Krieg gegen die Umwelt

 In FEATURED, Politik, Umwelt/Natur

Viele etablierte Politiker kann man heute als umweltbewusste Kriegstreiber bezeichnen — dass darin ein geradezu absurder Widerspruch besteht, scheint niemanden zu kümmern. Jeder Krieg ist nicht nur eine menschliche, er ist auch eine Umweltkatastrophe. Wer also den Klimaschützer mimt, zugleich aber auch für mehr Waffenlieferungen und eine härtere Gangart gegen „den Aggressor“ ist, verhält sich geradezu schizophren. Schon oft in der Geschichte verwüsteten Kriegsvorbereitungen ganze Landstriche mit unwiderruflichen Folgen — etwa die Abholzung weiter Flächen in Spanien für die später von England zu Schrott geschossene Armada. Großflächige Brände, in die Luft verpulverter giftiger Dampf, tödliche Landminen, gewaltige Schäden in der Tier- und Pflanzenwelt … Das sind nur einige der schlimmsten Kriegsfolgen. Vielleicht kann man Grün-Bellizisten ja auch nur überzeugen, indem man erklärt, dass sich in Kriegen der CO2-Ausstoß drastisch erhöht. Selbst dies scheint aber bisher niemanden zu jucken. Hinzu kommt, dass die immensen weltweiten Militärausgaben auch auf Kosten von Umweltprojekten gehen. Mit dem Geld für die von einigen deutschen Talkshowgästen so geliebten Haubitzen könnte man Böden entgiften, Bäume pflanzen und Gärten anlegen. Wolfgang Sachsenröder

 

Nach den neuesten Umfragen sinkt in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Bereitschaft, die Ukraine im Kampf gegen Russland mit allem zu unterstützen, was nötig ist und solange es nötig ist. Es geht dabei auch um private Hilfe und die Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen, aber vor allem um die bedingungslose Lieferung von Waffen und Munition. Für Letztere gehen offenbar auch die Reserven der Geberländer zur Neige, und die Waffenhersteller sind selbst in den USA nicht in der Lage, die benötigten Mengen für die eigene Verteidigung schnell genug aufzufüllen.

In Deutschland ist die moralische Unterstützung nach wie vor hoch, im Westen offenbar höher als im Osten, und die deutschen Medien konstatieren mit Entrüstung, dass im Osten sogar ein Drittel der NATO eine Mitschuld am russischen Angriff gibt. Mehr in den Leserbriefspalten als in den Zeitungen selbst wird gelegentlich darauf hingewiesen, dass gerade die Grünen die Ukraine-Hilfe besonders stark unterstützen. Eigentlich hatte diese Partei doch lange Wurzeln in der inzwischen weitgehend unbedeutenden deutschen Friedensbewegung. Jetzt sitzt eine neue „grüne“ Generation in der Regierung. Aber auch bei den neuen Kernthemen der Grünen, der Umwelt und dem Klimawandel, schweigen ihre Politiker wie die Medien auffallend, wenn es um die unmittelbaren und langfristigen Umweltschäden als Kriegsfolge geht.

Kriege und langfristige Umweltschäden

Historische Umweltschäden, etwa durch die endlosen Kriege im alten Rom, sind auch nach 2000 Jahren noch sichtbar. Der in der Antike dicht bewaldete Mittelmeerraum ist durch den gewaltigen Flottenbau der Römer weiträumig entwaldet worden und hat durch die dadurch entstandene Verkarstung seine charakteristisch aride Fauna und Flora entwickelt. In deutschen Städten finden sich bei Bauarbeiten regelmäßig Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg und erfordern bei ihrer Entschärfung oft weiträumige Evakuierungen der Anwohner. Da die Kriegsschäden inzwischen weitgehend beseitigt sind und nur die ganz Alten sich noch an die Ruinenlandschaften erinnern können, schafft es die Beziehung zwischen Krieg und Umwelt offenbar nicht mehr auf die aktuelle Tagesordnung. Und auch der zukünftige Wiederaufbau der Ukraine wird eher unter finanziellen Aspekten diskutiert, jedenfalls liest man weniger über die sozialen und emotionalen Folgen für die Menschen dort und noch weniger über die verseuchte Umwelt.

In anderen Ländern sind der Bevölkerung die Kriegsfolgen stärker in Erinnerung geblieben, weil immer wieder Menschen unerwartet auf eine Landmine treten. Die Verminung großer Flächen auch dünn besiedelter Gebiete Indochinas im Vietnamkrieg oder die Missbildungen von Babys durch die weiträumige Besprühung von Waldgebieten mit Entlaubungsmitteln sind dort unvergessen.

Internationale Aufmerksamkeit bekam im Januar 2022 ein Bericht über die Ratte Magawa, die fünf Jahre lang mit ihrem fabelhaften Geruchssinn beim Minenräumen geholfen hatte, mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde und kurz danach friedlich verstarb. Vermutlich galt die Aufmerksamkeit mehr dem niedlichen Nagetier als den gefährlichen Minen. Aber fast fünfzig Jahre nach dem Ende des Krieges, an dem Kambodscha gar nicht beteiligt war, sind die materiellen Schäden längst nicht beseitigt. Die Regierung hat erst Anfang Dezember 2022 ein neues Programm mit dem Ziel aufgelegt, wenigstens die restlichen Landminen bis Ende 2025 zu beseitigen. Gleichzeitig werden neue Land- und Seeminen in der Ukraine massenweise verlegt.

Vergebliche Warnungen?

Ökologisch verheerende Kriegsschäden sind vor allem im Mittleren Osten untersucht worden. 1991 brannten in Kuwait mehr als 700 Ölquellen, täglich wurden sechs Millionen Barrel Rohöl vernichtet, damals 9 Prozent des Weltverbrauchs. Freigesetzt wurden Millionen Tonnen Schwefel, Stickstoff, Ruß und Kohlenwasserstoff, eine Decke aus Ruß und Öl bedeckte 60 Prozent der Gesamtfläche Kuwaits. Kriegsmüll und Blindgänger machen immer noch ganze Gebiete unzugänglich und die Strahlung der mit Uran gehärteten Munitionsreste bleibt eine unsichtbare Bedrohung für Generationen. Gerade die dramatischen Bilder der brennenden Ölquellen mögen zu Diskussionen über diese allzu sichtbaren Kriegsfolgen beigetragen haben. Aber erst am 5. November 2001 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen den 6. November eines jeden Jahres zum „Internationalen Tag für die Verhütung der Ausbeutung der Umwelt in Kriegen und bewaffneten Konflikten“ (RES 56/4).

Zum diesjährigen Internationalen Tag war das Echo in Deutschland fast unhörbar. Im Internet wird er wenigstens auf den Webseiten erwähnt, die in einem Kalender an solche Ereignisse erinnern, in den Leitmedien fand er nicht statt, entsprechende Stellungnahmen von den Grünen oder der gerade anderweitig so aktiven „Letzten Generation“ fehlten ebenso. Immerhin gab es pünktlich am 6. November 2022 eine Stellungnahme der antimilitaristischen Initiative Marburger Bündnis „Nein zum Krieg” und der Deutschen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen (ICBUW Deutschland), insgesamt also, auch wenn es vielleicht einige mehr waren, eine verschwindende Minderheit.

Nach Jahrzehnten mit weit entfernten Schauplätzen und trotz teils gefährlicher Bundeswehr-Einsätze in Afrika und auf dem Balkan, die aber als Friedensmissionen klassifiziert wurden, ist das Inferno nun fast an die deutsche Haustür herangerückt. Es nimmt uns nicht nur emotional mit, sondern beteiligt uns auch ganz direkt mit den ukrainischen Flüchtlingen und der politischen Entscheidung, die Ukraine mit Waffen und Material zu unterstützen.

Behagliche Gespräche über weit entfernte Kriege wie im Osterspaziergang in Goethes Faust sind nicht mehr möglich, ein Teil der Bevölkerung scheint sich auch selbst durch Russland militärisch bedroht zu fühlen. Insofern werden die kriegsbedingten Umweltprobleme erst einmal hintangestellt oder verdrängt. Sie sollten aber zumindest von der Politik stärker beachtet werden.

Umweltprobleme durch akute Konflikte und die progressive Hochrüstung

Was man in den Regionen Deutschlands mit Luftwaffenstandorten ohnehin vermuten kann, dass nämlich neben der zivilen Luftfahrt auch der militärische Luftverkehr eine erhebliche Umweltbelastung darstellt, bestätigen entsprechende Forschungsberichte. Eine kritische Studie vom Juni 2019 der Brown University bei Boston bezeichnet das US-Militär als größten Umweltsünder. Demnach hat das Militär seit 2001 insgesamt 1,8 Milliarden Tonnen Treibhausgase erzeugt, mehr als doppelt so viel, wie alle PKW der USA zusammen in einem Jahr ausstoßen. Das Pentagon sei der weltweit größte institutionelle Verbraucher fossiler Energie und trage damit als einer der Hauptakteure maßgeblich zum Klimawandel bei.

Präsident Joe Biden und seine Energieministerin Jennifer M. Granholm haben inzwischen eine Reihe von Programmen zur Entkarbonisierung initiiert, die aber nur langfristig umgesetzt werden können. Die Forscher der Brown University erhielten ihre Zahlen übrigens von Granholms Ministerium, denn das Pentagon liefert selbst dem Kongress keine Verbrauchszahlen. Die genannte Studie kann unter [Cost of War]www.costsofwar.org eingesehen werden. Weitere aktuelle Informationen veröffentlicht der Informationsdienst Umwelt und Militär, der Ende 2018 aus der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ hervorgegangen ist.

Vergleichbare Daten sind naturgemäß weder für Russland noch China zugänglich, lassen sich aber in etwa erahnen. Die neuesten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungs-Instituts SIPRI sprechen wenigstens nicht für einen Rückgang. Demnach setzten die hundert größten Waffenkonzerne im vergangenen Jahr 592 Milliarden US-Dollar um, weit voraus die langjährigen Spitzenreiter Lockheed Martin, Raytheon, Boeing, Northrop Grumman, General Dynamics und die britische Firma BAE Systems sowie inzwischen auch vier chinesische Konzerne.

Die Gesamtausgaben der USA für Militär und Sicherheit, einschließlich der Geheimdienste und der National Security Agency, die sich auch um die Cybersecurity kümmert, werden auf mehr als eine Billion US-Dollar geschätzt. In den im April von Statista veröffentlichten Zahlen für 2021 liegen die USA mit 801 Milliarden direkten Militärausgaben an der Spitze, gefolgt vom aufholenden China mit 292 und Indien mit 76. Großbritannien gab mit 68,4 Milliarden noch rund 2,5 Milliarden mehr aus als Russland vor der Ukraine-Invasion, Frankreich und Deutschland liegen mit rund 56 Milliarden fast gleichauf.

Inzwischen finden sich im Internet „Träumer“, die die mutmaßlichen Welt-Militärausgaben theoretisch auf fabelhafte Pro-Kopf-Einkommen für jeden der acht Milliarden Erdenbürger umrechnen wollen, was leider zu schön wäre, um jemals wahr zu werden. Auf der anderen Seite würde es der Welt und uns allen guttun, dem Thema Krieg und Umwelt die ihm gebührende Priorität einzuräumen.

 

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Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschienen ist.

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