Mönchsarbeit wider das Gebot der Effizienz

 In FEATURED, Spiritualität

Gemälde: Eduard Grützner, Lesender Mönch

Was Fleiß in der Benediktsregel für uns bedeuten kann. Warum kann die Regel des Mönchsvaters Benedikt von Nursia für Nicht-Mönche (das sind wohl die meisten von uns) relevant sein? Weil auch wir uns fragen müssen, was sinnerfüllte Arbeit ist, die wir nicht bloß “hinter und bringen” wollen. Weil auch wir uns fragen sollten, ob wir uns in unserer Tätigkeit vollkommen dem Diktat der Effizienz und der Ziele beugen, oder ob es für uns um den Vorgang des Arbeitens selbst geht, der “Raum für Kreativität und Tiefgang” bietet. Es entsteht das Bild einer selbstbestimmten, entspannten Form von Fleiß oder – wie der Titel des neuen Buches unseres Autors lautet: von “monastischer Spiritualität als Provokation”.  (Prof. Dr. Thomas Quartier OSB)

Im Kloster ist man manchmal denselben unangenehmen Fragen ausgesetzt wie andere Menschen, die scheinbar keiner geregelten Tätigkeit nachgehen. „Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?“ Viele Besucher unserer Abtei können sich unter meiner Arbeit als Mönch scheinbar nichts vorstellen. Im Kloster geht es doch ruhig zu? „Sie haben es gut“, meinen die Gäste eigentlich. Sind die Besucher neidisch, weil wir Mönche in ihren Augen nicht dem Alltagsstress des ‚normalen‘ Berufslebens ausgesetzt sind? Oder halten sie uns eher für Müßiggänger, die sich erfolgreich eine Nische erschaffen haben, wo man ‚auf der Faulen Haut liegen‘ kann? Die Tätigkeit von Mönchen fällt aus dem Rahmen. Kann sie vielleicht auch ein Signal für Menschen sein, die es satthaben, ihre Arbeit in ein Korsett pressen zu lassen, das uns den Raum für Kreativität und Tiefgang nimmt?

Eigentlich ist die Frage komisch, denn unter einer ‚Mönchsarbeit‘ versteht man landläufig eine endlos dauernde, sehr intensive Beschäftigung mit ein und derselben Sache. Sie ist also sollkommen geregelt. Nur produktiv ist sie nach modernen Maßstäben nicht. Das entspricht so gar nicht den gängigen Kriterien, die in unserer Gesellschaft an ein arbeitsames Leben gestellt werden. Spannend wird es, wenn die ‚gutbürgerliche‘ Tugend des Fleißes ins Spiel gebracht wird. Muss man für eine Mönchsarbeit fleißig sein? Einerseits ja, denn wenn man nicht mit dem nötigen Fleiß herangeht, würde man wohl nie fertig werden. Andererseits aber auch nicht, denn es erscheint bequem, eine Tätigkeit auszuüben, die eher eine Art Beschäftigungstherapie ist. Sind Mönche nun fleißig oder doch eher faul? Und all die anderen, die anders arbeiten? Diese Frage ist nur dann relevant, wenn auch der Fleiß richtig verstanden wird. Was bedeutet eine fleißige Mönchsarbeit? Sie ist ein Signal wider das Gebot der Effizienz!

Lesen und arbeiten

Der heilige Benedikt (480-547) gibt in seiner Regel aus dem sechsten Jahrhundert ein klares Arbeitsprogramm für seine Mönche vor: „Müßiggang ist der Seele Feind. Deshalb sollen die Brüder zu bestimmten Zeiten mit Handarbeit, zu bestimmten Stunden mit heiliger Lesung beschäftigt sein“ (RB 48,1). In dieser Passage werden die wichtigsten Zutaten des Klosteralltags genannt: arbeiten und lesen. Dazu muss man wissen, dass geistliche Lesung (lectiodivina) keine Freizeitbeschäftigung und auch keine effektive Informationsverarbeitung ist. Es geht darum, sich völlig auf einen Text, oftmals aus der Bibel, einzulassen, ihn immer wieder durchzukauen. Das ist weder schnell noch effektiv. Genau darum lohnen sich die Stunden, die dafür reserviert sind. Sie haben ein höheres, ein ‚göttliches‘ Ziel, wie man aus dem Lateinischen Namen wörtlich übersetzen kann. Man muss fleißig sein, wenn man täglich Stunden mit dieser konzentrierten Art des Lesens verbringen will.

