Ludwig Schumann: Es ist angerichtet

 In FEATURED, Ludwig Schumann, Politik

Der Politclown als Zwingherr der Welt. Donald Trump lässt derzeit überall die Muskeln spielen und agiert nach dem Motto: “Warum sollte ich mich mit euch einigen? Es bleibt euch eh nichts anderes übrig als zu parieren.” Nicht nur der Iran wird gemobbt, auch den europäischen “Verbündeten” (= Untergebenen) wird beschieden, sie hätten sich von den unliebsamen Ayatollahs fern zu halten – zum Schaden des Friedens und ihrer eigenen Wirtschaft. Das schrumpft die Vernunft mangels ausreichender Nahrungsaufnahme wie einst Heinrich Hoffmanns “Suppenkaspar” aus dem Kinderbuch-Klassiker “Der Struwwelpeter”.  Anmerkung der Redaktion: Diesen Beitrag wiederholen wir im Gedenken an unseren im Mai verstorbenen Stammautor Ludwig Schumann)

Die Zutaten sind so unappetitlich wie der Koch als Suppenkaspar. Er kann nicht anders. Dr. Heinrich Hoffmann hat es schon 1845 treffend, aber völlig falsch, beschrieben:

Der Kaspar, der war kerngesund,
Ein dicker Bub und kugelrund,
Er hatte Backen rot und frisch;
Die Suppe aß er hübsch bei Tisch.
Doch einmal fing er an zu schrei’n:
„Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am nächsten Tag, — ja sieh nur her!
Da war er schon viel magerer.
Da fing er wieder an zu schrei’n:
„Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am dritten Tag, o weh und ach!
Wie ist der Kaspar dünn und schwach!
Doch als die Suppe kam herein,
Gleich fing er wieder an zu schrei’n:
„Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!“

Am vierten Tage endlich gar
Der Kaspar wie ein Fädchen war.
Er wog vielleicht ein halbes Lot —
Und war am fünften Tage tot.

Weil der Suppenkaspar, über den wir reden müssen, leider nicht am vierten Tag der Verweigerung tot ist, sondern sogar noch Botschafter seiner Idiotien in fremde Länder schickt. Er wird auch nicht dünn und schwach, sondern immer feister von den nächtlichen Burgern, die leider auch nicht schnell genug wirken. Aber das sind europäische Wunschträume. Trumps Lieblingsfeind, der ehemalige, von ihm höchstselbst abgesetzte FBI-Chef Comey, wünscht das nicht, weil er meint, dass die Amerikaner sich so oder auf andere Weise, beispielsweise durch ein Impeachment-Verfahren, aus ihrer Verantwortung stehlen könnten, dass sie diesen Kaspar gewählt haben.

Andererseits: Nun hat er Tacheles gesprochen. So, wie er das kann. Die Wahlen im Herbst im Blick und sein Programm. Wie, hat er ein Programm? Ja, hat er. Das Programm hieß: Sämtliche Spuren des größten Unglücks, das Trumps Meinung nach je die amerikanischen Nation getroffen hat, die Regierung eines Niggers, zu tilgen. Sein Programm ist, die Spuren Obamas aus der amerikanischen Politik zu tilgen, wie einst die Pharaonen die für die Ewigkeit gedachten Statuen ihrer Vorgänger, zumindest, wenn sie ihnen missliebig waren, zerstörten. Dumm nur, dass man so die Erinnerung nicht tilgen kann. Ich denke nur an Obamas White-House-Konzerte, für die er die Besten der Besten aus Soul, Blues, Rock einlud – und dann sehe man die Entourage eines klugen Präsidenten, an dessen Seite ebenso intelligente Gesichter während dieser großartigen Konzerte glänzen, gegenüber der dummplumpen Entourage, die heutzutage das Weiße Haus bevölkert, deren Gesichtern man bereits ansieht, was da hinter der Stirn vor sich geht.

Ein Programm nach der Zerstörung der Obama-Hinterlassenschaften ist nicht zu sehen. Außer: Wenn man keine Inhalte mehr hat, braucht es einen Krieg. Die Lizenz dafür kann man einem Herrn Netanjahu weiterreichen, der damit von seinen Korruptionsverbrechen ablenken kann. Netanjahu als Franchiseunternehmer in Sachen Krieg, dem man dann bei passender Gelegenheit zuhilfe eilt. An diesem Konzept basteln sie ja beide in aller Eile. Da fliegt Herr Netanjahu auch schon mal nach Moskau, um sich zu versichern, dass Russland nicht eingreift, auch wenn man den Iran in Syrien angreift. Da trommelt man vorher um Verständnis, indem man sich tagelang dem Angriff der iranischen Revolutionsgarden ausgesetzt sieht, weshalb man sie vorbeugend tagelang bombardiert. Aber wehe, wenn der Iran sich zur Wehr setzt: Dann hat man es immer schon gewusst, dass sie die Aggressoren sind, die nichts anderes im Kopf haben, als anzugreifen. Und da kann die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) noch am Tage der Rede anlässlich des Ausstiegs der USA aus dem Internationalen Abkommen den Präsidenten samt seinem bösartigen Claqueur Netanjahu der Lüge überführen, weil der Iran sich penibel an die Abmachungen gehalten hat – die Wahrheit, das sind doch allenfalls Fake News, die die einzig wirklich existierende Wahrheit, nämlich die des Washingtoner Kaspars, ins schlechte Licht rücken wollen.

Was aber hat er angerichtet?

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ein ehemaliger Diplomat, dem man sicher keine spontan-emotionale Verirrung nachsagen kann, wertete den Ausstieg der USA aus dem Iran-Abkommen als Trumps „vermutlich folgenreichsten Fehler (…) zum Nachteil des Weltfriedens“. Und er setzte hinzu, dass ihm, Ischinger, die derzeitige Lage Angst mache. Die Europäer, zumindest die E 3 (Frankreich, Groß Britannien und Deutschland), die mit am Verhandlungstisch saßen, beeilten sich, ihre Bereitschaft mitzuteilen, den Vertrag trotz des Ausstiegs weiter tragen zu wollen. Vereint mit China und Russland. Der deutsche Außenminister hat sich in Moskau gerade das russische Eis einpacken lassen, das auf seine nassforschen Reden über seinen geplanten Umgang mit Russland, die er lautsprechermäßig um die Welt tanzen ließ, folgte. Offensichtlich ist das Teil der Erneuerung der SPD (Kopfschütteln ist angesagt – und nichts gegen die Saarländer, aber nach den DDR-Erfahrungen mit Saarländern auf Regierungsebene hätte man es besser wissen können: Saarländer haben eine Nähe zur französischen Küche. Die sollte man sie austoben lassen, sie aber aus der europäischen Politik heraushalten). Nun aber muss man mit den Russen zusammenarbeiten, falls das Ganze noch Sinn machen soll. Blöd, aber man sieht sich halt immer zweimal im Leben. Und bis zu einem Bier mit Lawrow wird es wohl noch dauern.

Was hat Herr Trump angerichtet? Ich will jetzt nicht die Entwicklung im Nahen Osten interpretieren. Hier geht es um uns, um Europa. Macron, Merkel sind nach Washington gereist und haben ihm brav auf dem Schoß gesessen. Der englische Außenminister hielt ihn des Friedensnobelpreises für würdig. Trump ließ seine Verbündeten eiskalt abtropfen. Aber nicht nur, dass er sie nicht für ebenbürtig, also auf Augenhöhe mit ihm, hielt – auch ihren Rat schätzte er nicht: Mit seiner Ankündigung der Wiedereinsetzung der Sanktionen und der von ihm erwarteten Unterstützung seiner Politik, machte er nicht nur klar, wer in seinem Weltbild Koch und wer Kellner ist; er demontiert die europäischen Vasallenregierungen (in Trumps Augen) auch vor aller Öffentlichkeit, indem er den global vernetzten Wirtschaftsfirmen drohte, sie ebenso mit Sanktionen zu belegen, falls sie den Iran-Handel nicht aufgeben.

Will sagen, er ließ die europäischen Regierungen wissen, dass er auch in Zukunft gedenkt, über die Köpfe dieser Provinzsatrappen hinweg zu regieren. Bestes Beispiel: der nach Deutschland entsandte „Diplomat“ Trumps, Richard Grenell, der unverzüglich der deutschen Wirtschaft als Willkommen einen Tweed mit der Anweisung, sich aus sämtlichen Iran-Gechäften sofort zurückzuziehen, sandte. Der Umgang Trumps mit seinen „europäischen Verbündeten“ erinnert die Europäer daran, dass sie in seinen Augen nichts anderes als amerikanischen Kolonien sind. Fast zum liebhaben hilflos ist der Ratschlag Wolfgang Ischingers an den neuen amerikanischen Botschafter: „Ric: mein Rat nach einer langen Botschafterkarriere: Erklären Sie die Politik Ihres eigenen Landes und machen Sie Lobbyarbeit – aber sagen Sie dem Gastland nie, was es zu tun hat, wenn Sie keinen Ärger wollen. Deutsche hören gerne zu, aber Anweisungen werden sie übelnehmen.” Ischinger war von 2001 bis 2006 deutscher Botschafter in Washington.

Norbert Röttgen brachte es auf den Punkt, als er kürzlich in einem Interview gestand, dass die Wirtschaft der europäischen Politik schlicht davon läuft, wenn die Amerikaner rufen. Will sagen, diese Politik des Washingtoner Kaspars richtet sich nicht nur gegen den Iran, sondern in einem Federstrich klärt er auch die weltpolitischen Zuständigkeiten, indem er mit seiner Drohung gegen die europäische Industrie seine europäischen „Berater“ vor ihrem Volk nackt macht: Sie haben nichts, was sie den Amerikaner entgegensetzen können. Trump zeigt auf, dass die europäischen Politiker über keinerlei Legitimation mehr verfügen, weil sie durch eine längst globalisierte Wirtschaft auch im eigenen Land kein politisches Standing mehr haben. Wer das nach der Reaktion der Bundesregierung auf den Dieselskandal immer noch nicht begriffen haben sollte, dem hat es Herr Trump jetzt brutal klar gemacht. Jenseits des Freibriefs für israelische Aktionen dem Iran gegenüber, hat er es auch verstanden, die Europäer glasklar auf ihr Vasallentum gegenüber Amerika zu verweisen, da mögen sie jetzt noch ein bisschen widerständig zappeln. Aber sie haben weder den Schneid noch die Einigkeit. (Frau Bundeskanzlerin wies in ihrer Karlspreis-Rede Macron darauf hin, dass er seine europäischen Träume mit ihr begraben müsse, weil ihre einst europabesoffene Partei weder Macrons Vorschlägen folgen will noch in der Lage ist, ein eigenes Konzept zu entwickeln, weil sich all ihre Kraft bei den Diadochenkämpfen um die Merkel-Nachfolge erschöpft.)

Da haben die iranischen Hardliner leider Recht, wenn sie nicht auf eine Fortsetzung des Vertrags ohne USA spekulieren, eben weil sie um die Zerrissenheit der EU und ihr nicht vorhandenes politisches Gewicht gegenüber der eigenen Wirtschaft wissen. Es ist angerichtet. Und nun sieht man endlich, was da alles zum Kotzen ist. Leider hat Dr. Hoffmann mit dem pessimistischen Ende des Suppenkaspars nicht recht. Es wird viel schlimmer ausgehen.

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen