Kleine Hilfen und ein großer Streik

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

206. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Griechenland wird mehr und mehr zu einem unruhigen Land. Und die Bevölkerung verarmt mehr und mehr. Im Mittelpunkt des heutigen Berichtes steht ein großer Streik, der zumindest Athen für 24 Stunden fast völlig lahmgelegt hat, eine Straßenschlacht zwischen Studierenden der Wirtschaftsuniversität und der Polizei sowie Dionysis, dem das griechische Gesundheitssystem immer noch nicht hilft. Stattdessen werden Tausende neuer Polizisten eingestellt. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

leider: der anhaltend positive Trend, über den ich Euch noch letzte Woche berichten konnte, erlitt in den vergangenen sieben Tagen einen deutlichen Einbruch. Waren in den Vorwochen nacheinander 817,- Euro, 490,- Euro und 705,- Euro für unsere GriechInnenhilfe gespendet worden, so gingen in den letzten sieben Tagen nur noch 50,- Euro auf unserem Hilfskonto ein, überwiesen von einem Spender an uns. Dank selbstverständlich auch für diesen Spendeneingang. Verbunden mit der Hoffnung, daß sich beim nächsten Mal wieder ein anderes Bild zeigen wird. Ich bin da auch einigermaßen sicher, denn – Ihr wisst darüber längst Bescheid: zum Monatswechsel pflegen bei uns stets auch die Zuwendungen von Dauerspendern bei uns einzugehen. Gleichwohl:

Zum ersten Mal in der knapp fünfjährigen Geschichte unserer Hilfsaktion mussten wir in den letzten Tagen eine schmerzliche Entscheidung treffen. Statt der rund 2.600,- Euro, die für die einschränkungslose Fortsetzung unserer Hilfsmaßnahmen erforderlich gewesen wären, konnten wir am Montag dieser Woche nur rund 1.600,- Euro an Tassos Chatzatoglou überweisen,  der unmittelbar vor seiner nächsten Spendenreise nach Griechenland steht.

Ich lasse hier beiseite, für welche Betroffenen wir unsere Unterstützung zunächst einmal aussetzen mussten. Stattdessen teile ich Euch mit, welche Hilfsbedürftigen Gelder von uns bekommen werden. Das sind einige verarmte Familien auf Andros,  die 500,- Euro als Unterstützung für ihren Lebensunterhalt bekommen sollen – vermutlich in der Gestalt von Lebensmittelbons. 180,- Euro wird der arbeitslose Schauspieler Alexander aus Athen erhalten, bei dem wieder mal das Bezahlen seiner Stromrechnungen fällig wird. Und 900,- Euro gehen erneut an die Familie von Dionysis, der wieder Gelder benötigt für seine spezielle Diät (Kosten, die von der griechischen Krankenkasse nicht übernommen werden). Wiederum zeigt sich also, wie sehr das griechische Gesundheitssystem am Boden liegt. Eine Änderung dieser dramatischen Situation ist nicht in Sicht. Denn wie bekannt: die ultrakonservative Regierung des Kyriakos Mitsotakis gibt Steuergelder lieber für Polizeizwecke aus. Später noch einiges mehr dazu!

Dass die sozialen Unruhen in Griechenland zunehmen, verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Drei Geschehnisse und Entwicklungen seien hierzu erwähnt:

Erstens: Am vergangenen Dienstag hatte die Gewerkschaft Öffentliche Dienste (ADEDY) in Athen zu einem 24-stündigen Streik aufgerufen – mit großem Erfolg. „Geschlossen“ – so die „Griechenland Zeitung“ (GZ) vom Mittwoch letzter Woche – beteiligten sich die Arbeitnehmer des lokalen Nahverkehrs an diesem Streik. Weder Busse noch die Straßenbahnen fuhren an diesem Tag, und auch die U- und Elektrobahnen blieben am vergangenen Dienstag in ihren Depots. Ebenfalls zum Erliegen kam nahezu vollständig die gesamte Schiffahrt in Griechenland (wichtig dabei vor allem der bestreikte Fährverkehr), gleiches galt für den Eisenbahnverkehr in ganz Griechenland. Was den zuständigen Minister Kostas A. Karamanlis zu der Äußerung veranlaßte, daß „alle Möglichkeiten offen“ seien, von Staatsseite aus dagegen vorzugehen. Sybillinische Worte, denen bislang keine Taten gefolgt sind, die aber zeigen, in welcher Frontstellung sich diese griechische Regierung sieht.

