Moria: die Politik der Grausamkeiten wird fortgesetzt

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Brücke über den Müllgraben, Flüchtlingslager Moria, Foto: Lizenz Creativ Commons

235. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Ja, dieses Mal beginne ich mit einer ausgesprochen positiven Nachricht über uns. Doch der Blick auf die derzeitigen Verhältnisse auf der Insel Lesbos zeigt dann: was wir seit Jahren an der europäischen Politik gegenüber Griechenland kritisieren, das wiederholt sich nun – auf noch grausamere Art – gegenüber den Flüchtlingen in Griechenland. Eine Entsetzen erregende Kontinuität tritt zutage; und für Unmenschlichkeit gibt es offenbar keine Grenzen mehr. Holdger Platta

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

ausnahmsweise möchte ich heute mal wieder ganz zu Anfang meiner Informationen über die neuesten Spendenzahlen berichten. Der Grund: ich kann Euch eine überaus positive Entwicklung mitteilen, die sich aufs deutlichste von den Spendenergebnissen der Vorwochen unterscheidet. Ein Zeichen der Hoffnung? – Wir OrganisatorInnen der Hilfsaktion für notleidende  GriechInnen hoffen sehr!

Ihr erinnert Euch: während der Vorwoche war keine einzige Spende bei uns eingegangen. Und das war nicht das erste Mal während der letzten zwei Monate der Fall gewesen. Und selbst in den Wochen dazwischen lagen die Spenden nur selten einmal über 200,- Euro pro Woche. Folge: manche Hilfsfälle, die mir vor allem von Evi und Tassos Chatzatoglou – derzeit in Griechenland unterwegs – gemeldet wurden, mussten – ich weiß: ein schreckliches Wort – erst einmal „auf Eis gelegt werden“. Bitte bedenkt: es geht um Menschen, in deren Notlage wir keinerlei Hilfe mehr leisten konnten.

Ob dafür der Einbruch bei unseren LeseInnenzahlen verantwortlich gewesen ist – seit Ende Mai war das der Fall aufgrund des Verbots, das uns auferlegt worden war, noch über das Thema Corona berichten zu dürfen – wissen wir nicht. Jedenfalls las am Ende dieser Verbotsperiode nur noch ein Drittel unserer vorherigen Besucherinnen und Besucher HdS.

Doch nun, nachdem für uns HdS-Verantwortliche wieder freie Berichterstattung möglich ist, zur Thematik Corona – vor allem zum Thema Anti-Corona-Maßnahmen –, scheint sich eine Wende anzubahnen (die LeserInnenzahl steigt wieder deutlich an). Ob dazu auch mein letzter Bericht – der aus der Vorwoche – beigetragen hat, in dem ich Euch über die allmählich entstehende Krisensituation für unsere GriechInnenhilfe ja aufs deutlichste informiert habe, wissen wir natürlich ebenfalls nicht. Sei es, wie es sei:

Im Zeitraum vom 15. bis 21. September gingen 1.340,- Euro auf unserem Spendenkonto ein, überwiesen von insgesamt 5 HelferInnen an uns. Ein derartig hohes Wochenergebnis durften wir seit langer Zeit nicht mehr registrieren. Wir haben uns riesig darüber gefreut – und hoffen natürlich, dass dieser Trend noch eine ganze Zeit lang anhalten möge (es muss ja nicht gleich jedes Mal dieses „Rekordergebnis“ erreicht werden).

Wir sagen den SpenderInnen also unseren herzlichsten Dank, sehr viel Erleichterung ist dabei, und mit den Griechenlandreisenden Evi und Tassos Chatzatoglou werden wir umgehend klären, wem von den Hilfsbedürftigen wir nun zuallerst wieder unter die Arme greifen werden. Im nächsten Bericht mehr darüber!

Heute nur eine Information zu diesem unverhofften Spendenanstieg noch – und auch insofern weiche ich von unseren sonstigen Gepflogenheiten einmal ab: 1.000,- Euro von diesen 1.340,- Euro wurden, in Gemeinsamkeit, von zwei HelferInnen aufgebracht, von denen ich doch wenigstens in verkürzter Form die Namen nennen will: es handelt sich um eine Anja B. und einen Frank J., denen wir diesen immensen Spendenanstieg vor allem zu verdanken haben. Zum Verständnis: zur vollen Namensnennung sehen wir uns nicht berechtigt, da wir von manchen HelferInnen ganz ausdrücklich mitgeteilt bekommen haben, dass von ihrer Seite aus Mitteilung des gesamten Namens nicht erwünscht ist.

Von Anja B. und Frank J. wissen wir dieses nicht, aber bis zum Beweis des Gegenteils gehen wir auch bei Ihnen von diesem Anonymisierungswunsch aus! Auf jeden Fall – ja, ich gebe es zu! – gilt diesen beiden in dieser Woche unser ganz besonderer Dank! Was bitte, bitte nicht als Herabsetzung der anderen HelferInnen misszuverstehen ist: auch deren Spendenanteil mit 340,- Euro lag ja weit über dem Mittel der Spendenhöhe in den Wochen davor! So oder so: ich hoffe, Ihr versteht, dass ich diese sehr gute Nachricht an den Anfang meines heutigen Berichts gesetzt habe!

Ansonsten konzentriere ich mich auch dieses Mal noch auf die augenblickliche Situation auf Lesbos, auf die Situation um das abgebrannte Flüchtlingslager Moria an der Ostküste dieser Insel im südostägäischen Mittelmeer.

Vorweg: Es scheint ausgemachte Sache zu sein, dass Deutschland wenigstens über 1.500 Flüchtlinge aus diesem Ex-Lager auf Lesbos bei uns aufzunehmen gedenkt: unbegleitete Kinder und Jugendliche vor allem, aber auch Familien mit ihren Kindern. Der sogenannte Christdemokrat Horst Seehofer hat zwar seinen Widerstand immer noch nicht aufgegeben gegenüber der Bereitschaft zahlreicher Kommunen in Deutschland, Flüchtlinge aus Moria bei sich aufzunehmen – nebenbei: in jedem Fall handelt es sich um asylberechtigte Flüchtlinge! –, aber das ist immerhin ein kleiner Fortschritt in Richtung Menschlichkeit.

Und mit großem Dank habe ich zur Kenntnis genommen, dass es in zahlreichen Städten bei uns während der letzten Tage zu Demonstrationen der ortsansässigen Bevölkerung zugunsten der Aufnahme von Flüchtlingen gekommen ist! – Immer wieder frage ich mich, wieso das menschliche Erbarmen vor allem in den unteren Rängen unserer Gesellschaft anzutreffen ist, erbärmliche Erbarmungslosigkeit aber vor allem oben, bei den Politikern in unserem Land. Doch diese Frage werde ich heute wohl kaum beantworten können.

Stattdessen nochmal ein Blick auf die derzeitige Lage in und um Moria herum:

Inzwischen wurde ja ein neues Lager gebaut, und die 6.000 verbleibenden der vormals 13.000 „Insassen“ des letzten Lagers auf Lesbos sollen es inzwischen bezogen haben. Aber wie sieht dieses neue Lager aus? Es kommt, zuallererst, einem Gefangenenlager gleich, angeblich der Corona-Krise wegen. Es wurde mit Zelten ohne Boden errichtet, auf dem Gelände eines alten Schießplatzes, direkt am Meer, ausgestattet auch mit Matratzen ohne jeden Nässeschutz, der vor den bald einsetzenden Regenfällen schützen könnte.

Um es jetzt schon also mit aller Deutlichkeit festzustellen: wenn die Regenzeit einsetzt, werden die eingesperrten Flüchtlinge vor Überschwemmungen nicht geschützt sein. Und Während der nächsten Monate drohen auf dieser Insel auch scharfe Winde, Stürme sogar, und mit starker Kälte wird ebenso zu rechnen sein. Sieht so eine neue – auch nur annähernd als menschenwürdig zu bezeichnende – Unterkunft aus? Augenzeugen mit Orts- und Klimakenntnis bestreiten dieses mit Entschiedenheit!

Doch weiter: von auch nur annähernd menschwürdig zu nennenden sanitären Anlagen kann in diesem neuen Lager ebenfalls keine Rede sein, zumindest bislang. Duschen gibt es dort überhaupt nicht, genügend Toiletten – so Augenzeuge Claus Kittsteiner – gibt es dort ebenfalls noch nicht!

Aber das ist längst noch nicht alles:

Bis dato haben Anwälte im neuen Lager keinen Zutritt. Zur Erinnerung: Manche der dort inhaftierten Flüchtlinge müssen ihre Rechtsansprüche auf Asyl, Duldung oder dergleichen noch klären lassen. Derzeit unmöglich! Heißt: die Verhältnisse dort gewährleisten nicht mal einen Mindeststandard an Rechtsstaatlichkeit!

