Mehr Menschlichkeit: Dortmunder Verein kämpft für Asylbewerber aus Afghanistan

 In FEATURED, Politik (Inland)

 

In den ersten beiden Jahren der Flüchtlingshilfe ab 2015 war der Begriff noch in aller Munde: „Willkommenskultur“. Zehntausende von Menschen halfen den Asylbewerbern, die nach Deutschland strömten. Dann wurde es mehr und mehr still um das Engagement der Bürger, die den Geflüchteten in der Bundesrepublik – oft sogar mit großem Erfolg – zu helfen vermochten. Und hinzukam: direkt von den Helferinnen und Helfern hörte man oft nur wenig, und vom Schicksal der Geflüchteten kaum etwas. Im vorliegenden Bericht nun – angeregt von mir – berichtet mein Mitstreiter aus APO-Tagen, Volker Töbel, von der Flüchtlingshilfe aus Dortmund. Volker Töbel hatte mit zahlreichen MitstreiterInnen einen Verein gegründet, gemeinnützig von Anfang an, zu dem inzwischen 27 Mitglieder zählen. Es ist beeindruckend, mit welcher Energie sie den neuen Gästen halfen, und es ist bewegend zu lesen, welche menschlichen und politischen Erfolge sie bei ihrer Arbeit erzielten und immer noch erzielen. Ich denke, es ist gut, in diesen fatalen Corona-Zeiten wieder einmal diese großartige Tätigkeit für bedrängte Menschen in den Vordergrund zu rücken, stellvertretend für zahlreiche Initiativen, die es in Deutschland immer noch gibt. Besonders anrührend: Volker Töbels Schilderung der Familienzusammenführungen, die der Dortmunder Hilfsverein „Flüchtlingspaten e. V.“ durchzusetzen verstand – teils mit, teils ohne Mithilfe zahlreicher Behörden! Holdger Platta

                                                     

Unser erster Schützling aus Afghanistan ist Heydar. Er kam Anfang 2016 zu uns und wird seither von meinem Freund Helmuth betreut, der damals gerade pensioniert worden war. Er war mein erster Referendar gewesen, dem ich Ende der siebziger Jahre das Wenige zu vermitteln versuchte, was ich über das Unterrichten wusste.

Wir waren damals schon so etwas Ähnliches wie Freunde geworden, haben uns aber dann aus den Augen verloren. Als er in einem Artikel der Ruhrnachrichten (die nennen sich selbst Ruhr Nachrichten, als hätten sie den Namen aus dem Englischen rückübersetzt!) meinen Namen las, meldete er sich spontan bei mir und übernahm, wie gesagt, Heydars Patenschaft.

Auf dem Foto oben ist Shafik zu sehen, einer der Afghanen, dem die Dortmunder Initiative „Flüchtlingspaten. e. V.“ zu helfen vermochte. Shafik wird gerade von einem Freund umarmt.

Heydar war zusammen mit seinem Vater und seiner Schwester mit ihrem Mann und zwei Kindern geflohen, nachdem der Schwager von Taliban überfallen worden war und die gesamte Familie Morddrohungen erhalten hatte. In Dortmund wohnte die Familie seiner Schwester in einer eigenen Wohnung und er mit seinem Papa in einer anderen. Er versorgt seinen Vater, der an diversen Krankheiten leidet, bis heute, kauft für ihn ein, kocht für ihn und pflegt ihn. Alle Mitglieder der Familie seiner Schwester bekamen den vollen Flüchtlingsstatus, sein Vater wegen seines Alters (er ist weit über 80) Abschiebestopp, Heydars eigener Asylantrag wurde abgelehnt. Er sollte zurück nach Afghanistan, um dort seinen Militärdienst abzuleisten, der Vater könne ja von seiner Tochter versorgt werden. Dass diese Tochter, also Heydars Schwester, selbst schwer traumatisiert und körperlich krank war und kaum für ihren Papa würde sorgen können, spielte für die Entscheidungsträger keine Rolle.

Wir begannen die Kampagne Heydar muss bleiben, für die wir von Wohlmeinenden viel Lob, von üblen Kräften eigenartige Post und Hassmails bekamen. Wir starteten mit dem Verteilen von Flugblättern, erwirkten eine Reihe von Zeitungsartikeln, machten Kundgebungen usw.

