Platt gemacht für den Profit

 In FEATURED, Politik, Umwelt/Natur

Im Münchner Norden soll ein wunderschönes, historisches Naturidyll für neue sterile Wohnsiedlungen zerstört werden: der Eggarten. Der Vorgang ist symptomatisch für eine Achtlosigkeit gegenüber Natur und menschlichen Bedürfnissen, die in Zeiten der galoppierenden Klimakrise eigentlich der Vergangenheit angehören sollte. Wir reden von schwindender Artenvielfalt und zerstören die Lebensräume liebenswerter, selten gewordener Lebewesen. Wir reden von der Klimaerwärmung, versiegeln aber Flächen und fällen wertvollen Baumbestand. Wir reden vom wieder auflebenden Heimattrend und nehmen Menschen die Ruheorte, die ihnen über Jahrzehnte ans Herz gewachsen sind. “Im Zweifel für den Profit” scheint die Devise zu lauten. Im Konflikt mit den Interessen von Investoren und Baufirmen müssen Frösche, Birken und Ruhebänke stets weichen. Man mögen den regionalen Einzelfall, den die Autorin hier mit viel Herzblut beschreibt, nicht für eine Bagatelle halten! Der Eggarten ist überall. Wie unter einem Brennglas zeigt sich in Nordmünchen, was auf unserem von der Diktatur des Ökonomischen geplagten Planeten schief läuft.  Sabine Kinseher

 

ich bin in München groß geworden und mir blutet das Herz, wenn ich sehe, was aus München geworden ist: Die dichtest besiedelte Stadt Deutschlands, deren Grünflächen zusehends/ gefühlt täglich „versiegelt“ werden mit architektonisch fragwürdigen Bürogebäuden, Einkaufsbunkern und lieblosen Wohnsilos mit Alibigrün. Raum zum Verweilen, attraktive Kinderspielplätze? Fehlanzeige. Herrlich! Diese neuen hochpreisigen „Schuhschachteln“ auf engstem Raum. Ganze Stadtviertel entstehen ohne Charme, ohne Seele! Ohne Grün! Hingeklotzt. Stadtleben? Lebensraum? Lebensraum für Mensch und Tier? Bauen bauen bauen – da sind sich Stadtrat, Investoren, Banken und Immobilienfirmen einig. München wird (hässlich) zugebaut, wertvolle Grünflächen verschwinden, günstiger Wohnraum Fehlanzeige. Der Münchener soll wohl vornehmlich wohnen und arbeiten bzw. arbeiten, um zu wohnen. München platzt aus allen Nähten und trotzdem werden weitere Anreize für den Zuzug geschaffen, anstatt die peripheren strukturschwächeren Räume zu stärken, damit der Run auf die Großstädte (und die negativen Folgeerscheinungen) aufhört.

München braucht ausschließlich bezahlbaren Wohnraum, so dass auch Alleinerziehende, Krankenschwestern, -pfleger, PolizistInnen, ErzieherInnen, RentnerInnen… in München leben und auch (wieder) hierherkommen können. Denn eine Stadt ist erst lebendig durch ihre bunte Vielfalt und Menschen aus allen Gesellschaftsschichten.

Aber gerade das exzessive Bauen treibt die Mieten in die Höhe, denn je knapper der wertvolle, begehrte Baugrund wird, desto teurer wird er. Zudem ist der teure Wohnraum dem unbekümmerten Verkauf von Grundstücken an Spekulanten und Meistbietende geschuldet. Staatseigentum wird aus der Hand gegeben mit den bekannten Folgen. Konzerne, Banken und private Geldgeber ziehen die Strippen und mischen kräftig bei der Stadtentwicklung mit. Vielleicht wäre es an der Zeit, mal den Spekulanten den (Nähr-)Boden zu entziehen, anstatt den Bewohnern von München. In diesem Zusammenhang wäre es auch wünschenswert, bevor die letzten Grünflächen zubetoniert werden, zuerst einmal bereits versiegelte Flächen zu überbauen oder auch das Problem des Leerstandes und der Zweckentfremdung anzugehen. Das wäre die Aufgabe der Politik! Aber die Kassandrarufe und Wünsche der Investoren finden mehr Gehör.

