Konservative Wirtschaftspolitik ist Katastrophenpolitik
199. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Überraschend oder auch nicht: selbst die „Griechenland Zeitung“ diagnostiziert Klassenpolitik in Griechenland – Klassenpolitik zugunsten der Reichen natürlich! Erneut ist also über die Abwesenheit von Sozialpolitik in Hellas zu sprechen. Und erneut am Beispiel der Wohnungspolitik, in Exarchia und anderswo. Doch erneut können wir uns auch über ein gutes Spendenergebnis freuen. Im Folgenden also, nicht zum ersten Mal, ein „durchwachsener“ Bericht. Holdger Platta
Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,
wie schrieb ich in meinem letzten Bericht, veröffentlicht bei uns am 23. Dezember 2019? – „Auch während der Restzeit des ablaufenden Jahres 2019 wird es weitere Unterstützung für unsere GriechInnenhilfe geben“.
Nun, meine hoffnungsfrohe Prognose ist tatsächlich in Erfüllung gegangen – trotz der Feiertage, trotz der Tatsache, dass für viele Menschen – selbstverständlich auch für Euch (und für uns, die Organisatoren) – “zwischen den Jahren” ein Pausieren angesagt war. Fast möchte ich formulieren: Urlaub auch vom Helfen, Urlaub auch von der Politik. Doch hier das Ergebnis:
War der Spendenbetrag, überwiesen von 4 HelferInnen unter Euch, in der Woche vor dem Weihnachtsfest zurückgegangen auf 110,- Euro, so trafen seither 580,- Euro an neuen Spenden bei uns ein, die Anzahl der SpenderInnen belief sich auf 8! Das ist, wie ich finde, ein gutes, ein ermutigendes Ergebnis und lässt uns zuversichtlich in das neue Jahr sehen. Wobei sich wohl von selbst versteht: diese Aussage bezieht sich nur auf unsere Hilfsaktion. Die bedrohlichen Entwicklungen, die sich ansonsten in der Welt abzeichnen – mit Schwerpunkt Iran und Irak –, dürften hingegen uns alle mit großer Sorge erfüllen (andere ungute Nachrichten erwähne ich hier nicht). Für unser Engagement in Griechenland hat das neue Jahr jedenfalls eher verheißungsvoll begonnen, und ich bedanke mich bei allen Unterstützerinnen und Unterstützern unserer GriechInnenhilfe sehr. Selbstverständlich im Namen des gesamten Teams – und selbstverständlich auch nochmalig verknüpft mit einem großen Dank an alle Aktiven in unserem Team!
Wie Ihr verstehen werdet, gibt es – nach Abschluss unserer Hilfsarbeiten unmittelbar vor dem Weihnachtsfest – heute noch nichts Neues zu berichten über unsere Hilfstätigkeit. Aber lasst mich ein Thema nochmals aufgreifen, das auch in meinem letzten Bericht vor dem Weihnachtsfest eine Rolle gespielt hatte – und dort nicht zum ersten Mal: die neue Wohnungspolitik der neuen Regierung, der „Nea Dimokratia“, die vor allem in Athen aufs brutalste in Gang gesetzt worden ist, das, was Fachleute „Gentrifizierungspolitik“ nennen, eine Politik, die vorherige – meistens: ärmere – Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Häusern vertreibt, um Platz zu schaffen fürs Kapital der Reichen, dort ihre Geldinteressen durchzusetzen. Abgekürzt: Investitionsmöglichkeiten zu verschaffen – nicht zuletzt für Kaufinteressenten aus dem Ausland – in den Erwerb und Umbau von Wohneigentum, mit dem Ziel, luxuriöse Edel-Viertel herzustellen für Luxus-Bewohner, Wohnraum freizuräumen, der dann zu Höchstpreisen vermietet werden kann (und die vormalige, die ärmere, Bevölkerung dort kann dann sehen, wo sie bleibt).
Ihr erinnert Euch: die Rede gewesen war in meinen letzten Berichten vor allem von Exarchia, dem Künstler- und Anarchistenviertel in Athen zu Füßen der Akropolis, gleichzeitig Obdach geworden für zahlreiche Flüchtlinge in Griechenland. Mit welcher Brutalität die Polizei gegen die Menschen dort vorgegangen ist, muss heute nicht wiederholt werden. Aber dass sich diese gewaltsame Räumung von Häusern einreiht in einen Geschehensablauf, der mittlerweile ganz Griechenland erfasst hat und nicht nur auf Tränengas und Knüppel setzt, davon möchte ich heute vor allem berichten. In erster Linie berufe ich mich dabei auf die „Griechenland Zeitung“ (GZ) vom 18. Dezember des alten Jahres. Ihr wisst: kein Wochenblatt, das dem linken Spektrum zugeordnet werden könnte, sondern eher ein durch und durch „bürgerliches“ Zeitungsprojekt, ein Zeitungsorgan, das sich bei der Kommentierung politischer Ereignisse eher zurückhält. Um so gewichtiger deshalb, was in der genannten Ausgabe der GZ zu lesen war!
Fangen wir mit ein paar wenigen Zahlen an: einem Kurzbericht der „Griechenland Zeitung“ zufolge sind während des letzten Jahres die Wohnungspreise in Griechenland um fast ein Zehntel angestiegen – präziser gesagt: um 9,1 Prozent. Was das für einen Großteil der Bevölkerung bedeutet – für das untere Bevölkerungsdrittel, das ich ebenfalls in meinen vorangegangenen Berichten schon mehrfach erwähnte -, muß wohl nicht erläutert werden: noch mehr Existenznot, um es auf den Punkt zu bringen.
In Athen belief sich der Preisanstieg bei den Mieten sogar auf knapp 12 Prozent – wobei, wie die GZ schreibt, das Baujahr der im Index erfassten Wohnungen keine Rolle bei dieser „Wertsteigerung“ gespielt hat. Die „Griechenland Zeitung“ wörtlich: „Sowohl ältere als auch jüngere Wohnungen verzeichneten praktisch den gleichen Preissprung“. Was im Klartext bedeutet: diese Mehrbelastung macht auch vor den armen Menschen nicht Halt. Und auch wir, die wir schon in der Vergangenheit immer mal wieder einspringen mussten bei aufgelaufenen Mietschulden, werden dieses mit Sicherheit zu spüren bekommen. Wohnen, dieses Menschenrecht, wird für immer mehr Griechen und Griechinnen zur Bedrohung und Last!
Für bemerkenswert halte ich deswegen die Deutlichkeit, mit der Dimos Chatzichristou – Redakteur bei der GZ – diese Entwicklung in der genannten Ausgabe Nummer 706 der „Griechenland Zeitung“ kommentiert hat. Unter dem Titel „Die neue Zweiklassengesellschaft“ schreibt der Journalist unter anderem – und er begründet diese Diagnose vor allem mit der Entwicklung der Preise auf dem Wohnungsmarkt:
„Während der Staat reichen Ausländern Tür und Tor öffnet, ohne sie groß nach der Herkunft ihrer Gelder zu fragen, nimmt er die hier ansässigen Bürger so hart ran, wie nie zuvor: Steuern und Sozialversicherungsbeiträge verschlingen mindestens die Hälfte ihrer Einkommen. Haushalte, die den Banken oder dem Staat Geld schulden, führen ein prekäres Dasein.“
Und im Blick auf Veränderungen im Steuerrecht fügt Dimos Chatzichristou hinzu:
„Griechenland darf nicht im gleichen Augenblick Steuerparadies für die Einen und Steuer-Gulag für die Anderen sein.“
Und Dimos Chatzichristou beschließt seinen Kommentar mit den Worten:
„Nicht jede Art ausländischen Kapitals kurbelt die Wirtschaft gleichermaßen an. Ein großer Teil der bislang getätigten Zuflüsse wird in den Immobilienmarkt investiert. Davon profitiert eine relativ beschränkte Gruppe von Grundstücksbesitzern, Maklern und Anwälten. Viele schicken die Erlöse ohnehin gleich ins Ausland. Und der Anstieg der Immobilienpreise treibt die Wohn- und Betriebskosten von Haushalten und Unternehmen mit in die Höhe. Gezielte Wirtschaftspolitik und Konjunkturaufschwung sehen anders aus.“
„Gezielte Wirtschaftspolitik und Konjunkturaufschwung sehen anders aus“? – Nun, einzig diesen Satz in Chatzichristous Kommentierung würde ich korrigieren wollen. „Gezielte Wirtschaftspolitik“ ist das, was er beschreibt und kritisiert, durchaus. Nur eben „gezielte Wirtschaftspolitik“ zugunsten des großen Kapitals (egal, ob aus- oder inländischer Herkunft). Mit diesem Halbsatz fällt der Journalist gleichsam der eigenen Analyse in den Rücken, die er mit seiner Überschrift so präzise auf den Punkt gebracht hat: dass hier der Weg zu einer neuen „Zweiklassengesellschaft“ eingeschlagen worden ist. Aber dass eine solche Politik Konjunktur nicht befördert, sondern abwürgt, liegt auf der Hand. Was an Geldern ins Ausland abfließt, kann die Kaufkraft im Inland nicht stärken. Und was an Kaufkraft im Inland fehlt, schwächt selbstverständlich auch Nachfrage in der eigenen Volkswirtschaft. Kurz gesagt:
Was in sozialer und humaner Perspektive verheerend ist, diese weitere Verelendung von Millionen Menschen in Griechenland, das ist auch in ökonomischer Hinsicht Verschärfung der Katastrophenpolitik! Ein weiteres Mal sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass es gute Wirtschaftspolitik nicht geben kann ohne gute Sozialpolitik. Schon die SYRIZA-Regierung verstieß permanent gegen die Grundsätze einer guten Sozial- und Wirtschaftspolitik. Die rechtskonservative Mitsotakis-Regierung tut dieses ebenfalls und verschärft das alles noch.
