Shut Down Nation

 In FEATURED, Politik (Ausland), Wirtschaft

Israels Wirtschaft wird durch die Justizreformen beeinträchtigt. Eine unangekündigte Kapitalflucht aus dem Staat Israel nimmt an Fahrt auf. Am stärksten betroffen ist der israelische High-Tech-Sektor, der das Rückgrat der israelischen Wirtschaft ist. Das wird deutlich angesichts von Milliarden Euro, die von Investoren abgezogen werden und weiteren Milliarden, die Israelis aus dem Land bringen, um ihre Ersparnisse vor dem bevorstehenden Zusammenbruch zu schützen. Obwohl internationale Medien darüber berichten, besteht bei den meisten Israelis Unkenntnis über diese Kapitalflucht. Die weltweit tätige Rating-Agentur Moody’s hat davor gewarnt, dass Israels Kreditwürdigkeit in Gefahr ist. Im Falle einer Herabstufung würden die Zinsen für die Auslandsschulden Israels steigen, die israelische Währung würde Schaden nehmen,  und internationale Investoren würden es sich zweimal überlegen, ob sie in israelische Unternehmen oder in den israelischen Markt investieren. Quelle: BIP

 

Die israelische Währung, der Neue Israelische Schekel (NIS), verliert gegenüber dem Euro an Wert, insbesondere nachdem die neue israelische Regierung die Justizreform angekündigt hat.Die umstrittenen “Justizreformen” der rechtsextremen israelischen Regierung (siehe BIP-Aktuell #246) haben sowohl in der jüdisch-israelischen Gesellschaft als auch in internationalen Finanzkreisen, darunter bei führenden internationalen Wirtschaftswissenschaftlern und Investoren, beispiellose Bedenken ausgelöst. Israels Präsident Herzog erklärte, die Krise habe das Land “an den Rand des verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruchs” gebracht, und Hunderte von israelischen Wirtschaftswissenschaftlern erklärten, das Außerkraftssetzen der gegenseitigen Kontrolle drohe “die Wirtschaft zu lähmen”. Bei Massenprotesten in Tel Aviv wurde der Regierung “Autoritarismus” vorgeworfen, der der Demokratie eine “tödliche Wunde ” zufügen werde.Nahezu völlig ausgeklammert von dieser Debatte sind die Palästinenser, die an den Demonstrationen kaum teilnehmen können, wenn sie zum Beispiel mit palästinensischen Fahnen als Palästinenser von der Polizei identifiziert werden (siehe BIP-Aktuell #245). Ebenso spielt das Apartheidsystem bei den Demonstrationen keine Rolle. Die Palästinenser haben guten Grund zu befürchten, dass das eigentliche Ziel dieser Reformen die endgültige Annexion der besetzten palästinensischen Gebiete durch Israel ist (siehe BIP-Altuell #249).

Dennoch sehen viele Israelis deren Nicht-Teilnahme als notwendig an – andernfalls könnte nach ihrer Meinung eine geeinte jüdische Opposition gegen die Regierung in diesem beispiellosen Moment der Unbeständigkeit und der Proteste gefährdet sein.Der Vorsitzende der Zentralbank von Israelwarnte den israelischen Premierminister Netanjahu nach entsprechenden Gesprächen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass eine Schwächung des Justizsystems der Wirtschaft schaden, ausländische Investoren abschrecken und Finanzagenturen dazu veranlassen könnte, Israels Kreditwürdigkeit herabzustufen. Auch J.P. Morgan und HSBC warnten davor, Israels Währung und das Investitionsumfeld könne gefährdet sein. In einem Entwurf des OECD-Jahresberichts heißt es: “Die Korruption in Israel hat in den letzten Jahren zugenommen und ist höher als in anderen OECD-Ländern”. Es wird davor gewarnt, dass die weitere Untergrabung des Vertrauens in die öffentlichen Institutionen und in die Justiz zum Verlust von in- und ausländischen Investitionen führen könnte.

Da die OECD die Millionen von Palästinensern, die unter israelischer Besatzung im Gazastreifen und im Westjordanland, einschließlich Ostjerusalem, leben, im Gegensatz zu den etwa 700.000 israelischen Siedlern, die völkerrechtswidrig im Westjordanland leben, nicht berücksichtigt, zeichnet sie allerdings ein verzerrtes Bild der israelischen Wirtschaft.Die Protagonisten des israelischen High-Tech-Sektors, der 15,3% des Bruttoinlandsprodukt und 40% der Gesamtexporte erwirtschaftet (Quelle auf Hebräisch), haben sich den Protesten angeschlossen. Der in den USA ansässige Fonds Insight Partners, der größte Investor im israelischen Hightech-Sektor, äußerte erhebliche Bedenken gegen die Reformen (Quelle auf Hebräisch), während Dutzende von führenden israelischen Hightech-Managern sogar vor einer “existenziellen Bedrohung” für ihren lebenswichtigen Sektor warnten. Eine beginnende Kapitalflucht war die Folge. Die High-Tech-Beschäftigten sind eng mit der israelischen Sicherheitsindustrie verbunden, und ihre Sorge, dass sie aufgrund der extremistischen Politik der israelischen Regierung ihr Einkommen verlieren könnten, ist einer der Gründe dafür, dass sich so viele von ihnen weigern, ihren Reservedienst in den israelischen Geheimdiensten zu leisten (siehe BIP-Aktuell #250).

Informationen aus dem israelischen Bankensektor haben bestätigt, dass bis Mitte Februar bereits rund 4 Mrd. USD von israelischen Banken vor allem an US-amerikanische und europäische Banken überwiesen wurden (Quelle auf Hebräisch). Führende Unternehmen wie die Risikokapitalfonds Wiz, Disruptive und Disruptive AI, die zusammen 250 Millionen Dollar verwalten, und Papaya Global, ein Zulieferer von Microsoft und Toyota, haben ihre Veräußerungen öffentlich gemacht. Die Geschäftsführerin von Papaya Global sagte, sie habe beschlossen, “alle Gelder des Unternehmens aus Israel abzuziehen”, weil “es keine Gewissheit gibt, dass wir von Israel aus internationale wirtschaftliche Aktivitäten durchführen können.”Leo Bakman, Präsident des Israel Institute for Innovation, eines Inkubators – also eines Begleiters – für 2.500 Start-ups, fasste die Bedenken der israelischen Wirtschaft so zusammen: “Die Investoren treten einen Schritt zurück und sagen: ‘Entscheiden Sie zuerst, ob Sie eine Demokratie oder eine Diktatur sind, und dann werden wir reden.'” Zvi Stepak, Gründer und Eigentümer des Meitav Investment House, das eine Million Kunden hat und ein Vermögen von 60 Milliarden Dollar verwaltet, stellt fest, dass israelische Investoren ihr Engagement in israelischen Anleihen und Unternehmen in letzter Zeit um fast 1 Milliarde Dollar verringert haben. Boaz Barak, ein hochrangiger israelischer Banker, schätzt, dass “der Abfluss von Geldern aus Israel in die Schweiz allein in [den letzten Wochen] Milliarden von Dollar erreicht hat”. Er erklärt: “Die Weltwirtschaft bewegt sich auf der Grundlage von Emotionen und Herdenpsychologie. Es ist völlig klar, dass das Vertrauen in lokale Finanzsysteme und Regierungsinstitutionen die treibende Kraft des täglichen Lebens in den entwickelten Ländern ist. Dieses Vertrauen ist leicht zu verlieren und sehr schwer wiederherzustellen. Misstrauen ist ein ansteckendes Element. Wenn Israelis das Vertrauen in ihr Land verlieren, neigen auch die ausländischen Bankiers dazu, diese Botschaft zu übernehmen. Der Mangel an Vertrauen entmutigt Investitionen für den israelischen Markt und in die führenden Industrien” (Quelle auf Hebräisch).

Peter Beinart schrieb in der New York Times, dass “ein jüdischer und demokratischer Staat in Wirklichkeit ein Widerspruch ist”. Die Kapitalflucht der Investoren erinnere uns daran, dass das zugrundeliegende, noch unausgesprochene palästinensische “Problem” nicht nur ein ethischer Alptraum sei, sondern auch eine brisante Landmine, die in den Fundamenten von Israels bisher beeindruckender Start-up-Wirtschaft vergraben ist. Menschenrechte und Demokratie mögen schließlich zumindest für einige Investoren wichtig sein. Für die Palästinenser jedoch, ob sie nun unter der Besatzung oder als Bürger zweiter Klasse in Israel leben, ist Demokratie eine Illusion.Riesige Investmentfonds haben sich von israelischen oder internationalen Unternehmen und Banken getrennt, die in Israels schwere Menschenrechtsverletzungen an Palästinensern verwickelt sind. Einige große Unternehmen haben sich ganz oder teilweise aus dem israelischen Markt zurückgezogen. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat 2020 eine Datenbank mit Unternehmen veröffentlicht, die in den Siedlungen involviert sind, was den Desinvestitionen weiteren Auftrieb gegeben hat. Vor kurzem hatBen and Jerry’s Israel von der Liste der Länder gestrichen, in denen das Unternehmen tätig ist. Die BDS-Bewegungveröffentlichte eine Liste von Anzeichen dafür, dass Investoren das Vertrauen in die israelische Wirtschaft verlieren, mit dem Titel “From start up nation to shut down nation”. Die Financial Times hat den Slogan aufgegriffen und einen Artikel über den Zusammenbruch der israelischen Wirtschaft veröffentlicht, und Demonstranten in Tel-Aviv haben den BDS-Slogan für ein riesiges Schild verwendet, das sie durch die Stadt trugen. Ein wichtiger Faktor ist die spürbare, aber schwer zu quantifizierende Wirkung der von den Palästinensern angeführten Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS), die internationale Investoren und Unternehmen auffordert, “ihre Komplizenschaft mit Israels jahrzehntelanger Besatzung und Apartheid zu beenden”.
Das Schild mit dem Zitat von der Website der BDS-Bewegung: “Von der Startup-Nation zur Shutdown-Nation”. Die Bilder von Khamenei, Erdogan, Netanjahu, Putin und Orban wurden von den israelischen Aktivisten dem Slogan hinzugefügt. Quelle: 2023, Twitter.Am Sonntag, den 12. März, warnten über 250 prominente US-Geschäftsleute in einem offenen Brief, dass sie nicht mehr in Israel investieren werden, wenn die Regierung ihren Kurs nicht ändert. In dem Brief wurde eine Sprache verwendet, die von den etablierten Organisationen noch nie zuvor verwendet wurde – es ging nicht nur um die Justizreform, sondern auch um die Frage der Verantwortlichkeit für Korruption in Israel und Kriegsverbrechen an den Palästinensern, also um die Schwierigkeit, Israels Außenpolitik zu verteidigen.Die Banken in Israel berichten von langen Schlangen von Privatpersonen, die Konten im Ausland eröffnen, um ihr Geld abzuheben und ihre Ersparnisse zu schützen. Tausende von Israelis beantragen entweder Pässe, um sich auf die Ausreise vorzubereiten, oder sie organisieren Gruppen, um sich gegenseitig Ratschläge für die Aufnahme eines Studiums oder einer Arbeit in einem neuen Land zu geben. Anders als derzeit noch in internationalen Medien zu lesen ist, spüren viele Israelis bereits, dass die wirtschaftliche Lage sehr schlecht ist (Quelle auf Hebräisch), während ausländische Investoren an der Hoffnung festhalten, dass die Justizreform gestoppt wird. Der Haaretz-Journalist Gideon Levy schrieb, dass die von der BDS-Bewegung vorhergesagte Realität Wirklichkeit wird.

 

 

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