Zudem braucht München mehr Grün, mehr Natur, mehr Grünflächen, damit wertvoller Lebensraum für Mensch und Tier erhalten bleibt und Erholung und Begegnung möglich sind. Auch München wird sich an den Klimawandel mit steigenden Temperaturen anpassen müssen. Die kühlende Wirkung von Bäumen, Grün- und Wasserflächen, von begrünten Dächern und Fassaden ist hinreichend bekannt, doch Parkbuchten im Sommer zu „Relax-Inseln“ umzugestalten und Blümchen auf den Rathausbalkon zu pflanzen, wird nicht genügen. Gebäuderiegel verhindern die Durchlüftung und Abkühlung, Beton speichert die Hitze. Wo Haus an Haus steht, wo Blechkarawanen das Straßenbild säumen, da heizt sich die Luft besonders stark auf. Zur Verbesserung des (Stadt-)Klimas und der Biodiversität müssten dringend Bäume gepflanzt werden (https://science.orf.at/stories/2987899/?utm_source=pocket-newtab), das Gegenteil aber ist der Fall: Offiziell verliert München rund 2.500 Bäume pro Jahr (die vielen Fällungen auf Privatgrundstücken, denen einfach mal so Fichten, Birken & Co. zum Opfer fallen, noch gar nicht eingerechnet). Die Suche nach Ausgleichsflächen, auf denen kleine Bäumchen als dürftiger Ersatz nachgepflanzt werden, gestaltet sich immer schwieriger – selbst am Stadtrand -, so dass man sich mit Alibigrün (ein paar Büsche tun’s ja auch) begnügt und dazu übergeht, nicht mehr real, sondern mit Geld statt Flächen „auszugleichen“.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat in ihrem „Masterplan Stadtnatur“ eine Balance zwischen Wohnraum und Grünflächen angemahnt. Und in Zeiten des Klimawandels scheint mir das grundsätzlich eine hervorragende Idee! München ist kein Pizzateig, der sich beliebig auswalzen lässt. Neben Wohnraum braucht es auch Lebensraum. Selbst der Freistaat findet langsam Gefallen an der Idee, den ländlichen Raum zu stärken und Wohnen und Arbeiten dort zusammenzubringen, um den Sog in die Metropolen zu unterbinden. Wann zieht München nach? Denn spätestens, wenn der Englische Garten plattgewalzt ist – was dann?

Alle reden von den Gefahren des Klimawandels und der Notwendigkeit, umzudenken und zu handeln. Auf der Klimademo waren fast 12.000 Menschen und es sind weit mehr, die hinter der Plants for the planet- und der Friday for future-Bewegung stehen! Selbst Markus Söder hat neuerdings den Klimaschutz für sich entdeckt und will 30 Mio.Bäume pflanzen lassen. Es werden Bürgerbegehren unterschrieben zum Artenschutz und zur Rettung der Bienen und es wächst die Zahl der BürgerInnen, die sich zunehmend gegen die Tyrannei des aggressiven Wachstums ausspricht.

Und trotzdem soll jetzt – im Zuge dieser aggressiven Baupolitik – der Eggarten, eine der letzten Naturoasen mitten in München, mit uraltem Baumbestand und intakter Flora und Fauna, für ein neues Wohngebiet (mit ca. 2000 Wohnungen) plattgewalzt werden. Es ist ein Skandal, dass der Münchner Stadtrat am 24.7. das „Strukturkonzept Eggarten“ (in größter Eile versteht sich, Gegengutachten wurden nicht zugelassen, Einwände vom Bund Naturschutz und dem Landesverband für Vogelschutz nicht gehört, eine Vertagung abgelehnt!) einfach mal so durchgewunken und damit die Bebauung des Eggartens zu einem „grauen Manhatten“ befürwortet hat, noch dazu wo gerade in dieser Gegend bereits mehrere Hotels und tausende neue Wohnungen entstanden und weitere geplant sind. Es ist zum Verzweifeln, und das Gefühl der Ohnmacht lastet schwer! Wer den Eggarten kennt und Klimawandel und das Artensterben ernst nimmt und wer versteht, wie wichtig Frischluftschneisen und Bäume als CO2-Speicher für München sind, ist gegen die Zerstörung dieses Biotops.

