Michel Lang: Das Narrenschiff

 In Poesie
"Narrenschiff", Sebastian Brant, 1499

“Narrenschiff”, Sebastian Brant, 1499

Ein großartiges lyrisches Zeitporträt über neue alte Unmenschlichkeit und die Gleichgültigkeit der satten Mehrheit. Sehr suggestiv – und eine deutliche Warnung – ist die wiederholte Wendung “Und wieder”. Welche Déjà-vu-Erlebnisse drohen uns noch?

Und wieder wird schwer brandgestiftet,
die Menschlichkeit mit Hass vergiftet,
auf rechter Welle froh geschwommen
und feiger Mord an Bord genommen.

Und wieder bläht die Segel feist
ein kalter Wind, der dumm und dreist
die Demut vor den Schwachen ächtet
und sie als Landbesetzer knechtet.

Und wieder schaut die Masse zu
in tief entspannter Seelenruh
und nippt, es ist ja kaum zu fassen,
an ihren feinen Sonntagstassen.

Und wieder fallen viele ein
in üble Hetze, lautes Schrei´n,
wenn hirnlos taube, tumbe Tröpfe
stolz treten gegen Kinderköpfe.

Und wieder blickt man lieber weg
flaniert auf weißem Sonnendeck,
anstatt mit Abscheu zu verachten,
dass Menschen wieder Menschen schlachten.

Und alle hatten es gelesen:
vom „deutschen Wesen“ und „Genesen“.
Doch keiner hat auch nur entfernt
für sich selbst daraus gelernt.

So werden wir denn bald ertrinken,
das Schiff, es muss in Scham versinken,
vom Ufer tönt der Abgesang
zum selbst gewählten Untergang.

Es ist der Chor der Couragierten,
die nicht zagten, sich nicht zierten,
die nicht verschämt zu Seite traten,
als Tausende um Hilfe baten.

Kommt, wacht auf, greift nach den Leinen,
verwehrt die Herzen den Gemeinen!
Doch beeilt euch, habet Acht:
Die Taue sind schon losgemacht!

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen