Riskiere alles für den Frieden!
Monastische Begegnungen mit Joan Baez. Kontemplation und Engagement für den Frieden gehören zusammen. Kaum jemand verkörpert das seit Jahrzehnten so beeindruckend wie Joan Baez, die „Ikone der Sechziger“ und das „Gewissen Amerikas“. Der Benediktinermönch und Autor Thomas Quartier lebt seit seiner Jugend in ihren Liedern. Er traf sie in Amsterdam zu Gespräch und symbolischer Geste. Es war nicht die erste Begegnung der Baez mit einem Mönch. Vor gut fünfzig Jahren suchte sie den amerikanischen Trappisten Thomas Merton in seiner Einsiedelei in Kentucky auf. Begegnungen von Menschen, die alles für den Frieden riskieren und miteinander teilen. Bruder Thomas Q. beschreibt sie für HdS.
Manchmal hört man ein Lied, durch das man auf einmal alles für den Frieden riskiert. Genau das passiert dem amerikanischen Trappistenmönch Thomas Merton im Sommer 1966, als er die Lieder und Stimme von Joan Baez kennenlernt. Ihre Geschichten von tragischer Liebe, die zuweilen tödlich endet, dadurch jedoch erst zum vollen Leben führt, und ihr engelhafter Sopran werden zum Soundtrack seines Lebens in der Einsiedelei, seines Ringens um inneren und äußeren Frieden.
In jener Zeit ist das Folkrevival noch keineswegs Gemeingut, schon gar nicht in einem Trappistenkloster. So fragt ein besorgter Mitbruder: „Enthalten die Lieder von Joan Baez nicht arg sinnliche Elemente?“ Er befürchtet, die betörende Sinnlichkeit könnte den schreibenden Mönch vom steinigen Weg der Demut ablenken und ihn mit einer Welt konfrontieren, die letztlich keinen wahren Frieden bieten kann.
Merton antwortet: „In ihnen klingen archetypische Symbole der Liebe und des Todes. Vielleicht entspringt gerade daraus das echte Leben“. Auch wenn man geistlich lebt, kann man jenes wahre Leben nur im Lied von Liebe und Tod besingen, aller klösterlichen Kargheit zum Trotz, oder gerade ihr zuliebe. Der damals schon berühmte Schriftsteller entdeckt in der Performance von Joan Baez „eine dritte, sinnliche Dimension seines ästhetischen Lebens, wo er zuvor doch nur Texte zu verinnerlichen versuchte“, so der amerikanische Autor Robert Hudson über diese intensive Zeit.
Begegnung
Am 8. Dezember jenes Jahres kommt es schließlich zu einer persönlichen Begegnung. Baez besucht Merton in seiner Klause. Sie kommt mit der festen Absicht, den zurückgezogen lebenden Mönch aus der Reserve zu locken, ihn dazu zu bewegen, das Kloster zu verlassen und mit ihr und anderen Mitstreitern der Bürgerrechtsbewegung in der ersten Reihe für die „sich verändernden Zeiten“ zu kämpfen.
Merton hat wie Baez immer wieder seine prophetische Stimme gegen Krieg und Unrecht erhoben. „Wir diskutierten über die Disziplin, die ihm auferlegt wurde. Er konnte nicht präsent sein. Er wäre gerne mit uns gereist und dabei gewesen, um die Welt zu verändern“, schreibt Baez Jahrzehnte später. Mertons Lebensform verbietet das jedoch. Die Disziplin des klösterlichen Lebens bedeutet, sich ganz nach innen zu richten und sich unterzuordnen. Geht er dem Risiko, das man für den Frieden eingehen muss, dadurch nicht aus dem Weg? Oder stellt sein Lebensentwurf ein anderes Risiko dar, das ebenso dem Frieden dient wie ihres?
Auf dem Weg zur Abtei Gethsemani, wo Merton lebt, hat Baez auf ironische Art und Weise über die Anziehungskraft eines spirituellen Lebens sinniert: „Wir besuchten einen heiligen Mann. Wir hatten uns vorgestellt, dass jemand, der wirklich heilig ist, unser Leben magisch berühren und uns zu perfekten Menschen machen würde. Natürlich wussten wir, dass das Unsinn ist, aber wir träumten weiter…“
Ihre träumerischen Zweifel, ob so ein heiliges Leben wohl zu ihr passt, passen zu den Zweifeln Mertons, der zu jener Zeit nicht nur Baez, sondern auch ihren kongenialen Partner Bob Dylan entdeckt hat: „Konnte ich als Einsiedler diese Musik mögen?“, fragt er sich in seinem Tagebuch. Der Moment ihrer Begegnung hebt die Gegensätze zwischen den beiden nicht auf, lässt aber einen großen Respekt vor dem Lebensrisiko des jeweils anderen entstehen.
Baez ist zunächst überrascht, als der Mönch das Zimmer betritt: „Thomas hatte ein freundliches und fröhliches Gesicht. Er strahlte Wärme und Ehrlichkeit aus“. Und dann das: „Als erstes wollte er Fastfood zum Mittagessen. Der gute Mönch ließ sich seine Cheeseburger so gut schmecken, dass sich alleine dafür unsere Reise schon gelohnt hatte“. Sinnliche Menschlichkeit nimmt eben zuweilen erstaunliche Formen an, auch bei einem Mönch.
Merton hat in dieser Periode noch mit ganz anderen inneren Problemen zu kämpfen. Er hat sich in eine junge Krankenschwester verliebt, und ein Lied von Joan Baez, das er täglich hört, ist zur Hymne ihrer von vorherein zum Scheitern verurteilten Beziehung geworden. Soll er wegen dieser Leidenschaft, die durchaus erwidert wird, sein klösterliches Leben aufgeben und von seinem heiligen Prinzip abweichen? Nach monatelangem Ringen entscheidet er sich, Mönch zu bleiben. Dennoch wird er scheinbar schwach, als Joan ihm während ihres Treffens anbietet, ein erneutes Rendezvous mit seiner geliebten Margie zu ermöglichen. „Zu meiner Überraschung zögerte er keine Sekunde und wollte mitfahren“, schreibt sie.
Letztlich entscheiden sich beide dagegen. Baez holt Merton nicht ab, und dieser ist erleichtert. „Wir konnten seine Disziplin nicht brechen, denn wir hätten es beide bereut“. Was zunächst unmenschlich klingen mag, bedeutet nichts anderes als einen poetischen Respekt vor dem inneren Frieden, der das Äußerste von einem Menschen verlangt. Merton riskiert alles für den inneren Frieden als Mönch, Baez für den äußeren Frieden beim Protestmarsch. Und sie schätzen und ergänzen sich.
Joan Baez ist nach dem Treffen mit Merton und seinem viel zu frühen Tod 1968 nicht verstummt, im Gegenteil. Sie singt ihr Lied auch heute noch, hat die Welt verändert und unermüdlich alle Orte aufgesucht, wo Unrecht und Gewalt herrschen. Sie hat die Menschen umarmt, Freund und Feind, sie verstanden und ihre Liebe und ihr Leben besungen.
Häufig mit dem wunderbaren Lied von Konstantin Wecker, das sie auf vielen Konzerten begleitet: „Wenn unsre Brüder kommen, mit Bomben und Gewehren, dann wolln wir sie umarmen, dann wolln wir uns nicht wehren“. Ihre lebenslange authentische Suche zeugt von einer tiefen Spiritualität, die die Quelle ihres Engagements ist, bis heute. An jenem Dezembertag 1968 sind sich, um abermals Wecker zu zitieren „Mönch und Krieger“ begegnet. Der Moment der Begegnung machte, dass sie den Archetyp des jeweils anderen in sich selbst entdeckten.
Gegenbesuch
Im Jahr 2018 befindet sie sich auf ihrer Abschiedstournee: Fare thee well! „Meine Stimmbänder sind müde vom Singen, meine Füße von allen Protestmärschen“, sagt sie. Aus diesen Worten spricht eine Ehrlichkeit und Demut, die den Respekt und die Zuneigung, die ihr bei überall ausverkauften Konzerten entgegengebracht werden, nur noch vergrößern. Im Alter von siebenundsiebzig Jahren ist sie wahrlich zur Ikone ihrer Kunst und ihrer Lebensform geworden. Ihre Seelenverwandtschaft mit jenem berühmten Mönch, der vor fünfzig Jahren gestorben ist und den sie aufsuchte, hat mich ermutigt, nun den umgekehrten Schritt zu wagen und ihr als Mönch, der wie Merton der Regel Benedikts folgt und kulturell aktiv ist, einen Gegenbesuch abzustatten. Wenn der Prophet eben nicht zum Berg kommt…
Nach ihrem Konzert in Amsterdam treffen wir uns in ihrer Garderobe. Was soll ich ihr sagen? Ich habe mich für die symbolische Geste entschieden, ihr ein kleines Kunstwerk aus unserer Abtei zu überreichen: eine Skulptur mit zwei Mönchen, die einander den Friedenskuss geben (Pax!). Dieser angedeutete Kuss ist bis heute das Begrüßungsritual, wenn Mönche sich treffen. Der Frieden, innerlich und äußerlich, ist das Ziel des Mönchslebens. In der Regel Benedikts heißt es unmissverständlich: „Suche den Frieden und jage ihm nach“ (RB Prol 17). Auch ein Mönch muss alles für den Frieden riskieren. Thomas Merton ist auch heute eine der wichtigsten pazifistischen Inspirationen. Der Gegenbesuch bei Joan Baez ist für mich ein symbolischer Schritt, quasi die Geschichte aus dem Jahr 1966 zu betreten.
Ich muss dabei ehrlich zugeben, dass es durchaus spannend ist, wenn man einer lebenden Legende begegnet. Beinahe ertappe ich mich bei vergleichbaren Gedanken, wie sie die Sängerin vor fünfzig Jahren hatte: „Wenn wir einer echten Legende begegnen, wird sie dann durch ihre Gegenwart wirklich engagierte Menschen aus uns machen?“ Aber genau wie Merton damals ist Joan freundlich, offen, fröhlich und sehr interessiert. Ich freue mich über die ungebrochene Aura, die diese Frau auch heute noch hat.
Friedenskuss
Wir reden über ihre Begegnung mit Thomas Merton, über ihr Leben und über meine Entscheidung, in der heutigen Zeit Mönch zu sein und, so Gott will, zu bleiben. Passe ich in die Gesellschaft jener Menschen im ausverkauften Saal, die sich mitten in der Welt für Frieden und Respekt einsetzen? Passt Joan Baez zu mir, weiß sie meinen Besuch zu schätzen? „Menschen gehen heute keine Risiken mehr ein“, sagt sie und bedauert das Abflauen der Bereitschaft, für den Frieden alles zu riskieren.
Sie selber hat kein Risiko gescheut. Wie kann man das aushalten? Nur durch inneren Frieden. Es geht darum, seinen Unfrieden, seinen Frust und seine Wut zu heiligen, durch Lieder und Leben im Einklang mit sich selber. Das tut der Mönch genauso wie die Sängerin, die heute – nach vielen inneren Kämpfen – in sich selbst zu ruhen scheint.
Sie ist auch wieder optimistisch: „In Amerika gehen im Moment zum ersten Mal seit langer Zeit wieder junge Menschen auf die Straße, um gegen die Waffengesetze zu protestieren. Das macht mir Mut. Für sie singe ich auf dieser Tour jeden Abend jenes Lied, das ich seit dreißig Jahren nicht mehr gesungen habe: The times they are a changing“. Ich bin selber mit diesem Lied aufgewachsen, es ist der Soundtrack meiner heiligen Wut, und ich bin Joan dankbar, dass sie es singt, heute Abend in Amsterdam.
Ich tue das Unerhörte und frage sie, ob wir beide nicht auch jenen Friedenkuss miteinander austauschen sollen, den die Skulptur darstellt, die ich ihr im Namen unserer Abtei überreicht habe. Darf man das eine Größe fragen, die in die „Rock’n Roll Hall of Fame“ aufgenommen wurde? Sie ist sofort einverstanden, und jener Moment der angedeuteten Umarmung macht die Einheit von Kontemplation und Engagement, Kunst und Spiritualität, Lied und Leben für mich erfahrbar, nach der Thomas Merton zeitlebens gesucht hat. Nicht dass ich nie andere Menschen umarmen würde oder unter einem Mangel an Zuneigung leiden würde. Aber ich spüre Respekt und Sympathie, weil auch mein Leben als Mönch heute, im Jahr ihrer Abschiedstournee, bedeutet, alles für den Frieden zu riskieren.
Die Gegensätze zwischen den Lebensformen Künstler und Aktivist, Mönch und Krieger können wir nicht aufheben, auch nicht durch den Friedenskuss. Vielleicht hat Joan sich auch bei diesem Gegenbesuch dieselben Fragen gestellt wie 1966 in der Abtei in Kentucky. Aber wir verkörpern beide das Verlangen nach Frieden, miteinander, füreinander. „Ich weiß schon, wo ich es hinsetze“, sagt sie über das kleine Kunstwerk. Ich fühle mich geehrt.
Wir werden wahrscheinlich nie wissen, wo das nach der Beendigung der Tournee in ihrem Haus in den USA genau sein wird. Aber ich vertraue darauf, dass der symbolische Kuss der beiden Mönche auch für sie zu innerem Frieden beiträgt. Für mich ist ihr Lied ein Impuls, durch den ich in unserem Kloster dem Frieden benediktinisch nachjagen will, für die Welt, genau wie mein Namensvetter, der vor fünfzig Jahren gestorben ist.
Ich bin Joan Baez, Konstantin Wecker, ebenfalls einer der Helden meiner Jugend, der vor dreißig Jahren mit Joan und der wunderbaren Mercedes Sosa auf Tournee ging, Roland Rottenfußer von HdS und meinem langjährigen Weggefährten Robert Heiße, der mich an jenem Abend begleitet hat, dankbar für die Ermutigung.