Oasen der Freiheit
Wir können nur im Kleinen anfangen, das zu erreichen, was im Großen momentan nicht möglich ist. Die Welt driftet immer stärker in eine Phase der Unfreiheit. Überall wandeln sich angebliche Demokratien in totalitäre Regime, die durch digitale Überwachungstechnik zementiert werden sollen. In einer solchen Realität von Freiheit zu sprechen, klingt vielleicht utopisch. Wie soll diese Freiheit erreicht werden, wenn ganze Gesellschaften in großen Schritten in die andere Richtung marschieren? Freiheit zu bewahren und zu leben, ist damit wohl nur im Kleinen möglich. Nur wenn wir die gesamtgesellschaftlichen Strukturen im eigenen Leben nicht replizieren, können wir ein gewisses Maß an Selbstbestimmung bewahren. Dafür erscheint es notwendig, Inseln der Freiheit zu errichten. Felix Feistel
Wie kann man seine Freiheit zurückgewinnen? Diese Frage stellen sich gegenwärtig wohl viele Menschen, die den Zwang staatlicher Institutionen und wirtschaftlicher Akteure immer stärker wahrnehmen. Wir sind in allen Aspekten von diesen Systemen abhängig. Wir benötigen Geld, um unsere Miete zu bezahlen und Essen zu kaufen, uns mit Strom und Wärme zu versorgen. Jeder noch so banale und grundlegende Aspekt des Lebens ist fremdbestimmt. Das alles wird zunehmend um digitale Machttechniken ergänzt. Digitale ID, digitales Zentralbankengeld, Sozialkreditsystem, der Transhumanismus führen in die totalitäre Diktatur der Reichen und Mächtigen. Wie also sich daraus lösen?
Freiheit kann heutzutage wohl kaum auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene erreicht werden. Zu viele Menschen haben sich in ihre Unfreiheit gefügt, begrüßen sie vielleicht sogar, denn sie macht das Leben einfacher, nimmt einem viele Entscheidungen ab. Wir können also lediglich Inseln schaffen, Inseln der Freiheit, die sich untereinander verbinden zu einem Freiheits-Archipel im Ozean der Unfreiheit.
Diese Inseln müssen vom System so losgelöst wie möglich sein. Am einfachsten ist dies wohl auf dem Land zu verwirklichen, weit weg von den Ballungszentren. Benötigt werden dafür größere Stücke Land, die fruchtbar sind und auf denen einfache, möglichst naturnahe Gebäude aus Holz, Lehm und anderen natürlichen Materialien gebaut werden können. Sinnvoll ist es auch, bestehende Gebäude aufzukaufen und zu restaurieren. Zu beachten sind dabei diverse Faktoren. Wenn man unabhängig sein will, dann gilt das auch für Strom, Wasser, Heizung.
Daher ist es sinnvoll, sein Leben so einzurichten, dass man zum Überleben nicht notwendigerweise auf Strom angewiesen ist. Es müssen also elektrische Geräte auf ein Minimum reduziert werden. Elektrisches Licht muss zur Not durch Kerzen und Feuer ersetzt werden können, der Kühlschrank wird zum Beispiel durch einen Erdkeller ersetzt, in dem Nahrungsmittel gelagert werden können. Wasser sollte auf dem Grundstück vorhanden sein. Am besten in Form eines Brunnens oder einer Quelle. Geheizt wird mit Holz oder ist, je nach verwendeten Baumaterialien und Architektur, auch überhaupt nicht notwendig.
Der wichtigste Faktor der Abhängigkeit ist die Ernährung. Will man frei leben, sollte man seine Nahrung daher selbst anbauen. Dafür gibt es viele sinnvolle Konzepte natürlicher Landwirtschaft und Permakultur, die eine naturverträgliche Ernährung möglich machen. Auf diese Weise können die Menschen auch wieder in Kontakt zur Natur und dadurch zu sich selbst kommen.
Der Kontakt zur Natur, die natürliche Lebensweise, ist wahrscheinlich die wichtigste Grundlage zur Gesundung der Gesellschaft. Inseln der Freiheit sind daher auch Inseln geistiger und dadurch körperlicher Gesundung. Auch ein Zusammenleben mit Tieren gehört dazu.
Tiere sind seit Jahrtausenden stetige Begleiter des Menschen. Der Mensch versteht die Welt und sich selbst durch sein Verständnis vom Tier. Tierhaltung bedeutet Achtung vor dem Leben, aber auch ein Bewusstsein des Todes.
Oftmals wird kritisiert, dass eine natürliche Landwirtschaft die wachsende Weltbevölkerung nicht ernähren könne. Tatsache ist aber, dass das derzeitige System der industriellen Landwirtschaft auf eine Ernährungsapokalypse zusteuert. Die Böden werden immer weiter ausgelaugt und können die benötigten Nährstoffe kaum noch bereitstellen. Dazu müssen immer größere Mengen Dünger ausgetragen werden, damit überhaupt noch etwas wächst. Die solchermaßen gezüchteten Pflanzen sind sehr anfällig für Krankheiten und sogenannte Schädlinge, daher werden große Mengen von Pestiziden notwendig, um diese abwehren zu können. Diese vergiften über die Ernährung letztlich auch den Menschen. Hinzu kommt, dass solchermaßen angebaute Nahrung immer weniger Nährstoffe enthält. Schon in einigen Jahren bis Jahrzehnten ist auf diese Weise eine Nahrungsmittelversorgung nicht mehr gewährleistet, und das sogar ohne die künstlich erzeugte Versorgungskrise, die sich derzeit ankündigt.
Demgegenüber hat Masanobu Fukuoka schon Mitte des letzten Jahrhunderts eine Anbaumethode entwickelt, die er natürliche Landwirtschaft nennt. In dieser Methode ist der Boden immer bedeckt, sät sich das Gemüse selbst aus und finden sich unzählige Tier- und Pflanzenarten in den Feldern und Gärten wieder, die sich gegenseitig in der Waage halten, sodass keine Schädlinge die Oberhand gewinnen können. Gepflügt oder umgegraben wird überhaupt nicht, Pestizide und Dünger werden nicht benötigt. Es ist eine Landwirtschaft, die auf dem Prinzip des Nichteingreifens beruht, und damit die Natur imitiert. Auf diese Weise wird ein Ökosystem geschaffen, das starke Pflanzen aus einem gesunden Boden hervorbringt. Die Erträge steigen damit im Laufe der Zeit und können problemlos mit konventioneller Landwirtschaft mithalten. Eine solche Anbaumethode hilft, den Weg zurück zur Natur zu finden und die Pflanzen resistent gegenüber natürlichen Schwankungen und Insektenbefall zu machen. Setzen Oasen der Freiheit auf dieses Konzept, jeweils angepasst an die lokalen Gegebenheiten, können sie unabhängig von Großkonzernen werden.
Verwaltung
Die Frage der Verwaltung kann jede Insel für sich beantworten.
Soll Freiheit in einem großen Maß verwirklicht werden, ist es sinnvoll, alle Menschen an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen, und, ebenso wichtig, an der Entscheidung über die Entscheidungsprozesse. Denn, wenn Menschen Entscheidungen selbst fällen, mit dafür verantwortlich sind, dass etwas beschlossen wird, dann fühlen sie sich auch verantwortlich, dann sorgen sie dafür, dass diese Entscheidungen auch in die Tat umgesetzt werden.
Selbst wenn Entscheidungen getroffen werden, die Einzelne nicht unterstützen, so verringert das hohe Maß an Transparenz und die vorherige Einigung auf einen Prozess der Entscheidungsfindung die Wahrscheinlichkeit, dass Entscheidungen boykottiert oder sabotiert werden. Es gibt also niemanden, der bestimmt, Anordnungen erteilt oder das letzte Wort hat. Es gibt keinen Anführer, keinen Herrscher. Jeder einzelne Mensch wird zum Souverän, zum Herrscher über sein Leben und, im Verbund mit den anderen Bewohnern der Insel, über die Gemeinschaft.
Im Kleinen wird so entgegengewirkt, dass gesellschaftlich vorherrschende Hierarchien, die Ungleichverteilung und Machtkonzentration, Unterdrückung, Totalitarismen, Feindschaft und Krieg entstehen. Auf diese Weise kann diese Art der Selbstverwaltung sich ausbreiten und Hierarchien untergraben. Denn Hierarchien werden zunehmend überflüssig, wenn sich der Archipel der Inseln ausweitet und jede Insel über ihre Angelegenheiten selbst bestimmt.
Leben statt überleben
Doch Inseln der Freiheit sollen nicht nur das Überleben sichern, sondern auch ein echtes Leben ermöglichen. Über die reine Grundversorgung hinaus hat daher jede Form der Kunst, des Handwerks, der Philosophie, Spiritualität oder Religion ihre Berechtigung und ist auch notwendig für ein Leben, das über das reine Überleben hinausgeht. Der Mensch soll auf diesen Inseln der Freiheit die Möglichkeit haben, zu sich selbst zu finden, sich mit sich und seiner Umwelt auseinanderzusetzen. Zudem stiften gerade diese Dinge überhaupt einen Lebenssinn. Kunst und Spiritualität bieten die Möglichkeit, den Alltag zu transzendieren und diesen in einen tieferen Daseinszweck einzubetten. Dieser ist für die Menschen unabdingbar, um nicht in Nihilismus oder Verzweiflung zu verfallen. Er ist es aber auch, der momentan den meisten Menschen fehlt, weswegen sie ihn in Autoritäten, Konsum oder Arbeit suchen.
Diese werden auf den Inseln einer neuen Bedeutung zugeführt. Arbeit zum Beispiel muss nicht mehr die Grundlage für ein Einkommen werden, mit dessen Hilfe man dann sein Leben erhält. Stattdessen kann die anfallende, notwendige Arbeit auf einer solchen Insel gerecht auf alle verteilt werden. Getan wird dann nur, was wirklich gebraucht wird, statt, wie heute üblich, sinnlose Jobs zu schaffen, nur damit so viele Menschen wie möglich ein Einkommen haben. Auch auf Geld kann in solchen Gemeinschaften verzichtet werden. Stattdessen können die Erzeugnisse gerecht auf die Menschen verteilt werden, nach ihrem jeweiligen Bedarf. Auf diese Weise ist für jeden Einzelnen gesorgt, es muss sich also niemand mehr mit der Sorge um den Lebensunterhalt herumschlagen. So kann ein jeder seine Fähigkeiten und Kräfte frei entfalten und diese in die Gemeinschaft einbringen.
Auch muss Arbeit kein Zwang sein. Statt Zwangsarbeit steht das lustvolle Arbeiten im Fokus. Zwar gibt es immer unerfreuliche Dinge, die erledigt werden müssen. Doch erstens findet sich auch für jede noch so unliebsame Aufgabe jemand, der sie mit Freuden erfüllt, und zweitens kann man diese Art der Arbeit gleichberechtigt auf alle verteilen. Viele dieser Arbeiten können aber oft einfach wegfallen. Auch kann es möglich sein, sich für eine Weile zurückzuziehen und keinerlei Arbeit zu verrichten. Dies kann notwendig werden, um zu sich selbst zu finden, die eigenen Fähigkeiten und Interessen zu entwickeln, oder ganz einfach, weil man sich mal erholen muss. Dies leistet nicht der Faulheit Vorschub, im Gegenteil, es entfesselt vielmehr die Potenziale jedes Einzelnen. Denn jeder benötigt eine sinnvolle Tätigkeit im Leben, und nur die Wenigsten, vom derzeitigen System schwer Geschädigten könnten längere Zeit benötigen, um diesen Sinn für sich zu finden.
Konsum in seiner jetzigen Form als Ersatz für nicht befriedigte Bedürfnisse ist auch nicht mehr notwendig. Stattdessen stehen Gemeinschaft, Transzendenz, Kunst, Kultur und das Leben mit und in der Natur im Zentrum der Inseln. Keine Ersatzbefriedigungen sind dann mehr notwendig, um die eigene Leere zu füllen.
Vernetzung
Schließlich ist keine Insel isoliert, inmitten des Nirgendwo. Daher sollte sie sich stets in ihre Umwelt einfügen, sofern eine menschliche Umwelt vorhanden ist. Kontakte in die nächste Kleinstadt, das Dorf oder die Siedlung aufzubauen ist sinnvoll, um im Austausch mit dem Rest der Welt zu bleiben, aber auch, um das Konzept der Freiheit vorzuleben und dadurch Menschen dazu zu verlocken, es nachzumachen. Zudem ist es wichtig, dass sich die Inseln untereinander vernetzen, um Fähigkeiten und Waren auszutauschen. Ähnlich dem mittelalterlichen Gildensystem bieten die Inseln untereinander auch eine Anlaufstelle, will man sich auf Reisen begeben, dauerhaft umziehen oder Fähigkeiten lernen, die niemand auf der eigenen Insel hat. Auf diese Weise entsteht ein kreativer Austausch, der immer neue Problemlösungen ermöglicht. Denn Probleme wird es auf den Inseln der Freiheit ebenso geben wie überall sonst.
Ein Leben auf einer solchen Insel erscheint entbehrungsreich, vielleicht sogar rückschrittlich, aber es ermöglicht die Rückkehr des Menschen zu seinen Wurzeln, zu dem, was wirklich notwendig ist. Zudem bietet ein Leben in Bequemlichkeit keinen Anlass für persönliches Wachstum. Dies findet nur in Krisen, in Konflikten und auf Grund von Problemen statt. Auf diese Weise stellt ein solches Leben keinen Rückschritt dar, sondern einen Fortschritt menschlicher Entwicklung hin zu einem transzendenten Leben im Einklang mit der Welt, die jeden von uns umgibt. Der Weg des Weniger ist daher wohl der beste Weg für die Menschheit insgesamt. Er allein kann zu einer friedlicheren Welt führen, die nicht ständig versucht, sich gegenseitig zu übertrumpfen, auszubooten, zu betrügen oder zu erobern.
Dieser Weg ist es auch, der zu Freiheit und Selbstbestimmung führen kann. Wenn wir im Kleinen anfangen, diesen Weg zu beschreiten, schaffen wir Inseln der Freiheit, die nicht nur eine Symbolwirkung und Ausstrahlungskraft haben, sondern in denen auch die Idee von Freiheit als wichtiges Gut durch diese totalitären, unfreien Zeiten hindurch gerettet wird.
Nur wenn wir Freiheit leben, können wir ihren Wert ermessen, und nur dann können wir sie auch erlangen. Dazu ist jedoch auch eine innere Einstellung notwendig. Denn Freiheit beginnt in einem selbst, in einer inneren Freiheit. Oftmals sind es Glaubenssätze, die uns von Kindesbeinen an indoktriniert wurden, die uns vom Leben in Freiheit abhalten.
Es ist die Vorstellung, ein Staat müsse uns beschützen und unser Leben für uns organisieren, die Vorstellung, wir müssten erst jene Schule abschließen, dieses Zertifikat erreichen, uns dann in einer Arbeit jemandem unterordnen, damit wir ein sicheres, behütetes Leben führen können. Wie wir derzeit feststellen, ist das nicht der Fall. Denn es gibt keine Sicherheit im Leben und nirgendwo ist man gefährdeter als in totalitären Systemen. Doch es sind auch Glaubenssätze wie: „Das schaffe ich nicht“ oder „Das habe ich nicht gelernt, also kann ich das nicht“ oder „Dafür habe ich kein Geld“. Und viele weitere wie diese. Daher beginnt der Weg zur Freiheit mit einer inneren Einstellung der Zuversicht und des Selbstvertrauens. Erst dann ist es überhaupt möglich, diesen Weg zu beschreiten. Wenn wir uns von den erlernten Glaubenssätzen befreien, aus der erlernten Hilflosigkeit aussteigen, können wir wirklich frei werden. Beginnen wir damit im Kleinen und schaffen Oasen der Freiheit.
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