Monastischer Pazifismus – ein radikaler Weg
Thomas Merton, Mönch und aktiver Pazfist[/caption]Dass Mönche friedlich leben, glauben wir ihnen gern; dass sie aber durch Rückzug etwas Maßgebliches zum Wohl einer unfriedlichen „Außenwelt“ beitragen können, wird vielfach bezweifelt. Dabei ist die monastische Existenz in vielerlei Hinsicht Gegenentwurf und damit auch Widerstandsform gegen das Herrschende. Selbstbesinnung schützt vor Zerstreuung durch Konsum und irreführende Manipulation, und schon Bleiben ist Widerstand gegen den wahnhaften Flexibilitätsdruck im Kapitalismus. Thomas Merton (1915-1968), Mystiker, Mönch und Friedensaktivist, ist ein großer Vordenker und ein Vorbild des monastischen Pazifismus. Mut und Radikalität prägten sein Leben, eine innere Kraft, die er – scheinbar paradoxerweise – aus der Absonderung schöpfte. Thomas Quartier hat diese inspiririerende Persönlichkeit wieder entdeckt. (Thomas Quartier)
Wenn man ein Problem „radikal“ lösen will, dann packt man es gründlich an. Der lateinische Ursprung des Wortes legt genau das nahe: Es geht um die Wurzel (radix), die Ausgangspunkt und Ziel radikaler Wege ist. Schnell gerät man mit dem Begriff aber in ein Dilemma. Das Übel an der Wurzel zu packen, erfordert zuweilen ein radikales Gegengift, gegen das erst recht kein Kraut mehr gewachsen ist. Man bekämpft etwas so radikal, dass man selber in die gleiche Fallgrube fällt. Dann wird der Weg, das bedrohliche Übel zu beseitigen, selbst zu einem aggressiven Versuch, die eigenen Vorstellungen zu verabsolutieren. „Wer etwas bekämpfen will, muss ein Kämpfer sein, auch wenn er nun gerade den Kampf bekämpfen wollte“, so fasst ein pazifistischer Freund sein Ideal zusammen. Er zögert kurz und bemerkt wie schon so viele vor ihm, dass sich die Katze dann in den sprichwörtlichen Schwanz beißt.
Beim Frieden ist Radikalität ein ganz besonderes heikles Thema. Natürlich kann es radikale Maßnahmen erfordern, wenn man Pazifismus zu leben und durchzusetzen versucht. Aber ohne es zu merken, hat man sich gerade dadurch rasch vom Pazifismus verabschiedet. Die bekannten Totschlagargumente ersticken die Diskussion: „Pazifismus ist unmöglich“. Aber die „Argumentresistenz“, die dem Pazifismus vorgeworfen wird, ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, sobald man sich auf diese Ebene des funktionalen Diskurses begibt. Man eröffnet dann eine Diskussion, die man eigentlich nicht wollte und die dem eigenen Ideal so gar nicht entspricht: Kann man Frieden auch radikal realisieren? Oder erzeugt Gewalt Gegengewalt, sobald man einen radikalen Weg zu gehen versucht?
Spiritualität: Wurzel schlagen
Es ist gut und wichtig, dass es auch heute Stimmen aus dem pazifistischen Lager gibt, die genau dieses Dilemma durchbrechen wollen. Sie nehme das Grundübel in der gängigen Kommunikation nicht hin: dass man in eine Ecke gedrängt wird, indem der radikale Weg des Friedens zynisch auf eine instinkthafte, am eigenen Vorteil orientierte und letztlich sinnentleerte Reaktion reduziert wird. Wenn Margot Käßmann und Konstantin Wecker sich zusammentun und „die Stimme des Pazifismus auch weiterhin zum Klingen bringen wollen“, so tun sie dies aus einer „radikalen“ Perspektive, die so ganz anders ist als die gängigen Klischees. Sie beziehen eine spirituelle Sicht in den Pazifismus mit ein. Spiritualität kann man als humanistisch inspirierte Suche nach letztendlichen Triebfedern auffassen, die den Menschen zu einem würdigen Teil des Kosmos machen. Man schlägt tiefe Wurzeln, steht mit beiden Beinen auf dem Boden und weiß den ungerechten Trieben der oberflächlichen Aggression zu trotzen. (1)
Ein ganz eigenes Verständnis der Wurzel des menschlichen Lebens findet sich in der monastischen Spiritualität. Mönche und Nonnen leben Verwurzelung. Sie richten sich scheinbar nicht direkt auf das Ungleichgewicht und den Unfrieden in der Gesellschaft, sondern beginnen mit dem Wurzelschlagen zunächst bei sich selbst, in der Abgeschiedenheit des Klosters (claustrum). Wenn man jedoch einen Moment innehält, dann hat dieses Bleiben wo man ist durchaus sehr viel mit der Gesellschaft zu tun. Vielleicht ist es der radikalste Weg des Friedens, den man sich vorstellen kann: Man reagiert auf die Anfeindungen und den sich schnell drehenden Wind der Aggression und Feindseligkeit nicht nur dadurch, dass man sein Mäntelchen nicht in selbigen hängt, sondern vor allem indem man bleibt.
