Leben zu retten ist keine Meinungsfrage

 In FEATURED, Politik, Umwelt/Natur

Foto: Paul Lovis Wagner/Sea-Watch.org unter Lizenz Creative Commons 

Carola Rackete wurde bekannt als mutige Kapitänin, als sie im Sommer trotz Verbots durch die italienischen Behörden mit 42 geretteten Flüchtlingen in den Hafen von Lampedusa einfuhr. Mittlerweile steht ihr Name nicht nur für Seenotrettung und das eindeutige Bekenntnis zur Menschlichkeit – sie arbeitet auch bei der vermeintlich radikalen Umweltgruppe „Extinction Rebellion“ mit. Und sie versteht es, den Zusammenhang zwischen Umwelt- und Flüchtlings-Engagement herzustellen. Die Klimakrise ist mittlerweile eine der wichtigsten Fluchtursachen. Ist Seenotrettung ein „Anreiz“, der viele Menschen erst dazu bewegt, mit Booten auf’s Mittelmeer zu fahren? Sollte man Menschen folglich zur Abschreckung ertrinken lassen? Hier sagt Rackete klar: nein: Dass Leben unter allen Umständen gerettet werden muss, ist nicht nur eine Meinung unter vielen anderen – es ist menschliche wie rechtliche Pflicht.  Carola Rackete

  • Jeder Kapitän ist dazu verpflichtet, Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten
  • Die Behauptung, Seenotrettung würde Migration fördern, ist falsch
  • Bootsflüchtlinge sind das Ergebnis massiver globaler Ungerechtigkeit

In der Öffentlichkeit wird mit der Seenotrettung oft umgegangen, als handele es sich um eine Meinungsfrage. Das ist grundlegend falsch. Artikel 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen legt fest, dass jeder Kapitän dazu verpflichtet ist, Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten, wenn das vernünftigerweise von ihm erwartet werden kann.

Seenot liegt nach gängiger Auffassung vor, wenn die Gefahr besteht, dass Besatzung und Passagiere eines Bootes ihr Leben verlieren. Es spielt keine Rolle, warum dieses Boot in Seenot geraten ist, und es sollte selbstverständlich sein, dass auch Migranten und Geflüchtete gerettet werden müssen. Darum habe ich im Sommer trotz Verbots seitens der italienischen Behörden beschlossen, in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Ich wusste, was ich riskierte, aber ich musste die 42 Geretteten in Sicherheit bringen.

Der sogenannte Pull-Effekt ist statistisch widerlegt

Immer wieder wird behauptet, Retter auf zivilen Seenotrettungsschiffen wären dafür verantwortlich, dass die Menschen sich überhaupt erst aufs Meer trauen – man spricht dabei vom sogenannten Pull-Effekt. Doch inzwischen gibt es Studien dazu, in welchem Verhältnis die Zahl der an der libyschen Küste ablegenden Boote zu denen der Rettungsschiffe draußen auf dem Meer steht. Die Behauptung, dass mehr Boote ablegen, wenn Rettungsschiffe auf dem Meer kreuzen, wurde statistisch widerlegt. Fest steht hingegen, dass mehr Menschen sterben, wenn weniger Schiffe zur Rettung da sind. Denn auch wenn kein Schiff draußen ist, legen trotzdem Boote ab.

Zivilgesellschaftliche Bewegungen waren immer schon ein Weg, um Veränderung anzustoßen. Je größer eine solche Bewegung ist, umso erfolgreicher. Auch meine Einfahrt in den Hafen von Lampedusa hat durch die Berichterstattung in den Medien Aufsehen erregt und ein Dilemma erzeugt: Es wurde sichtbar, dass auf der einen Seite jemand steht, der Menschenrechte wahrt, und auf der anderen Seite Regierungen, die Menschenrechte verletzen.

Der wesentliche Push-Faktor für Migranten ist die globale Klimakrise

Da man die Schutzsuchenden in Europa nicht haben möchte, heißt es oftmals so schön, man müsse die „Fluchtursachen bekämpfen“. Aber dazu müssten die reichen Industrieländer ein System ändern, von dem sie selbst profitieren. Die Gier nach Wohlstand und stetigem Wachstum hat sie seit jeher dazu veranlasst, sich der Länder und Menschen in ärmeren Regionen der Welt zu bedienen. In der Kolonialzeit wurden diese ihrer politischen, ökonomischen und kulturellen Selbstständigkeit beraubt; das für jeden sichtbarste Zeichen sind die willkürlichen Grenzziehungen, die bis heute Konflikte zur Folge haben.

Und die wirtschaftliche Hegemonie ging weiter: Monokulturen wurden angelegt, die den Boden auslaugen, Pestizide und Kunstdünger erfordern. Sie sorgen für zunehmende Versteppung und die Ausbildung von Wüsten, verschlechtern die gesamte Bodenbeschaffenheit und Artenvielfalt. Der Lebensraum Wald geht verloren, indigene Völker werden vertrieben. Vielfach besetzen diese Monokulturen dringend benötigte Flächen für den Anbau von Grundnahrungsmitteln für die einheimische Bevölkerung.

Unternehmerischer Profit darf nicht über dem Wohl der Mehrheit stehen

Wenn wir wirklich Fluchtursachen „bekämpfen“, „beseitigen“ oder „begrenzen“ wollen, müssen wir über globale Ungerechtigkeit reden. Und dabei ist die Hauptursache, nämlich die Folge der beschriebenen jahrhundertelangen Ausbeutung noch viel zu wenig im Fokus: die Klimakrise und der Zusammenbruch unserer Ökosysteme.

Es ist Zeit, zu handeln. Stören wir also die Regierungen, deren größte Sorge darin besteht, das Wachstum zu erhalten und ihren Reichtum nicht teilen zu müssen. Stören wir die Energieunternehmen, die intakte Wälder abholzen und den Erdboden aufreißen, um Kohle zu fördern, die wir aufgrund der Temperaturerwärmung sowieso nicht mehr verfeuern dürfen. Stören wir die Industrie und die Unternehmen, die seit Jahrzehnten den Ausstieg aus fossilen Energieträgern durch Lobbyarbeit und gefälschte Studien verhindern.

Denn wenn wir diese Menschen gewähren lassen, dann lassen wir zu, dass nichts – oder zumindest nicht genügend – gegen die Klimakrise und den Zusammenbruch der Ökosysteme getan wird. Und wir lassen zu, dass Unternehmen Profit immer über das Wohl der Mehrheit setzen. Und ganz konkret lassen wir zu, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Carola Rackete

Kapitänin und Aktivistin bei Extinction Rebellion

Carola Rackete (Jg. 1988) studierte Nautik in Elsfleth und Naturschutzmanagement in Ormskirk, England. Sie fuhr auf den Forschungsschiffen „Meteor“ und „Polarstern“, der „Arctic Sunrise“ von Greenpeace und dem British Antarctic Survey. Seit 2016 arbeitet sie auf den Schiffen und Flugzeugen der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Sie ist Teil der Bewegung Extinction Rebellion. Gerade erschien ihr Buch „Handeln statt hoffen“.

Anzeigen von 6 Kommentaren
  • Dietmar
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    Carola, meine Hochachtung!

    Du bist ein wahrer Menschenfreund. Solche wie dich brauchen wir mehr.

  • Thomas Monk
    Antworten
    Seenotrettung ist natürlich nicht kriminell, aber vor einer Küste zu kreuzen und auf Anruf zu retten, was absichtlich auf See geschickt wird ist natürlich kriminell. Würde da nicht gerettet wären da auch keine Schlauchboote die es zu retten gäbe. Zu behaupten, da würden welche flüchten vor dem Klima ist einfach nur Strohdumm. Es gibt keine Erderwärmung die es zu stoppen gilt. Ich verstehe nicht wie man sooooooo Dumm sein kann und nicht erkennt das es mit dem Klimawandel auf sich hat. Das ist die neue Lizenz zum Geldverdienen im Kasino des Kapitalismus. Ihr Deppen merkt nicht mal das wir in der BRD uns gerade so schön gesund schrumpfen würden, kämmen da nicht die Heerscharen der Fremden ins Land mit denen uns wirklich sehr wenig verbindet. Ein jeder mit Verstand weis doch das es im Islam wie in Afrika auch nur auf die hohe Zahl der Kinder ankommt, aber für was ? es gibt doch eh schon genug Menschen. Schluss mit dem Schleusertum auf dem Mittelmeer oder sonstwo, die Grenzen dicht machen und jeden kriminellen sofort zurückschicken, das wäre vernünftig und ist von der Mehrheit gewollt. Wem das nicht passt soll nach Afgahnstan oder nach Afrika und dort die Welt retten, und uns Europäern vor solchen heuchlern wie ihr es seid.
  • Holdger Platta
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    Thomas Monk,

    uns alle als „Deppen“ zu bezeichnen und selber massenweise Rechtschreibfehler und sonstige Fehler zu produzieren – das alles nur aggressiv losgehend auf Personen statt sachlich sachliche Argumente und Belege zu liefern -, wie soll man das eigentlich bezeichnen???

    Wenn Doofe angeblich Doofe als Doofe titulieren, ist das nur lächerlich.

    Wolltest Du Dich tatsächlich lächerlich machen???

    Na, dann lachen wir jetzt alle mal schön!

  • Hartz_tötet
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    Da sage einer für „die Jugend“  gäbe es keine Vorbilder.

    Es gibt sie:
    Carola Rackete’s Haltung und Engagement ist vorbildlich und hoffentlich Leitbild für die heranwachsende Generation! Das lässt hoffen.

  • Robert
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    Flüchtlinge retten jederzeit! Aber nicht millionenfach nach Eutopa bringen
    • Palantir
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      Doch, sicher und zwar alle in die BRD und am besten nach Berlin und aufgeteilt  in die Stauffenbergstraße 18, die Scharnhorststraße 34-37 und die Wilhelmstraße 27.

      Macht schon jetzt einen Spendenaufruf für Zelte, Winterbekleidung und Nahrungsmittel… in diesen Straßen ist es eiskalt, in die Gebäude kommt keiner.

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