Kein Zweifel, liebe HdS-Leserinnen und HdS-Leser, wir werden weiter gebraucht. Und so bescheiden unsere Mittel auch sind: wir werden weiter mit unserer Hilfe zur Verfügung stehen.
Und deswegen auch dieses Mal wieder mein Aufruf zu Spenden für unsere Hilfsaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“.
Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“ auf das Konto:
Inhaber: IHW
IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49
BIC: NOLADE21GOE
Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.
Und wer, wie gesagt, noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V.“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „GR-IHW“ versehen. Es sei wiederholt: wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.
Mit herzlichen Grüßen wie stets
Euer Holdger Platta
Beides im Zusammenhang gesehen beschreibt das Spannungsfeld zwischen dem schleichenden Ausverkauf eines Landes durch international tätige Immobilienfirmen auf der einen Seite und dem konstruktiven Prozess, der Hilfe zur Selbsthilfe, auf der anderen Seite.
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“In Athen können Anleger vom Immobilienboom profitieren”- so lese ich die aktuelle Anzeige im Handelsblatt unter der Rubrik “Immobilienmarkt”. ”
„Durch die Zurückhaltung der Käufer während der vergangenen Jahre und durch den gleichzeitig einsetzenden Tourismusboom ergibt sich der Effekt, dass Immobilien im internationalen Vergleich günstiger gekauft, jedoch hochpreisig vermietet werden können“, erklärt Georg Petras, Lizenzpartner von Engel & Völkers auf der Insel Rhodos.
Erschreckend, wie sich die Herren des Geldes zu Herren einer Nation machen! Es wird die Not der Griechen ausgenutzt, um seine eigenen Profite steigern zu können. Dieses skrupellose Beispiel lässt sich auf viele wichtige Wirtschaftszweige ausdehnen, so auch auf die Industrie, den Energiesektor und die Landwirtschaft in Griechenland. Das Ende vom Lied wäre: “der komplette Ausverkauf ” und darüber die wirtschaftliche UND politische Abhängigkeit eines Landes. Dieser Prozess ist weltweit zu betrachten.
Ich halte es für wichtig, dem wirtschaftlichen Geschehen genau auf die Finger zu schauen und den kruden Bossen dieser Erde diesen Spiegel vorzuhalten.
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https://www.handelsblatt.com/finanzen/immobilien/wohnungsmarkt-in-athen-koennen-anleger-vom-immobilienboom-profitieren/24402296.html
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Ganz anders liest sich der Bericht über die soziale Bewegung in Athen. Solange es engagierte Menschen, Selbstverwaltungsgruppen und soziales Engagement dieser Art gibt, gibt es Hoffnung auf eine Veränderung zum Guten. Möge sich die soziale Bewegung in Athen durchsetzen und dem Ausverkauf des Landes ein für alle mal die rote Karte zeigen.
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https://www.graswurzel.net/gwr/2018/12/soziale-bewegungen-in-athen/
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[OFFICIAL] They Don’t Care About Us – Michael Jackson Dance Tribute
https://youtu.be/QEVeYXoBQrw
vielen Dank für Deine ergänzenden Hinweise, die beide auf wertvolle Weise ergänzen, was ich in meinem Beitrag zur GriechInnenhilfe berichtet habe!
Herzlich
Holdger