Partei ohne Erzählung: Die Existenzkrise der SPD

 In Politik (Inland)

Man kann dieser Tage den Eindruck bekommen, dass die Sozialdemokraten davon überzeugt sind, ihren dramatischen Niedergang strikt formal und bürokratisch aufhalten zu können: Da wird mit Blick auf den wieder einmal neu zu bestimmenden Parteivorsitz voller Eifer über Doppelspitzen und Einzelbewerber diskutiert, über vorgezogene Parteitage und was diese wohl kosten werden, über Online-Abstimmungen, Regionalkonferenzen und Halbzeitbilanzen. Die Krise der Partei ist historisch – und vielen Mitgliedern ist dies durchaus bewusst –, die Reaktionen aber sind auf fast schon beängstigende Weise normal: keine Richtungsdebatten, kein Grundsatzstreit, nicht einmal ein Wutausbruch. Es herrscht, vornehm gesprochen, eine „narrative Leere“ in der Partei. Die Sozialdemokraten wissen ganz offensichtlich nicht mehr, was sie wollen, und auch nicht mehr, was sie wollen sollen. (Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik)
https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2019/august/partei-ohne-erzaehlung-die-existenzkrise-der-spd

Anzeigen von 14 Kommentaren
  • Ruth
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    Es war einmal eine stolze Partei und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie noch heute, aber morgen?

    Es gibt wunderschöne Märchen! Die Guten besiegen die Bösen!?

    Wenn es so einfach wäre!

    Die improvisierte Pressekonferenz – eine merkwürdige Vorstellung – des Interimsvorstands, die hinterlässt mehr Fragen, als das sie Klarheit schafft!

    Die Mietpreisbremse hat nicht funktioniert, jetzt wird sie ergänzend verlängert, Thema Grundeinkommen wird vertagt und wieder wird herumlaviert.

    Und was Olaf Scholz betrifft: Selbstverklärung oder wie soll man diesen Auftritt beschreiben? Ein Mann, so oft kritisiert  – auch in den eigenen Reihen – den kümmert sein „Geschwätz von gestern“ mal so gar nicht! Und seine Selbstbeschreibung, die strotzte nur so von Eigenlob und wenn es nicht so kurz vor dem Niedergang der SPD stünde, dann hätte mich der Auftritt vielleicht nur belustigt!

    Diese Partei zerstört sich selbst und was bleibt dann noch?

    Eine AFD mit Herrn Höcke?

    Eine FDP mit Herrn Lindner?

    Eine CDU mit Frau Karrenbauer?

    Eine CSU mit Herrn Söder?

    Eine Linke mit?

    Wie heißt es:„ Jetzt steh ich hier, ich armer Tor und bin nicht klüger, als zuvor!“

     

     

  • Peter Boettel
    Antworten
    Es ist furchtbar traurig, ich habe folgenden Leserbrief an die Frankfurter Rundschau geschrieben, der gestern, 21.08.2019, in der Printausgabe erschienen ist:

    “Genau zum richtigen Zeitpunkt, zu dem Finanzminister Olaf Scholz seine Kandidatur zum SPD-Parteivorsitz bekannt gibt, erscheint in der FR vom 17.08.2019 die in Anlehnung der gerade stattfindenden Artenschutzkonferenz aktuelle Karikatur, in der die SPD zu den bedrohten Arten gezählt wird. Hatte Scholz noch vor einigen Wochen erklärt, aus Zeitmangel wegen seiner übrigen Ämter nicht kandidieren zu wollen, scheint dieses Argument plötzlich nicht mehr zu gelten. Will er etwa als Finanzminister zurücktreten?

    Zumindest würde er damit in Ausübung seines Amtseids handeln, Schaden vom Volke abzuwenden. Denn als Finanzminister hat er mit der Fortsetzung der unmenschlichen Austeritätspolitik seines Vorgängers Schäuble, die auch den Grundsätzen der Sozialdemokratie widerspricht, bisher keineswegs den Nutzen des Volkes gemehrt. Betrachtet man seinen Vorschlag, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, näher, wird deutlich, dass den Wohlhabenden dieser Steuervorteil zugute käme, während Geringverdiener und Hartz IV-Empfänger leer ausgehen würden. Hinzu kommt dabei die Problematik der Gegenfinanzierung, für die bereits von der CDU die Losung „Sparen“ ausgegeben wurde, was wiederum bedeutet, dass nicht etwa die Deckungslücke aus dem Kriegshaushalt, sondern wie im Sinne der Schwarzen Null stets praktiziert, im sozialen Bereich finanziert wird.

    Wenn auch in solchen Fällen auf den Koalitionsvertrag verwiesen wird, muss entgegen gehalten werden, dass andererseits vielfach, wie etwa bei den Waffenexporten, der Koalitionsvertrag das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben wurde. So enthält der Koalitionsvertrag u.a. auch die Verpflichtung, den Steuerbetrug und -hinterziehung abzuschaffen. Betrachtet man jedoch die Antwort aus dem von Scholz geführten Finanzministerium auf die Anfrage der Linken zu den Cum/Cum-Geschäften, so fällt die Bezeichnung „Armutszeugnis“ für diese Antwort noch zu positiv aus. Und eine gerechte Steuerpolitik wie die längst überfällige Finanztransaktionssteuer, eine Anhebung des Einkommensteuerhöchstsatzes oder die Einführung einer Vermögensteuer scheut Scholz wie der Teufel das Weihwasser.

    Weitgehend vergessen ist sein „Brechmitteleinsatz“ zur Beweissicherung bei Drogendealern als Hamburger Innensenator, der zu einem Todesfall führte und später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als menschenrechtswidrig verurteilt wurde. Als Generalsekretär der SPD wollte er sogar den Begriff des „Demokratischen Sozialismus“ aus dem Grundsatzprogramm zu streichen.

    Und der Kabinettskollege von Scholz, Außenminister Maas, stiefelt pressewirksam durch die Arktis, um für den Klimaschutz zu werben, nachdem er dem Trump-Imitator und Klimakiller Bolsonaro, der in Brasilien den Urwald abholzen lässt, gleich nach dessen Amtsantritt die Aufwartung gemacht hatte.

    Sollte Scholz – vermutlich mit Unterstützung des Seeheimer Kreises – tatsächlich zum Parteivorsitzenden gewählt werden, muss die Partei, wie in der Karikatur dagestellt, tatsächlich unter Artenschutz gestellt werden. Und dieses Trauerspiel geschieht ausgerechnet 150 Jahre nach dem Gründungsparteitag der SDAP in Eisenach, wo sich unter Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht die Partei erstmals ein Programm gegeben hat, in dem es noch hieß: „Die heutigen politischen und sozialen Zustände sind im höchsten Grade ungerecht und daher mit der größten Energie zu bekämpfen.“

    Von diesem Grundsatz wäre ein Parteivorsitzender Scholz weit entfernt.”

  • Ruth
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    Lieber Peter,

    ein Kommentar, der sich gewaschen hat, Chapeau!

     

    • Peter Boettel
      Antworten
      Liebe Ruth,

      merci beaucoup für das Kompliment.

      Peter

  • heike
    Antworten
    Welcher Kandidat wäre denn deiner Ansicht nach besser geeignet, Peter?

    Ein demokratischer Sozialismus schafft Privateigentum wieder weitgehend ab und legt es in die Hände des Volkes, verwaltet durch seinen Staat. Welche Vorteile würde uns das zur Zeit bringen?

    Der Staat hätte die Möglichkeit, die Produktion von Gütern zu kontrollieren. Man könnte überflüssige Verpackungen und ungesunde Lebensmittel vom Markt nehmen. Man könnte die Löhne von Managern senken und die von Billigarbeitern steigern.

    Aber wäre erstens der Staat mit der Übernahme aller Betriebe und Konzerne nicht überfordert und zweitens, was würde dann mit unserem Land geschehen?

    Mein persönliches Bewusstsein ist auf dem Stand, dass es zur Zeit sinnvoll ist, sich für die Umsetzung von Umweltstandards einzusetzen, dafür, keine Kriege anzuzetteln und zu unterstützen, keine Produkte, die durch Kinderarbeit und gesundheitsschädigende Arbeiten (z.B. im Bergbau mit giftigen Chemikalien) entstanden sind, einzuführen und dafür, eine Agrarreform hinzubekommen, die die kleineren Landwirte und ökologische Landwirtschaft unterstützen.

    Das alles kann man durch Gesetze regeln, die die Regierungsparteien erlassen müssen. Man kann auch auf die Vernunft der Konzerne und der Verbraucher vertrauen – beides gehört zusammen.

    Die Abschaffung des Solidaritätszuschlages betrifft allerdings Personen mit geringerem Einkommen – diese müssen ihn nicht mehr zahlen, es kommt zu Einsparungen von ca. 200 Euro pro Jahr für durchschnittliche Verdiener (für 90 Prozent soll der Beitrag ab 2021 wegfallen, für weitere 6,5 Prozent reduziert werden). Oder habe ich da etwas nicht mitbekommen, Peter?

     

    • Piranha
      Antworten
      @heike

      Kritik um der Kritik willen bleibt inhaltsleer.

      Deswegen rege ich an, Peter Boettels hervorragenden und inhaltlich kohärenten Leserbrief noch einmal mit wachem Verstand zu lesen und erst dann eine Kritik zu versuchen oder – sofern fürs Verstehen notwendig – offene Fragen zu stellen.

       

    • Peter Boettel
      Antworten
      Liebe Heike,

      zu Deiner ersten Frage sage ich offen, dass ich Hilde Mattheis und Dierk Hirschel wählen werde. Hilde Mattheis ist Vorsitzende von DL 21 und hat nach einer Statistik in dieser Wahlperiode am häufigsten gegen Vorlagen der Koalition gestimmt, womit sie Mut beweist. Denn gegen den Strom zu schwimmen ist in den deutschen Parteien nicht einfach. So wollte Müntefering z.B. Ottmar Schreiner nicht mehr auf der Landesliste absichern lassen, weil er eine eigene Meinung hatte. Ich kenne Hilde Mattheis persönlich und teile vielfach ihre Meinung.

      Zum Soli: Die von Dir genannten Zahlen sind von der Regierung bzw. dem BMF genannt, aber man muss die tatsächlichen Auswirkungen betrachten: Als normaler Rentner mit ein paar Spargroschen habe ich im letzten Jahr keinen Soli gezahlt, weil die Zinsen dafür zu niedrig waren. Und viele andere, die sich in einer gleichen Lebenslage befinden, sowie diejenigen, denen es schlechter geht, zahlen ebenfalls keinen Soldidaritätszuschlag.

      Andererseits werden jedoch Besserverdienende, die höhere Zinseinkünfte haben, entlastet, was aber wiederum zu etwa 10 Mrd. Euro weniger Einnahmen im Haushalt führt. Sehr aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hierzu unter https://www.der-paritaetische.de/fachinfos/abschaffung-des-soli-paritaetischer-kritisiert-plaene-von-finanzminister-scholz-und-fordert-steuerpol/

      Ich hoffe, damit Deine Fragen beantwortet zu haben.

  • Ruth
    Antworten
    Lieber Peter,

    jetzt ist mir mein Lob doch etwas peinlich!

    Du bist Autor, hast bereits veröffentlicht – recherchiert – und ich schreibe hier nur als Interessierte.

    Lächle ein bisschen wohlwollend, das wäre schön!

    Ruth

    • Peter Boettel
      Antworten
      Liebe Ruth,

      warum ist Dir Dein Lob peinlich? Vielleicht hast Du eine zu hohe Meinung von mir, wer oder was ich sei. Nein, ich bin ein ganz normaler, wenn auch kritischer Mitbürger, der sich für verschiedene Dinge interessiert, mehr nicht.

  • heike
    Antworten
    Piranha, im Gegensatz zu dir geht es mir nicht um Kritik um der Kritik willen, sondern um einen Meinungsaustausch. Du projezierst immer wieder deine eigenen Kommunikationsmuster, deine eigene Art mit anderen zu kommunizieren auf diejenigen, die dir aus irgendeinem Grund nicht passen. Du willst nämlich nicht reden und verstehen, sondern deine eigene Meinung durchdrücken.

    Ich empfinde das, was ich geschrieben habe nicht einmal als eine Kritik an Peters Kommentar. Es war schlicht das, was mir dazu eingefallen ist. Und inhaltlich hast du überhaupt gar nichts dazu gesagt.

    Du unterstellst mir unsauberes Lesen und Kritiksucht. Und Kohärenz ist sicher ein zu großes Wort für Peters Kommentar – wenn wir schon einmal dabei sind. Aber vielleicht haben wir auch völlig verschiedene Auffassungen von dem, was Kohärenz bedeutet. Soll ich dir jetzt mal etwas mehr Lebenserfahrung verordnen?

