Mundschutz und Maulkorb – Vom Doppelcharakter der Prävention
Macht ist – wie Geld – ein Suchtmittel. Sie agiert nach dem Motto „Genug ist nicht genug“. Die Macht neigt dazu, ihren Einflussbereiche auf Kosten von Freiheitsrechten der Menschen immer mehr auszuweiten. Nur die Vorwände für die Festigung autoritärer, überwachungsgestützer Herrschaft wechseln. „Notstand“ aus Furcht vor Terrorismus, Hochsicherheitszonen während großer Sport-Veranstaltungen, Öko-Diktatur oder eben Gesundheitsdiktatur… Es ist letztlich egal, warum man uns die Freiheit nimmt, aber die Mächtigen – fast egal in welcher Weltgegend und welchem politischen System – scheinen dazu entschlossen. Eine Pandemie ist ein Alptraum für die Menschen, die um ihre Gesundheit bangen – und ein Traum für die Architekten diktatorischer Systeme. In China hat der Corona-Virus zu umfassenden Notstands-Maßnahmen geführt, mit denen der Staat seinen Repressionsmuskel trainiert und Techniken der Aufstandsbekämpfung einübt. „Chinesische Verhältnisse“ auch in Europa scheinen nicht fern… Götz Eisenberg
„… so träumten die Regierenden vom Pestzustand, um die perfekten Disziplinen funktionieren zu lassen.“ (Michel Foucault)
Ein Virus ist zunächst einmal ein Virus. Man fängt es sich irgendwo ein, trägt es dann in sich und verbreitet es im zwischenmenschlichen Kontakt weiter. Und doch ist ein Virus stets mehr als Virus. Es ist für die jeweilige Macht eine Herausforderung und ein Anlass, ihre Techniken der Überwachung und Kontrolle weiterzuentwickeln und auszudehnen.
Ebola und das Corona-Virus könnten zu unserer Pest werden, zur Pest des globalen Zeitalters. An den Gegenmaßnahmen ist mir die Parallele aufgefallen: das Territorium, auf dem die Krankheit aufgetreten ist, abschließen, die Menschen gegeneinander isolieren, ihre Vermischungen aufdecken und unterbinden, die Kranken und die Noch-nicht-Kranken einer umfassenden Kontrolle unterwerfen. Foucault hat in seinem Buch Überwachen und Strafen gezeigt, wie sich in der frühen Neuzeit im Kampf gegen die Pest die Disziplinierungsmodelle der Ordnung des Raums und die Techniken der Überwachung herausbilden, die dann für die Disziplinargesellschaft typisch werden und sich verallgemeinern. Im Kampf gegen die Pest bildet sich die Machttechnik der „parzellierenden Disziplin“ heraus. Die Registrierung des Pathologischen muss lückenlos und zentral gelenkt sein. Auf die Pest antwortet die Ordnung, indem sie alle Verwirrungen zu entwirren versucht: die Verwirrungen der Krankheit, welche sich überträgt, wenn sich die Körper mischen, und sich vervielfältigt, wenn Furcht und Tod die Verbote auslöschen. Wie viel perfekter kann man heute den Kampf gegen das Corona-Virus führen, da der Macht mit den digitalen Medien ganz neue Möglichkeiten zugewachsen sind.
All diese von Foucault beschriebenen Praktiken im Umgang mit der Pest finden wir nun aktuell in den Reaktionen auf das neuartige Corona-Virus wieder. In China hat man zunächst einmal 18 Städte mit zusammen 56 Millionen Einwohnern abgeriegelt und von der Außenwelt abgeschnitten. Menschen werden unter Quarantäne gestellt, einen Mundschutz zu tragen wird zur Pflicht erklärt, Straßen werden gesperrt, Autos werden an Straßensperren angehalten, ihre Insassen einer Kontrolle unterzogen. Zugverkehr und Flüge werden eingestellt. Man möchte erreichen, dass die Menschen bleiben, wo sie „wohnhaft“ sind. Das Wort wohnhaft bekommt einen eigenartigen Doppelsinn. Die Leute sollen sich zu Hause einriegeln. Fernsehbilder zeigen lauter total vermummte Marsmenschen in weißen Schutzanzügen, die den Kampf gegen das Virus aufnehmen. Riesige Spezialkliniken mit Tausenden von Betten sollen innerhalb von wenigen Tagen aus dem Boden gestampft werden. Peking, Hongkong und Schanghai haben den Gesundheitsnotstand ausgerufen. Im gesamten öffentlichen Verkehr werden Fieber-Messstationen eingerichtet.
Das alles geschieht zum Schutz der Bevölkerung, all diese Maßnehmen dienen der Krankheits-Prävention. Was aber geschieht noch? Man übt Praktiken der präventiven Konterrevolution. Der Virus, um den es letztlich und eigentlich geht, ist der Virus des Aufstands, den die Macht fürchtet wie die Pest. Die chinesische Staatsführung fürchtet die Ausbreitung des Honkong-Virus, von dem viele Einwohner dieser Stadt seit Längerem befallen sind. Im ganzen Land scheinen sich Unzufriedenheit und Unruhe auszubreiten. Eine prosperierende Wirtschaft lässt die fortdauernde Unterdrückung und sklavenartige Existenz von Arbeitermassen nicht mehr gerechtfertigt erscheinen, der geradezu obszöne Reichtum Einzelner und korrupter Cliquen lässt viele Chinesinnen und Chinesen am kommunistischen Charakter der Gesellschaft zweifeln. Sie beginnen, die gesellschaftliche Wirklichkeit an ihrem Anspruch zu messen. Ein alter sowjetischer Witz fällt mir ein. Breschnew zeigt seiner Mutter eine seiner Datschen, woraufhin die alte Dame fragt: „Und was machst du, wenn die Roten kommen?“ China ist inzwischen in seinem Bestreben, seine Bürger lückenlos zu kontrollieren, einen entscheidenden Schritt weitergegangen. Von Dezember 2019 an bekommt nur der einen Internetanschluss oder eine Handynummer, der zuvor sein Gesicht scannen lässt. So wird die Anonymität des Netzes aufgehoben werden und man kann sofort erkennen, wer hinter einem Eintrag oder einer Suchanfrage steckt. Laut Süddeutscher Zeitung vom 19./20. Oktober 2019 sollen rund 600 Millionen Kameras mit Gesichtserkennung den öffentlichen Raum überwachen und dafür sorgen, dass Passanten identifiziert und dingfest gemacht werden können.
Auch die Revolution ist aus der Perspektive der Herrschenden eine Seuche. Die Kommunistische Partei fürchtet sich vor den Massen und probt unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge die Aufstandsbekämpfung. Eines Tages könnten die Massen sich erheben und dann will die Macht gerüstet sein. Die Übertragungswege des Virus‘ und der Revolution sind die gleichen: Beide werden von Mund zu Mund weitergereicht und pflanzen sich im menschlichen Kontakt fort. Jemand ruft, wie das kleine Kind in Andersens Märchen: „Der Kaiser ist nackt, er hat ja gar nichts an!“, und schon merken alle, dass sie sich haben täuschen lassen und stimmen in den Ruf ein. Also muss man diese Übertragungswege unterbrechen, die gefährlichen horizontalen Vermischungen der Menschen untersagen. Was sie in den sogenannten sozialen Netzen und in der virtuellen Welt machen, ist unerheblich, solange es dort bleibt und nicht in die wirkliche Welt überschwappt. Revolutionen werden von leiblich anwesenden wirklichen Menschen ausgefochten, nicht von Usern und Followern.
Schon breitet sich das Virus auf dem ganzen Globus aus. Auch im Feld der Krankheiten hat, wie im Waren- und Geldverkehr, die Globalisierung Einzug gehalten. So erhalten auch andere Länder Gelegenheit, ihren Präventions-Apparat aufzurüsten und die Bevölkerung auf neuartige Kontroll- und Überwachungspraktiken einzustimmen. Wer würde es angesichts der hehren Ziele wagen zu widersprechen? Dass ein Mundschutz zugleich ein Maulkorb sein kann, dringt kaum ins Bewusstsein. Wir sollen alle an Straßensperren, Hausdurchsuchungen und den Anblick von Maschinenpistolen gewöhnt werden, wenn wir es nicht längst sind. Die Bevölkerung wird zu Hause eingesperrt, man kann sie zukünftig per Drohnen mit dem Nötigsten versorgen. In Notstandsübungen bereitet sich die Macht – ob im Namen des Kommunismus oder des Kapitals ausgeübt, ist an dieser Stelle gleichgültig – auf das drohende Ende der Massenloyalität und den Ausbruch der Menschen aus ihrer Fügsamkeit vor.
