Nummer 19 und 9/11

 In Allgemein, FEATURED, Politik

Was hat der 11. September 2001 mit der Corona-Krise zu tun? Vor allem eines: Man “darf” eigentlich keine vom herrschenden Narrativ abweichende Meinung äußern. Zumindest riskiert man, auch im Verwandten- und Bekanntenkreis bei Zuwiderhandlung sehr aggressive Zurechtweisungen. Bei “Nine Eleven” wurde der öffentliche Raum komplett gleichgeschaltet und Patriotismus war erste Bürgerpflicht. Kaum einer wagte, die Ungereimtheiten des offiziell berichteten Ablaufs in Frage zu stellen. Jetzt, mitten im der Corona-Ausnahmezustand, verschwimmenen alle bisherigen weltanschaulichen Unterschiede, ebenso wie andere Themen (Armut, Klima-Katastrophe oder Flüchtlinge) in den Hintergrund treten. Es gibt nur noch den “War on virus”, für den alle Kräfte zu bündeln sind. Eine ergebnisoffene Diskussion darüber, wie gefährlich das Virus ist und ob die Gesundheitsvorsorge es rechtfertigt, Grundrechte auf brutale Weise außer Kraft zu setzen, findet nicht mehr statt. Das fordert den Musiker Christian Schantz, der damals in New York lebte – heute im Münchner Osten zum Widerspruch heraus.

Am Morgen des 11.September 2001 stürzten die zwei höchsten Türme des World Trade Centers ein. Noch am selben Tag sackte auch WTC7, ein 198 Meter hohes Gebäude desselben Komplexes in sich zusammen.

Damals lebte ich in New York City, genauer gesagt in Brooklyn, in einer Musiker-WG. Da Musiker naturgemäß spät aufstehen, wurden wir durch einen Anruf der Mutter meines amerikanischen Mitbewohners, aus Pittsburgh geweckt, nachdem das erste Flugzeug um viertel vor neun in den ersten Turm geflogen war. Die nächsten Stunden verbrachten wir zusammen vor dem Fernseher. Wir trauten unseren Augen nicht, was wir da sahen. Nach ein paar Stunden war ich der auf Schleife laufenden, immer gleichen Bilder überdrüssig und radelte die 5km von unserer WG am Prospect Parc zum Battery Park. Von dort hatte man eine gute Aussicht auf die fehlenden Türme. Über die Manhattan Bridge gingen tausende Menschen zu Fuß nach Brooklyn. Es herrschte kaum zu glauben, eine ausgelassene, heitere Stimmung. Fast alle ratschten miteinander, eine Chefsekretärin in Stöckelschuhen schäkerte angeregt mit einem einfachen Arbeiter, der Transportbetriebe. Nichts von Schockstarre war zu spüren, die New Yorker sind ein sehr krisenresistentes Volk.

Die Zeit nach 9/11 habe ich auch noch sehr gut in Erinnerung. Es war schönstes Spätsommerwetter, das nur von der permanenten Rauchwolke getrübt wurde, die von Downtown Manhattan südöstlich nach Brooklyn zog.

„United we stand“ war das Motto dieser Tage. Bis auf den heutigen Tag bin ich deswegen auf US-amerikanische Flaggen jeglicher Größe allergisch, denn die waren einfach überall. Es gab so etwas, wie einen kollektiven Zwang, gegen die Terroristen aus dem Nahen Osten zusammen zu stehen. Man musste vorsichtig sein, mit wem man sprach, wenn man wie ich, dem US-amerikanischen Imperialismus sehr kritisch gegenüberstand. Eine Stadt, ein Land, ich denke fast die ganze Welt waren im Ausnahmezustand. Natürlich würde das Folgen haben.

Die USA beschuldigten Osama bin Laden hinter den Anschlägen zu stehen. Es gab damals, wie heute, keine belastbaren Beweise für diese These. Aber ein Schuldiger, ein Feind musste gefunden werden und so griffen am 7. Oktober 2001 die USA, unterstützt von allen NATO Mitgliedsstaaten, Afghanistan an. Der Krieg gegen den Terror war eröffnet.

Nur 3 Wochen später wurde der Patriot Act, ein Notstandsgesetz, das die US-amerikanische Verfassung aushebelte, verabschiedet. Die Kongressabgeordneten hatten nur ein paar Stunden Zeit, sich den mehrere hundert Seiten langen Text durchzulesen. Natürlich stimmten sie mit riesiger Mehrheit dafür. Kaum jemand von ihnen hatte den Text gelesen. Aber was sollte man auch machen? Die Zeit lief davon. Schnell reagieren war angesagt. Das Vaterland wollte verteidigt werden. Man musste Stärke zeigen, die Terroristen bekämpfen ohne lange über die Hintergründe der Anschläge und die Folgen des eigenen Handelns zu diskutieren.

Im März 2003 griffen die USA den Irak an. Nicht, dass der Irak irgendetwas mit Osama bin Laden und Al-Qaida zu tun hatte, aber dieses Land stand schon lange auf der Abschussliste der damaligen Machthaber in Washington. Um den Irakkrieg, der immer noch unter Schock stehenden amerikanischen Bevölkerung schmackhaft zu machen, wurde eine weitere Angst geschürt. Der damalige Außenminister Colin Powell beschwor vor der UNO-Generalversammlung die Gefahr der irakischen Massenvernichtungswaffen. Das machte Eindruck, obwohl sich später herausstellte, dass es eine glatte Kriegslüge war.

Seit 2001 sind wir nicht mehr richtig aus diesem dauerhaften Krisen- und Kampfmodus herausgekommen. Vom Krieg gegen den Terror zum Krieg gegen Isis. Von der russischen zur iranischen Bedrohung. Vom Kampf gegen CO2 und den Klimawandel zum Kampf gegen Corona.

Innerhalb der letzten Wochen wurde fast in der ganzen Welt der Notstand ausgerufen. Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit wurden weitgehend außer Kraft gesetzt. Aussgangssperren wurden verhängt. Soziale Kontakte sollen vermieden werden. Es gibt Pläne, das Verfahren zur Genehmigung von Impfstoffen extrem zu verkürzen, um schneller einen Impfstoff gegen Coronaviren bereitzustellen. Das ist natürlich risikoreich, da ein schlecht getesteter Impfstoff vielen Menschen gesundheitlich schaden kann. Aber was soll man machen? Wir müssen jetzt schnell reagieren, um Leben zu retten. Wenn uns dabei Gesetze im Weg stehen, müssen wir sie in einer solchen Notsituation außer Kraft setzen oder umschreiben.

Das ist reines Kriegsdenken. Wir tun alles um den Feind zu schwächen. Heiligt der Zweck in diesem Fall wirklich die Mittel?

Niemand weiß zum jetzigen Zeitpunkt genau, ob Covid 19 wirklich die größte Bedrohung unserer Welt seit dem 2.Weltkrieg oder nur einer von vielen neu mutierten Viren der jährlichen Grippewelle ist.

Wenn Menschen Angst haben, neigen sie dazu, zu allem ja und Amen zu sagen, was verspricht, den Grund für diese Angst zu beseitigen. Ganz egal ob sie begründet ist oder nicht. Wenn der Feind nur in die Flucht geschlagen wird, ist jedes Mittel recht.

Das ist die Logik, die zu den Kriegen im Irak und Afghanistan geführt hat. Ausgelöst durch die bis heute nicht aufgeklärten Anschläge am 11.9.2001, bei denen etwa 3000 Menschen starben, hat der Krieg gegen den Terror weitaus mehr als einer Millionen Menschen den Tod gebracht. Ist das verhältnismäßig?

Meine Befürchtung ist, dass diese Kriegslogik und das mit ihr einhergehende Schwarz-Weiß Denken auch in der Coronakrise zu unverhältnismäßigen Handeln führt, das unserer Gesellschaft mehr Schaden als Nutzen wird. Wir müssen die nächsten Wochen und Monate wachsam sein. Der real existierende, neoliberale Kapitalismus neigt dazu, Schockzustände militärischer oder wirtschaftlicher Art, aber auch Naturkatastrophen zu nutzen, um zu privatisieren, den Sozialstaat abzubauen und die sogenannten Märkte weiter zu deregulieren. Ich hoffe, dass weder das Ladenschlussgesetz, noch das Sonntagsfahrverbot für LKWs dauerhaft außer Kraft gesetzt werden.

Was ich mir wünsche, ist eine ergebnisoffene, kontroverse Debatte über Corona und die damit verbundenen politischen Maßnahmen. Wer eine solche Debatte für störend, unnötig und nicht zielführend hält, ist aus meiner Sicht eher ein Autokrat als ein Demokrat.

Christian Schantz

Musiker, Liedschreiber, Geldsystemexperte

 

Den dazugehörigen Song zum Artikel “Nummer 19 und Jack Bauer” findet Ihr hier:

Anzeigen von 8 Kommentaren
  • c.g.
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    hallo christian, dein beitrag (sowohl text als auch musik) hebt sich für mich wohlwollend von anderen beiträgen ab.

    in zeiten, in denen sich bestimmer immer mehr macht nehmen und durchaus auch zugesprochen bekommen – gestern abend hatte ich das bild einer gesellschaft von  (ab)nickdackeln, die sonst nur als autodeko herhalten müssen, im kopf – danke ich dir, weil du den blick neben den ganzen befindlichkeiten und orientierungsversuchen (die sich schonmal rechts verlaufen) wieder auf den zentralen punkt unserer sich historisch entwickelten zivilisation bringst: die persönliche freiheit als bürger und die für alle geltende gleichheit vor dem gesetz.

    ja, ich höre sie von rechts und auch von links schon wieder höhnen… halte aber schier verzweifelt dagegen, herr wirf hirn vom himmel, was aber bisher, egal mit welchem gott, auch nicht so gut geklappt hat …

    insofern heisst es jetzt wohl mehr denn je, selber denken und vergleichen, den mund aufmachen und verschiedene perspektiven zulassen, vielfältig statt einfältig sein, gemeinsames denken ist probehandeln. aber genau das soll ja in zeiten des schocks nicht stattfinden.

    vorsicht, dass du nicht als idealist und träumer gebrandmarkt wirst.

    mag sein!

    es war jedoch, kein geringerer als der zwischen welten wandelnde, zuletzt auf der flucht vor den nazis an der weiterflucht gehinderte walter benjamin, der festgestellt hat, dass es unsere aufgabe wäre, “die Geschichte gegen den Strich zu bürsten.” (walter benjamin: über den begriff der geschichte).

    mag sein, ich habe in deinem vergleich den “angelus novus” vernommen (ein engelbild von paul klee, das walter benjamin in seine geschichtshistorischen thesen eingebaut hat), der mir als “buckliges Männlein der geschichte”, nein nicht “ach wie gut, dass niemand weiss… ” zuraunt, sondern der mich folgendes zitat nachlesen lässt:

    „Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

    intuitiv erahne ich, dass wir im moment an einem geschichtlichen wendepunkt stehen.

    schade nur, dass die dummheit der massen grenzenlos oder zumindest medial gleichgerichtet ist. ich befürchte, die meisten sind so ahnungslos,dass sie gar nicht checken, dass ein demokrat sowas nicht darf.

    noch haben wir eine chance ( look “the leap manifesto”).

    c.g.

  • Gerold Flock
    Antworten
    Kuck. Wieder 3 Akkorde. – So ist das eben nun mal. – Nur der Text und die Melodie ist anders…???…Ist das jetzt wieder “House of the Rising Sun”? – Plattla. Du alter Kiffer. – Der Typ aus dem OSTEN von München singt deutsch.

    Covid-19?  ich dachte Corinna?

    Soviel soziale Kontakte hatte ich privat selten. – Der Abstand ist eben nur ziemlich groß. – Mittlerweile müssen WIR uns gegenseitig ANBRÜLLEN damit WIR uns verstehen können. – So ist das eben nun mal in einer neoliberalen DEMOKRATUR der Superreichen.

    Übrigens: Ich hab schon resistente ANTI_KÖrper. – Falls Ihr welche braucht? – Ich gebe gerne ein paar ab. – Nur in der früh. – Hab ich noch Rückenschmerzen und Bauchweh. – Dann trinke ich einen Tee und dann hab ich den ganzen restlichen Tag nichts mehr. — Wahrscheinlich  ist es aber die dauernde Tee-Trinkerei, die mir dann durch die dauernde Pisserei soviel Wasser entzieht, daß ich dann in der Früh denke die CORINNA ähm..die Coranna will mich wieder Killen. – Morgen trinke ich mehr Leitungswasser.

    Das hab ich bei 9/11 auch so gemacht. – United we stand. (Ein Bier tut´s zur Not aber auch.) – Falls mal kein Weih-Wasser  da ist.

    …und niest nie gegen den Wind! – Sonst bekommt Ihr Eure VIREN selber ab.

    https://anarchypeaceangel.jimdofree.com/

  • heike
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    In den USA leben ca. 330 Mio. (330.000.000) Menschen. Jährlich sterben ca. 13 Mio (13.601.100) davon an Altersschwäche, Krankheiten aller Art, Verkehrsunfällen, Morden, Selbstmorden und was es sonst noch so gibt.

    Bis jetzt sind ca. 4000 Menschen am Corona-Virus gestorben.

    4000 von 13,6 Millionen.

  • ert_ertrus
    Antworten

    Das hab ich bei 9/11 auch so gemacht. – United we stand. (Ein Bier tut´s zur Not aber auch.) – Falls mal kein Weih-Wasser  da ist.

     

    Hi Gerold, ich empfehle Corona Extra. Cerveza Mexikana … ¡ Salud y Pesetas !

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