Der Eggarten – kaum einer kennt ihn – liegt im Münchner Norden, südlich des Lerchenauer Sees. 21 ha Natur pur. Ein vergessenes Idyll, ein aus der Zeit gefallener Ort. Eine grüne Oase mit über 900 gesunden uralten riesigen Bäumen und einer Vielfalt an Blühpflanzen und Tieren, die ihresgleichen sucht. Die Geschichte der historischen Kolonie Eggarten geht bis in das 16. Jahrhundert zurück. Die „Genossenschaftssiedlung“ Eggarten wurde 1919 auf dem Gebiet der ehem. Königlichen Fasanerie der Wittelsbacher, im Oberfasangarten zu Moosach, in Erbpacht errichtet und 1938 von der Reichsbahn abgelöst und in Besitz genommen. Bis 1926 entstanden 62 Häuser, wovon 20 nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten blieben. Kriegsschäden wurden nicht überbaut, die Siedlung ist bis heute weitgehend unverändert erhalten. So entstand hier über Jahrzehnte ein landschaftlich einzigartiges, nahezu unberührtes, ökologisch wertvolles Refugium mit seltenem Tierbestand (Füchse, Fledermäuse, Singvögel, Wechselkröten, Ringelnattern, Bienen und Hummeln), eine grüne Lunge inmitten einer immer dichter werdenden Stadt.

Spaziert man durch die ungeteerten Straßen, inmitten traumhaft verwunschener Gärten, hört man Vogelgezwitscher, Frösche quaken, das Rauschen des Windes in den alten Bäumen. All die Farben und Formen, das satte Grün und diese Weite! Man taucht ein in eine Zeit, die mancher schon vergessen glaubte. Ruhe kommt auf, man fühlt sich seltsam berührt, vergessen die Geschäftigkeit der Großstadt, der Lärm, die Hektik.

Mehrere Fernsehsendungen haben sich bereits mit dem Thema beschäftigt. Sehr zu empfehlen – um sich ein Bild zu machen:

Der Eggarten: Idylle in Gefahr:

Einfach googeln oder – wenn ihr mal in der Nähe seid – vorbeischauen: Ihr werdet begeistert sein!

Es ist in jeder Hinsicht ein Irrsinn, in Zeiten des Klimawandels dieses herrliche Stück Natur mitten in München zu versiegeln.

Bei der Abholzung des Regenwalds schlagen alle die Hände über dem Kopf zusammen, aber in der eigenen Stadt scheinen plötzlich andere Werte zu gelten!

Es ist ein Jammer, dass Politiker im Schulterschluss mit den Investoren ohne Rücksicht auf Konventionen und Klimaziele, ohne Rücksicht auf die Bürger und deren Kinder und Enkelkinder (,die die katastrophalen Folgen des Klimawandels tragen müssen) das Eine sagen und das Gegenteil machen. Biotope und Wälder werden vernichtet, ganze Berge werden an Inverstoren verkauft (vgl. Verkauf des Allgäuer Berges „Grünten“ an einen Investor). Auch die 3. Startbahn scheint beschlossene Sache zu sein, wenn man dem Videobeitrag https://www.youtube.com/watch?v=QpxXpaSLXp0  (ab Min. 4:12 bis 4:24) Glauben schenken darf…

In seltsamer Übereinkunft planen Volksvertreter und Investoren die Zukunft unserer Stadt. Und es sind die gleichen „ehernen“ Motive der Investoren in Brasilien wie im Münchner Eggarten! Schnellschüsse dieser Art, wo unwiederbringlich Flora und Fauna ( dem Zuzugsdruck, dem Wachstumswahn und der Profitgier) „geopfert“ werden, sind kurzsichtig, unverzeihlich und fatal.

Es wird Zeit, dass die breite Öffentlichkeit von der Existenz und der Bedrohung des Eggartens erfährt.

Vielleicht ist dann noch nicht das letzte Wort gesprochen! (vgl. „Eggarten Petition“)

Der Eggarten ist zwar an die Büschl-Gruppe und CA Immo zu einem Spottpreis verscherbelt worden – die Stadt München hatte von ihrem Vorkaufsrecht keinen Gebrauch gemacht (??!!) – aber es ist noch keine Baugenehmigung ausgesprochen worden.

Nur über den Druck der Öffentlichkeit kann das irre Vorhaben von Investoren/ Lobbyisten/ Stadträten gestoppt werden und diversen Machenschaften Einhalt geboten werden.

Wir Bürger müssen den Eggarten kennen-, lieben lernen!

Lasst uns Ideen sammeln und Kräfte bündeln und für den Erhalt des Eggartens kämpfen.

Denn München ist auch unser München, das wir mitgestalten wollen!

Lasst uns kämpfen für den Erhalt des Eggartens und um eine alternative Nutzung in der Zukunft,

z.B. als öffentlicher Park mit besonderem Charme, mit kleinen Cafes/ Biergarten, Parkbänken zum Verweilen, Erholungs-, Lebensraum für Mensch und Tier, als Begegnungsstätte, als Jugendtreff/ Künstlertreff. Für einen regionalen Gemüseanbau – die kleinen Häuschen könnten liebevoll renoviert werden und als (Werk-/Ausstellungs-)Raum für Künstler/ Gemüse-Obstverkauf genutzt werden. Ein kleines Museum zur Geschichte des Eggartens könnte entstehen mit Führungen durch die 100jährige Siedlung, als Drehort für Film und Fernsehen, Wandertagsziel für Schulklassen/ außerschulischer Lernort: regionaler Anbau und Ernte von Lebensmitteln, Bienenzucht hautnah – was auch immer… Vielleicht habt ihr eine Idee, wie man diese Oase retten und umgestalten kann. Vielleicht habt ihr auch einen Spezialisten an der Hand, der ein Gegengutachten (bzgl. Klimaverträglichkeit/ Natur-, Artenschutz) erstellen kann, damit der derzeitige Bebauungsplan nicht genehmigt werden kann.

Ich geb die Hoffnung nicht auf und träume von einem alternativen Konzept, lass mich hinreißen von kreativen Ideen, die weniger zerstören und trennen, sondern verbinden und versöhnen und ich tauche ein in eine Zeit, die mancher schon vergessen glaubte, spaziere durch die ungeteerten Straßen, inmitten traumhaft verwunschener Gärten, höre Vogelgezwitscher, Frösche quaken, das Rauschen des Windes in den alten Bäumen, ich fühle mich seltsam berührt, Ruhe kommt auf, vergessen die Geschäftigkeit der Großstadt.

Sabine Kinseher

PS.:

Meine Bitte: Unterschreibt die Petition, die im Netz zu finden ist: openpetition.de/!cjjsj. (oder auch „Eggarten Petition“)

Anzeigen von 4 Kommentaren
  • Sabrina
    Antworten
    Sehr gut geschrieben..ich hoffe,  dass viele Münchner Bürger das lesen

     

  • Klaus Bäumler
    Antworten
    Sabine Kinseher bringt’s auf den Punkt. 
  • Francis
    Antworten
    Wunderschön geschrieben ???❤️???????

    Man kann überall aufstocken und Wohnungen dazu  bauen… aber es wäre SKRUPELLOS den Eggarten zu zerstören !

  • Ingrid
    Antworten
    Ja, schön geschrieben. Ich hätte mich als langjährige Gartenpächterin im Eggarten noch mehr darüber gefreut, wenn auch wir Pächter, die diese naturnahe Idylle in der Vergangenheit mit erhalten haben, auch in der Zukunftsplanung der Erwähnung wert gewesen wären. Oder habe ich was überlesen?

     

     

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