Ohne mich!

 In FEATURED, Friedenspolitik, Kultur

Die Band Steppenwolf, Quelle: Wikipedia

Der Song „Draft Resister“ der Band Steppenwolf erzählt von einem amerikanischen Kriegsdienstverweigerer, dem bei seiner Suche nach Abenteuer das Gewissen dazwischenkam. Es erfordert schon reichlich Naivität und Verblendung, um Krieg für ein Abenteuer zu halten und nicht für Mordtourismus oder „Verrat an der Menschheit“, wie es in diesem Song heißt. Leider lehrt die Geschichte, dass Dummheit nicht auf der Liste der bedrohten Arten steht. Doch späte Erkenntnis ist immer noch besser als gar keine und verstärkt — vielleicht weil sie Reue enthält — mitunter sogar das Engagement gegen den Krieg. „Draft Resister“ von 1969 ist Teil eines hochpolitischen Albums, das sehr unverblümt notiert, dass der amerikanische Traum auf Gewalt und Ausbeutung gebaut ist. Ein Text zu der Aktion #Friedensnoten. Jonny Rieder

 

In Carl Sandburgs Prosagedicht The People, Yes von 1936 erklärt ein Mann einem Mädchen, was Soldaten sind.

„What are soldiers?“

„They are for war. They fight and each tries to kill as many of the other side as he can.“

Das Mädchen überlegt, dann sagt es:

„Sometime they’ll give a war and nobody will come.“

Jahrzehnte später wurde der Satz leicht variiert zu einem der bekanntesten Spontisprüche der Friedensbewegung: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.

Genau wie Diktaturen benötigen Kriege oder vielmehr die Machtmonster, die Kriege lostreten, immer Menschen, die mitmachen. Soldaten sind nichts anderes als willfährige Werkzeuge dieser Machtmonster. Sie verhindern keine Kriege, sie machen sie erst möglich.

Steppenwolfs viertes und durchweg politisches Album Monster erschien im November 1969, als die Anti-Vietnamkrieg-Welle in den USA einen Höhepunkt erreichte. Kurz zuvor, im Oktober, war Washington Schauplatz einer Massendemonstration mit geschätzten zwei Millionen Menschen, dem Moratorium to End the War in Vietnam. Draft Resister, der zweite Song des angenehm rauen, wenn auch musikalisch eher unspektakulären Albums, erzählt die Geschichte eines Kriegsdienstverweigerers während des Vietnamkriegs. Zur Erinnerung: Wer sich dem Kriegsdienst entzog, riskierte die Ächtung durch den selbst ernannten rechtschaffenen Teil der amerikanischen Gesellschaft und harte Strafen der kriegsverliebten US-Regierung.

Musterbeispiel war der Jahrhundertboxer Muhammad Ali, der dem Einberufungszentrum mit diesem wunderbaren Satz den verbalen Mittelfinger entgegenstreckte:

„My conscience won’t let me go shoot my brother, or some darker people, or some poor hungry people in the mud for big powerful America. And shoot them for what? They never called me nigger, they never lynched me, they didn’t put no dogs on me, they didn’t rob me of my nationality, rape and kill my mother and father. (…) Shoot them for what? How can I shoot them poor people? Just take me to jail.“

(„Mein Gewissen erlaubt mir nicht, dass ich meinen Bruder erschieße für das große, mächtige Amerika oder irgendwelche dunkelhäutige Menschen oder ein paar arme, hungrige Menschen im Dreck. Erschießen wofür? Sie haben mich nie Nigger genannt, sie haben mich nie gelyncht, sie haben keine Hunde auf mich gehetzt, sie haben mich nicht meiner Nationalität beraubt, meine Mutter und meinen Vater vergewaltigt und getötet. Wofür erschießen? Wie kann ich diese armen Leute erschießen? Steckt mich einfach ins Gefängnis.“)

So weit kam es dann nicht. Zwar wurde Muhammad Ali verurteilt, blieb aber gegen Kaution frei. Bei allen Weltmeistertiteln, die Ali errang, war das mit Abstand sein bester Kampf.

Der Sound von Steppenwolfs verhalten düsterem Draft Resister mutet stellenweise fast jazzig an, wie ein Kritiker bemerkte, und erinnert ein wenig an Riders on the Storm von den Doors und gegen Ende auch an den Instrumentalteil in Chris Reas chilligem On the Beach. Der Songtext resümiert die Entwicklung eines Kriegsdienstverweigerers, der zunächst mitmachte, weil er den Krieg für ein Abenteuer hielt und beweisen wollte, dass er ein Mann ist, bis sie seinen Willen brechen wollten, aber sein Gewissen ihre Pläne durchkreuzte:

„But they tried to crush his spirit / ‘Til his conscience ruined their plans.“

Das weckt starke Assoziationen mit Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues, dessen Neuverfilmung eigentlich im Bundestag gezeigt werden sollte. Aus Steppenwolfs Vietnam-Abenteurer wird nicht nur ein Kriegsflüchtling, sondern ein entschlossener Gegner des Kriegs, der die Menschen aufrütteln will:

„Here’s to all the draft resisters / Who will fight for sanity / When they march them off to prison / In this land of liberty“.

(„Auf alle Kriegsdienstverweigerer! / Die für die Vernunft kämpfen, wenn sie ins Gefängnis marschieren / in diesem Land der Freiheit“).

Bei allen gefühlten Erfolgen der Anti-Vietnam-Bewegung — die Zahl der Verweigerer summierte sich auf über 200.000, woraufhin US-Präsident Jimmy Carter 1977 eine Generalamnestie beschloss, wenn auch nicht, weil er ihnen nachträglich recht gab, sondern weil die schiere Zahl der Verfahren die Justiz überfordert hätte — richtet sich die letzte Strophe des Songs an eine staatlich und medial gedemütigte Minderheit:

„Shame, disgrace and all dishonor / Wrongly placed upon their heads / Will not rob them of the courage / Which betrays the innocent“

(„Schimpf, Schande und Schmach / zu Unrecht über sie ergossen / kann ihnen nicht den Mut nehmen / an dem man den Unschuldigen erkennt“).

Haltung ist nie vergeblich. Und jeder, der sich verweigert, erschwert den Krieg.


 

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