Krieg, Zensur und Repression

 In FEATURED, Politik

Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden werden immer poröser: Wirtschaftskriege, Cyberkriege, hybride Kriege, Propagandakriege. Krieg ist, global betrachtet, zu einem Normalzustand geworden. Ulrich Teusch seziert in seinem neuen Buch „Der Krieg vor dem Krieg“ aktuelle und historische Propagandastrategien und beleuchtet die Interessen der Kriegsverkäufer in Politik, Wirtschaft, Militär und Medien. Ein Auszug aus dem Buch.

Am 31. Oktober 2017 wurden Vertreter von Facebook, Twitter und Google vor dem Rechtsausschuss des US-Senats gehört. Thema der Sitzung waren »extremistische Inhalte und russische Desinformation im Internet«. Besonders interessant war der zweite Teil der Sitzung, als die meisten Senatoren die Veranstaltung bereits verlassen hatten. Da nämlich hatte Clint Watts, einst US-Offizier und FBI-Agent, heute Mitglied der Alliance for Securing Democracy, seinen großen Auftritt.

»Bürgerkriege beginnen nicht mit Schüssen, sondern mit Worten. Amerikas Krieg mit sich selbst hat schon begonnen. Wir müssen jetzt alle auf dem Schlachtfeld der sozialen Medien tätig werden, um Informationsrevolten zu unterdrücken, die sehr schnell zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen und uns leicht in die Gespaltenen Staaten von Amerika verwandeln könnten. … Das Artilleriefeuer von Falschinformationen, denen die Nutzer sozialer Medien ausgesetzt sind, wird nur beendet, wenn die Kanäle, die gefälschte Geschichten verbreiten, zum Schweigen gebracht werden. Bringt die Waffen zum Schweigen und das Trommelfeuer hat ein Ende. … (Bislang jedoch) verharrt unser Land in einer Beobachterposition, gelähmt durch Debatten und mit jedem Tag mehr gespalten durch manipulative Kräfte, die von weither kommen«.7

Keine Frage, für Clint Watts hat der Krieg längst begonnen. Zwar werden nicht überall auf der Welt solch alarmistische Töne gespuckt. Dennoch kann man ganz generell festhalten, dass die Auseinandersetzung an Schärfe zunimmt. Das gilt auch für Deutschland, für Europa – und vor allem für die USA, die uns immer ein Stück voraus sind. Bei Clint Watts jedenfalls erleben wir nicht nur die Sprache des Kriegs und des Kriegers, sondern auch die schon diskutierte und für das Empire so typische Neigung, Probleme im Inneren des Landes den bösartigen, schwer fassbaren, von außen wirkenden Kräften in die Schuhe zu schieben. Und selbstverständlich bringt man die äußeren Störenfriede mit den inneren Unruhestiftern in Verbindung – ein Verfahren, das Anwendung findet, seit es Propaganda gibt.

Verbale Eskalationen der zitierten Art sind zwar nicht neu, aber sie treten in jüngerer Zeit häufiger und heftiger auf. Wie immer geht es um die »Herstellung von Konsens« (Noam Chomsky), und zwar national wie international. Und da sich dies immer schwieriger gestaltet, also die bislang erfolgreichen Methoden an Grenzen stoßen, werden andere Saiten aufgezogen. Einen ersten Pflock schlug die Washington Post drei Wochen nach der Präsidentschaftswahl 2016 ein. Ihr Autor Craig Timberg beschuldigte an prominenter Stelle über 200 Alternativmedien (linke, konservative, libertäre), mit Russland unter einer Decke zu stecken oder als nützliche Idioten des Kreml zu agieren.8 Darunter waren so renommierte Portale wie Counterpunch, Truthdig oder Consortiumnews. Die Liste war von einer dubiosen, bis dahin nie in Erscheinung getretenen Gruppe namens PropOrNot zusammengestellt worden.9 Es handelte sich hier um den ersten brachialen und denunziatorischen Angriff auf den medialen Alternativsektor – McCarthy ließ grüßen. Die Post sah sich zwar einige Zeit später gezwungen, ein wenig zurückzurudern, aber da war der Schaden längst angerichtet. Interessant am Rande: In seinem Artikel erwähnt Timberg namentlich den eingangs zitierten Clint Watts; dieser war also schon am Start dabei, mischte bereits mit, als die berüchtigte »Russiagate«-Kampagne lanciert wurde.

