Rabia von Basra: Jenseits von Himmel und Hölle

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RabiaDen Religionen wird oft vorgeworfen, eine Art Handelsbeziehung mit Gott zu propagieren: Gibt der Gläubige Bravheit, bekommt er dafür einen Platz im Paradies. Anders gesprochen: Nur aus Angst vor der Hölle kuscht er vor einem himmlischen Vorgesetzen. Immer wieder haben sich Mystiker diesem “Do ut des” (ich gebe, damit du gibst) widersetzt und eine Liebe ohne Zweck, Berechnung und Gegenleistung verkündet. “Sunder warumbe” (ohne Warum) sagte Meister Eckhart auch dazu. Für den islamischen Kulturkreis verkörpert vor allem die Sufi-Mystikerin Rabia von Basra diese Haltung. Eine früh traumatisierte Frau, würde man heute sagen. Aber eine Frau, die so von Liebe erfüllt war, dass in ihrem Herzen kein Platz mehr war für Hass auf ihre Peiniger. (Monika Herz)

Im Jahr 2008 machten wir mit einer kleinen Gruppe von Pilgern eine Wanderung von Hohenpeißenberg nach Altötting und trafen unterwegs Vertreter der wichtigsten Weltreligionen. Unsere Pilgerreise war dem Frieden zwischen den Religionen gewidmet, und wir lernten erstmals den mystischen Islam und unseren heutigen Sufi-Meister André Shanteem kennen. Wir verbrachten einen wunderbaren Nachmittag mit dem Hören von Geschichten, mit Atemübungen und der Anrufung heiliger Namen Allahs. Ich weiß noch, dass ich mich leicht wie eine Feder fühlte, als wir nach den Übungen unsere Pilgerreise fortsetzten. Als ich nach der Rolle der Frau bei den Sufis fragte, hat uns André Rabia von Basra vorgestellt, die erste Sufi-Meisterin.

Rabia lebte im 8. Jahrhundert in Basra und Umgebung, im heutigen Irak. Sie war die Tochter einer wegen ihrer Frömmigkeit angesehenen Familie. Die Familie war so arm, dass bei der Geburt Rabias alle weinten, denn sie glaubten, das Baby würde sowieso mitsamt seiner Mutter verhungern. Kurz darauf erschien jedoch der Legende nach der Gouverneur der Stadt und brachte Lebensmittel vorbei. Der Prophet war ihm im Traum erschienen und hatte ihm gesagt, dass eine große Heilige in Basra geboren worden ist, für die er sorgen müsse. Rabias Eltern verstarben jedoch früh, und das Mädchen sollte zusammen mit ihrer Schwester in die Obhut einer entfernt lebenden Verwandten gebracht werden. Auf der Reise wurde die Karawane überfallen. Rabia musste die Ermordung ihrer Schwester mit ansehen, sie selbst wurde von den Räubern verschleppt und als Sklavin auf dem Markt von Basra verkauft. Ihr Besitzer gab ihr wenig zu essen, und sie musste jeden Tag oft bis spät in die Nacht hinein schwer arbeiten. Dem Hausherrn hatte sie, wie es damals üblich war, auch sexuell zur Verfügung zu stehen. Sklaverei und Vergewaltigung war in jener dunklen Zeit wohl die gesellschaftliche Norm im Umgang mit schutzlosen Waisenkindern und Sklaven.

Rabia hatte also niemanden mehr, außer Gott, Allah, zu dem sie flüchten konnte. Und das tat sie auch voller Inbrunst. Sie soll sogar gebetet haben, während sie vergewaltigt wurde. Eines Nachts, als sie völlig erschöpft eingeschlafen war, sah der Hausherr, wie sich ein überirdisches Strahlen, von ihrem Kopf ausgehend, über ihren ganzen Körper ausbreitete und schließlich das ganze Haus hell erleuchtete. Der Mann bekam Angst vor der Strafe Allahs. Er wurde sich plötzlich bewusst, dass die junge Rabia eine Heilige sein musste. Wie sonst wäre das wunderbare Leuchten zu erklären gewesen? Er beugte sich diesem Zeichen Allahs und bot Rabia am nächsten Morgen an, entweder bei ihm zu bleiben oder in die Freiheit zu gehen.

Die junge Frau wählte die Freiheit. Ihr ehemaliger Besitzer schenkte ihr einen Esel und etwas Geld, so dass sie eine Pilgerreise unternehmen konnte. Die Legende erzählt, dass der Esel auf dem Weg durch die Wüste tot unter ihr zusammenbrach. Rabia aber war deswegen nicht verzweifelt, sondern sprach: „Allah hat mich gerufen, also wird er sich auch um mich kümmern.“ Kurz darauf stand der Esel wieder auf, und sie konnte weiter reiten. Nach dem Besuch der heiligen Stätte lebte Rabia als Einsiedlerin in der Wüste. Ihr Ruf als Heilige verbreitete sich rasch, und die Zahl ihrer Verehrer wuchs von Tag zu Tag. Ihre Schönheit war legendär. Die in großer Zahl vorgetragenen Heiratsanträge wies sie jedoch allesamt zurück. Sie bevorzugte die Abgeschiedenheit und das Dasein einer Eremitin, fern von den Menschen. Alle ihre Sinne und Wahrnehmungen waren einzig auf Allah gerichtet. So wurde sie zu einer Mystikerin, deren Lebensinhalt darin bestand, in allem, was ihr in der Vergangenheit begegnet war, einzig das Wirken und die Anwesenheit Allahs zu sehen. Als sie einmal gefragt wurde, ob sie denn wegen ihrer Versklavung keinen Groll in sich trage, antwortete sie: „Mein Herz ist so voll von Allah und seiner Liebe, da ist einfach kein Platz für Groll und Hass!“

Als Mystikerin suchte sie, wie alle Liebenden, die Vereinigung mit dem Geliebten. Als eine, die die Vereinigung mit Allah erlebt hatte, wollte sie ihren Anhängern vermitteln, dass der einzige Gott nicht in Kategorien von Gut oder Böse, Angenehm oder Unangenehm zu fassen ist, sondern als Einheit. Jeder Erklärungsversuch sei eigentlich eine Lüge, wer aber den Geschmack Allahs selbst gekostet habe, der wisse, wie unsagbar köstlich Er schmeckt.

In späteren Jahren verließ Rabia die Wüste und kehrte nach Basra zurück, um dort zu lehren. Ihre Art zu leben war „trunken von Allah“, ihre Art zu unterrichten höchst unkonventionell. Eines Tages lief sie mit einer Fackel und einem Eimer Wasser durch die Stadt. Als sie gefragt wurde, was das zu bedeuten habe, sagte sie: „Ich lösche das Feuer in der Hölle und lege Brand im Paradies!“ Die Fragesteller waren entsetzt. Das Paradies anzünden – wie konnte sie es wagen? „Niemand findet Allah, wenn er Angst vor der Hölle hat oder Sehnsucht nach dem Paradies. Allah ist immer und überall!“ So rief sie und eilte weiter.

Rabia hatte auch die Fähigkeit, Menschen in ihrer Gegenwart auf direktem Weg zum Erwachen zu führen. So etwa Dhun Nun, den Ägypter, der ebenfalls ein bedeutender Sufimeister wurde. Dhun Nun empfand unendliche Liebe und Verehrung für Rabia. Doch eines Tages kamen ihm Zweifel. Da fragte er: „Was ist das Ende der Liebe?“. Sie antwortete: „Du Narr, die Liebe hat kein Ende, weil auch der Geliebte, Allah, kein Ende hat.“ Da erwachte Dhun Nun.

Rabia war eine der ersten Sufis und die erste Sufi-Meisterin überhaupt. Sie begründete eine lange Linie weiblicher Mystikerinnen des Islam. Die Legenden ihres Lebens wurden bereits im Mittelalter im christlichen Europa verbreitet.

Buchtipp: Monika Herz, Roland Rottenfußer: Gesundbeten mit Heiligen, Kailash Verlag, 224 Seiten, 14,99 €

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