Die Arbeit, die zweite Zutat des Klosteralltags, fasst Benedikt sehr praktisch auf. Es geht nicht um hochtrabende Aufgaben, sondern um ‚Handarbeit‘. Jeder hat im Kloster seine Aufgabe, damit der Alltag bewältigt werden kann. Dabei gilt das heilige Prinzip, dass nicht jeder dieselbe Arbeit verrichtet, auch nicht dieselbe Menge. Vielmehr werden Aufgaben nach den Fähigkeiten des Einzelnen verteilt, solange niemand unter seinen Möglichkeiten bleibt und niemand überfordert wird. Es geht nicht darum, was jemand tut, sondern dass er mit der richtigen Ausgewogenheit einer Sache nachgeht. Alles andere verstellt den Blick dafür, worum es eigentlich geht:  dass „in allem Gott verherrlicht werde“ (RB 57,9). Erneut ist das Ziel also nicht, dass man nach irdischen Maßstäben so viel wie möglich erreichen soll, sondern dass man den Sinn des Lebens innerhalb seiner Arbeit findet, nicht nur wenn man Feierabend hat.

Der Sinn des Lesens und Arbeitens liegt in der öffentlichen Wahrnehmung viel zu oft im Ergebnis, im vermeintlichen Erfolg. Wir meinen dann, fleißig zu sein, kommen aber vom eigentlich sinnvollen Pfad der Tugend ab. Dann sind wir so auf unsere Resultate fixiert, dass im Sinne der Regel nur eins hilft: „Meint jemand, er bringe dem Kloster etwas ein, werde ihm seine Arbeit genommen“ (RB 57,2-3). Der scheinbare Fleiß entpuppt sich dann als Faulheit: man traut sich nicht, den Sinn dessen, was man tut, nicht planen zu können. Selbst wenn wir versuchen, uns zu besinnen, sind wir dazu nur schwer in der Lage: „Was hat mir dieses Buch gebracht?“ Echter Fleiß zeigt sich für Benedikt darin, dass man schlicht tut, was zu tun ist, „ohne Warum“.

Gott als Kriterium

Letztlich hilft der Fleiß uns dabei, ein gutes Leben zu führen. Heute denken wir oft, dass wir fleißig sein müssen, um uns dann in der Freizeit etwas mehr erlauben zu können. Das funktioniert im Kloster nicht. Man muss so handeln, dass der Sinn im Tun selbst liegt, nicht anderswo. Bei Benedikt gilt es dabei zwei Übel zu vermeiden: „nicht faul sein; nicht murren“ (RB 4, 38-39). Die Faulheit ist der Müßiggang, der dem Menschen nicht guttut. Er führt dazu, dass man im Innersten unzufrieden ist. Dann fangen wir an uns zu beschweren, zu nörgeln. Beinahe nichts ist im Klosterleben ein schlechteres Zeichen. Wie oft höre ich Besucher stöhnen: „Ich bin so froh, dass Wochenende ist“. Es geht dann nicht darum, dass man mehr Zeit mit der Familie oder mit Freunden verbringen könnte, sondern dass man nicht arbeiten muss. „Ich war die ganze Woche fleißig“, wird dann noch hinzugefügt. Echter Fleiß wäre, wenn es nicht nötig ist, Arbeit nur als notwendiges Übel zu sehen. Fleißiges Lesen würde bedeuten, dass man es wirklich in den Tagesablauf integriert und nicht als ein Luxusgut für die Freizeit sieht.

Leider erfahren viele das heute als unmögliche Aufgabe. „Ja das wäre schön, aber das geht doch nicht“. Warum nicht? Im Kloster vollziehen wir jeden Tag aufs Neue eine Art kopernikanische Wende: wenn es uns nicht schnell genug geht und wir keine Erfolge erzielen, erinnern wir uns daran, worum es eigentlich geht. Das Kriterium für unsere Arbeit, unsere Gedanken, unser Leben, hat kein Mensch in der Hand, keiner hat da ein Patent drauf. Für Mönchsarbeit braucht man eine spirituelle Grundhaltung, die Mönche mit Gott in Verbindung bringen. Natürlich hat sich die Form, wie heutige Menschen ihre Spiritualität erleben verändert, ist vielfältig geworden. Aber wenn man das Kriterium für sein Tun auch selber aus der Hand gibt, dann ist das schon eine Mönchsarbeit. Dann schafft man das Kloster in seinem Leben. Es gibt Menschen, die sich dem Alltagswahnsinn entziehen, nicht schnell und nicht effektiv sind. Sind sie nicht zuweilen fleißiger als jeder Workaholic? Es ist schon bemerkenswert, wenn die Besucher in unserer Abtei manchmal bei ihrer Abreise sagen: „Jetzt verstehe ich, dass man einen vollen Tagesablauf haben kann, und doch nicht gestresst ist“. Ich muss gestehen, dass das längst nicht immer funktioniert. Auch im Kloster ist man manchmal gestresst. Aber die Tugend des klösterlichen Fleißes lohnt es sich einzuüben. Mönchsarbeit ist Signal wider das Gebot der Effizienz.

Zum Weiterlesen:

Thomas Quartier, Das Kloster im Leben. Monastische Spiritualität als Provokation. Kevelaer: Butzon&Bercker 2016.

 

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