedensbewegung. Wir organisierten einen 3wöchigen Friedensmarsch von Dortmund nach Brüssel zum Nato-Hauptquartier. Eine ganze Reihe Frauen aus den Initiativen im Kampf um Arbeit ging mit auf diesen Marsch. Wir machten eine tagelange Sitzblockade vor dem Nato Hauptquartier, solange bis eine Delegation von uns eingelassen wurde, um mir den Generälen zu sprechen. Die Zusammenhänge zwischen Sozialabbau und Rüstung wurde thematisiert. Heute ist es unvorstellbar, dass Demonstrationen vor dem neuen Nato Gebäude, das im Juni eröffnet werden soll, Baukosten 1.2 Milliarden Euro, so nahe herankommen könnten
Im März 1984 kamen auf Einladung von Arbeit und Leben Oberhausen, Fasia Jansen und Ellen Diederich vom Internationalen Frauen Friedensarchiv Frauen zusammen, die in den zehn Jahren zuvor um den Erhalt von Arbeitsplätzen gekämpft hatten. Vielfach waren das Betriebe, in denen Männer aus den gleichen Familien seit Generationen gearbeitet hatten. Wie gesagt, es gab wenige Frauenarbeitsplätze in den Zechen, den Stahlwerken, den Rüstungsbetrieben, den Werften. Frauenarbeitsplätze waren Mangelware. Die Arbeitsplätze der Männer waren die Garantie dafür, dass das Familieneinkommen eine Grundlage hatte. Die Frauengruppen waren in dem Sinne gemischt, dass sowohl Frauen, die in den Be-trieben arbeiteten, als auch Ehefrauen oder Freundinnen sich zusammen getan hatten, um gegen die drohenden Schließungen zu kämpfen.
Bei dem Treffen in Oberhausen entstand ein sehr lebendiger Austausch, vor allem wurde überlegt, wie man zukünftig gemeinsame Aktionen und Öffentlichkeitsarbeit machen könnte.
Am Ende des Treffens verabschiedeten die Frauen das Manifest: „Arbeiterfrauen ma-chen mobil“ in dem sie ihre Erfahrungen, Ziele und Forderungen beschrieben:
Manifest: Arbeiterfrauen machen mobil
An alle Frauen, die sich zutrauen, aufzustehen, wenn andere sitzen bleiben,
die ihren Mund aufmachen, wenn andere schweigen,
die gegen Ungerechtigkeiten kämpfen,
die stark sind, aber keine Gewalt anwenden,
die Liebe spüren und Liebe geben können,
die unter Demokratie auch Demokratie verstehen!
Wir Frauen, die mit Betriebsbesetzungen und Hungerstreiks für den Erhalt von Arbeitsplätzen gekämpft haben, machen weiter:
Mobilmachung, das klingt nach Trommeln und Gefahr. Mobilmachung zum Glück nicht für einen Krieg, aber in Gefahr sind wir schon, wir und unsere Arbeitsplätze, die unserer Männer und unserer Kinder.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht uns nicht um Arbeitsplätze um jeden Preis. Uns geht es um die Produktion von sinnvollen Gütern, Wir wissen, dass wir darum kämpfen müssen, dass die Menschen, die produzieren, auch darüber bestimmen können, was produziert wird. Wir haben begriffen, dass es z.B. einen Zusammenhang zwischen unsinniger Rüstungsproduktion, Arbeitslosigkeit und dem Aussaugen unserer Kraft gibt. Wir wissen, dass es ohne unsere Entscheidungsmöglichkeiten weiterhin Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen geben wird, Blohm und Voss weiter U-Boote für Chile und Krauss-Maffei Panzer für die habe Welt bauen wird.
Uns geht es um eine radikale Veränderung dieser Welt.
In der wir nicht jeden Morgen mit Angst das Radio einschalten
Weil wieder ein neuer Krieg angefangen hat,
weil wieder eine neue Superwaffe entwickelt worden ist,
weil wieder ein Teil unsere Erde unbewohnbar geworden ist –
durch das Fortschreiten der Klima Katastrophe, durch
Zerstörung der Erd-Atmosphäre, Verseuchung des Grundwassers
Und unserer Nahrung …
Wir fordern Entscheidungen.
Als erstes die Verkürzung der Wochenarbeitszeit –
– für die von uns, die Arbeit haben und zwischen Haushalt, Arbeitsplatz, Kindern, Liebe und politischem Engagement hin- und her gerissen sind,
– für die von uns, die erst gar nicht die Möglichkeit hatten, außerhalb des Hauses zu arbeiten, weil sie keine Ausbildung haben oder weil vorgeblich keine Arbeit für sie da ist.
– Wir haben etwas zu verteidigen, ja das stimmt. Wir haben unser Recht auf eine erfüllte Arbeit, auf ein menschenwürdiges Leben zu verteidigen, ein Leben ohne Angst.
Jahrhunderte lang hat man uns die Welt definiert:
KINDER – KÜCHE – KIRCHE
Wir sagen: Das 4., unser „K“ heißt KAMPF!
(V.i.S.P. und Kontakt: Ellen Diederich, Lothringer Str. 64,46045 Oberhausen)
Die Frauen haben die Küchenschürzen ausgezogen und die Mikrophone in die Hand genommen, haben die Angst verloren, zu sprechen – vor Chefs und Bürgermeistern vor der Presse den Mund aufgemacht, selber Lieder, Gedichte, Theaterstücke geschrieben.
Sie haben gemerkt, wie wichtig es ist, sich mit anderen an blauen, roten, gelben Küchentischen zu treffen, Zusammenhalt zu haben, nicht alleine da zu stehen. Sie haben angefangen, sich gegenseitig zu besuchen.
Sie haben versucht, kleine Händler, örtliche Firmen, Kirchengemeinden, zu mobilisieren, haben wie in Salzgitter, einen mittelalterlichen Pranger aufgebaut und sind mit Pferd und Kostümen durch die Stadt gezogen. Sie haben Schienen blockiert und Hungerstreiks gemacht, haben sich im Hamburger Senat ans Mikrophon bewegt und angefangen zu reden, bei Betriebsversammlungen dem Vertreter der Unternehmensleitung das Mikrophon aus der Hand genommen und selber gesprochen. Eine unendliche Zahl von Infoständen, Flugblättern und Diskussionen ist von Frauen gemacht worden, sie haben sich Rederecht bei Großdemonstrationen erkämpft
Die ersten Schritte werden bei den meisten ähnlich gewesen sein: Wie macht man ein Flugblatt, eine Unterschriftenliste, einen Infotisch. Andere haben bei Streiksituationen im Betrieb unterstützt, haben gekocht, wenn die Kantine dicht gemacht wurde, haben Streikposten gestanden. Vor allem: Haben angefangen zu sprechen. Viele haben sich ein Jahr zuvor noch nicht getraut, etwas zu sagen. Heute gehen sie zu einem Bankchef, einem Bürgermeister, einem Konzernchef und sagen ihnen ihre Meinung.
Der größte Arbeitskampf im Ruhrgebiet um das Krupp Werk in Duisburg-Rheinhausen begann 1987. Am 3. Dezember 1987 gründete sich die Fraueninitiative, die mit verschiedensten Aktionen auf sich aufmerksam machen konnte.
„Am 3. 12.1987 gründeten mehr als 500 Frauen in der Kantine des Rheinhausener Stahlwerkes, der Menage, die Fraueninitiative. Ihr Anliegen: Wir wollen weder Kaffee kochen, noch Brötchen schmieren. Einer breiten Öffentlichkeit schrieben sie sich ins Gedächtnis, als sie am Großaktionstag des Ruhrgebietes, am 10. Dezember 1987, die Stünningkreuzung in Rheinhausen stundenlang sperrten. Mit Wäscheleinen und aneinander geknoteten weißen Kopfkissen. Am 23. Februar wurde eine Menschenkette organisiert, die von der Dortmunder Westfalenhütte bis zum Duisburger Rathaus ging. Insgesamt beteiligten sich 80.000 Menschen.
Radikal, unkonventionell und über Rheinhausen hinaus setzte die „Frauenini“ eigene Akzente im Arbeitskampf. Viel schneller als die Männer suchten sie das Netzwerk und knüpften Fäden zu anderen Orten wo es auch brannte. Unermüdlich dabei waren Fasia Jansen mit der Gitarre und Ellen Diederich mit dem Kopf voller Aktionspläne. Beide aus Oberhausen und stets da, wo der Frieden der Hütten bedroht war.
Das Engagement über die Stadtgrenzen hinaus drückte sich aktiv und sichtbar aus. Da gab es das Frauenaktionszelt, das vielen Ansporn und Mut gab.“
(Waltraud Bierwirth, Manfred Vollmer, AufRuhr, Rheinhausen 1987/1999, S. 25)
Wir organisierten ein Aktionszelt an den verschiedenen Standorten im Ruhrgebiet und bei den Werften in Norddeutschland, an denen Arbeitsplätze bedroht waren, machten Info- und Kulturveranstaltungen. Drei Tage lang wurde das Zelt in Bonn (damals noch Hauptstadt) aufgebaut. Wir machten Demonstrationen, luden Bundestagsabgeordnete und andere zur Diskussion ein. Wir gingen auch zum Bundeswehr Hauptquartier auf die Hardthöhe, wo die Frauen den Militärs vorrechneten, dass mehr Geld für Tornados ausgegeben wurde, als Mittel für Krisenregionen. Wir brachten ihnen kleine Sandsäcke, sagten: Wir bringen euch den Sand zurück, den ihr uns jahrelang in die Augen gestreut habt!“
Als erstes brachten sie die Sandsäckchen zur Untersuchung in ein Labor, um nachzuprüfen, ob wir auch nichts gefährliches dort hinein gemischt hätten!
Wir organisierten eine Busfahrt nach Longwy in Lothringen, wo der Kampf schon früher gewesen ist. Dort auf dem ehemaligen Stahlwerksgelände war alles bis zur letzten Schraube abmontiert und nach China exportiert worden. Es war nur noch ein riesengroße schlammige Brache da. Die Frauen weinten, wenn sie sich vorstellten, dass so die Zukunft in Rheinhausen sein würde.
Die Aktionen durchzusetzen, war den Männern gegenüber nicht immer einfach. Im Laufe der Zeit aber besserte es sich. In der typisch kurzen Sprache des Ruhrpotts ging die Diskussion der Männer dann manchmal so: „Hermann, de Weiber? Alles klar?“ „Alles klar!“ Die Aktion wurde wohlwollend betrachtet.
Eine Frau war besonders stark, wenn es um Durchsetzung ging. Irmgard Chlebick, die einzige Frau im 33köpigen Betriebsrat von Krupp. Irmgard arbeitete 33 Jahr bei Krupp in unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Lange Jahre in der Kantine. Dort waren die meisten Frauenarbeitsplätze. Für diesen Bereich wurde sie in den Betriebsrat gewählt. Sich dort durchzusetzen, war nicht leicht, aber Irmgard schaffte das. Sie tröstete, sprach Mut zu. Nach dem Arbeitskampf versuchten Wohnungsbaufirmen sich die Kruppschen Wohnungen von 15.000 Menschen unter den Nagel zu reißen und es gelang ihnen. Die Wohnungen wurden verkauft, teil-weise überarbeitet und renoviert. Die Mieten stiegen nahezu auf das Doppelte. Viele Witwen von Krupp Arbeitern verloren ihre Wohnungen, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Irmgard vermittelte, half, neue Wohnungen zu finden. Sie war unermüdlich.
Die Fraueninitiative initiierte in verschiedenen Schulen ein Projekt mit dem Ti-tel: Rheinhausen muss leben, Krupp soll bleiben Die Kinder schrieben auf und malten, wie sie den Arbeitskampf erlebten und was sie sich wünschten.
„Ich wünsche mir, dass Krupp nicht schließt und dass Cromme arbeitslos wird. Ich würde mir sogar ein hausaufgabenfreies Jahr wünschen. Dann kommt noch dazu, dass ich mir viel Sport im Stundenplan wünsche. Ich wünsche mir, dass die Kinder in Afrika nicht verhungern. Ich möchte auch, dass kein Krieg ausbricht. Hoffentlich bleibt mein Hansi gesund. Ich wünsche mir vor allem Gesundheit für meine ganze Familie. Ich wäre glücklich, wenn meine Schwester mehr und öfter aufräumen würde.“
(Henrik, 9 Jahre)
„Es gibt vieles, was ich mir für 1988 wünsche. Gesundheit, die für alle wichtig ist, gute Noten in der Schule für das spätere Leben, keine Tierversuche mehr und Abrüstung. Aber was uns allen Sorgen macht, ist Krupp und der Erhalt aller Stahlstandorte. Es darf einfach nicht geschehen, dass Krupp dicht macht. Dann würden Tausende von Menschen arbeitslos und viele Ausbildungsplätze gingen verloren. Die Leute hier ziehen nacheinander weg und somit ist Rheinhausen dann tot. Was wird dann aus uns? Wir Kinder wohnen hier und möchten auch gerne hier wohnen bleiben. Denn hier haben wir unsere Freunde!“
(Claudia, 14 Jahre)
Ellen schlug vor, ein Geschichtsprojekt zu machen: „Die Frauen der Krupps und die Krupp Frauen.“
„Eine Dokumentation des Lebens“ entstand. Der „Kosmos“ Krupp entfaltete sich. Margarethensiedlung, Beamtenkolonie, Bertha Krankenhaus, die Menage, die Konsumanstalten. Zum Geschichtsprojekt gehörten aber auch die Lebensgeschichten der Frauen. Zum ersten Mal erzählten sie, was Mütter und Großmütter weitergegeben hatten vom Leben mit Krupp. Von Entbehrungen und Leid in zwei Kriegen, von Dienstverpflichtungen in der Hütte, von der Arbeit mit glühenden Eisen und den Sorgen um das tägliche Brot. Aber auch von Triumphen und Erfolgen, die allen zugute kamen. Es gab mehrere Ausstellungen, eine alte Küche und anderes wurden aufgebaut.
Durch die IBA Internationale Bauausstellung Emscherpark wurde die Arbeit mit dem 2. Preis für ein Geschichtsprojekt in NRW belohnt.
Die Frauen begannen weiter zu forschen über das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen bei Krupp. Dieses Interesse wurde vom Krupp Archiv Essen und dem Hauptstaatsarchiv abgeblockt. Die Frauen machten weiter. 1994 und 1995 besuchten insgesamt 20 ehemalige Zwangsarbeiterinnen Rheinhausen.
Ein Gedenkstein vor dem Rheinhausener Rathaus erinnert seit 1994 an das Leid und den Tod der russischen Frauen.“
Waltraud Bierwirth, Manfred Vollmer, AufRuhr, Rheinhausen 1987/1999, S. 25
Im Arbeitskampf gewannen die Frauen, sie hatten häufig keine eigene Berufsausbildung, Selbstbewusstsein, ein großes Wissen von den Strukturen der Gesellschaft. Einige konnten in eine neue Berufstätigkeit gehen, engagierten sich im sozialen Bereich, in den Schulen.
Insgesamt war der Arbeitskampf eine tiefe Erfahrung von Solidarität der ge-samten Bevölkerung in Rheinhaussen, in Duisburg, im ganzen Ruhrgebiet.
Deshalb engagiere ich mich immer noch. Corona läßt manchen Sumpf aus dem Nebel der Sättigung, des Wohlstandes, auftauchen. Zeigt es Euren Kindern, zeigt es Euren Enkeln und begleitet sie auf dem Weg zum menschlichen Miteinander.
Hardy Schumacher
Dafür bedanke ich mich sehr mit einem roten und kämpferischen Herzen bei der Autorin. Spürbar ist die Nähe und das Wissen um die Bedeutung dieses Kampfes der unvergessen bleiben wird.
Mit leidenschaftlicher Feder schwungvoll und lebensecht aufs Papier gebracht.
Das ist gelebte Solidarität und mich überfällt Wehmut und Verlust, aber auch eine Dankbarkeit den Millionen von Frauen und Männern gegenüber die selbst in Lebenssituationen die ihnen alles abverlangen niemals aufgegeben haben.
Besonders berührend die bleibende Erinnerung an die russischen Frauen die Zwangsarbeiterinnen bei Krupp gewesen waren und in anderen Konzernen unmenschlich weitab von ihrer Heimat sich zu Tode schuften mussten. Für die Herren von Rhein und Ruhr.
Dieses Pflänzchen der Solidarität des Zusammenhalt, der Fürsorge und dem Miteinander ist der Kitt der uns zusammenhält, wie auch die Hoffnung Und wie Ernesto Che Guevera wusste, die: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“ (Bolivianisches Tagebuch, Verlag Volk und Welt Berlin, 1987, deutsche Übersetzung).
Ich erinnere an „Brot und Rosen“.