Wurzel schlagen im monastischen Sinne bedeutet anders zu leben, sich nicht dem Zeitgeist von Mobilität und Flexibilität zu unterwerfen und genau dadurch einen wesentlichen Beitrag zu einer Kultur des Friedens zu leisten, indem man sozusagen einen stabilen Friedensraum freihält: das Kloster (stabilitas loci) (2). „Halte es zunächst mit dir selber aus, schließe Frieden mit dir, das ist der Beginn des Pazifismus. Kehre zu deiner eigenen Wurzel zurück – sei radikal!“, so kann man den Aufruf zu einem monastischen Pazifismus zusammenfassen. Freilich soll es an dieser Stelle nicht darum gehen, echten Pazifismus buchstäblich nur im Kloster anzusiedeln, im Gegenteil, es gibt ihn Gott sei Dank in den verschiedensten Kontexten. Vielmehr soll die Frage gestellt werden, was monastischer Pazifismus konkret bedeutet und was er den vielen zu sagen hat, die einen radikalen Weg des Friedens gehen wollen.
Thomas Merton
Kaum ein christlicher Mönch hat das Wurzelschlagen im zwanzigsten Jahrhundert so radikal, bisweilen verzweifelt gesucht und so vehement propagiert wie der amerikanische Trappist Thomas Merton (1915-1968). Nach einer bewegten Jugend, in der er sich als Lebemann auf die verzweifelte und zuweilen bedrohliche Suche durch die unterschiedlichsten Weltanschauungen begibt, tritt er schließlich 1941 in die Trappistenabtei Getsemani in Kentucky ein. Mit einer genialen schriftstellerischen Begabung gesegnet, wird er durch seine autobiographischen Schriften berühmt, in denen er seinen Weg zum monastischen Leben beschreibt. Einer der Schlüsselsätze dabei lautet: „Das Kloster ist der Mittelpunkt der Welt“. (3) Der Mensch kann nach Merton überall Wurzeln schlagen, nur muss man seinen Ort eben finden, sein „Kloster“, und dann vor allem dort bleiben. Die monastische Tugend der Stabilität soll für ihn für den Rest seines Lebens zum Prüfstein werden: einerseits ist er dem monastischen Lebensprinzip immer mehr verpflichtet, andererseits bleibt er zerrissen und rastlos. (4)
Wie kommt ein hochtalentierter junger Schriftsteller, der ursprünglich gar nicht religiös ist, darauf, mit sechsundzwanzig Jahren in ein Kloster einzutreten, in dem kaum gesprochen wird und in dem man sich vor allem unterordnen muss? Es stellt für ihn einen radikalen Gegenentwurf zu seinem bisherigen Leben und seiner spontanen Neigung dar: das Ende seiner Odyssee, denn wenn das Kloster tatsächlich „der Mittelpunkt der Welt“ ist, braucht man den Frieden nirgendwo anders mehr zu suchen. Je mehr Wurzeln er in seinem Kloster und der dortigen Lebensform schlägt, umso weiter geht er den monastischen Weg ins eigene Innere.
