Paradies oder Atomkrieg? Aufruf zum Widerstand gegen die Ökonomie des Krieges.

 In FEATURED, Friedenspolitik

Himmel und Hölle liegen in unserer Epoche dicht beieinander und wir müssen gemeinschaftlich entscheiden, welchen Weg wir einschlagen wollen. In einer ehrwürdigen Tagungsstätte der Sozialdemokratie wurde unlängst über postkapitalistische Visionen nachgedacht. Der Fortschritt der Produktivität würde uns Wohlstand, Frieden und viel Freizeit ermöglichen. Gleichzeitig startete eine publizistische Initiative zur Vorbereitung eines verheerenden Konflikts. Ein historischer Ladenhüter, der große Krieg zwischen NATO und Russland, soll uns wieder als möglich – und gewinnbar! – verkauft werden. Die Menschheit hat das Potenzial, alle ihre Probleme zu lösen; aber wir müssen jene Kräfte bändigen, die aus Unglück und Zerstörung mehr Profit zu schlagen versuchen als aus unserem Glück. (Ludger Eversmann)

Das ist wirklich starker Tobak. Es geht um die Rede des britischen Generals Sir Nicholas Carter, Chief of the General Staff, seit 2014 oberster Militär der britischen Armee. Er hielt sie am 22. Januar 2018 beim Royal United Services Institute in UK und vertrat darin die Ansicht, dass die Russen Böses im Schilde führen:

„Ich glaube nicht, dass es mit kleinen grünen Männchen beginnen wird. Es beginnt mit etwas, was wir nicht erwarten.“

Darum, glaubt der General, wird das so sein:

„Vielleicht sollte man die heutige Situation mit dem Jahr 1912 vergleichen, als das russische zaristische Kabinett feststellte, dass es besser sei, jetzt zu kämpfen, denn 1925 wäre Russland im Vergleich zu einem modernisierten Deutschland zu schwach. Japan zog natürlich ähnliche Schlussfolgerungen im Jahr 1941. Und Russland macht sich Sorgen, denke ich, dass der Westen im nächsten Jahrzehnt einen technologischen Vorteil erlangen wird.“

Warum also darauf warten, meint er, denken die Russen. Darum, will er sagen, könnte es bald losgehen, und zwar mit etwas, was wir nicht erwarten.

Einige Tage später dann dieser Artikel im Economist über die „wachsende Gefahr eines Großmacht-Konflikts.“ Da lesen wir:

„In den letzten 25 Jahren hat der Krieg zu viele Leben gefordert. Doch während in Syrien, Zentralafrika, Afghanistan und im Irak ein ziviler und religiöser Konflikt entbrannt ist, ist ein verheerender Konflikt zwischen den Großmächten der Welt fast unvorstellbar geblieben. Nicht mehr, nicht länger.“

Dass in Syrien, Zentralafrika, Afghanistan und im Irak zivile und religiöse Konflikte entbrannt sind, erfahren wir nebenbei. Man dachte immer,es handelt sich um Schauplätze des ewigen „War on Terror“, den die Amerikaner heldenhaft führen, um die Welt zu einem „besseren Ort“ zu machen. „The world is better off without Saddam“, hieß es zuerst, dann musste unbedingt Ghaddafi weg, dann Assad. Und jetzt – Putin.

„Letzte Woche veröffentlichte das Pentagon eine neue nationale Verteidigungsstrategie, die China und Russland über den Dschihad als die größte Bedrohung für Amerika stellte“, heißt es weiter, und die Folge ist: „Ein Konflikt in einer Größenordnung und Intensität, der seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen wurde, ist von Neuem plausibel.“ Und, Achtung: „Die Welt ist nicht vorbereitet.“

Also: Prepare for War, liebe ahnungslose Welt.

Kurz vor dem Paradies – sehr kurz

Einige Wochen vorher hielt Paul Mason seine Keynote an die deutsche Sozialdemokratie, in der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo die Tagung zum Thema „Digitaler Kapitalismus“ stattfand, und verkündete die frohe Botschaft: die kommende Automatisierung ist eine Verheißung. Die Sozialdemokraten sollten aus den ganzen technischen Begriffen ein Narrativ basteln, das die Herzen der Menschen erreicht, und das „kann ein Narrativ sein, das vielen Menschen unmittelbar einleuchtet: Man könnte einen sehr anständigen Job haben, ohne dass der einen die ganze Woche in Atem hält. Die frei werdende Zeit – ich weiß, wie sehr die Deutschen ihre Hobbys, ihre Freizeit und ihren Lieblingssport schätzen! – die gewonnene Freizeit wird viel größer und reicher sein als heute.“ Also schon klar erkennbar – nur noch wenige Schritte zum Paradies.

Denn: „Wir werden keinen Mangel leiden, weil der Staat eingreifen und dafür sorgen wird, dass alles billiger und – wo immer es möglich ist – kostenlos oder sehr, sehr günstig zu haben sein wird. Natürlich wird es, ökonomisch gesehen, nicht wie in einer auf Wachstumssteigerung fixierten Gesellschaft zugehen. Stattdessen werden wir in einer sehr, sehr glücklichen Gesellschaft leben.“ Sehr nahe am Paradies!

Das Schöne und Erlesene an Masons Vortrag und Argumentation ist, dass sie chaotisch und widerspruchsvoll verläuft und aufgebaut ist, er am Ende aber zu ganz richtigen Ergebnissen kommt. Die Entwicklungen, die ökonomischen und die technischen, haben tatsächlich einen Verlauf genommen, dass es nun möglich werden könnte, Derartiges zu realisieren, also etwa dafür zu sorgen, dass nicht unbedingt „alles“, aber doch wichtige Güter und Dienstleistungen hoch effizient und automatisiert und damit extrem kostengünstig hergestellt und angeboten werden können.

Das geht tatsächlich nur, wenn öffentliche, also nicht gewerbliche, renditeorientierte Privatunternehmen diese Dinge herstellen, so sehr das auch der ökonomischen Schullehre zunächst wiederspricht. Dieser zufolge sind private Anbieter effizient, machen sich Konkurrenz und zwingen sich dadurch zu Preisen nahe den Grenzkosten. Das gilt aber nicht mehr in einer Ökonomie nahe an den Grenzen der Entwicklungsmöglichkeiten, bei der die Gefahr der Monopolbildung extrem hoch geworden ist. Außerdem spielt das Internet auch in der Produktion eine immer größere Rolle, und damit der Faktor der Entstehung von Netzeffekten, was der Gefahr der Monopolbildung umso mehr in die Hände spielt.

Unter diesen Bedingungen ist es dann so: Manche Leistungen befinden sich mit Vorteil in der Hand eines einzigen Anbieters, der aber dann kein privater Anbieter sein darf – wie es die großen digitalen Monopolisten derzeit ja leider sind.

Mason glaubt also ganz richtig, der Staat müsse eingreifen und dafür sorgen, dass die wichtigen Dinge sehr billig werden. Er weiß nur nicht so genauwarum und wie der Staat das genau machen soll, aber das spielt keine große Rolle, denn das wissen auch andere.

Wir als Kultur, als Menschheit stehen tatsächlich ganz real vor so einer Schwelle: wir können uns relativ viel Freizeit gestatten, ein entspanntes Leben mit viel Sicherheit und Ruhe und Geborgenheit, könnten mal schauen was das Leben so bringt und in der Ruhe des Gemüts unseren Ideen und Inspirationen nachgehen. Wir könnten schauen, was mit dem Tag und dem ganzen schönen Leben denn noch alles anzufangen ist. Außerdem hätte der Staat, der diese ehrenvolle Funktion erfüllt, auch sonst einiges mehr zu melden in der Welt und könnte ordnend eingreifen in das Wirtschaftsgeschehen, damit zum Beispiel die Chancen größer werden, einen Job zu bekommen, wenn man einen braucht, oder dafür sorgen, dass die Umwelt nicht mehr, als ihr zugemutet werden darf, unter Stress gesetzt wird.

Das wäre alles möglich. Aber es ist klar, dass dies einigen mächtigen Damen und Herren in der Welt überhaupt nicht gefallen würde. Da wäre zum Beispiel Warren Buffett, der mit seinen 100 Milliarden nicht mehr weiß, wohin. In einer Welt, wie Mason sie beschreibt, mit glücklichen Menschen, die sich womöglich mit billigen Gütern und Dienstleistungen zufrieden geben, die auch noch der Staat produziert, wäre für Buffet und seinesgleichen natürlich überhaupt nichts mehr zu investieren und zu extrahieren. Er könnte sein ganzes Geld geradewegs verschenken oder verbrennen. Oder spenden. Eine ganz grässliche Vorstellung für einen Investor – mit seinem Geld etwas zu machen, das nicht dazu führt, dass daraus noch mehr Geld wird. Das wäre ja fast so, als würde man das Geld einfach ausgeben.
Dann besser – ein Atomkrieg?