  • heike
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    Piranha, vielleicht fehlen mir ja auch nur 20 Jahre Enttäuschung über die Politik der SPD, um deinen Unmut zu verstehen.

    (Bitte zusammen mit dem obenstehenden Kommentar freischalten – falls es dazu kommt.)

  • heike
    Antworten

    So enthält der Koalitionsvertrag u.a. auch die Verpflichtung, den Steuerbetrug und -hinterziehung abzuschaffen. Betrachtet man jedoch die Antwort aus dem von Scholz geführten Finanzministerium auf die Anfrage der Linken zu den Cum/Cum-Geschäften, so fällt die Bezeichnung „Armutszeugnis“ für diese Antwort noch zu positiv aus. Und eine gerechte Steuerpolitik wie die längst überfällige Finanztransaktionssteuer, eine Anhebung des Einkommensteuerhöchstsatzes oder die Einführung einer Vermögensteuer scheut Scholz wie der Teufel das Weihwasser.

    Nach nochmaligem Lesen von Peters Kommentars verstehe ich jetzt Piranhas Genervtheit. Ich habe meinen Fokus auf Nebensächlichkeiten gelegt und bin an den eigentlichen Kritikpunkten an Herrn Scholz vorbeigeschrammt. Das stimmt. Und das, was Peter da aufzählt, wusste ich auch nicht. Also danke für die Aufklärung.

    Olaf Scholz wird also aller Voraussicht nach nicht derjenige sein, der das Auseinanderklaffen der Arm-Reich-Schere in Deutschland beenden wird. Die Finanztransaktionssteuer würde Geldgeschäfte versteuern, eine Vermögenssteuer sehr Reiche etwas mehr zur Kasse für das Allgemeinwohl bitten und eine Anhebung des Einkommenssteuerhöchstsatzes (das heißt, des Steuersatzes für hohe Einkommen?) ebenfalls die wenigen Großverdiener mehr steuerlich belasten.

    Piranha hatte wahrscheinlich das Gefühl, ich suche das Haar in der Suppe – war aber nicht so. Und jetzt würde ich mich über eine Aufklärung, warum die Abschaffung des Solis HARTZ IV-Empfänger und Geringverdiener leer ausgehen lässt, freuen. Weil sie jetzt schon keinen Soli zahlen?

     

  • heike
    Antworten
    Lieber Peter,

    vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. Mir sagen die von dir genannten Personen nichts, da ich mich mit der Politik der SPD erst seit ca. 2 bis 3 Jahren ein wenig beschäftige. Aber ich finde gut, dass ein “Insider”, der schon seit Jahren mit der Partei, ihren Strukturen und den sie vertretenden Personen vertraut ist, und zudem zu den (ehemals) sozialen Zielen dieser Partei steht, auch mal deutlich macht, dass es andere Alternativen zu den favorisierten “gestandenen” Männern gibt, die allerdings nichts für die Bekämpfung der Armut in Deutschland tun.

    Die Abschaffung des Solis kann man also als ein Wahlkampfgeschenk an die Mehrheit der Bevölkerung sehen – die Untersten jedoch bleiben unbeschenkt. Zudem ist zu befürchten, dass die fehlenden Steuereinnahmen zu noch weniger Investionen in soziale Projekte und Bildung führen.

    Ich glaube, du musst die Linken wählen – die wollen eine Anhebung der Mindestrente auf 1050 Euro, einen höheren Mindestlohn, dazu die von dir genannten Steuern auf Vermögen, Finanztransaktionen (weiß ich nicht ganz genau) und höhere Steuersätze für Spitzenverdiener.

     

  • Ruth
    Antworten
    Lieber Peter,

    ich sag’s mal so: Deine Kommentare sind so, wie in der Schule gelernt –  der Aufbau stimmt, Du analysierst und stellst Lösungsansätze zur Diskussion.

    Ich schreibe oft aus dem Bauch heraus und riskiere damit, dass ich übers Ziel hinaus schieße.

    Beides hat sicher auf dieser Plattform seine Berechtigung!

    Deine Kommentare lese ich immer mit großem Interesse!

    Jetzt ist es aber auch gut!?

     

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