Im August 2017 trat urplötzlich eine weitere Initiative nach Art von PropOrNot auf den Plan. Ihr Name: Alliance for Securing Democracy.10 Wir erinnern uns: Clint Watts ist Mitglied dieser Organisation und sprach vor dem Senatsausschuss als ihr Vertreter. Gesponsert vom German Marshall Fund wollte die Alliance unter anderem zeigen, wie russische Twitter-Bots den politischen Diskurs der USA durchdringen. Sie veröffentlichte täglich das Online-Dashboard Hamilton 68. Der Erfolg hielt sich in engen Grenzen. Am Ende musste sie zugeben, »dass die Masse der Twitter-Accounts, die sie ursprünglich als ›russische Bots‹ identifiziert hatte, weder eindeutige Bots noch russischen Ursprungs waren«.11

Was der einen NATO-Vorfeldorganisation recht ist, das ist der anderen billig – womit wir vom German Marshall Fund zum Atlantic Council kommen. Im März 2018 fand im US-Verteidigungs­ministerium eine Konferenz hochrangiger Militär-, Polizei- und Unternehmensvertreter zum Thema »Souveränität im Informationszeitalter« statt. Über was genau wurde dort gesprochen und zu welchen Ergebnissen ist man gelangt? Aus den Medien war zunächst nichts zu erfahren. Einige Monate später hat die NATO-treue Denk- und Propagandafabrik Atlantic Council einen gut 20-seitigen Report veröffentlicht mit dem Titel »Whose Truth? Sovereignty, Disinformation and Winning the Battle of Trust« (»Wessen Wahrheit? Souveränität, Desinformation und wie man die Schlacht um das Vertrauen gewinnt«), in dem die Erkenntnisse besagter Konferenz zusammengefasst werden.

Die Bestandsaufnahme skizziert zwei unterschiedliche, aber sich wechselseitig verstärkende Entwicklungen: Einerseits erodiert das Systemvertrauen, insbesondere das Vertrauen in den Staat. Dissens und Opposition wachsen. Andererseits schwindet die staatliche Steuerungsmacht, die Souveränität ist bedroht. Verstärkt wird dieser Erosionsprozess durch das Internet, das es ermöglicht, vom Mainstream abweichende Meinungen und Informationen in bislang nicht gekanntem Umfang, nicht gekannter Reichweite und insbesondere nicht gekannter Geschwindigkeit zu verbreiten.12

Die herrschaftsgefährdenden, destabilisierenden Folgen des Internet werden im Atlantic-Council-Report mit einer anderen epochalen Zäsur, der Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks, verglichen. Die Druckmaschine habe zum Ende der feudalen Ordnung beigetragen und ein konflikthaltiges, instabiles Zeitalter eingeleitet, heißt es. Ähnliches stehe nun durch das Internet zu befürchten. Noch bis in die jüngere Vergangenheit hätten professionelle Gatekeeper des Mainstreams die Informationsflüsse kontrollieren und regulieren sowie die Grenzen des gesellschaftlichen Diskurses weitgehend unangefochten festlegen können. Nun aber finde eine technologisch bedingte Demokratisierung statt. Sie ermögliche es kleinen Gruppen oder sogar Individuen mit begrenzten Ressourcen, sich nachhaltig bemerkbar zu machen und Wirkung zu erzielen.

So problematisch und gefährlich das alles aus Sicht der etablierten Mächte ist – die Lösung besteht für den Atlantic Council nicht im direkten, repressiven staatlichen Zugriff. Ansatzpunkt sind vielmehr jene Megakonzerne, über die der größte Teil der globalen Internetkommunikation läuft, also Google, Facebook, Twitter & Co. Die Forderung lautet: Diese Unternehmen dürfen sich keinesfalls länger als neutrale Plattformen verstehen, die sich nicht weiter für die von ihnen transportierten Inhalte interessieren. Im Gegenteil! Sie sind in die Pflicht zu nehmen, müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Oder anders: Sie müssen auswählen, was ihre Nutzer zu sehen bekommen und was nicht. Nach welchen Kriterien das zu geschehen hat, ist angesichts der skizzierten Problemlage offensichtlich. Zu fördern ist das, was das System stabilisiert – auszusondern und als Fake News, Hate Speech, russische Propaganda et cetera zu bewerten all das, was den eng gesteckten Mainstream-Rahmen sprengt.

Bei alledem handelt es sich nicht um bloße Absichtserklärungen, also um Dinge, die man irgendwann in der Zukunft zu tun gedenkt, sondern um die aktuelle Praxis. Die Zensur-Infrastruktur ist schon da. Und sie wird weiter ausgebaut. Die ergriffenen Maßnahmen werden zwingender, die zu ihrer Rechtfertigung verwendete Sprache wird rüder. Es geht da nicht mehr um die kleinen und manchmal kleinkarierten Kämpfe um Deutungshoheit, wie sie sich Mainstream- und Alternativmedien seit ein paar Jahren liefern. Was in der Studie des Atlantic Council oder in der eingangs zitierten Stellungnahme von Clint Watts verlautet, liegt auf einer ganz anderen Ebene: Da ist von Krieg, Bürgerkrieg, Schlachtfeld, Trommelfeuer, Artilleriefeuer, Spaltung, Informationsrevolte, Erosion des Systemvertrauens oder Souveränitätsverlust die Rede. Und zweimal davon, die Gegenseite und ihre Waffen »zum Schweigen« zu bringen. Das ist ernst gemeint und ernst zu nehmen.

Im Laufe des Jahres 2017 wurde nachgewiesen, dass Google und andere Social-Media-Unternehmen über die Veränderung von Algorithmen dafür sorgen, dass die Zugriffszahlen insbesondere auf linke und Antikriegs-Seiten deutlich zurückgehen, in einzelnen Fällen um die 75 Prozent. Eric Schmidt, der CEO von Googles Muttergesellschaft, hat gesagt, dass er nicht viel von direkter Zensur halte; er bevorzuge das vergleichsweise elegante »De-ranking«. Dass es bei dieser zynischen Haltung bleibt, ist unwahrscheinlich. Am 9. Oktober 2018 wurde ein internes Google-Dokument bekannt, in dem es unverblümt heißt: »Die Technologiefirmen gehen schrittweise von uneingeschränkter freier Meinungsäußerung zur Zensur über.«13

Aber, werden da einige einwenden, kann man denn in diesem Zusammenhang überhaupt von Zensur sprechen? Zensur ist Angelegenheit des Staates, aber hier handeln Facebook, Twitter, Google, also private Unternehmen. Auf den ersten Blick ist dieser Einwand triftig, auf den zweiten Blick bestenfalls naiv. Die Bloggerin Caitlin Johnstone hält dagegen:

»In einem von Konzernen gesteuerten politischen System, in dem es keine wirksame Trennung zwischen der Macht der Konzerne und der Staatsmacht gibt, ist eine von Konzernen ausgehende Zensur gleichzusetzen mit Staatszensur. … Die Vereinigten Staaten haben zweifellos ein solches Regierungssystem. Große, einflussreiche Konzerne sind vom Staat nicht zu trennen, demnach ist auch deren Zensur nicht von Staatszensur zu trennen. Das trifft besonders auf die Megakonzerne aus dem Silicon Valley zu.«14