Ursache der Streikaktionen: ein neuer Gesetzentwurf zu sogenannten „Reformen“ der Renten- und Sozialversicherung, der am Tag vor den Arbeitsniederlegungen im griechischen Parlament eingebracht worden ist. Zwar warb die Regierung für diesen Gesetzentwurf mit dem Versprechen, „teilweise“ die Renten zu erhöhen und „flexiblere“ Versicherungsbeiträge zu schaffen, die vor allem den Freiberuflern und Bauern zugutekommen sollen, doch den Streikenden genügten diese partiellen und ausgesprochen selektiven Verbesserungen nicht. Sie forderten – nach den erheblichen Einbußen für Arbeitnehmer und Rentner bereits im Jahre 2016, da noch unter der Regierung der SYRIZA – eine Wiedereinführung der 13. und 14. Monatsrente, weil nur diese einen gewissen Ausgleich wiederherstellen könnte für die dramatischen Einkommensverluste während der letzten vier Jahre. Außerdem wurde bei den Streikaktionen wieder und wieder gewarnt vor einer weiteren Einschränkung der Sozialversicherungsrechte für die Menschen in Griechenland.

Dass auch dieses Mal über die griechischen Streikaktionen in den deutschen Medien kaum bis gar nicht berichtet wurde, sei an dieser Stelle nur angemerkt. Für HdS-Leser und – Leserinnen seit langem schon ein gewohnter Sachverhalt, denn zigmal hatte ich das während der letzten Monate bereits konstatieren müssen. Fast könnte man sagen: für bundesdeutsche Journalisten existiert Griechenland nicht mehr!

Zweitens: Das Informationssystem des Arbeitsministeriums „Ergani“ teilte in der vergangenen Woche mit, daß die Zahl der Arbeitnehmer in Griechenland wieder zurückgegangen sei – um 17.138 allein im ersten Monat dieses Jahres. Aufschwung sähe anders aus. Und der nationale Träger für Sozialversicherung, die EFKA, gab in der letzten Woche bekannt, dass mehr als die Hälfte der neuen Arbeitsplätze, die zu Beginn dieses Jahres in Griechenland geschaffen wurden, Teilzeitstellen seien, nämlich 53,62 Prozent. Was das bei einem Mindestlohn für Vollzeitstellen in der Höhe von 650,- Euro pro Monat bedeutet, gültig seit dem Mai 2019, vermag wohl jeder Leser selber einzuschätzen. Auch in Griechenland schreitet die Prekarisierung der Lebensverhältnisse für die Arbeitskräfte weiter voran! Schon im letzten Bericht hatte ich ja mitgeteilt, daß inzwischen fast siebzig Prozent aller GriechInnen „unterhalb oder knapp oberhalb der Armutsgrenze“ zu leben haben (einer OECD-Studie zufolge). Es geht also weiter mit der Verarmungs-, wenn nicht gar Verelendungspolitik in Griechenland.

Womit ich auch bei der dritten Mitteilung in diesem Zusammenhang bin – und damit gleichzeitig auch meine Kritik vom Beginn dieses Berichtes aufzugreifen vermag, die Tatsache nämlich,  dass die Regierung der „Nea Dimokratia“ lieber die Staatsgelder in ihr sogenanntes „Sicherheitssystem“ investiert statt in soziale Aufgaben zu stecken – konkret: in ihre Polizei. Hier ist unser Gewährsmann der „Bürgerschutzminister“ Michalis Chryssochoides, der am Sonntag, den 16.2., verkündete, dass landesweit das Kontingent der sogenannten „Sicherheitskräfte“ um 3.000 Stellen aufgestockt werden solle. Allein im Großraum Athen würden 1.500 zusätzliche Polizisten eingestellt. Chryssochoides wörtlich dazu: „Die Bürger werden alle 15 Minuten einen Polizisten sehen“. Soll man dieses nun tatsächlich als ein gesteigertes Sicherheitsversprechen deuten? Oder nicht doch eher als einen Schritt, der Griechenland mehr und mehr zu einem Polizeistaat werden lässt?

Nun, daß der angebliche „Bürgerschutz“, für den Chryssochoides verantwortlich ist, in der Praxis eher den Schutz von Bürgern aus der Welt schafft, auch dieses Tatsache ist Euch HdS-Leserinnen und HdS-Leser nicht neu. Ich erinnere hier nur an meine zahlreichen Berichte über die Gewaltaktionen von Polizeibeamten in den Athener Stadtteilen Exarchia und Koukani. „Bürgerschutz“ dort besteht darin, Menschen krankenhausreif zu schlagen, Wohnungsleerstand wiederherzustellen und für noch mehr Obdachlosigkeit zu sorgen für die Menschen dort. Doch auch auf Straßenhändler mit „Migrationshintergrund“ macht nun die Athener Polizei mehr und mehr Jagd. Ganz aktuell, vom Montag dieser Woche, ist zum Beispiel von den folgenden Geschehnissen zu berichten:

Am Nachmittag des 24. Februar verfolgte ein Zivilfahnder außer Dienst (also: illegitimerweise!) einen Straßenhändler, der auf dem Gelände der Wirtschaftsuniversität ASOEE Zuflucht suchte (zur Erinnerung: das Universitätsasyl, also Schutz vor Polizeieinsätzen – Resultat der Zeit nach dem Obristenregime in Griechenland – wurde inzwischen ja abgeschafft). Als der Fahnder sich unvermittelt einer Anzahl von Studierenden gegenüber sah, die sich schützend vor den ausländischen Straßenhändler stellten, zog er seine Schußwaffe und zielte damit aus kurzer Distanz auf den vollbesetzten Hof.

Studentische und anarchistische Gruppen riefen daraufhin zu einer Kundgebung am gestrigen Dienstag auf. Schauplatz der Demonstration: zunächst das Gelände der Universität, dann auch die Straße, die Patision, vor der ASOEE, eine der zentralen Verkehrsachsen in Athen. Der Verkehr – es war „Rush-Hour“ – brach zusammen, Polizei rückte an mit diversen Spezialeinheiten sowie mit der üblichen Bereitschaftspolizei, und es kam, den Angaben eines Augenzeugen zufolge, zu einer regelrechten Straßenschlacht, bei der – wieder einmal – Tränengas eingesetzt wurde. Erst nach einer Stunde zogen sich die Demonstranten zurück – Anlass für die Polizei, das Universitätsgelände zu stürmen, um dort Menschen zu verhaften – mindestens fünf, wie der Augenzeuge am selben Tag noch, über de.indymedia.org, den Lesern mitteilte. Das alles, weil ein Straßenhändler ausländischer Herkunft Tabak verkauft hatte. Frage: sieht so „Bürgerschutz“ aus? Oder hätte Bürgerschutz nicht eigentlich anderes und besseres zu tun: nämlich die Menschen in Griechenland vor weiterer Verarmung zu schützen, vor Obdachlosigkeit, vor Notlagen im Krankheitsfall wie bei Dionysis, dem das staatliche Gesundheitssystem die Kostenübernahme  für seine zwingend erforderliche Diät vorenthält? Eines jedenfalls ist gewiss: Dionysis, dem kranken Jungen, wird es nicht helfen, wenn er in Athen alle 15 Minuten einem Polizisten begegnen kann. Und auf den Straßen und in den Parks der griechischen Hauptstadt immer mehr Obdachlose campieren sieht.

Ja, es stimmt: Athen, das kann sehr kalt sein, in vielerlei Hinsicht!

Und damit erneut zu meinem Aufruf zu Spenden für unsere Hilfsaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“. Also:

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

 

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

 

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer, wie gesagt, noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V.“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „GR-IHW“ versehen. Es sei wiederholt: wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

 

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