Ein Anwalt, den man wohl mit Fug und Recht den renommiertesten Flüchtlings- Anwalt Dortmunds nennen kann, erzählte mir so nebenher, dass das neue Asylpaket (ich bin mit der Zählerei inzwischen ein wenig durcheinander gekommen, ich denke, es war das Asylpaket 2) außer vielen Einschränkungen auch zwei für die Geflüchteten positive Aspekte aufwies: ein Ausbildungsvertrag erwirke das Bleiben von Geflüchteten, und das bis dahin gültige Eintrittsalter für die Aufnahme einer Berufsausbildung (18 Jahre) sei ausgesetzt worden. Diese Information machten wir uns zunutze.

Ich fragte den Handwerker, der unsere Therme wartete, ob sein Chef vielleicht bereit sei, Heydar einen Ausbildungsvertrag zu geben, und tatsächlich begann Heydar im Sommer 2017 mit einer Ausbildung als Gas- und Wasser-Installateur.

Das änderte an seinem Status nichts, aber unser Anwalt rollte sein Asylverfahren noch einmal auf, und wir gewannen. Heydar hat heute den vollen Flüchtlingsstatus und damit das Bleiberecht.

Bis Mitte 2017 kannten wir außer Heydar und seiner Familie keine weiteren Menschen aus Afghanistan.

Wir wussten damals nicht, dass unsere Afghanistan- Geschichte erst anfing.

2016/ 17 wurden viele Menschen nach Afghanistan abgeschoben, wogegen wir auf vielen Veranstaltungen protestierten. Wir hielten – und halten! – Afghanistan keineswegs für das sichere Land, als das unsere Politiker es ausgeben wollten, und diese Rede davon, dass ja nur Kriminelle und Gefährder abgeschoben würden, hielt ich für zynisch, denn damit wurde ja unter der Hand die Todesstrafe in Deutschland eingeführt. . .

Ich nahm damals an verschiedenen Demonstrationen teil, unter anderem an einer in Düsseldorf. Dort wurde darüber informiert, dass eine Reihe von NRW- Städten, vor allem Essen und Düsseldorf, in ihren Räten den Beschluss gefasst hätten, aus ihrer Stadt solle künftig niemand nach Afghanistan abgeschoben werden.

Wir griffen diese Idee auf und traten an diejenigen Fraktionen im Stadtrat heran, die wir für ansprechbar hielten in dieser Frage, und forderten sie auf, doch einen entsprechenden Antrag in den Rat einzubringen. Linke und Grüne nahmen diesen Vorschlag auf.

Der Punkt stand auf der Tagesordnung der Ratssitzung vom 01.06.2017. Wir veranstalteten eine Kundgebung zur Zeit der Sitzung direkt vor dem Rathaus. Und da kam uns ein makabrer Umstand zur Hilfe: Einige Tage vor dieser Sitzung war in Kabul eine große Bombe explodiert, die keinen Deutschen getötet hatte, im Gegensatz zu etlichen Afghanen, aber die deutsche Botschaft beschädigt hatte. Dieser Knall war sozusagen bis nach Dortmund zu hören, und so kam es, dass vor dem Beginn unserer Kundgebung der Fraktionsvorsitzende der SPD ganz bescheiden – das war sonst nicht die Art der Dortmunder Mehrheitsparteigenossen! – zu mir als dem Moderator der Veranstaltung kam und darum bat, etwas sagen zu dürfen. Und dann verkündete er, dass seine Fraktion am Tag davor einstimmig beschlossen habe, dem Antrag zuzustimmen. Und so war es auch: Alle Parteien im Dortmunder Rat, von der CDU bis zu den Linken, außer einigen rechten Kräften, die seither auch im Rat sitzen, stimmten dafür und sorgten damit für die Gültigkeit des mit überwältigender Mehrheit angenommenen Antrags.

Als unsere Veranstaltung lief, sahen wir, dass viele, viele Menschen aus Afghanistan gekommen waren, voller Dankbarkeit, dass wir ihr Interesse aufgenommen hatten. Und es kam ein junger Mann auf seinem Rollstuhl an unseren Tisch gerollt und sagte, er wolle ein Lied aus seiner Heimat singen. Und das tat er, er sang mit einer wunderbar klaren Stimme, a capella, sein Lied, dessen Melodie von großer Liebe zu seinem Land, auch Wehmut, auch Heimweh zeugte, und die Menge der Zuhörer schwieg tief ergriffen von der Schönheit dieses Gesangs.

Wir haben Shafik, so heißt er, den wir später dann sehr intensiv kennengelernt haben, ein paarmal gebeten, auf weiteren Veranstaltungen zu singen, aber er wollte nicht mehr, warum, weiß ich nicht.

Am Ende unserer Kundgebung kamen ein paar der Afghanen, die das Geschehen mitverfolgt hatten, und baten uns, für den kommenden Tag, also den 02.06., bei der Polizei eine große Trauerfeier für die Opfer der Explosion in Kabul, ebenfalls auf dem Friedensplatz, anzumelden. Damals war die Stimmung auch unter den Polizisten noch so, dass diejenigen, die zur Sicherung unserer Veranstaltung da waren, uns jede Hilfe zuteil werden ließen, sie vermittelten uns einen telefonischen Kontakt zu einer Person im Ordnungsamt, die die Trauerfeier ganz schnell und unbürokratisch genehmigte.

Die Afghanen brachten am nächsten Tag eine riesige Menge an Blumen, vor allem aber Kerzen mit, die dem großen Friedensplatz ein sehr festliches Gepräge gaben. Es wurden Reden gehalten, auch von einem unserer Vereinsmitglieder („Flüchtlingspaten Dortmund e. V.), und es wurde wieder eine sehr emotionale, aufrüttelnde Veranstaltung. Die Polizisten, die jetzt anwesend waren, verhielten sich allerdings nicht so kooperativ wie am Tag zuvor:

Ich hatte gerade die Feier für beendet erklärt, da begannen die Afghanen Essen auszupacken; sie wollten, wie sie das von zu Hause gewohnt waren, nun noch ein gemeinsames Essen darreichen. Und da schritt die Polizei ein und verbot dieses Essen, da die Veranstaltung beendet sei und sie die Teilnehmer auffordern müsse, auseinanderzugehen. Obwohl das Essen doch hinter dem Rathaus noch eingenommen werden konnte, schämte ich mich und entschuldigte mich für so wenig Verständnis von Seiten der Polizisten.

Shafiks Geschichte

Shafik Ahmadi kommt aus einer vielköpfigen Familie in Kabul. Irgendwann im Jahr 2016 explodiert eine Bombe, nach Shafiks Auskunft von einem NATO- Flugzeug abgeworfen, tötet eine von seinen Schwestern und verletzt ihn schwer. Der linke Unterschenkel wird ihm abgerissen und die gesamte Muskulatur seines rechten Beins zerstört. Er wird mehrfach operiert und kann dann sein rechtes Bein wieder eingeschränkt benutzen. Für das andere Bein bekommt er eine halbwegs funktionierende Prothese und einen Rollstuhl. Bezahlt wurde das alles von IOM, der Internationalen Organisation für Migration.

Shafik bekam dann Besuch von einer Gruppe von Taliban. Die sagten ihm, er gehe doch täglich bei IOM aus und ein. Diese Leute seien ja nun die Feinde und müssten eliminiert werden. Sie würden eine Bombe unter dem Sitz seines Rollstuhls positionieren, er solle reingehen, aufstehen, den Raum verlassen, und dann würden sie die Bombe zünden. Shafik sagte ihnen, dass er dabei nicht mitmachen würde, weil die Leute von IOM nicht seine Feinde, sondern seine Freunde seien. Sie seien die einzigen, die ihm nach seiner Verletzung geholfen hätten, im Gegensatz zu ihnen, den Taliban.

Er wusste natürlich, dass er damit, falls er dabliebe, sein Todesurteil unterschrieben hatte. Der gesamten Familie war klar, dass sie verschwinden mussten. Shafik machte sich auf den Weg mit Mama, Papa, einigen Schwestern und seinem Bruder Shams nach Westen. Seine junge Frau Mojgan blieb zurück, wollte aber nachkommen.

Shafik und Shams kamen zunächst allein an in Europa, nach einem sehr anstrengenden und gefährlichen Weg mithilfe von Zügen, LKWs und zu Fuß. Sie konnten noch auf der Balkanroute nach Deutschland weiterlaufen. Hier angekommen, beantragten sie Asyl. Beide bekamen den vollen Flüchtlingsstatus zuerteilt, durften also die Ehegatten- Nachführung beantragen. Dies wurde Hassam auch gestattet, bei seinem Bruder ergaben sich Probleme (siehe unten!).

Mojgan war ohne Handy, ohne alle Papiere in Kabul zurückgeblieben. Ihre Papiere hatte Shafik bei sich.

Irgendwie konnten Shafik und Mojgan kommunizieren. Sie wollte kommen. Das Problem war, dass die deutsche Botschaft in Kabul ja nicht arbeitete. Ein Visum konnte Mojgan also nicht in Kabul bekommen und hätte nach Islamabad reisen müssen, um in der dortigen Botschaft ein Visum zu beantragen. Das war aber zu teuer und gefährlich, so dass Shafik und Mojgan beschlossen, dass sie einfach nach Westen aufbrechen sollte. Für Shafik, der ja aus einer Macho- Gesellschaft stammt, gab es das Problem, dass sie einen männlichen Begleiter brauchte, der durfte aber nicht heterosexuell sein, weil  ein solcher Mann wohl als zu gefährlich vorgestellt wurde. Also wurde ein schwuler Begleiter gesucht und gefunden, und die beiden machten sich auf den Weg nach Westen.

Einige Vereinsmitglieder fingen an zu wirbeln. Obwohl das eigentlich nicht möglich war, erlangten sie für Mojgan einen Termin im Konsulat von Istanbul. Es wurde uns zugesichert, dass sie dort ein Visum beantragen könne.

Das Nächste, was wir über Shafik erfuhren, war, dass beide in der Türkei angekommen waren und sich in einer Schleuser- Wohnung in Izmir aufhielten. In dieser Wohnung waren auch zwei weitere Brüder von Shafik mit ihren Familien – darunter etlichen Kindern – einquartiert.

Mojgan war nun die einzige, die einen Konsulats- Termin und damit die Aussicht auf ein Visum und einen regulären Flug nach Deutschland hatte; die anderen warteten auf ein Boot, das sie auf dem gefährlichen Weg übers Mittelmeer aufs europäische Festland bringen sollte. Sie wurden dreimal auf ein Boot gebracht und von der Polizei jedes Mal wieder zurückgezwungen, sind aber tatsächlich inzwischen alle unversehrt in Deutschland angekommen.

Wie sollte Mojgan nach Istanbul kommen? Wir fragten unseren guten Freund Nadir, in Dortmund aufgewachsener Türke, der mit seinem Ford- Transit („Insofern bin ich ein richtiger Türke!“) sehr viele Transporte zu sehr guten Konditionen für uns erledigt hatte.

Er machte ein sehr besorgtes Gesicht, weil in der Türkei überall die Straßen von der Polizei oder vom Militär kontrolliert würden.

Shafiks Kontakt mit dem Schleuser, der die vielen Menschen in der Wohnung in Izmir eingesperrt hielt, ergab dessen Versprechen, er werde mit dem Auto Mojgan und ihren Begleiter auf Schleichwegen nach Istanbul bringen. Wir warteten alle voller Spannung und Angst auf Nachrichten von dieser Aktion. Zunächst gab es gar keine Infos, und als uns dann erste Infos erreichten, kamen die aus einem Lager im äußersten Ostanatolien. Das Lager war, wie sich bald herausstellte, ein Abschiebelager mit Menschen, die nach Irak oder Afghanistan abgeschoben werden sollten.

Der Schleuser hatte die beiden bis vor den ersten Kontrollpunkt gebracht und ihnen gesagt, er werde ihn umfahren und auf der anderen Seite sie wieder aufnehmen;  die Polizei werde sie durchlassen, das sei gar keine Frage. Sie wurden sofort festgenommen und abtransportiert.

Wir fragten wieder Nadir, ob er uns helfen könne, und er begann zu telefonieren. Er telefonierte sich hoch bis zu den höchsten politischen Repräsentanten der Region und sagte uns, in der Türkei sei es so, dass Menschen eingeschätzt würden nach dem Türkisch, das sie sprächen, und da er ein sehr gutes Türkisch spreche, werde er für einen sehr wichtigen Mann gehalten. Er schaffte es tatsächlich, dass im Lager Mojgan, die ja ohne alle Papiere war, gefunden wurde und mit ihrem Begleiter in einen Bus nach Istanbul steigen durfte.