Selbstverständlich geht man im Kampf gegen die Meinungs- und Medienfreiheit nicht sofort flächendeckend und brachial zu Werke. Praktischer und zielführender ist es, sich zunächst einzelne Personen oder Medien vorzunehmen. WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist sicher der prominenteste Fall. Dieser Mann hat ein Martyrium auf sich genommen, von dem derzeit (Dezember 2018) kein Ende absehbar ist, geschweige denn, ob ein gutes oder ein schlimmes. 2012 hatte Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht gefunden. Sechs entbehrungsreiche Jahre hat er mittlerweile dort verbracht, lebt unter immer schwierigeren Bedingungen und immer größeren gesundheitlichen Problemen. Viele Mainstream-Medien – auch solche, die einst von WikiLeaks-Enthüllungen profitiert hatten – fallen ihm in den Rücken.15 Selbst manche Alternativmedien gehen auf Distanz. Den Journalisten John Pilger, Freund und Landsmann des Australiers Assange, macht dieses Verhalten fassungslos: »Es ist eine schreckliche Zeit für den Journalismus«, sagt er. »Ich habe in meiner ganzen Karriere nie dergleichen erlebt.«16

Würde Ecuador, wofür zurzeit manches spricht, Assange in absehbarer Zeit seinen Feinden in London beziehungsweise Washington ausliefern, hätte das für den großen publizistischen Aufklärer vermutlich fatale Folgen. Er würde einer politischen Justiz überantwortet, von der er keine Gerechtigkeit zu erwarten hat, sondern nur Rache. Es steht einiges auf dem Spiel, nicht nur das Leben und die Freiheit des Menschen und Kollegen Julian Assange, sondern auch die Zukunft eines unabhängigen Journalismus. Assange hat wahrheitsgemäße Informationen veröffentlicht, die ihm von Dritten zugespielt wurden. Sollte man ihm dies zum Vorwurf machen, sollte ihm dies gar zum Verhängnis werden oder sollte es gelingen, ihn als Agenten einer feindlichen Macht zu diffamieren und zu verurteilen, wäre ein Präzedenzfall geschaffen und der Kriminalisierung von herrschaftskritischem Journalismus die Bahn geebnet.17
Assange ist ein Opfer. Aber er ist kein leichtes Opfer. Durchaus möglich, dass seine Verfolgung auf ihre Urheber zurückschlägt, sich als gefährlicher Bumerang erweist. Das ist allerdings nur zu erwarten, wenn eine massive internationale Solidaritätsbewegung Assanges Häscher unter Druck setzt und zum Einlenken nötigt.

Andere Opfer des Kampfs gegen Meinungs- und Medienfreiheit sind die ausländischen englischsprachigen Nachrichtenkanäle. Einige von ihnen sind in den USA nicht wohlgelitten: an erster Stelle das russische RT (ehemals Russia Today), dann das lateinamerikanische Telesur sowie (immer noch) das katarische Al Jazeera. Sie sind insofern leichte Opfer, als Solidarität durch etablierte Medien nicht zu erwarten ist. Angesichts der derzeit in den USA grassierenden antirussischen Hysterie sorgen insbesondere administrative Schikanen gegen RT kaum für Widerspruch oder gar Aufregung. Westliche Journalisten solidarisieren sich nicht mit ihren verfemten Kollegen, rechtfertigen eher das Vorgehen der Staatsmacht. »Sie werden versuchen, euch auszuschalten«, hatte Julian Assange der RT-Chefredakteurin einst prophezeit. Behält er am Ende Recht? Ganz ohne Zweifel ist das RT-Programm der politischen Klasse der USA (aber auch Großbritanniens) ein Dorn im Auge; ganz offenbar sieht sie in ihm eine Gefahr. Das zeigte schon die noch von Obama in Auftrag gegebene, von handverlesenen Mitarbeitern des FBI, der CIA und der NSA erstellte und im Januar 2017 vorgelegte Russiagate-»Analyse«. Gefühlt die Hälfte der Darstellung war RT gewidmet. Obendrein waren die Erörterungen hochgradig unprofessionell und irreführend, da sie sich zum Teil auf Sendereihen bezogen, die schon lange vor den US-Präsidentschaftswahlen eingestellt worden waren.

Inzwischen wurde RT America gezwungen, sich dem Foreign Agents Registration Act zu unterwerfen. Dieses 1938 verabschiedete Gesetz richtete sich ursprünglich gegen Propagandisten des NS-Regimes. Seine Anwendung auf ein ausländisches Medienunternehmen ist ein Novum; es setzt RT America faktisch mit einer feindlichen Propagandaeinrichtung gleich und behindert dessen Arbeit. Dass sich der Feldzug nicht gegen RT allein richtet, sondern – Stichwort »Kontaktschuld« – gegen alle, die sich der Weisheit US-amerikanischer Außenpolitik verschließen, bewies ein u.a. von George Soros finanzierter Think Tank aus Tschechien. Er machte sich die beachtliche Mühe, in denunziatorischer Absicht eine Liste von weit über 2000 »nützlichen Idioten« zusammenzustellen: allesamt Personen, die sich RT beziehungsweise der russischen Agentur Sputnik als Interviewpartner zur Verfügung gestellt hatten. Während Russiagate sich immer deutlicher als das entpuppt, was es von Anfang an war – nämlich heiße Luft –, haben sich die Angriffe auf RT und andere Kanäle, die westlichen Narrativen Paroli bieten, drastisch verschärft.

Ein vergleichsweise leichtes Opfer war und ist auch Alex Jones. Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Mit ihm, dem stramm-rechten Verschwörungstheoretiker, habe ich nicht das Geringste am Hut, auf sein leider überaus erfolgreiches Portal Infowars könnte ich gut und gerne verzichten. Und doch missbillige ich das konzertierte Vorgehen mehrerer Internetgiganten gegen ihn und sein Unternehmen. Und ich finde es kurzsichtig, dass viele etablierte Medien die Attacke auf Jones mit offenkundiger Genugtuung registrierten. Was sie übersehen: Alex Jones war nur der Anfang, nur ein erster Schritt. Mit ihm wird es nicht sein Bewenden haben. US-Senator Chris Murphy stellte klar: »Infowars ist nur die Spitze eines gigantischen Eisbergs des Hasses und der Lügen, der Seiten wie Facebook und YouTube nutzt, um unsere Nation zu spalten. Diese Unternehmen müssen mehr tun, als nur eine Website entfernen. Das Überleben unserer Demokratie hängt davon ab.«18

Zurück zu Facebook und dem Atlantic Council sowie zu deren Kooperation in Sachen Zensur. Im Mai 2018 sind Facebook und das beim Council angesiedelte Forensic Research Lab (DFRLab) eine Partnerschaft eingegangen, um angebliche Desinformationen oder ausländische Einmischungen aufzudecken.19 Da das Internet eine globale Veranstaltung ist, beschränken sich die Facebook-Aktivitäten nicht auf die USA. 2017 trafen sich Abgesandte des Unternehmens mit der israelischen Regierung. Es galt zu entscheiden, welche palästinensischen Accounts geschlossen werden sollten. Glenn Greenwald hat über diesen Vorgang berichtet und von einem »Censorship Rampage« gesprochen, einem Amoklauf in Sachen Zensur.20

Am 20. September 2018 gab Facebook bekannt, dass es sich in seinem Kampf gegen Fake News mit zwei angeblichen Non-profit-Organisationen zusammenschließen werde: dem National Democratic Institute (NDI) und dem International Republican Institute (IRI). Wir erinnern uns: Beide Organisationen wurden in diesem Buch schon erwähnt, und zwar als Unterabteilungen des National Endowment for Democracy (NED), also jener neokonservativ geprägten Truppe, die für ihre Bemühungen um diverse Regimewechsel vom US-Kongress für das Haushaltsjahr 2019 mit circa 190 Millionen US-Dollar bedacht wurde. Den Vorsitz im NDI führt die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright, langjähriger Vorsitzender des IRI war der verstorbene Senator John McCain.21

Am 9. Oktober 2018 schließlich hat Facebook in dem bislang wohl umfassendsten und spektakulärsten Zugriff mehr als 800 besonders populäre oppositionelle Seiten und Accounts gelöscht. So etwa Police the Police mit über 1,9 Millionen Followern, Cop Block mit 1,7 Millionen Followern und Filming Cops mit 1,5 Millionen Followern. Des Weiteren Anti-Media mit 2,1 Millionen Followern, Reverb Press mit 800 000, Counter Current News mit 500 000 und Resistance mit 240 000 Followern. Auch rechte Publikationen wie Right Wing News waren betroffen.22

Im Leserforum eines US-Onlinemagazins fand ich folgende Bemerkung: »Diese Art der Unterdrückung wäre in einer gesunden Demokratie nicht nötig. Dort nämlich liegt die Souveränität beim Volk. Ein Imperium jedoch wird letztlich durch Gewalt zusammengehalten, und das bedingt die Unterdrückung heimischer Kritiker.« Ein wichtiger Hinweis. In ihm klingen die Überlegungen William Appleman Williams’ nach, der ja gleichfalls die demokratiezerstörerischen Rückwirkungen imperialer Ambitionen betont hatte. Selbstverständlich wird auch umgekehrt ein Schuh daraus. Es geht dem neuen McCarthyismus längst nicht mehr nur darum, den Diskurs innerhalb der Homelands zu überwachen und einzuschränken. Er agiert global.

Die politischen Machthaber der USA nehmen die großen Internet-Konzerne an die Kandare. Und die wiederum verhalten sich äußerst entgegenkommend und kooperativ – mit dem Ergebnis, dass man im globalen Maßstab zensieren kann, also überall dort, wo man die eigenen Interessen durch allzu freizügige Information gefährdet sieht. Die immer weiter ausgreifenden Zensurmaßnahmen von Facebook werden in enger Abstimmung mit offiziellen oder offiziösen US-Stellen oder Denkfabriken vorgenommen. Sie belegen, dass Facebook auf dem besten Weg ist, »ein Werkzeug der US-Außenpolitik zu werden«23 beziehungsweise sich in die Strukturen des »Tiefen Staates« (Deep State) zu integrieren, sich also mit Geheimdienst- oder Rüstungsinteressen zu verbandeln. (Auf den Tiefen Staat und verwandte Konzepte werde ich im Schlusskapitel zurückkommen.)

Natürlich würde (noch) niemand der Verantwortlichen offen von Zensur oder von einer Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit sprechen. Im Gegenteil, offiziell wird behauptet, alles diene dem Schutz der Demokratie und der Abwehr ihrer Feinde. Doch um die Demokratie zu schützen, reißt man einen ihrer Pfeiler ein: das Recht auf Dissens, das Recht auf abweichende Meinungen, das Recht, sie auszudrücken und zu verbreiten.

Ulrich Teusch:

Der Krieg vor dem Krieg. Wie Propaganda über Leben und Tod entscheidet

Westend Verlag

224 Seiten,

 

 

 

 

 

 

7 Zit. n. Andre Damon, Ex-FBI-Agent verlangt, dass Facebook, Google und Twitter Aufrührer »zum Schweigen« bringen, in: World Socialist Web Site, 2.11.2017; https://www.wsws.org/de/articles/2017/11/02/goog-n02.html
8 Craig Timberg, Russian propaganda effort helped spread »fake news« during election, experts say, in: Washington Post, 24.11.2016; https://www.washingtonpost.com/business/economy/russian-propaganda-effort-helpedspread-fake-news-during-election-experts-say/2016/11/24/793903b6-8a40-4ca9-b712-716af66098fe_story.html?noredirect=on&utm_term=.0dc38303c9b4
9 www.propornot.com/p/the-list.html
10 https://securingdemocracy.gmfus.org/
11 Max Blumenthal, Facebook zensiert alternative Medien – »Das ist erst der Anfang«, meint ein neokonservativer Insider, in: NachDenkSeiten, 6.11.2018; https://www.nachdenkseiten.de/?p=46911
12 Vgl. Patrick Martin, Eine Krisenwoche in der zunehmend gestörten US-Politik, in: World Socialist Web Site, 11.9.2018; https://www.wsws.org/de/articles/2018/09/11/pers-s11.html
13 Andre Damon, Facebook zensiert massiv oppositionelle Seiten, in: World Socialist Web Site, 13.10.2018; https://www.wsws.org/de/articles/2018/10/13/zens-o13.html
14 Caitlin Johnstone, in A Corporatist System Of Government, Corporate Censorship Is State Censorship, in: Medium, 6.8.2018; https://medium.com/@caityjohnstone/in-a-corporatist-system-of-government-corporate-censorship-is-state-censorship-eb8a8b486577
15 Caitlin Johnstone, What Empire Loyalists Are Really Saying When They Bash Julian Assange, in: Medium, 2.11.2018; https://medium.com/@caityjohnstone/what-empire-loyalists-are-really-saying-when-they-bash-julian-assange-9b588c643859
16 Zit. n. Dennis J. Bernstein, The Eerie Silence Surrounding the Assange Case, in: Consortiumnews, 9.6.2018; https://consortiumnews.com/2018/06/09/the-eerie-silence-around-the-assange-case/
17 Unter dem Titel »Julian Assange’s trials« diskutierten am 30.11.2018 in der RT-Sendung »CrossTalk« die Journalisten Joe Lauria, Gareth Porter und Patrick Henningsen; https://www.rt.com/shows/crosstalk/445221-julian-assange-trials-us/ Ebenfalls auf RT – in der Sendung »On contact« – sprach am 25.11.2018 Chris Hedges mit Joe Lauria über Julian Assange: »Crucifying Julian Assange«; https://www.rt.com/shows/on-contact/444814-assange-us-stand-trial/
18 https://twitter.com/ChrisMurphyCT/status/1026580187784404994
19 Vgl. Max Blumenthal, Facebook zensiert alternative Medien – »Das ist erst der Anfang«, meint ein neokonservativer Insider, in: NachDenkSeiten, 6.11.2018; https://www.nachdenkseiten.de/?p=46911 Adam Johnson, Media Ignore Government Influence on Facebook’s Plan to Fight Government Influence, in: Fair, 21.5.2018; https://fair.org/home/media-ignore-government-influence-on-facebooks-plan-to-fight-government-influence/
20 Glenn Greenwald, Facebook Says It Is Deleting Accounts at the Direction of the U.S. and Israeli Governments, in: The Intercept, 30.12.2017; https://theintercept.com/2017/12/30/facebook-says-it-is-deleting-accounts-at-thedirection-of-the-u-s-and-israeli-governments/
21 Facebook Allies With U.S. Regime-Change Orgs For »Fact Checking« in Foreign Countries, in: Moon of Alabama, 21.9.2018; www.moonofalabama.org/2018/09/facebook-allies-with-us-regime-change-orgs-for-fact-checkingin-foreign-countries.html#more
22 Vgl. Andre Damon, Facebook zensiert massiv oppositionelle Seiten.
23 Alex MacLeod, Facebook’s New Propaganda Partners, in: Fair, 25.9.2018; https://fair.org/home/facebooks-new-propaganda-partners/

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