„Was für Julian auf dem Spiel steht? Sein Leben! Was für Sie auf dem Spiel steht? Jedes Privileg, das Sie als Journalist erlangen können.“ — John Shipton, Vater von Julian Assange
Stella Assange sitzt am Küchentisch und spricht mit ihrem Mann. Über ihr Smartphone, versteht sich. Persönlich gesehen haben sie sich seit Monaten nicht. Julian ist bleich, spricht leicht apathisch, doch ist zu spüren, wie wichtig dieser seltene Moment des menschlichen Kontakts für ihn ist. „Ist das Papa?“, ruft der kleine Max von seinem Kinderstuhl aus, doch Stella hat kaum Kraft zu antworten. Sie hält die Tränen zurück. Mit einem anderen Handy zeigt sie Julian ein Video von einem Gospelchor, der vor dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London für ihn ein Konzert gegeben hat. Er erkundigt sich, wie die Sänger aussehen, was sie anhaben, und Stella beschreibt ihm die wahrscheinlich einzigen visuellen Eindrücke von der Außenwelt seit Monaten.
Es ist nur einer der vielen berührenden Momente aus dem australischen Dokumentarfilm „Ithaka — a father, a family, a fight for justice“, der jüngst seine Deutschlandpremiere feierte. Er zeigt die Odyssee der Familie Assange, das Auf und Ab aus Hoffnungen hinein in erneute Enttäuschung, und ist nicht zuletzt eine Dokumentation der schwindenden körperlichen und psychischen Kräfte eines der wichtigsten Enthüllungsjournalisten der Welt. Doch der Film zeigt auch, wie immer mehr Menschen in ganz Europa oder vielmehr in der ganzen Welt aufmerksam werden auf sein Schicksal.
Die Veränderung singen
Musik hat eine besondere Bedeutung für Assange. Es sei eine gute Idee zu singen, meint er zum Video mit dem Gospelchor, denn Veränderung könne nicht stattfinden, wenn man sie nicht auch singt. Stella erzählt von den Liedern gegen die Apartheid, die sie als Kind auf Demonstrationen in Südafrika gesungen hat. Die Lieder ihrer Kindheit und wie wichtig diese für sie waren. Zu antworten fällt Julian sichtlich schwer, also singt sein Sohn ihm „Twinkle, Twinkle, Little Star“ vor. Nur drei Verse, dann weiß er nicht weiter und sein Vater auch nicht.
Die Musik als Mittel zur Veränderung zu gebrauchen, ist nicht abwegig und schon gar nicht in diesem speziellen Fall. Sie vermag es manchmal, Dimensionen des Schmerzes auszudrücken, die rationales Sprechen nicht erreicht.
Jens Fischer Rodrian prangert in seinem neuen Song „Assange“ die Untätigkeit der Meisten in diesem Fall an. In Schwarz-Weiß und im Zeitraffer zieht er im dazugehörigen Musikvideo durch ein lebendiges und doch abwesendes Berlin; eine Stadt, die es im Besonderen versäumt hat, für Assange aufzustehen. In vier Minuten besingt er das Versagen einer Gesellschaft, die hätte einschreiten müssen:
„Wann mischen wir uns ein?
Wann sagen wir ‚es reicht!‘?
Ist unser Mitgefühl nur Schein?
Ist Gleichgültigkeit so leicht?
Wann stehen Menschen auf?
Und wann bleiben sie liegen?
Wann nimmt das Leben seinen Lauf?
Wann wird Gerechtigkeit siegen?
Wann fühlen wir seinen Schmerz?
Wann blutet unser Herz?
Lassen wir uns erpressen?
Haben wir schon wieder vergessen?“
Das Video lässt den Zuschauer ohne milde Pointe und mit bitterem Nachgeschmack zurück, genau wie der Dokumentarfilm über Assanges Familie. Wer ihn gesehen hat, dem ist jedenfalls jener Schmerz von Assange nicht mehr ganz so fern und vielleicht blutet dem einen oder anderen auch das Herz. Sich jedoch vom Gefühl der Machtlosigkeit verschlucken zu lassen, wäre ein Fehler, zumal man als Einzelner nicht so machtlos ist, wie man vielleicht denkt. Denn wie Assanges Frau, die gleichzeitig seine Anwältin ist, betont:
„Auslieferungen sind zu 99 Prozent Politik und zu 1 Prozent Recht. Das politische Klima um den Fall entscheidet alles.“
Und auf das politische Klima kann Einfluss genommen werden. Der nächste Versuch, dies zu tun, findet am 3. Dezember in Berlin statt. Beim Solidaritätskonzert für Julian Assange treten verschiedene Künstler, Journalisten und Autoren auf, unter anderem Äon, Morgaine, Jens Fischer Rodrian, Rubikon-Autor Hannes Hofbauer und Paul Brandenburg. Alle Beteiligten verzichten auf ihre Gage. Beim 2. Solidaritätskonzert kamen mehr als 4.000 Euro zusammen, die an Assanges Anwälte gespendet wurden. Diese werden in nächster Zeit wohl den letzten Versuch mittels Berufung unternehmen, seine Auslieferung zu verhindern. In Amerika erwartet Assange ein Gefängnis mit noch unzumutbareren Haftbedingungen, das er sich vorrangig mit Mördern, die bei ihren Fluchtversuchen zum Teil bereits Wachen umgebracht haben, teilen soll. Ein medizinisches Gutachten hat bereits bestätigt, dass im Falle einer Auslieferung sicher damit zu rechnen ist, dass er Suizid begeht.
„Assange hat den Scheinwerfer auf die Kriegsverbrechen der amerikanischen Regierung gerichtet“, erklärt Nils Melzer. Das hätte diese so wütend gemacht, dass sie den Scheinwerfer zurück auf ihn richteten.
Wer sich also dafür einsetzen will, das Scheinwerferlicht wieder dorthin zu rücken, wo es hingehört, der kann am 3. Dezember für eine der wichtigsten Schlüsselfiguren im Kampf um die westliche Pressefreiheit einstehen.
Hier können Sie Tickets für das Benefizkonzert in Berlin erwerben.
Quellen und Anmerkungen:
Der Trailer für den Film ITHAKA: A Father, A Family, A Fight For Justice.
Jens Fischer Rodrians aktueller Song für Julian Assange.