Inzwischen hatte Nadir uns noch an einem weiteren wichtigen Punkt geholfen. Er hat eine Tante in Istanbul, die als relativ gut gestellte und sehr sozial denkende Geschäftsfrau sofort bereit war, die beiden Geflüchteten am Bus abzuholen, ihnen eine Wohnung zu mieten und für ausreichend Verpflegung zu sorgen. Wir haben ihr die Ausgaben natürlich erstattet, dank der Spenden, die wir inzwischen hereinholen konnten.

Da der Termin im Konsulat sich langsam näherte, habe ich mich ein paarmal mit Shafik getroffen, mit dem ich die Papiere durchsah, die für die Beantragung des Visums benötigt wurden. Viele mussten erst übersetzt und alle beglaubigt werden. Es waren sechzehn oder siebzehn Papiere.

Dann ergab sich das nächste Problem: Wie kommen die Papiere zu Mojgan in die Türkei? Sie per Post zu schicken, erschien uns zu unsicher, und wir konnten auch nicht einschätzen, wie lange es dauern würde.

Die Lösung war wieder Nadir. Er flog nach Istanbul, brachte die Papiere und begleitete Mojgan zum Konsulat. Dort wurde ihr Antrag angenommen und versprochen, die Papiere schnell durchzusehen.

Nun begann ein langes Warten. Es ist kaum zu glauben, aber die Papiere, als sie kontrolliert waren, wurden dann per DHL nach Dortmund geschickt, als gäbe es kein Internet. Und hier wurden die Papiere dann wieder neu kontrolliert, aber nach einigen Wochen kam dann tatsächlich das Okay der Behörden.

Wir schickten Geld zu Nadirs Tante, die für Mojgan ein Ticket besorgte, und so kam der Tag, an dem der Flug stattfand. In Nadirs Transit fuhren alle Familienangehörigen zum Flughafen Düsseldorf, wir in unserem eigenen Auto, und dann standen wir im Flughafengebäude, und endlich kam eine junge Frau in westlicher Kleidung und fiel ihrem Shafik um den Hals. Welch eine Freude, welch ein Glück! Welch ein schönes Ende einer so wechselvollen, langwierigen und gefährlichen Reise dieser jungen Frau nach Dortmund!

Shafik und Mojgan nahmen ihr Eheleben wieder auf, und siehe da, nach ein paar Wochen war Mojgan schwanger. Sie wurde Mutter eines Jungen, der den Namen Arne bekam. Diesen Namen hatten sie für den Jungen ausgesucht, weil ein Arne Shafik sehr viel geholfen hatte, bevor er Kontakt zu uns bekommen hatte. So gibt es jetzt in Dortmund einen Menschen mit dem interessanten Namen Arne Ahmadi.

Inzwischen sind Mojgan und Shafik Eltern eines zweiten Jungen geworden, der allerdings einen afghanischen Namen trägt. Dabei war ich vor Mojgans Ankunft gar nicht sicher, ob Shafik aufgrund seiner Verletzung überhaupt noch zeugungsfähig sei. Das ist er offenbar, und ich freue mich mit allen, die Shafik und Mojgan kennen, und erfreue mich auch heftig zu sehen, welch zärtlicher Papa Shafik ist!

Nachtrag: Kurz füge ich noch zwei kleine Geschichten an, die uns mit diesen beiden Familien widerfahren sind und ein Problem beleuchten, das unausweichlich auf jeden Flüchtlingshelfer zukommt, der mit Angehörigen einer solchen fremden Kultur zusammenarbeitet.

Lange bevor unser Anwalt das Bleiberecht für Heydar vor Gericht durchsetzte, hatten wir einen Termin mit einer Lokalredakteurin der Ruhr Nachrichten organisiert, weil wir für Heydars Fall Öffentlichkeit herstellen wollten. Wir trafen uns alle in der Wohnung, die er mit seinem Vater bewohnte: eine junge Reporterin, eine Frau aus unserem Verein und ich. Ich kannte Heydars Vater bis dahin nicht.

Als wir eintraten, kam der alte Herr auf mich zu und umarmte mich herzlich. Die beiden Frauen ignorierte er vollkommen.

Heydar hat später mit ihm geredet und ihm erklärt, dass in diesem Land, das sie beherbergte, etwas andere Regeln im Umgang von Männern und Frauen gelten, und sein Papa zeigte sich lernfähig. Als ich mit der Frau ein weiteres Mal zu ihnen kam, umarmte er mich wieder, gab ihr diesmal aber zur Begrüßung die Hand. Das freute uns sehr, weil es ein Beleg dafür war, dass die oft verbreitete These von der Unvereinbarkeit der Kulturen, über die ja immer wieder ein Stück der alten Herrenmenschen- Mentalität reproduziert wird, in ihrer Einfachheit nicht stimmt.

Die andere Geschichte betrifft Shams, Shafiks Bruder, und seine Frau Neslihan. Shams hätte ja auch das Recht erhalten müssen, seine Frau nachzuholen, und auch Neslihan erreichte Istanbul, obwohl das Ausländeramt Dortmund das Nachzugsrecht verweigert hatte.

Wir wussten lange nicht, warum. Als unser Rechtsanwalt Akteneinsicht erhielt, klärte sich der Fall: Als Neslihan und Shams heirateten, war sie noch keine 16 Jahre alt, und es gab ein noch relativ neues Gesetz in Deutschland, das gebot, Eheschließungen von Menschen im Ausland, wenn eine/r der beiden das 16 Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, nicht als geschlossen anzuerkennen. Die Lage der beiden, die sich lieben und gern zusammenleben möchten, war aussichtslos. Kein Ehegattennachzug, weil nicht verheiratet in Deutschland; keine Möglichkeit, einander in der Bundesrepublik noch einmal zu heiraten (Neslihan war inzwischen 18), was die Behörden ins Spiel brachten, denn dafür wäre eine Ehefähigkeitsbescheinigung nötig gewesen, also ein Papier aus Afghanistan. Die Behörden dort wären wohl aufgrund besonderer Verpflichtung gegenüber der Bundesrepublik bereit gewesen, eine solche Bescheinigung auszustellen, was aber nicht ging, weil die beiden in Afghanistan ja als verheiratet galten.

Der Ausweg war, dass Neslihan ohne Erlaubnis einreiste, ohne dass wir Informationen darüber gehabt hätten, auf welchen Wegen und mit wessen Hilfe. Irgendwie ist es ihr gelungen, herzukommen, und immerhin können beide nun in einem eheähnlichen Verhältnis zusammenleben.

Zu dieser Geschichte gibt es noch ein kleines zusätzliches Schmankerl: Shafik erzählte uns, dass in Afghanistan bei der Geburt eines Kindes gar keine Geburtsurkunde ausgestellt wird. Wenn das Kind herangewachsen ist und, beispielsweise, heiraten will, braucht es aber eine solche. Dann werden die Menschen vor eine Kommission von Würdenträgern geladen, die sie sich ansehen und aufgrund ihres sinnlichen Eindrucks das Alter der betreffenden Personen „feststellen“. So sei auch mit Neslihan verfahren worden. Mit anderen Worten: Vielleicht trifft es gar nicht zu, dass sie als 15jähriges Mädchen geheiratet hat, sondern schon als 16 Jahre alte Erwachsene.

Shafik fügte noch hinzu, dass ihre Familie die Fehlerhaftigkeit dieses Verfahrens am eigenen Leib erlebt habe: Zwei seiner Brüder wurden geschätzt, die ihr genaues Alter nicht kannten, aber immerhin wusste die Familie, wer älter war als der andere. Und dieser Altersunterschied wurde von der Kommission verdreht.

Als Letztes: Nachdem ich diese Zusammenhänge kennengelernt hatte, konnte ich verstehen, warum er und sein Bruder, wenn sie uns Fotos von Neslihans Hochzeit gezeigt haben, immer darauf beharrten, wir sollten doch zugeben, „wie groß Neslihan“ gewesen sei auf diesem Fest. Zumindest wir sollten also wissen oder zumindest vermuten, dass sie älter war, als die Papiere es sagten.

So viel zu den Unterschieden in den kulturellen und zivilisatorischen, behördlichen Sitten und Gebräuchen und zur Schwierigkeit, sie zu überwinden.

 

Nachbemerkung der HdS-Redaktion: Selbstverständlich kann auch den Dortmunder „Flüchtlingspaten e. V.“ geholfen werden. Kontaktaufnahme dann bitte mit Volker Töbel unter der Mailanschrift vtoebel@flüchtlingspaten-dortmund.de

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