Links und Rechts– was heißt das? (1/3)

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Im Paulskirchen-Parlament (1848) etablierte sich die Sitzordnung "links und rechts" auch in Deutschland.

Im Paulskirchen-Parlament (1848) etablierte sich die Sitzordnung „links und rechts“ auch in Deutschland.

Die beiden Begriffe werden ebenso so oft in die politische Diskussion geworfen wie selten angemessen definiert. Dabei wäre es wichtig, sorgfältig mit diesen Bezeichnungen umzugehen – vor allem wenn es um die Frage geht, mit welchen Gruppen eine politische Kooperation erlaubt ist. Wo hört politische Offenheit auf, und wo beginnt gefährliche „Querfront-Strategie“? Eine eher linke Tour ist es, wenn missliebige Gegner durch die Etikettierung als „rechts“ in der politischen Diskussion diskreditiert werden sollen. Gelegentlich gewinnt man durch inflationären Gebrauch des Begriffs den Eindruck, es liefen in Deutschland mehr Rechte herum als 1940. Andererseits bezeichnet man eine Koalition der Ex-PDS mit Hartz IV- und TIPP-Parteien als „Linksbündnis“. Zeit, mit der babylonischen Sprachverwirrung aufzuräumen. (Roland Rottenfußer)

Darf man mit Rechten zusammen demonstrieren gehen? Vor allem in der abgeebbten Diskussion um die „Montags-Mahnwachen“ wurde diese Frage heiß diskutiert. Leider macht sie keinerlei Sinn, ohne dass zuvor geklärt ist, was man überhaupt unter „rechts“ versteht. Würde ich zusammen mit Leuten demonstrieren wollen, die eine Hakenkreuzfahne tragen? Nein. Würde ich mit jemandem demonstrieren, der einen Trachtenjanker trägt? Sicher. Gerade in meinem Heimatland Bayern hat sich gezeigt, dass Bauern z.B. ausgezeichnete Verbündete sind, wenn es um den Widerstand gegen Gentechnik geht. Ich war einmal auf einer Veranstaltung der Aktion „UmFairTeilen“ zusammen mit dem VDK und dem Christlichen Arbeitnehmerverband – eher als bieder geltende „Schlachtschiffe“ der sozialen Lobbyarbeit. Ehrlich gesagt ging es mir gut in diesem Kreis von Mitstreitern, war ich doch von anderen Demonstrationen eher Leute mit Lenin-Bildern gewöhnt. Auch Stalin und Mao habe ich schon gesichtet – wohl gemerkt in „meinem“ Lager, dem des Guten.

Die Begriffe „links“ und „rechts“ in ihrer politischen Verwendung gehen zurück auf die Sitzordnung innerhalb der französischen Verfassungsgebenden Nationalversammlung von 1789, stehen also in einem Zusammenhang mit der Französischen Revolution. „Die linke Seite ‚le côté gauche’ kennzeichnete eine revolutionäre, republikanische Stoßrichtung, während ‚le côté droit’ mehr zurückhaltende, der Monarchie freundlich gesinnte Vorstellungen vertrat.“ (Wikipedia). Im französischen Parlament seit der Julirevolution (1830) etablierten sich die Begriffe endgültig zur Kennzeichnung von „Republikanern“ (rechts) und „Monarchisten“ (links). Die Frankfurter Nationalversammlung (Paulskirchenparlament, 1848/1849) übertrug dieses Sitzordnung und Begriffsverwendung auch auf deutsche Verhältnisse.

Interessant ist in einem Wikipedia-Artikel die Zuordnung der wichtigsten inhaltlichen Begriffe zu „Rechts“ und „Links“ (der jeweils erste Begriff ist „rechts“): Elitär – Egalitär, Konservativ – Progressiv, Nationalistisch – Internationalistisch. Diese Zuordnung entspricht sicher unserer heutigen „intuitiven“ Einschätzung bezüglich Links und Rechts. Vor allem, was das Gleichheitsprinzip anbelangt, dürfte es wenig Zweifel an der Verwendung der Begriffe geben. Was die anderen Polaritäten anbelangt, so sind jedoch mit Blick auf heutige Verhältnisse Zweifel am Platz. Was kann in einer Epoche des politischen Rollbacks progressiv genannt werden: die rückwärtsgewandten „Reformen“ oder eher der Widerstand dagegen? Und hat nicht eine „Mitte-Rechts-Regierung“ (Union und FDP) den nationalen Selbstschutz gegen internationale Konzernmacht massiv aufgeweicht?

Wichtig sind am Begriff „links“, mit dem sich viele von uns sicher zu Recht noch immer identifizieren, vor allem drei Werte, die ihn auch in seinen Ursprüngen konstituieren: Gleichheit, die Abwesenheit angeblicher Rangordnungen, mögen diese nun ständisch, durch Geburt, Rasse, Religion oder Besitz begründet sein. Freiheit von Unterdrückung und Bevormundung durch weltliche und geistliche Obrigkeiten. Menschenrechte, verstanden als Naturrecht, das sich nicht an wechselnden Machtverhältnissen und den sie widerspiegelnden Gesetzen orientiert, sondern dem Menschen „von Natur aus“ zukommt. Interessanterweise ist der Naturrechtsgedanke älter als die Aufklärung und war in seinen frühen Erscheinungsformen religiös begründet, z.B. als „Gotteskindschaft“. Bekannt ist etwa der Spruch des englischen Priesters und Unterstützers der damaligen Bauernaufstände, John Ball (1335-1381): „Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann?“ So naiv der Verweis auf Adam und Eva auch heute wirken mag, der Satz relativierte jegliche ständische Überheblichkeit mit Blick auf einen idealen Ursprungszustand des Menschen, dessen Wesen Gleichheit ist.