Zwei Dinge sind dabei wichtig: erstens lebt Merton in seinen späteren Jahren als Eremit, zweitens vertieft er sich seit den 60er-Jahren in die Meditation und unterhält dazu einen regen Dialog mit östlicher Spiritualität. (5) Er ringt mit beidem: die Berufung zum Einsiedler ist für ihn einerseits die verantwortlichste Aufgabe für sich selber und die Welt, die er sich vorstellen kann; andererseits bleibt er rastlos, z.B. durch eine Liebesaffäre mit einer Krankenschwester, die ihn jedoch nicht vom monastischen Pfad abbringt. Einerseits vertieft die östliche Meditation sein geistliches Leben; andererseits ringt er damit, ob er noch in der christlichen Tradition Mönch bleiben kann, was nun gerade wesentlich für seinen Weg ist. (6) Letztlich bleibt er radikal – den eigenen Wurzeln treu – bis zu seinem tragischen Unfalltod 1968.
Für das Thema des Friedens ist nun interessant, dass Merton sich in den 60er-Jahren mehr und mehr in die Politik einmischt und zu einem radikalen Pazifisten wird, der sich z.B. gegen den Vietnamkrieg wendet. Wie kann man den Weg nach innen, in die eigene Klause, gehen und sich zugleich für den Frieden in der Welt engagieren? Letztlich ist es ein Paradox, Stille und Einsamkeit mit gesellschaftlicher Relevanz zu verbinden. Aber genau durch diesen paradoxen Charakter des monastischen Pazifismus kann man vielleicht die Sackgasse der eingangs erwähnten Diskussionsebene übersteigen. Der gelebte monastische Pazifismus entzieht sich den Widersprüchen nämlich nicht, sondern er hält sie aus – in aller Zerrissenheit und Tragik.
Quelle und Strom
Der Ausgangspunkt des Friedens ist für einen Mönch der Frieden mit sich selbst, so auch für Thomas Merton. Dabei geht es nicht um eine kurzzeitig erzielte selbstgenügsame Scheinausgeglichenheit, sondern um einen kontemplativen Frieden. Dieser kann sich nur einstellen, wenn ein Mensch sich radikal nach innen kehrt. Natürlich läuft man damit schnell Gefahr, weltfremd zu werden. Im Sinne Mertons ist das aber keinesfalls endgültig. Auch und gerade wenn der Mensch die eigenen Wurzeln in seinem Innern entdeckt, kann er kein Autist sein. Es bleibt allerdings die Frage, was ein sonderbarer Trappist irgendwo in Kentucky an konkretem Engagement leisten und wie er das mit seiner Berufung verbinden kann.
Wir haben es hier mit dem Dilemma zwischen Kontemplation und Aktion zu tun, das in vielen spirituellen Traditionen eine Rolle spielt. Wie kann man etwas tun, ohne die innere Tiefe zu verlieren? Wie kann man im eigenen Inneren ankommen, ohne nur noch um sich selbst zu kreisen? Für Merton geht es um zwei Seiten derselben Medaille, nämlich der Liebe: „Aktion ist Liebe, die sich nach außen wendet, an andere Menschen. Kontemplation ist Liebe, die sich nach innen zieht, zu ihrem göttlichen Ursprung. Aktion ist der Strom, Kontemplation die Quelle“. (7) Das Bild des Stroms und der Quelle ist für den Frieden sehr inspirierend. Wenn man nicht bereit ist, aus der tiefen Erfahrung des Friedens, zu dem der Mensch in der Lage ist, zu handeln, wird man an einem Scheinfrieden ersticken, der zu einer selbstherrlichen Attitüde wird. Wenn man aber nicht immer wieder Raum dafür schafft, die Quelle des inneren Friedens anzubohren, landet man ebenfalls in einer selbstgerechten Attitüde, weil es dem Frieden, den man fanatisch verficht, an Tiefe und Authentizität fehlt.
Monastisches Leben mahnt in erster Linie zur Bescheidenheit, so Merton: „Wir müssen uns damit zufrieden geben, zu leben, ohne unser Leben ständig zu beobachten; zu arbeiten, ohne unmittelbaren Lohn zu erwarten; zu lieben ohne augenblickliche Befriedigung, zu leben ohne besondere Anerkennung“. (8) Die normalen Mechanismen von Ursache und Wirkung, von Leistung und Belohnung werden hier außer Kraft gesetzt. Das bedeutet auch, dass das Kriterium für das eigene Handeln nicht Effizienz ist. Auf den Frieden bezogen: Wenn man in seinem Innern einen wirklich tiefen Frieden entdeckt hat, dann misst sich, was man tut, nicht am Erfolg, sondern an Wahrhaftigkeit. Von dieser Wahrhaftigkeit legt man Zeugnis ab, so Merton: „Den Entschluss, mutig und opfervoll die Wahrheit zu finden und für sie zu zeugen, kann man nie hoch genug anschlagen“. (9) Die Bescheidenheit des Klosters trifft auf jeden zu, der sich idealistisch engagiert. Merton weist uns auf ein Modell hin, wie diese Haltung zur Tugend werden kann.
Das monastische Leben bietet in seiner konkreten Form für Merton einen radikalen Weg zum Frieden. Aber natürlich kann man das monastische Charisma, symbolisch verstanden, auch in anderen Lebensformen realisieren. Man könnte sagen, dass Merton die Friedensaktivisten, mit denen er regen Kontakt unterhält, dazu aufruft, alle im symbolischen Sinne ein bisschen Mönch zu werden.
Horizont und Musikalität
Neben der konkreten Lebensform darf man eines nicht vergessen: rein empirisch gesehen ist monastisches Leben absurd. Das gilt aber auch für den Pazifismus. Es bedarf eines Horizonts, der das Wahrnehmbare übersteigt. „Wenn es Gott nicht gibt, dann ist unser Leben ein großer Irrtum“, so sagte es ein befreundeter Mönch. Bedeutet das nun, dass man an einen christlichen Gott glauben muss, um monastischen Pazifismus nachempfinden zu können? Das sicher nicht! Wie gesagt fühlte Thomas Merton sich mit östlicher Spiritualität und mit Aktivisten verbunden, die bestimmt nicht alle christlich waren. Wohl muss man eine spirituelle Musikalität mitbringen, ein Gespür, dass es einen endgültigen Horizont des menschlichen Handelns gibt. Monastischer Pazifismus begnügt sich also nicht damit, die Welt zu verändern, indem Mechanismen des Unfriedens bloßgestellt werden, sondern indem man sie in einem Horizont betrachtet, der offen und damit unendlich ist. Damit geht er einen Schritt weiter, als es z.B. mancher Wissenschaftler tut. (10) Das analytische Engagement wird vom Mönch um eine weltanschauliche, spirituelle Ebene erweitert.
Das kann auch der begabteste Wissenschaftler nicht rational erfassen, man kann es nur leben, und genau damit treffen wir den Kern von Mertons Spiritualität: „Die innere Umkehr, die den Mönch ausmacht, zeigt sich im Allgemeinen äußerlich in gewissen Wesenszügen: Gehorsam, Demut, Schweigen, Losschälung, Keuschheit. Das alles lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Frieden […] Der Friede des mönchischen Lebens lässt sich durch keine natürliche und menschliche Erklärung begründen“. (11)
Man ist nur in der Lage, es bei sich selber auszuhalten und trotz allem an ein- und demselben Ort zu bleiben, wenn man auf den letztendlichen Wert des Lebens vertrauen kann. Um auszudrücken, dass es sich lohnt, radikale Wege zu gehen, bedarf es eines Glaubenshorizonts und der Musikalität für selbigen. Unmusikalische Mönche kann es nicht geben, aber, so können wir nun sagen, auch keine unmusikalischen Pazifisten. Beide tun in manchen Situationen, was am unvernünftigsten erscheint: Der Mönch verleugnet sich selbst, der Pazifist setzt sich Gewalt aus, ohne sich zu wehren. Woran der einzelne glaubt, wird in der heutigen Zeit sehr unterschiedlich sein, aber dass ein Glaube notwendig ist, zeigen die Zeugnisse unzähliger Mönche und Aktivisten.
Man muss bereit sein, sich von der Gruppe, zu der man gehört, von seiner Umgebung zu entfremden. (12) Jeder nicht-empirische Glaube trennt einen, wenn er denn offen ist, vom Durchschnitt, aber er verleiht Kraft und Sinn: „Wenn ich mich von der Masse meiner Mitmenschen nicht zu unterscheiden vermag, werde ich sie niemals lieben und achten können, wie ich es sollte“. (13) In einem offenen Horizont, der für den Mönch der Gottesglaube ist, wird der Mensch irdischen Anfeindungen gegenüber immun, um Pazifismus leben zu können. Dass es Menschen gibt, die danach suchen, ist nach Merton für jede Kultur überlebenswichtig. Diese Menschen haben nämlich zu ihrer wahren menschlichen Identität gefunden: „Zwar können das Böse und der Tod das vergehende, äußere Selbst anfallen, in dem wir in der Entfremdung von Gott leben und in der Fremde, im Exil des Unwirklichen hausen, aber dennoch können das Böse und der Tod das wahre innere Selbst, in dem wir mit ihm eins geworden sind, nicht anrühren“. (14)
Auch der Glaubenshorizont ist im monastischen Leben also radikal, er birgt die Wurzel des eigenen Lebens und des Zusammenlebens mit anderen. Wenn wir auch glauben hier symbolisch auffassen (wie schon die Lebensform), als Offenheit und nicht als System von geschlossenen Dogmen, ist die Haltung vielleicht inspirierend für viele. Es scheint, als würde Merton alle Pazifisten ermutigen, ihren Glauben in diesem Sinne zu entdecken. Auch wenn es sich nicht um einen Gottesglauben handelt, ist es doch eine lohnende Frage, worin dieser besteht.
Prophetisches Leben
Man kann den monastischen Pazifismus als weltfremd abtun: Wer braucht schon eine Lebensform, in der man sich ständig um die eigene Achse dreht und vieles andere zu vergessen scheint? Wer sucht schon einen Glauben, der das Hier und Jetzt übersteigt und dabei wenig Bezug zur Welt zu haben scheint? Sind dies nicht entscheidende Bedenken, aufgrund derer der Mönch sich schnell wieder in seine Zelle zurückziehen sollte? Merton hatte sicher nichts dagegen, sich immer wieder in seine Einsiedelei zurückzuziehen, aber seine Stimme wurde und wird doch in aller Welt gehört. Warum? Die Ursache kann nur in ihrer prophetischen Qualität liegen. Der Prophet ist nicht der Meister der rationalen Argumentation und nicht der Initiator konkreter Projekte. Seine Stimme klingt, weil er zum Unfrieden in der Welt nicht schweigen kann. Sie klingt jedoch aus sich selber heraus, nicht mit einem bestimmten Zweck. Falsche Propheten sind diejenigen, die ihre Rede konstruieren, planen und strategisch einsetzen – sie entpuppen sich oft als die Chefideologen ihrer Zeit.
Mertons monastischer Weg, prophetisch zu sein, ist erneut die Kontemplation, die meditative Praxis des Mönchs. Diese bezieht Unfrieden und Katastrophen immer mit ein, ist also alles andere als weltfremd. Wenn ich mich in mich selber versenke, dann sind die Katastrophen meiner Zeit ganz dicht bei mir. „Wir müssen auch über die geschichtlichen Ereignisse der Gegenwart reflektieren und danach trachten, in ihren oft so erschreckenden Sinn einzudringen. […] Dachau und Auschwitz sind zwei erschütternde, ja apokalyptische Bilder der Wirklichkeit der in unseren Tagen erneuerten Passion. […] Gerade der kontemplative Mensch sollte sich in der Meditation dieser so erschütternden, so symptomatischen, so ungeheuer aussageträchtigen, so prophetischen Ereignisse annehmen“, so der Mönch. (15)
Dadurch kommt man näher zu sich selber und zum Kern des Lebens. Nur dadurch kann man eine geerdete Vision gegen Krieg und Unfrieden verkörpern. Keiner kann dies besser sagen als Merton: „Wer versucht, sich für andere oder für die Welt einzusetzen und in ihrem Sinne zu handeln, ohne sein eigenes Selbstverständnis, seine Freiheit, Ganzheit und Liebesfähigkeit zu vertiefen, wird nichts haben, was er anderen geben könnte. Er wird sie nur mit seinen eigenen fixen Ideen anstecken“. (16) Er zeigt, wie schwer es ist, diesen Spagat zu schaffen. Und in gewissem Sinne kommen wir wieder am Anfang unserer Überlegungen aus. Denn kein einziges unserer Probleme mit dem radikalen Frieden ist gelöst.
Was fügt der monastische Pazifismus den vielen, vielleicht zu vielen Diskussionen hinzu? Nichts – er erweitert nur das Anliegen, sich radikal für den Frieden einzusetzen, und das ist eine ganze Menge. „Werdet auch ein bisschen Mönch, glaubt an etwas“, so ruft Thomas Merton den vielen suchenden Pazifisten zu. „Sucht euer eigenes Kloster und handelt von da aus. Dann seid ihr besser gewappnet, wenn die Anfeindungen auf euch zukommen. Dann könnt ihr auch kämpfen“. Nicht im Krieg, sondern für „eine Welt, die es noch nicht gibt“, so können wir mit einer anderen prophetischen Stimme unserer Tage sagen, der Konstantin Weckers.
Es ist schön und sicher kein Zufall, dass wir mit dem Appell des monastischen Pazifismus beim Untertitel des spirituellsten Buchs, das Wecker geschrieben hat, auskommen. Er erkennt den Krieger und den Mönch als zwei Seiten in sich selber und schildert sie als symbolische Formen des engagierten Lebens. Wecker lebt und arbeitet in der Welt – Krieger – und entdeckt immer wieder den Mönch in sich. Merton ist – wie übrigens auch der Autor dieser Zeilen – fremd in der Welt – Mönch – und fühlt sich immer wieder zum Krieger berufen. (17) Beide können einander bereichern und einen radikalen Weg zum Frieden gemeinsam mit vielen gehen.
1 Margot Käßmann & Konstantin Wecker, Entrüstet euch! Wenn Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt. Güterloh: Gütersloher Verlagshaus 2015.
2 Thomas Quartier, Anders leven. Hedendaagsemonastiekespiritualiteit. Heeswijk: Bernemedia 2015, 34ff.
3 Thomas Merton, Der Berg der sieben Stufen. Roman. Düsseldorf: Patmos 2010.
4 Michael W. Higgins, Thomas Merton. Der geerdete Visionär. Stuttgart: KBW 2015.
5 Thomas Merton, Sinfonie für einen Seevogel. Geschichten und Meditationen des Zhuangzi. Düsseldorf: Patmos 2012, 9-14.
6 John Howard Griffin, Die Revolution der Stille. Thomas Mertons Einsiedlerjahre. Münsterschwarzach: Vier Türme Verlag 2011.
7 Thomas Merton, Keiner ist eine Insel. Betrachtungen über die Liebe. Düsseldorf: Patmos 2005, 77.
8 Merton, Keiner ist eine Insel, 120.
9 Merton, Keiner ist eine Insel, 134.
10 Vgl. Jean Ziegler, Ändere die Welt. Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen. München: Bertelsmann 2015, 29ff
11 Merton, Keiner ist eine Insel, 142-143.
12 Michael Casey, Fremd in der Stadt. Glaube und Werte in der Regel des hl. Benedikt. St. Ottilien: EOS 2009.
13 Merton, Keiner ist eine Insel, 231.
14 Thomas Merton, Christliche Kontemplation. Ein radikaler Weg der Gottessuche. München: Claudius Verlag 2010, 401.
15 Thomas Merton, Meditationen eines Einsiedlers. Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit. Düsseldorf: Patmos 2013, 57.
16 Thomas Merton, Im Einklang mit sich und er Welt. Contemplation in a World of Action. Zürich: Diogenes 1992, 38.
17 Konstantin Wecker, Mönch und Krieger. Auf der Suche nach einer Welt, die es noch nicht gibt. Güterloh: Güterloher Verlagshaus 2014.