Ein Atomkrieg wäre da eine ganz andere Investition, sehr profitabel, vorausgesetzt natürlich, der Krieg spielt sich fern der Heimat ab. Aber die Aussichten sind bei den Kandidaten Russland und China ja gut. Den Krieg gegen Russland kann man ganz nach Europa verlagern, da sind die ganzen Soldaten und das Gerät und die Atomwaffen ja ohnehin schon, und China ist ja sehr weit weg. Und da würden die Japaner mitmachen und Südkorea, die kennen das ja schon.

Dann gäbe es blendende Geschäfte! Nur noch amerikanische Firmen auf der ganzen Welt, die elende Konkurrenz der deutschen und japanischen Autos endlich außer Gefecht, rückstandsfrei weggeputzt, und die chinesische würde erst gar nicht gefährlich werden. Und kein Ärger mehr im Weltsicherheitsrat. Die UNO könnte man gleich ganz abschaffen und den überflüssigen Weltgerichtshof sowieso. The New American Century – 100 Prozent. Das sind doch verlockende Aussichten!?

Atomar verseucht wären nur die paar komischen Länder des „neuen“ Europa, die sich praktischerweise zu diesem „Cordon sanitaire“ um Russland haben zusammenfügen lassen und die die „Befreier“ so freudig begrüßt haben. Die wären dann halt atomar verseucht und verwüstet auf Jahrzehnte, aber wer will denn da schon hin? Und sind die denn nicht sowieso schon lange atomar verseucht, durch Tschernobyl? Na bitte, selbst Schuld.

Auch die Deutschen könnten was abbekommen, jedenfalls der Osten, und die Gegenden, wo die Atomwaffen liegen. Dann muss die Schlösser- und Burgentour an Rhein und Mosel eben ein bisschen kürzer ausfallen oder man spart sich das alte Europa halt ganz, diese Prinzipienreiter, die sich den ganzen überflüssigen Unsinn von Kultur und Vernunft ja überhaupt ausgedacht haben.
OK, weg damit, und dann könnte man ziemlich radikal wieder ganz von vorne anfangen.

Allerdings – vielleicht auch nicht.

Währenddessen sitzen die zu ihrem Glück genötigten Koalitionäre in Berlin und beraten über Breitbandausbau, E-Autos und Mietpreisbremse. Die Länder sollen wohl die Möglichkeit erhalten, die Buffetts und Blackrocks in die Klassenzimmer, in die Hörsäle und auf die Schultoiletten zu lassen, damit sie wenigstens den Schülern oder deren Eltern ein wenig Geld aus der Tasche ziehen können. Kein Wunder, dass die da über profitablere Möglichkeiten nachdenken.
Was tun?

Aber jetzt im Ernst: Wie wahrscheinlich ist so ein Horror-Szenario und wenn es so wäre, was sollte oder könnte man tun? Sehr unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht und sehr unwahrscheinlich ist leider auch die skizzierte Motivation nicht. Putin beziehungsweise Russland oder China sind es jedenfalls nicht, von denen eine reale Gefahr für den Weltfrieden ausgeht, ganz im Gegenteil. Diese teuflische Strategie, erst das Land zu umzingeln und rundherum martialische Waffenarsenale aufzufahren und dann zu behaupten, die werden jetzt gefährlich, weil sie die Gefahr erkennen, die wir für sie darstellen, ist an Perfidie nicht zu überbieten; das Erstaunliche ist die Geduld und Disziplin, mit der bisher von Seiten der Russen darauf reagiert worden ist.

Die Ereignisse in der Ukraine nach dem Maidan-Putsch als russische „Aggression“ darzustellen, ist eine bodenlose Frechheit und Verdrehung der Tatsachen; jeder kann sich an die friedlichen Bemühungen der Gebiete im Donbass, wo überwiegend ethnische Russen leben, erinnern, ihre Teilautonomie und ihre Zweisprachigkeit zu erhalten, die ihnen verwehrt werden sollten, weshalb sie sich in einem Referendum für unabhängig erklärt haben. Dass dann von ukrainischer Seite Panzer von West nach Ost geschickt wurden, Panzer gegen das eigene Volk, war nicht die Schuld Russlands.Die Russen haben nichts anderes getan, als ihren Landsleuten und Verwandten zu Hilfe zu kommen, mit Hilfskonvois zum Beispiel, auf die der Westen mit wilder Empörung reagiert hat. Und dann begann Poroschenkos „ATO“, die „Anti-Terror-Operation“, mit viel amerikanischer Unterstützung, die in 3 Tagen beendet sein sollte und dann Tausende Menschen das Leben gekostet hat. Kann das jemand vergessen haben? Und die fürchterliche Annexion der Krim, bei der kein einziger Schuss gefallen ist, bei der die Annektierten ihre Annexion bejubelt haben, die soll das schwere völkerrechtliche Verbrechen gewesen sein?

Gerade gab es einen Flash-Crash an der Wall-Street und man darf sich fragen, ob der sich zu dem Super-Gau auswächst, den so viele schon so lange kommen sehen. Wer auch immer an der Zinsschraube sitzt, kann es nur falsch machen: Sind die Zinsen niedrig, bildet sich weiter die Blase, und wenn die Zinsen auch nur minimal steigen, platzt sie. Die USA sind dermaßen verschuldet, als Staat genauso wie privat, dass die Zinsen steigen müssen.Dann wird die Blase platzen müssen. Ob man sich auch darum in einen großen Krieg „retten“ will, von dem seine Planer offenbar annehmen, dass er zu gewinnen und für Amerika schadlos zu überstehen sei?

Was soll man tun? Glauben, dass Friedensdemos da auch kein Hindernis mehr darstellen werden? Passiv zusehen, wie womöglich die halbe Welt verwüstet und für Generationen unbewohnbar gemacht wird? Weiter diese gespenstische Normalität mitspielen und die Aufmerksamkeit darauf richten, ob der HSV in der ersten Liga bleibt? Hoffen, dass die Amerikaner aufwachen und so massiv und massenhaft auf die Barrikaden gehen, dass auch die finstersten SWAT-Teams kapitulieren und in den Führungsetagen erkannt wird, dass die Menschen keine Kriege wollen? Dass sie lieber die Möglichkeit nutzen wollen, die Weichen in Richtung Paradies zu stellen, als in Richtung Hölle?

Bevor die Mauer gefallen war, sagte der selige Ronald Reagan, er wolle dafür sorgen, dass der Sowjet-Kommunismus nicht mit einem Knall, sondern mit einem Winseln zu Ende geht. Er ging nicht mit einem Knall, aber auch nicht mit einem Winseln zu Ende, sondern mit Anstand, würdevoll und friedlich, mit ausgestreckter Hand. Der Westen hat die Hand ergriffen – und sie nach Kräften über den Tisch gezogen.

Nun ist die Frage, wie der goldene Westen, wie der Kapitalismus enden wird, ob mit einem Atom-Knall oder mit einem Börsen-Crash – oder mit einem Aufbruch in eine neue Zeit. Der Sowjet-Kommunismus war eine Frühgeburt, er kam, als die Mittel noch nicht reif waren, und die Menschheit hatte sich Aufgaben gestellt, die sie noch nicht lösen konnte. Wer es dann doch unbedingt erzwingen will, muss zu Gewaltmitteln greifen, und das ist es, was rund 80 Jahre lang geschehen ist.

Heute ist der Kapitalismus reif, er hat getan, was er tun musste und tun konnte und das Feld bereitet für eine neue Epoche. Heute steht die Menschheit vor Aufgaben, die sie lösen kann und die sie lösen muss. Es geht heute nicht mehr nur um die „Arbeiterklasse“, die ihre Ketten zu verlieren hat, sondern um den Fortbestand der Zivilisation, die vor der Alternative steht, in einem desaströsen Atomkrieg oder einem verwüsteten, ökologisch zerstörten Planeten zu enden oder sich auf eine neue Stufe zu heben.

Heute sind die Möglichkeiten dazu geschaffen, der Kapitalismus, seine Menschen, seine Hochschulen, seine Wissenschaftler und Ingenieure haben diese hervorgebracht. Wer heute die kapitalistische Gestalt des Reichtums, den abstrakten Reichtum des Geldes vermehren will, kann nur spekulative Blasen erzeugen, die dabei immer mehr den realen Reichtum aufsaugen, der geschaffen worden ist,die nur in einem großen Crash zerplatzen können. In dieser Situation befinden für uns. Wir stehen an der Weggabelung: Entweder wir entscheiden uns für die Zukunft, die uns allen wohlbekannte, leicht paradiesische Züge trägt, oder für die finsterste Vergangenheit, so tief und finster, dass eine Zukunft von da aus kaum noch zu erblicken sein wird.

Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.

Dank an den Rubikon, www.rubikon.news, wo dieser Artikel zuerst erschien

Einen Kommentar hinterlassen

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen