Reparationen an Griechenland? – Überfällige Menschlichkeitspflicht

 In FEATURED, GRIECHENLAND, Holdger Platta, Über diese Seite

Nazis auf der Akropolis

139. Bericht zu unserer Spendenaktion „Helfen wir den Menschen in Griechenland!“ Deutsche haben in Griechenland während der Nazi-Zeit entsetzliche Verwüstungen hinterlassen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Dies wird von heutigen Politikern sogar eingeräumt wie unlängst von Bundespräsident Steinmeier – so lange so ein Schuldeingeständnis nichts kostet. Um Reparationen drückt sich Deutschland nämlich seit über 70 Jahren herum. Und anstatt Wiedergutmachung zu leisten, macht es die Politik wieder einmal schlecht, indem sie im Verbund mit der EU die Verelendungspolitik in Griechenland vorantreibt. (Holdger Platta)

Liebe HdS-Leserinnen und liebe HdS-Leser,

leider: in der vergangenen Woche ging nur eine einzige Spende auf unserem Hilfskonto ein, in der Höhe von 50,- Euro. Selbstverständlich Dank dafür! Und wie immer im Namen des gesamten Organisatorenteams.  Es handelt sich sogar um einen kleinen Spendenanstieg gegenüber der Woche davor, in der 2 SpenderInnen lediglich 30,- Euro bei uns eingezahlt hatten. Gleichwohl konnten wir in den letzten Tagen für diverse Hilfszwecke 2.900,- Euro an unser Grazer Helferteam überweisen (Bericht darüber demnächst!). Wir sind also zuversichtlich, dass es weitergehen kann mit unserer Spendenaktion – auch wenn wir Aktiven manchmal etwas ratlos sind, wie diese Schwankungen beim Spendeneingang zu erklären sind.

Die Berichte zu unserer Hilfsaktion werden nach wie vor von vielen gelesen (und bekommen erstaunlich viele „Likes“), in der Vorwoche erschien zudem ein ausführlicher Bericht von mir auf www.rubikon.news inklusive Hinweis auf Spendenmöglichkeit – da fragt man sich also schon, welche Fehler man womöglich macht bei seinen Werbeversuchen für diese Protest- und Hilfsaktion, die seit dem August 2015 so vielen Menschen in Griechenland wirksam zu helfen vermochte und wieder und wieder bemüht war, aufzuklären über die Gründe und Hintergründe der Krise in Griechenland. Jeder Rat ist uns deshalb willkommen. Und ich füge hinzu: selbstverständlich sind wir auch offen für offene Kritik! Sie kann hier auf der Kommentarspalte von HdS erfolgen, sie kann aber auch direkt an mich selber gehen (zu senden an meine Mailanschrift marggraf-platta@web.de). Und damit zum eigentlichen Thema meines heutigen Berichts, angekündigt in der letzten Woche schon: zum Thema deutsche Reparationen an Griechenland!

Vermutlich wissen es manche HdS-Leserinnen und HdS-Leser noch nicht: Nach wie vor ist dieses Problem völlig ungelöst. Versprechungen und Verheißungen von deutscher Seite aus gab es viele während der letzten Jahrzehnte, zahlreiche Schuldeingeständnisse und Bitten um Vergebung von Seiten deutscher Politiker ebenfalls – nicht zuletzt jetzt wieder beim Besuch unseres Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in Griechenland –, aber niemals bislang sind den guten Worten auch gute Taten gefolgt. Aber bevor ich dazu etwas sage, ein paar wichtige Fakten vorweg. Und danach auch Versuch zur Klärung einer Frage, die an uns alle gerichtet ist.

Als Nazi-Truppen im Jahre 1941 Griechenland besetzten, begann für die Bewohner eine entsetzliche Leidenszeit. 350.000 Menschen sind während der Okkupationszeit in Griechenland gewaltsam ums Leben gekommen. 500.000 weitere Griechinnen und Griechen überlebten die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten nur mit bleibenden Gesundheitsschäden. Über 1.000 griechische Ortschaften wurden während der Naziherrschaft von deutschen Truppen der Wehrmacht und der SS zerstört, in mindestens 100 Ortschaften auch alle Einwohner ermordet, unter bestialischen Umständen oft, Männer, Frauen, Greise, Kinder.