Des weiteren – man fasst es nicht –: auch medizinischem Hilfspersonal war bis vor kurzem der Zutritt zum neuen Lager verwehrt. Für NGO’s – für humanitäre Nichtregierungsorganisationen – und Presse gilt dieses immer noch! Wieso? Sollen die Menschen dort zwischenzeitlich einfach krepieren? Was soll da nicht ans Licht der Öffentlichkeit? Und warum wurde das gesamte Lagergelände mit Stacheldraht eingezäunt?

Es verwundert nicht, dass deshalb schon manche Juristen und Hilfsorganisationen aufs schärfste Stellung bezogen haben gegen diese neue Unterkunft und gegen diese Verbotsmaßnahmen, die angeblich allesamt dem Schutz der Insassen dienen sollen.

Die griechische Rechtsanwältin Elli Kriona teilte deswegen in einer Onlinepressekonferenz mit: „Die Ängste der Menschen hinsichtlich des Lagers sind absolut berechtigt“. Und weiter: „All die Aufmerksamkeit, die jetzt herrscht, all die humanitäre Hilfe, ist letztlich enttäuschend, weil nichts über Rechtsstaatlichkeit gesagt wird“. Diese müsse aber für die Flüchtlinge sichergestellt werden. Und es gäbe bisher keine Informationen darüber, ob die Menschen das Lager überhaupt wieder verlassen dürften.

Mit ähnlichem Tenor äußerte sich der Geschäftsführer von „Pro Asyl“, Günter Burckhardt, zur Lage auf Lesbos: „Mehr als 10.000 Flüchtlinge verbleiben in menschenunwürdiger Hoffnungslosigkeit ohne Perspektive auf Schutz“,  sagte Burckhardt am Mittwoch der vergangenen Woche – übrigens bei seiner Zahlenangabe „10.000“ auch mit Blick auf die Flüchtlinge, die nach wie vor draußen campieren, an Straßenrändern und auf Friedhöfen sogar. Und die Festsetzung der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln insgesamt wertete Burckhardt als „eklatanten Bruch der Menschenrechte“. Sie führe „zu menschenunwürdigen Zuständen und verhindert faire Asylverfahren“. Mit anderen Worten:

Das neue Moria stellt also nichts anderes als die Organisation von Rechtsbruch und Entmenschlichung dar! Mithilfe von Polizei und zum Teil auch Militär. Und ohne Eingreifen der EU, die ansonsten bei ihrer Eingreiferei in griechische Verhältnisse während der letzten zehn Jahre niemals zimperlich war! Immer dann, wenn es darum ging, noch inhumanere Verhältnisse herzustellen in Griechenland – Stichwort „Austeritätspolitik“.

Womit sich, für mich jedenfalls, heute auch der Kreis schließt und die Verbindung hergestellt ist mit dem, wogegen wir mit unseren bescheidenen Mitteln seit fünf Jahren angehen:

Es ist dieselbe Grausamkeit, die sich bislang gegen die GriechInnen richtete und nunmehr auch gegen die Flüchtlinge in Griechenland. Es sind dieselben Politiker – vor allem außerhalb Griechenlands –, die dafür verantwortlich sind. Und lediglich das innergriechische Personal hat gewechselt, das diese Politik exekutiert, erbarmungsloser und schamloser, als das jemals der SYRIZA vorzuwerfen war: Kyriakos Mitsotakis, der ultrakonservative Chef der ultrakonservativen „Nea Dimokratia“, braucht nicht mal Druck von außen, um diese Politik der Unmenschlichkeit zu realisieren. Er übt gerne auch selber diesen Druck aus, um ein solches Aktionsprogramm zur Realisierung der Inhumanität in die Tat umzusetzen.

Wie bereits mehrfach in den letzten Wochen betont: wir werden verstärkt auch diese Themen in unserer Berichterstattung mit einbeziehen – und verstärkt auch  Flüchtlinge mit einbeziehen in unser Hilfsprogramm. Mit Eurer Hilfe, so hoffe ich.

In diesem Sinne erneut mein Spendenaufruf :

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

 

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

 

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

 

Mit herzlichen Grüßen und allen meinen guten Wünschen

Euer Holdger Platta

 

Kommentare

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen