Mutabor
Sind muslimische Männer alle Gruppenvergewaltiger? Eigentlich wäre dieser Anwurf zu unsinnig, um sich mit ihm zu befassen, würde er nicht von gewählten „Volksvertretern“ stammen – aus einer Partei, die nicht nur das Wort „völkisch“, sondern auch einige Umgangsformen rehabilitieren will, die in Deutschland Tradition haben. Gegen RattenfängerInnen dieser Färbung wäre Bildung das probate Gegenmittel, ginge es nicht mit der Bildung – analog zur politschen Kultur – in diesem Land rapide abwärts. Vom Kalif Storch und einer gleichnamigen AfD-Politikerin handelt dieser Artikel. „Mutabor heißt im Lateinischen ‚Ich werde mich verwandeln‘. Das würde ich mir zum neuen Jahr für dieses Land wünschen.“ (Ludwig Schumann)
Sie hatte die richtige Frage zur richtigen Zeit gestellt, die ungeliebte Frau des Kalifen Chasid zu Bagdad, des Kalifen Storch also: Was, zur Hölle, ist in diesem Land los? Nur die Fortsetzung war wenig überraschend, zeigte sie doch allzu deutlich die Wunschfantasien der Dame im Bezug auf gruppenvergewaltigende Migranten. Natürlich sprangen ihr die Granden der AfD flugs bei, als die Kölner Polizei – Demokratie und Gesellschaft gegenüber hochhonorabel – die Strafanzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung stellte. Wer nach den Kommentaren von Meuthen, Weidel und Gauland noch Zweifel haben sollte, auf was er sich bei der Wahl dieser Partei eingelassen habe, dem mangelt es an allem, was einen Freiheit und Demokratie lebenden Bürger ausmacht, im Französischen den Citoyen. Wir sollten uns erinnern: Der Citoyen bezeichnet den Staatsbürger, dessen Selbstverständnis sich aus dem Geist der Französischen Revolution von 1789 herleitet, als sich der Stadtbürger als Staatsbürger entdeckte und beschloss, sich verantwortlich am Gemeinwesen zu beteiligen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit umfasste staatliches, soziales und kulturelles Engagement. Jean Jacques Rousseau definierte den Citoyen so: „Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse, sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt. Dieses gemeinsame Interesse beschränkt sich nicht auf die Summe der einzelnen Willensäußerungen, sondern geht über sie hinaus.“ Das ist ein Wort der Aufklärung. Auch das gehört zum Citoyen – er ist gebildet, neugierig, will die Welt entdecken und Verantwortung übernehmen. Zweifelsohne kann der Citoyen auch zornig werden, wenn er das Gefühl bekommt, dass er keinen Platz in der Gesellschaft findet, zu der er aber gehört. Wenn er das Gefühl hat, dass er nicht gehört wird, ganz davon abgesehen, dass er nicht teilhaben kann.
Und zweifelsohne kann man, wenn man die Art und Weise der Regierungsbildung sieht, auch konstatieren: Sie haben nichts gelernt, die Damen und Herren Politiker. Sie hören den Ruf nicht. Am Ende weiß man nicht recht, wer nun eigentlich die Demokratie ruiniert, die Politiker, die Nationalneoliberalsozialisten und/oder die auf den Straßen benamte Galgen schautragen, unbelästigt von der sächsischen Polizei, ebenso wie ein sächsisches Gericht sich dazu versteigt, die Nachbauten dieser benamten Galgen als Kunstobjekt zu ernennen und damit unverhohlene Mordaufrufe unter den hohen Schutz künstlerischer Freiheit zu stellen. Die alte Buschenschafterseligkeit funktioniert ohne Zweifel. Sie hat immerhin schon einmal einer Republik hingeholfen, wenn ich erinnern darf.
Aber was ist der Unterschied zwischen dem Zorn des Citoyen und dem dumpfen Gefühl, dass aufgefangen, gepflegt, hochgezüchtet wird in einer Partei, die sich aus einer tiefen Menschenverachtung nährt? Eben dieses: Der Citoyen formuliert seinen Zorn, sucht sich die Netzwerke, mit denen er etwas verändern kann und fällt aufgrund seiner Bildung nicht auf Rattenfänger herein. Da wären wir schon bei einem Problem: Die Bildung. Wir haben aufgrund verschiedener Einflüsse inzwischen ein Zweiklassenbildungssystem aufgebaut, durch das ein Großteil der Schüler frühzeitig abgehängt werden aus jeglicher Bildung. Das beginnt in den Grundschulen, in die Schüler eingeschult werden, die aufgrund ihrer häuslichen Umstände nicht einmal ganze Sätze sprechen gelernt haben, wo nur noch die Hälfte der Schüler schreiben lernt, wo in einer klugen Auswahl mehr Methodik gelernt werden sollte, statt dass Unmassen von Lernstoff angehäuft werden müssen, die nach jeder Arbeit gründlich von der Festplatte gelöscht werden, so dass am Ende nichts bleibt. Mit Ausnahme der begabten Schüler an den Eliteschulen. Auszubildende sind weder in der Lage, fehlerfreie Briefe zu schreiben noch wissen sie mit Prozentrechnung umzugehen. Allgemeinbildung? Fehlanzeige. Eine diplomierte Philosophin fragte mich, wer denn eher gelebt habe: Karl der Große oder Friedrich der Große? Die Verkäuferin von Edeka („Wir lieben Lebensmittel“) hatte noch nie etwas von diesem seltenen Gemüse Mangold gehört, das auf dem Band vor ihr lag. Eine andere erkannte eine Gurke nicht als solche. „Wir fragen unsere Auszubildenden zu Beginn beispielsweise: Nennen Sie fünf einheimische Obstsorten. Da erscheinen in der Reihenfolge Kiwi, Orangen, Bananen, Ananas. Wenn du Glück hast, folgt auf dem fünften Platz der Apfel.“ So der Chefkoch eines großen Hotels.
Hinzu kommt, dass Autokratien natürlich etwas Verführerisches haben: Sie nehmen mir ab, was ich ohnehin nicht zu leisten gewillt bin: Das Denken. Autokratien haben etwas Kuscheliges. Ja, gut, man kann anecken, wenn man die eingetretenen Denkpfade mal verlassen sollte. Aber man entwickelt auch ein Gefühl dafür, dass man rechtzeitig einhält. Was, zur Hölle, ist in diesem Land los? Dass, zur Höcke, der noch in diesem Land los ist, ist ja Schande genug. Aber in gewisser Weise bin ich der von Storch ja dankbar. Sie hat sie alle mitverhaftet, die vielleicht noch einem gewissen Graubereich in dieser Partei zugehörten. In Meuthens, Weidels, Gaulands Solidaritätsbekundungen lag so viel menschenverachtendes braunes Gedankengut, dass man keine Bedenken mehr haben muss, sie als das zu bezeichnen, was sie von Beginn an waren: Ein Sammelbecken rechtsnationaler und tiefbrauner Genossen. Und man kann nur erschreckt sein, wie tief hinein ins bürgerliche Lager sich dieses braune Gedankengut erhalten hat. Da helfen auch keine modernen Filteranlagen, die sich die Partei reichlich eingebaut hat. Den Geruch wird man dadurch nicht los.
Was, zur Hölle, ist in diesem Land los? Mutabor. Das Wort hatte der Kalif vergessen, als er sich mit seinem Großwesir Mansor in zwei Störche verwandelt hatte. Er hätte nicht lachen dürfen. Es war ein langer Weg, bis er das Wort wiederfand: Mutabor heißt im Lateinischen „Ich werde mich verwandeln“.
Das würde ich mir zum neuen Jahr für dieses Land wünschen: Dass es einmal einhalte und sich verwandeln möge. Weg von dieser verlogenen Dummdreistigkeit, die mit dem Mantra „Merkel muss weg“ meint, einen Heilsweg eingeschlagen zu haben. Ich würde mir wünschen, dass meine Nachbarn wieder ihren Stolz entdecken, ein freier Bürger zu sein, dass sie ihre Fröhlichkeit wieder entdecken. Und dass sie sich einbringen können. Die SPD beispielsweise: Ist sie nicht deshalb so beschissen, weil ihr die Leute weggelaufen sind? Wer sich wehren will, sollte ihre Parteizentralen stürmen, sich eintragen lassen und darauf bestehen, dass es statt des unseligen Hartz IV-Prozederes endlich den bedingungslosen Grundbetrag gibt. Das Hartz IV-Prozedere macht Untertanen. So werden keine freien Menschen gebildet! Das muss diese Partei begreifen, wenn sie nicht endgültig im Orkus des Vergessens verschwinden will. Aber wir, die Bürger, müssen es ihr eintrichtern. Das gilt auch für die CDU. Nicht die Verweigerung, sondern die lauthalse Einmischung werden das Land aus der Krise führen. Das, zur Hölle, sollten wir endlich begreifen. Mutabor heißt das Zauberwort: Ich werde mich verwandeln. Es heißt nicht: Die sollen sich mal verwandeln. Es heißt: Ich werde mich verwandeln! Ein Trost: Die Geschichte geht bei Wilhelm Hauff gut aus. Die Verwandlung gelingt. Nur Mut!
Und, im übrigen, ja, Frau von Storch hat die Anzeige mehr als verdient. Wer so über andere redet, immerhin schließt sie mehr als 2 Millionen muslimische Männer in Deutschland ein, hetzt. Die Erfahrung mit den möglichen Steigerungsstufen haben wir in Deutschland gehabt. Und von wegen Ausbürgern. Das wollten die Vorgänger auch: Die Juden sollten ja seinerzeit zunächst nach Madagaskar verbracht werden.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass, nur weil eine Partei demokratisch gewählt ist, dies noch kein Ausweis für den demokratischen Inhalt ihres Programms ist.