Hier wie dort könnten die unzufriedenen Massen die Einlösung der Versprechungen der Revolutionen verlangen: der französischen Revolution im Westen, der Oktoberrevolution im Osten. Von Kronstadt 1921, Prag 1968 bis zum Tiananmen-Platz 1989 durchzieht eine endlose Kette von Aufständen die Geschichte kommunistischer Herrschaft. In unterschiedlichem Vokabular geht es in diesen Aufständen um die Einlösung der uralten und immer noch unabgegoltenen Forderungen nach direkter Demokratie und Selbstbestimmung. Die Aufstände unter kommunistischer Herrschaft laufen immer Gefahr, dass ihre Forderungen nach Freiheit auf die Freiheit des Marktes und die Spielregeln der bügerlich-liberalen Demokratie hinauslaufen und schrumpfen. Namentlich die Bewegung in Hongkong scheint im Begriff, sich westlich-kapitalistisch zu orientieren und vereinnahmen zu lassen. Im Westen fürchtet sich nicht nur Macron vor den Wiedergängern der Sansculotten. Die industrielle Revolution siegte über die politische, deren Desiderate unerfüllt blieben. Wahrhafte Demokratie ist mehr als die Freiheit der Märkte und des Geldes und muss auf den industriellen Sektor übergreifen und die Eigentumsverhältnisse umstürzen. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn die verschiedenen und über die ganze Welt verstreuten Revolten sich als verschwistert erkennen, ihre jeweiligen Schwächen überwinden und ihre Kräfte bündeln würden.
Götz Eisenberg ist Sozialwissenschaftler und Publizist. Er war rund drei Jahrezehnte als Gefängnispsychologe tätig. Eisenberg arbeitet an einer „Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus“, deren dritter Band unter dem Titel „Zwischen Anarchismus und Populismus“ 2018 im Verlag Wolfgang Polkowski in Gießen erschienen ist.
Buchtipp:
Götz Eisenberg
Zwischen Anarchismus und Populismus. Zur Sozialpsychologie des entfesselten Kapitalismus, Band 3
Verlag Wolfgang Polkowski, Edition Georg-Büchner-Club
453 Seiten, € 24,90
Was dann – Panzer, Drohnen, Bomben auf Städte? Klar ist, dass Abriegeln großflächiger Lebensräume sowie Wegsperren der Bevölkerung hier niemanden größer aufregt oder zum Nachdenken bringt, obwohl es uns selbst treffen könnte, möglicherweise in naher Zukunft schon.
Mensch begibt sich also in freiwillige Quarantäne und wartet bis irgendein Virus diese Gesellschaft ausgerottet hat. Dann kommt mensch raus aus seinem Versteck, Versteck, Versteck und atmet erstmal durch. Schön. Alle weg.
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Ein Virus wehrt sich gegen die BIOMETRISCHE GESICHTSERKENNUNG und co.
Wieder ein Kampf der KLEINEN gegen die GROßEN.
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MICRO/NANO gegen MACRO/MEGA
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UND DIE ELITE ALLER COULEUR LÄSST WIEDER EINMAL IHRE LAKAIEN UM DIE BESTEN GEWINNFAKTOREN KÄMPFEN…
Ich sehen auch Chancen. Denn es fehlen nicht nur hierzulande Schutzausrüstung vom privaten Gebrauch des Mundschutzs ganz zu schweigen. Den Nutzen des Mundschutzes ist medizinisch um als Träger-in keine anderen anzustecken wohl nicht infragezustellen. Und das Versagen des Marktes wird hier besonders krass deutlich.
Auch in Südkorea wurde eine app verwendet, wobei ich schon epidemeologen sagen hörte, dass es nicht die app sondern umfangreiche Testung und Isolation der Infizierten für die flache Kurve sorgten. Ich sehe auch in den „Hamsterkäufen“ eine EGO Mentalität, die mich erschreckt. Sie sind jedoch auch Ausdruck des m.E. berechtigten Misstrauens der Bevölkerung, dass im Falle einer Katastrophe schon die Versorgung sichergestellt ist. Auch ist sie Ausdruck der Wirkung von Bildern. Die Militärfahrzeuge mit Leichen …Gibt es keine Feuerwehr, zivilen Fahrzeuge?
Manchmal kommt mir das alles auch als Teil einer Kriegsvorbereitung vor. Die Sprache in Zusammenhang mit dem Virus ist zum Großteil militärisch, so wie auch immer mehr in der Wirtschaft. Oder bilde ich mir das nur ein?
Mir ist bang ums Herz, das gebe ich gerne zu.
Man sollt diesbezüglich die letzte Rede von Herrn Guterres zur einer Art Weltmantra erklären. Eine Idee zum Ostermarsch.
Viren kann man nicht abschaffen, Atombomben schon!
(aus der Eifel bei Büchel)