Regime Change im Iran durch harte Sanktionen?
Eine Allianz aus USA, Israel und Saudi-Arabien versucht die Regierung des Iran zu destabilisieren. Vor allem soll damit eine neue regionale Atommacht verhindert werden. Bestimmte „Eliten“ innerhalb der USA sind sogar an einem heißen Krieg gegen den Iran interessiert. Statt auf Deeskalation setzen sie auf Verschärfung der Spannungen – auch mit Hilfe von Sanktionen. Interview mit Mohssen Massarrat, emer. Professor für Sozialwissenschaften, Osnabrück. Interviewfragen: Karl-Heinz Peil. Erstveröffentlichung im Friedensjournal, Jan.-Feb. 2019.FJ: Wodurch ist der iranisch-israelische Konflikt entstanden und welche der beiden Seiten hat tatsächlich Gründe dafür, sich bedroht zu sehen?
M.M.: Der iranisch-israelische Konflikt entstand einerseits dadurch, dass der Iran sich nach der Islamischen Revolution klar gegen die israelische Besatzung Palästinas positionierte, und andererseits, weil Israel mit seinem Atomarsenal als einzige Atommacht im Mittleren und Nahen Osten eine nukleare Bedrohung auch für den Iran darstellte. Insofern kann man von einer beidseitigen Bedrohung sprechen, die der Sturz der Monarchie im Iran hervorrief. Es ist überdies auch offensichtlich: Israel als einzige Atommacht im Mittleren und Nahen Osten hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei der Entstehung des iranischen Atomprogramms eine zentrale Rolle gespielt. Ungeachtet dieser Tatsache haben die USA und die EU – anstatt im Sinne einer den Konflikt entschärfenden Strategie und der Eindämmung nuklearer Weiterverbreitung den Weg zu einer regionalen atomwaffenfreien Zone einzuschlagen – sich dafür entschieden, einseitig Iran als eine neue regionale Atommacht zu verhindern und damit das Atommonopol ihres Verbündeten Israel aufrechtzuerhalten.
FJ: Wie wahrscheinlich ist dabei eine militärische Eskalation?
M.M.: Israel unterstützt, seit Iran den Aufbau eines eigenen Atomprogramms aufgenommen hat, alle Bemühungen der USA zu einem Regime Change im Iran. Inzwischen hat sich auch Saudi Arabien in derselben Richtung voll auf der israelischen Seite hinzugesellt. Beide Staaten sehnen sich ohne Zweifel nach einem Regime Change im Iran, notfalls auch durch einen Krieg. Doch sie trauen sich selbst auf keinen Fall zu einem Alleingang zu diesem Schritt. Sie würden sich jedoch lieber heute als morgen an einem US-Krieg gegen den Iran beteiligen. Rein theoretisch wäre auch denkbar, dass Israel oder Saudi Arabien einen kriegerischen Alleingang provozieren, allerdings in der Hoffnung, dass dann den USA nichts anderes übrig bleibt, als nachzuziehen. Ob sich jedoch die USA trotz der Kriegsbefürworter John Bolton und Mike Pompeo im Trump-Team zu einem Krieg gegen den Iran in der Lage sehen und einen solchen Krieg mit allen seinen Folgen auch wirklich wollen, steht auf einem anderen Blatt.
Es ist ziemlich klar, dass die US-Machteliten im Umkreis des militärisch industriellen Komplexes einen solchen Krieg entschieden anstreben. Trump selbst entfernt sich jedoch offensichtlich immer stärker von einem Krieg gegen den Iran. Es wäre auch höchst widersprüchlich, den Rückzug des US- Militärs aus Syrien und Afghanistan anzukündigen und gleichzeitig einen Krieg gegen den Iran anzustreben. Mit seiner Äußerung im Dezember 2018, die USA seien nicht der Weltpolizist im Mittleren Osten, signalisierte Trump jedenfalls andere Ziele als einen neuen Krieg. Durch die Zuspitzung des Atomkonflikts mit Iran und den massiven Rüstungsexporten an Saudi Arabien und Israel hat Trump die Rüstungsindustrie vorerst mit genügend Aufträgen versorgt und seinen Wählern neue Arbeitsplätze beschert. Das neue Wettrüsten im Mittleren Osten hat damit ohnehin reichlich Nahrung erhalten, die Spirale von Öl gegen Waffen ist also für weitere Jahre in Gang gesetzt. Insofern kann auch ein Krieg gegen den Iran auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Das ist auch vielleicht der Grund für das betretene Schweigen von Israel und Saudi Arabien gegenüber der neuen Trump-Politik.
FJ: Donald Trump setzt offenbar darauf, dass die im November 2018 eingeleitete zweite Etappe der Wirtschafts- und Finanzsanktionen den Iran in die Knie zwingen werden. Wie realistisch ist das?
M.M.: Der Iran hat mit US-Sanktionen seit der Islamischen Revolution 1979 langjährige Erfahrungen. Selbst Obama hatte gegen iranische Ölexporte Sanktionen verhängt, die erst nach dem Inkrafttreten des Atomabkommens aufgehoben wurden. Zwar muss jetzt damit gerechnet werden, dass Irans Ölexporte von ca. 3 Millionen Barrel am Tag – übrigens ähnlich wie damals schon durch Obamas Sanktionen – auf die Hälfte schrumpfen werden. Zu einer vollständigen Austrocknung der Öleinnahmen für das Land wird es aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch nicht kommen. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, dass selbst in der gegenwärtigen harten Sanktionsetappe acht Staaten, darunter Japan, Indien, Südkorea und damit die wichtigsten Importeure des iranischen Öls, von den Sanktionen ausgenommen sind – offensichtlich unter dem Druck von moderaten Kräften im Trump-Team selbst oder durch Einflussnahme der europäischen Verbündeten der USA. Trotz seiner Ankündigung zum militärischen Rückzug aus Syrien und aus der Region insgesamt, wird Trump ziemlich sicher seine Politik der Schwächung der islamischen Republik durch ökonomische Sanktionen und politische Subversion fortsetzen und die Dauerkrise im Iran weiter puschen.
FJ: Politische Unruhen gegen die Elite der Islamischen Republik flackerten ja in der Vergangenheit wiederholt auf. Die neuen Sanktionen dürften sicherlich die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wieder anheizen. Welche innenpolitische Entwicklung kann sich daraus ergeben?
M.M.: Die Unzufriedenheit der überwältigenden Mehrheit der iranischen Bevölkerung schreit zum Himmel, nicht wegen der neuen US-Sanktionen, sondern vor allem wegen der neoliberalen Politik der Umverteilung von unten nach oben und wegen der grassierenden Korruption. Seit Monaten erlebt die islamische Republik eine anhaltende Streikwelle, weil zahlreiche staatliche und private Unternehmen die Löhne der Beschäftigten nicht zahlen können. Auf Grund fehlender politischer Alternativen schlägt sich die massive Unzufriedenheit der Bevölkerung nicht in einer wirksamen Oppositionspolitik gegen die Machtelite des Landes nieder. Denkbar ist aber eine erneute spontane Rebellion, die sich flächendeckend und massiv ausbreiten könnte. In einem solchen Fall rechne ich damit, dass die Pasdaran, die mächtigen Revolutionsgarden der islamischen Republik, mit der Rückendeckung des Revolutionsführers die gewählte Regierung absetzen und selbst Regierungsaufgaben übernehmen, um mit ein paar Reförmchen die Gemüter zu beruhigen und die schlimmsten ökonomischen und sozialen Folgen der Politik des Präsidenten Rouhani zu beheben. Diese Alternative dürfte jedoch in erster Linie der Systemstabilität dienen und mit neuen Repressionen gegen die ohnehin sehr schwache Opposition einhergehen. Die realen Machtverhältnisse lassen so oder so einen echten Regime Change von innen kaum zu.
FJ: Welche Rolle könnten Deutschland und die EU bei diesem Konflikt noch spielen? Oder ist die EU faktisch bereits völlig eingeknickt gegenüber der US-Politik?
M.M.: Es dürfte Trump schwerfallen, in den USA einen innenpolitischen Konsens für einen Krieg gegen Iran herzustellen, wenn klar ist, dass er sich eine massive Ablehnung der EU einhandeln würde. Deshalb müsste die EU schon jetzt erklären, dass sie einen Krieg gegen Iran ablehnt und sich nicht an ihm beteiligen wird.
Schließlich und endlich wäre es anlässlich des Konflikts um das Iran-Atomabkommen angebracht, dass die EU ankündigt, alsbald die UN-Konferenz für eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Mittleren und Nahen Osten zu reaktivieren, die 2012 durch die USA und Israel blockiert worden war. Dafür müsste allerdings erst der Strukturfehler des UN-Beschlusses behoben werden, wonach die Teilnahme aller betroffenen Staaten zur Voraussetzung der Konferenz gemacht worden war. Diese Vorbedingung wurde jedoch durch die USA und Israel als Veto zur Verhinderung der Konferenz missbraucht. Deshalb müsste diese Bedingung, die zur Selbstblockade führt, ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen müsste die Konferenz zunächst durch die Teilnahme von willigen Staaten beginnen, um dann, in einem späteren Stadium, sämtliche betroffene Staaten einzubeziehen.
Diese Perspektive bietet sich auch geradezu für die Aufarbeitung und Regelung vieler anderer Konflikte im Mittleren und Nahen Osten an, beispielsweise den Syrienkonflikt. Damit könnte der seit langem von außen in die Region hineingetragenen Politik der Spaltung und Vertiefung von religiösen und ethnischen Feindschaften, des regionalen Wettrüstens und zahlreicher Kriege endlich ein Ende gesetzt werden.