Ball zeigt sich somit als Re-Volutionär im eigentlichen Wortsinn, denn die Vorsilbe „Re“ signalisiert – was häufig übersehen wird – ein Zurückgehen zu einem (oft nur idealisierend so vorgestellten) Urzustand. Somit können sich bezüglich der Definition der Begriffe „progressiv“, „reaktionär“, „konservativ“, „revolutionär“ usw. weitere Verwirrungen auftun, weil es immer die Frage ist, was jemand erhalten oder umstürzen will, zu welchen Werten er zurück oder fortschreiten will. Eine Re-Form kann neoliberaler Klassenkampf von oben sein, konservativ der Widerstand dagegen (von Neoliberalen wird das Bewahren sozialer Errungenschaften gern als „Besitzstandsdenken“ diffamiert). Eine Revolution kann hinter die Blütezeit des Neoliberalismus (80er-, 90er-Jahre) zurück wollen in die Helmut-Schmidt-Ära. Oder zum Leninismus. Oder zu Adam und Eva. Oder vorwärts zum Noch-nie-Dagewesenen, wobei dann freilich die Vorsilbe „Re“ nicht passen würde.

Wichtig ist aber die Feststellung, dass „Links“ in seinen Anfängen eng mit dem Wertetrio „Gleichheit“, „Freiheit“, „Menschenrechte“ verbunden war (wobei die „Brüderlichkeit durchaus eingeschlossen war). So gesehen ist die Vokabel „links“, wie sie von der Partei „Die Linke“ sowie umgangssprachlich für die Benennung „unseres“ Lagers verwendet wird, noch immer als Identifikationsbegriff bestens geeignet. Mein Freund und Kollege Holdger Platta nannte in einem Vorgespräch über diesen Artikel zwei Säulen der linken Weltanschauung: den Kampf gegen Ausbeutung und den Kampf gegen Unmenschlichkeit. Wird der zweite Aspekt fallen gelassen, etwa im „roten Terror“ des Ostblock-Kommunismus, so nimmt das betreffende Regime den Begriff „links“ eigentlich zu Unrecht für sich in Anspruch. Zumindest handelt es sich dann um ein halbiertes Linkssein, ähnlich einem Vogel, der mit nur einem Flügel abheben will. Der zweite, der Menschlichkeitsflügel wäre dann ja amputiert.

Es ist also, wenn es um die Bezeichnung einer politischen Richtung als „links“ geht, die Frage, wonach man seine Definition ausrichten möchte. Geht man von den Ursprüngen des Begriffs „links“ und von seiner idealen Gestalt aus, so ist er „makellos“ und steht tatsächlich für eine politische Kraft des Guten. Ein Stalin wäre demgemäß kein Linker und würde sich diese Bezeichnung nur anmaßen. „Rechts“ wären umgekehrt jene Kräfte, die den humanen Fortschritt aufhalten und an Ungleichheit, Ausbeutung, Autoritarismus, Elitenherrschaft, der Verachtung der Menschenrechte festhalten wollen. Definiert man den Begriff „links“ dagegen über eine antikapitalistische Wirtschaftsideologie und über seine Verwendung durch die betreffenden politischen Kräfte in der Praxis, so kann er auch Unmenschlichkeit beinhalten, wären Stalin und Mielke mit im Boot.

Sicher ist, dass die Begriffe „links“ und „rechts“ starken historischen Veränderungen unterliegen. Eine republikanische Gesinnung, getragen von der Bourgeoisie, konnte zur Zeit der Französischen Revolution als „links“ gelten. Mit der Etablierung des Bürgertums als staatstragender Schicht und der Entstehung einer Arbeiterklasse während der Industrialisierung, rückte ersteres quasi nach „rechts“, wurde von sozialistischen Revolutionären wie Lenin als die Ausbeuterklasse schlechthin angesehen, die es zu entmachten galt. Im Sinne der Marxschen Dialektik – also These, Antithese und Synthese – kann sich eine zuvor fortschrittliche Kraft in Folge eines historischen Prozesses in eine konservative bzw. rückschrittliche verwandeln. Entscheidend dafür ist immer der Faktor „Macht“, der für die Klasse, die sie errungen hat, mit dem Wunsch nach Privilegienerhalt, also mit dem „Treten nach unten“ verbunden sein. „Links“ kann somit über einen längeren Entwicklungszeitraum nach „Rechts“ rücken. Das Bürgertum akzeptierte 1914 noch überall weitgehend die Monarchie, den Kaiser oder Zaren, wenn auch ergänzt durch demokratische Strukturen. Das Frauenwahlrecht gab es damals in Deutschland und Österreich noch nicht. Heute werden schon Kräfte als „rechts“ bezeichnet, die sich nichts Schöneres vorstellen können als fortdauerndes Regiertwerden durch eine Bundeskanzlerin mit einem faktisch machtlosen Präsidenten als eher kläglichem Monarchenersatz.

Ich hoffe, es ist klar geworden, was ich meine: In 20 oder 50 Jahren könnte unter „links“ und „rechts“ wiederum etwas ganz anderes verstanden werden als heute. In meinem nächsten Beitrag dieser Reihe werde ich mich aber ganz dem Gebrauch beider Begriffe in der Gegenwart zuwenden.

Besonderen Dank an Holdger Platta für Beratung und Korrektur bei diesem dreiteiligen Artikel

Am Montag lesen Sie an dieser Stelle: 50 Shades of left an right – was man so alles unter „links“ und „rechts“ versteht.

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