Hinzukamen, wie der bundesdeutsche Historiker Karl-Heinz Roth, seit 40 Arbeitsjahren mit diesem Thema befasst, kürzlich in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“ mittteilte, am 12. Oktober dieses Jahres, die „wirtschaftliche Ausplünderung des Landes und die Politik der verbrannten Erde beim Rückzug“. 80 Prozent der griechischen Infrastruktur wurden dabei zerstört. Die deutsche Besatzung hatte Griechenland zurückgeworfen auf den Status eines Entwicklungslandes, und Griechenland hatte „jahrzehntelang unter den Folgen zu leiden – im Grunde bis heute“, so Karl-Heinz Roth.

Und was geht das uns an? Was hat das – womöglich – mit den heutigen Problemen in Griechenland zu tun?

Ich weiß, dass selbst wohlwollende Deutsche diese Fragen stellen, hin und wieder jedenfalls. Ihr Argument: wie kann man uns, die wir diese Verbrechen nicht begangen haben, uns, die damals noch Kinder waren oder sogar viel später erst zur Welt gekommen sind, kurz also, wie kann man uns haftbar machen für eine Schuld, die unsere Schuld nicht ist? Fände damit nicht eine Schuldverschiebung statt, die unzulässig ist, oder übernähmen wir damit nicht eine Schuld, die zu übernehmen einer Anmaßung gleichkommt?

Nun, ich könnte es mir an dieser Stelle einfach machen und schlicht feststellen, dass dieses Übernahme von Verantwortung – nicht zu verwechseln mit individueller Schuld! – schlicht vom Völkerrecht so geregelt ist, übrigens schon zu Völkerbundszeiten, nicht erst seit dem Zeitpunkt, da die UNO ihre Arbeit aufnahm. Heißt mithin: ein derartiger Austritt, je nach Gusto oder Bedarf, aus der Verantwortungsgemeinschaft des eigenen „Vaterlands“ (oft von denselben Deutschen bei Sonntagsreden sehr gerne und aufs feierlichste beschworen), käme einem individuellen Willkürakt gleich, der im Völkerrecht einfach so nicht vorgesehen ist. Aber ich will mich auf diese Rechtsdimension der Nachfolgeverantwortung nicht beschränken – obwohl schon diese sehr gewichtig ist. Ich will mindestens noch zwei weitere Gedanken hinzufügen dürfen, die eine Rolle spielen – für mich jedenfalls – bei dem, was ich „Nachfolgeverantwortung“ genannt habe. Und der eine Gedanke hat etwas mit Fairness und Ethik zu tun, und der andere mit Menschlichkeit und Empathie. Zur Ethik und zur Fairness zuerst:

Niemand im Nachkriegsdeutschland nahm Anstoß daran, dass – spätestens mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai des Jahres 1949 – dieser neue deutsche Staatsverband die Rechtsnachfolge angetreten hatte zum Dritten Reich. Heißt: alles, was vorher dem Dritten Reich „gehört“ hatte (und vorher der Weimarer Republik und davor noch dem zweiten deutschen Kaiserreich), das „gehörte“ nunmehr dieser neuen Bundesrepublik und umfasste das Territorium (zumindest in Westdeutschland) und alles, was an Infrastruktur übriggeblieben war, an Grund- und Immobilienbesitz, an Rechtsansprüchen gegenüber Einzelnen, Institutionen, Organisationen und und und. Kurz: die Bundesrepublik Deutschland – gültig jedenfalls für den Westteil des vormals größeren Deutschlands und gültig unter bestimmten Vorbehaltsrechten, die bei den Westalliierten verblieben – trat positiv die Nachfolge des vorangegangenen Deutschlands an, die Rechtsnachfolge des Dritten Reichs.

Aber dieses bedeutete gleichzeitig auch, untrennbar verbunden damit: diese Bundesrepublik Deutschland trat damit auch in die Pflichtennachfolge des Vorgängerstaates ein – den eigenen Landsleuten gegenüber, Beispiel Übernahme des Rentensystems, aber auch nach außen hin! Und aus dieser Logik wie Ethik einer Erbschaftsnachfolge  kann man nicht partiell oder x-beliebig austreten wie aus einem Verein, der plötzlich die Mitgliedsbeiträge erhöht. Man kann nicht die Rechte übernehmen wollen, die Pflichten aber nicht. Das gilt in juristischer Hinsicht ebenso wie in ethischer Hinsicht. Und wir Nachgeborenen können nicht für „selbstverständlich“ erachten, dass wir – zum Beispiel – in Volksschulen das Lesen und Schreiben erlernten, deren Gebäude noch aus der Vorkriegszeit stammten, aber nichts wissen wollen von den Verpflichtungen, die uns aus ebenderselben Erbschaft erwachsen sind.

Wobei für beides gilt, für die Rechte wie Pflichten: sie erstrecken sich auf Gegenwart und Zukunft und auf die Vergangenheit! Alles andere käme einem Erbschaftssplitting gleich, das lediglich die guten Seiten eines Testaments anerkennen will, nicht aber die schlechten. Bekanntlich ist diese Rosinenpickerei nicht mal im privaten Erbrecht möglich – wie sollte es da möglich sein im Verfassungs- und Völkerrecht oder gar rechtens sein angesichts eines Ausmaßes an Schuld, das – nicht nur in Griechenland, wir wissen es alle! – eigentlich unfassbar ist, unfassbar übrigens für jeden von uns!

Und damit zum zweiten Punkt, der hier – in Kurzform jedenfalls – zur Sprache kommen soll: zur Menschlichkeit und Empathie:

Wer sich vor Augen führt und seelisch an sich heranlässt, was im Namen Deutschlands durch Deutsche der griechischen Bevölkerung während des 2. Weltkrieges angetan worden ist, wie könnte der sich verschließen vor dem Anspruch auf „Wiedergutmachung“ wenigstens in materieller Gestalt? Natürlich, jeder von uns weiß, wie verkehrt im Grunde der Begriff der „Wiedergutmachung“ ist, wie unwahr gegenüber dem Unheil, das nicht rückgängig oder „wiedergutgemacht“ werden kann. Aber um so mehr – in der Empathie mit den Opfern von einst und in der Empathie mit deren Nachfahren jetzt – muss es nicht nur politisches, sondern ethisches Gebot sein, weit über alle Rechtlichkeit dieser Ansprüche hinaus, den Griechinnen und Griechen endlich jene Menschlichkeit zu erweisen, die ihnen mit der Weigerung aller bundesdeutschen Nachkriegsregierungen, Reparationen an Griechenland zu zahlen, bislang vorenthalten geblieben ist. Und zwar vorenthalten geblieben ist in immenser Höhe und auf schäbigste Art.

Zur Erläuterung:

Jawohl, es ist richtig, dass Griechenland Anspruch auf Reparationszahlungen mindestens in der Größenordnung von 300 Milliarden Euro hat. Doch wie kann verwundern, dass es Forderungen in dieser Größenordnung sind – nebenbei: solide ermittelt von diversen Institutionen in Griechenland und außerhalb Griechenlands! –, angesichts des Unmaßes an Tod, Zerstörung und Verbrechen, das den Menschen in Griechenland von deutscher Seite aus zugefügt worden ist? Und zum anderen Punkt:

Jawohl, es ist richtig, daß die Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg immer wieder die Griechen vertröstet hat, was die Bewilligung von Reparationszahlungen betrifft, und zwar vertröstet hat auf jenen fernen Tag, da Deutschland wiedervereinigt sei, da Deutschland wieder ein ganzer Staat sei, da Deutschland imstande sei, als völkerrechtlich vollgültiges Rechtssubjekt, mit Griechenland einen Friedensvertrag abschließen zu können. Aber was ist dann geschehen? Was geschah, als dieser Tag gekommen war, als es wieder dieses vereinigte und einschränkungslos autonome Deutschland gab, als es – im Jahre 1990 – zu dem 2-plus-4-Vertrag zwischen „beiden“ Deutschlands und den Alliierten kam? Nun, da wollte eben dieses wiedererstandene und wiedervereinigte Deutschland von seinen Versprechungen gegenüber Griechenland nichts, aber auch gar nichts mehr wissen. In einem Akt der Schäbigkeit sondergleichen wurde erklärt, dass sich die Frage der Reparationen an Griechenland erledigt hat.

Und diese These des Kohl’schen Deutschlands wurde seither nachgeplappert von jeder Regierung, die nach Helmut Kohl ans Ruder kam. Um es aufs deutlichste festzustellen: so geht es nicht! Rechtlich nicht, politisch nicht, und ethisch schon gar nicht! „Verfristung“ von legitimen Ansprüchen der Griechen erschwindeln zu wollen durch jahrzehntelange Vertröstungspolitik, um dann, als der Tag X eingetreten ist, der Tag von erlangter Einheit und Autonomie, die Behauptung aufzustellen, die Sache habe sich inzwischen erledigt, das fügt den Verbrechen der Nazi-Schergen noch ein weiteres Verbrechen hinzu: den Betrug! Deswegen mit aller Deutlichkeit: Griechenland hat Recht, die Reparationsfrage ist nach wie vor offen!

Und ebenso deutlich:  jeder bundesdeutsche Politiker lügt, der behauptet (wie Schäuble vor einiger Zeit), diese Frage sei „rechtlich und politisch abgeschlossen“. Nichts ist „abgeschlossen“, weder rechtlich noch politisch. Das Thema steht auf der Tagesordnung, nach wie vor. Und es sollte so rasch wie möglich zu einem guten Ende gebracht werden, nicht zuletzt deshalb, weil zumindest dieses das kaputtgerettete Griechenland wieder in die Lage versetzen könnte, aus dem Elend herauszukommen, in das es – nicht zuletzt von Deutschland! – hineinmanövriert worden ist.

Selbstverständlich: “der Sache nach” hat Letzteres mit der Reparationsfrage nichts zu tun, auch de jure nicht. Aber menschlicherweise sollte dieser immense Hilfsaspekt eine Rolle spielen bei den zukünftigen Gesprächen über die Lösung der Reparationsfrage für Griechenland! Was bedeutet: auch wir – Ihr, die HdS-Leserinnen und HdS-Leser, und wir, die OrganisatorInnen der GriechInnenhilfe – sollten nicht den Mund halten, wenn es – hoffentlich bald! – zu diesen Gesprächen kommt!

Und damit erneut meine abschließende Bitte an Euch um weitere Unterstützung unserer Spendenaktion.

Wer uns Gelder für unsere Hilfe für Menschen in Griechenland zukommen lassen will, der überweise uns diese bitte unter dem Stichwort „GriechInnenhilfe“  auf das Konto:

Inhaber: IHW

IBAN: DE16 2605 0001 0056 0154 49

BIC: NOLADE21GOE

Wer eine Spendenbescheinigung benötigt – ab 201,- Euro erforderlich –, wende sich bitte an unseren Kassenwart Henry Royeck, entweder unter der Postanschrift Sültebecksbreite 14, 37075 Göttingen, oder unter der Mailadresse henryroyeck@web.de.

Und wer noch etwas mehr tun will: auch unser gemeinnütziger Verein, die „Initiative für eine humane Welt (IHW) e.V“, ist immer wieder erneut auf neue Hilfsgelder angewiesen, zur finanziellen Absicherung unserer Arbeit ganz generell. Diese Spenden bitte dann an dasselbe Konto, wie oben angegeben, jedoch mit dem Stichwort „IHW“ versehen. Wir würden uns riesig auch über diese Unterstützung freuen.

Mit herzlichen Grüßen wie stets

Euer Holdger Platta

 

 

 

 

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